Die Enttäuschung der Schweizer

Nicht nur der Niedergang der Credit Suisse trifft die Überzeugungen und Werte der Schweizer ins Mark: Auch die Legitimität der Neutralität steht zur Debatte. Die Philosophin Katja Gentinetta erklärt ihr Land.

Ein Demonstrant hält eine Kravatte in die Kamera auf der alte Schweizer Münzen, Pins mit der Flagge der Schweiz und eine Beschriftung zu lesen sind: Credit Suisse Paradeplatz Viele sehr viele Köche verderben den Brei. Das Vertrauen in ihr Land. Das Bild illustriert einen Beitrag über die Bedeutung der Schweizer Banken für ihre Identität.
Das Vertrauen ist hin: Demonstration in Zürich nach Bekanntwerden der Übernahme der Credit Suisse durch UBS. © Getty Images

Die Schweizer schätzen ihre Autonomie und die Mitbestimmung. Dass nun durch die Übernahme der Credit Suisse durch UBS eine Schweizer Riesenbank entsteht, und sich erneut ein Versagen der Führungseliten zeigt, erschüttert die Schweizer Identität.

Der Podcast

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Die Schweizer Philosophin Katja Gentinetta sieht die Schweiz nach dem hastig ausgehandelten Deal an einem Wendepunkt, denn die Bankenkrise ist nicht das einzige, was das Selbstvertrauen der Schweizer schmälert – auch die bewaffnete Neutralität steht zur Debatte: Moralisch lässt sich ein Wiederausfuhrverbot, das die Schweiz ihren Waffenkunden auferlegt, nicht rechtfertigen, sagt Gentinetta – zumal dann nicht, wenn man ein Rekordjahr der Waffenverkäufe zu verzeichnen hat.

Bankenpleite, Waffengeschäfte, Neutralitätsdebatte: Die Schweiz muss sich neu erfinden. Katja Gentinetta erklärt die Identitätskrise und plädiert dafür, sich auch daran zu erinnern, was die Schweiz wirtschaftlich so erfolgreich gemacht hat: Die Offenheit des Landes für innovative Menschen und Ideen. „Die liberale Wirtschaft war immer unsere Stärke.“

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Zahlen & Fakten

Foto eines mit Kreide aufgemalten Graffiti auf einer asphaltierten Straße vor einem Gebäude aus der Gründerzeit. Die Zentrale der Credit Suisse. Das Bild illustriert einen Beitrag über die Bankenpleite und die Folgen für das Selbstvertrauen der Schweizer.
Vor dem Stammhaus der Credit Suisse in Zürich. © Getty Images

Eine kurze Geschichte der Credit Suisse

  • Der Industrielle Alfred Escher gründet 1856 die Schweizerische Kreditanstalt in Zürich. Escher stammt aus der einflussreichen Zürcher Familie Escher vom Glas, die auch für einige Wirtschaftsskandale sorgte, unter anderem für eine Beinahe-Pleite der Stadt Zürich. Die Familie Escher war auch in den transatlantischen Sklavenhandel involviert. Auf die Tätigkeit Alfred Eschers gehen große Schweizer Institutionen zurück: Neben der Gründung der Credit Suisse auch jene der ETH Zürich; Escher war am Bau des ersten Gotthardtunnels beteiligt und die politische und wirtschaftliche Kraft hinter der Schweizer Bahn. Die Credit Suisse war für die Modernisierung der Schweiz wichtig, vor allem für das Eisenbahn- und Stromnetz.
  • Das Bankgeheimnis, das es seit 1934 in der Schweiz gibt, wird zu einem Motor für den Aufstieg der Bank: Das Gesetzt verbietet es Banken Informationen über die Geldgeschäfte ihrer Kunden weiterzugeben.
  • Die Credit Suisse bleibt lange eine mittelständische Bank und auf den Schweizer Markt konzentriert. 1940 eröffnete sie in New York eine Filiale, der erste Schritt der Internationalisierung.
  • Während und nach dem zweiten Weltkrieg gerät die Bank in die Kritik, weil sie auch Vermögen von ehemaligen Nationalsozialisten verwaltet. In der Nachkriegszeit finanziert die Bank den Wiederaufbau in Europa.
  • Das Schweizer Bankgeheimnis und die Safes unter dem Zürichsee sind vielen nicht geheuer. Britische Politiker prägen den Begriff „Die Zwerge von Zürich“ für Schweizer Banker.
  • 1988 steigt die Credit Suisse bei der US-Investmentbank First Boston ein – manche Beobachter sehen dies als den Sündenfall.
  • Ihren Namen Credit Suisse erhält die Bank 1993 mit der Übernahme der Schweizer Volksbank. Die Credit Suisse wird nach der UBS die zweigrößte Bank der Schweiz.
  • Während die Mitarbeiterzahl auf mehr als 80.000 anwächst, kommen Geschäfte mit Steuerflucht der Credit Suisse in den 2000er Jahren teuer zu stehen: 12 Milliarden Franken an Buß- und Verfahrensgeldern zahlt die Bank 2012 bis 2022.
  • Investments aus Saudia Arabien und Quatar lassen die Credit Suisse die Finanzkrisen ab 2008 überstehen. Die Bank kommt ohne Staatshilfen hindurch – allerdings ist die Bank nicht stabil: Der Aktienkurs sinkt kontinuierlich. Die Bank schlittert von einem Skandal in den nächsten, viele haben mit Kunden der Bank zu tun. Aktuell steht Credit Suisse – und auch UBS – im Verdacht, Gelder russischer Oligarchen zu veranlagen. Die US-Behörden ermitteln.
  • 2021 verliert die Bank 10 Milliarden Franken durch den Zusammenbruch von Greensill Capital und noch einmal mehr als fünf Milliarden nach jenem von Archegos Capital, einem Risikokapitalgeber.
  • Bis zu ihrer Übernahme durch UBS im März 2023 zählte die Credit Suisse zu den 30 systemrelevanten Banken; sie hat rund 50.000 Mitarbeiter. Der Wert einer Aktie betrug vor der Übernahme nur noch 1,86 Franken.

Über Katja Gentinetta

Katja Gentinetta ist politische Philosophin und Autorin. Sie lehrt an der Universität Zürich, der Universität Luzern und ist Lehrbeauftragte für Public Affairs an der Universität St. Gallen. Im Pragmaticus erscheint seit 2022 ihre Kolumne Grenzgänge.

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