Big Tech träumt von der Unsterblichkeit

Sie sind nicht mehr jung, aber sie haben das Geld: Die Historikerin Margaret O’Mara erklärt, warum die Tech-Gurus des Silicon Valley plötzlich in Biotechnologie investieren.

Silicon Valley auf der Suche nach Unsterblichkeit. Tech-Mitarbeiter in Schutzanzügen in einer gelb beleuchteten Halle.
Auch die neuen Start-ups des Silicon Valley beruhen auf High-tech. Diesmal geht es nicht um Taxifahrten, sondern um Unsterblicheit. © Getty Images

Jeff Bezos (Amazon), Peter Thiel (PayPal, nun Palantir), Jack Dorsey (früher Twitter), Elon Musk (jetzt Twitter, Uber, Tesla): Sie alle haben mit Plattformen und Apps unvorstellbare Vermögen gemacht. Ein großer Teil dieses Geldes fließt nun nicht mehr in Computertechnologie, sondern in Start-ups, die mit Biotech das Leben länger machen sollen. Was bedeutet das für unser zukünftiges Leben? Ein Interview mit der Historikerin Margaret O'Mara von der University of Washington.

Sind von den neuen Biotech-Start-ups wie Altos Labs oder Calico ähnlich revolutionäre Technologien zu erwarten wie aus dem Computerzeitalter von Silicon Valley, oder ist das aktuelle Interesse von Silicon Valley an der Unsterblichkeit nur eine Mode?

Margaret O’Mara: Biotechnologie ist etwas komplett anderes als Hard- und Software, das ist nichts, was diese Menschen normalerweise tun. Aber sie haben dieses Verlangen, ewig jung und gesund zu bleiben. Viele von ihnen sind Biohacker, sie sind zum Beispiel besessen davon, was sie essen. Wobei vieles von dem, was sie glauben, wissenschaftlich nicht haltbar ist. Aber was im Silicon Valley zusammenkommt, ist der Glaube, dass alles möglich ist und die Anbetung von Jugend, das Streben nach Wellness, nach dem gesunden Leben und ein gewisser Techno-Optimismus. Ich glaube, dass viele der Erwartungen an diese Biotech-Start-ups nicht haltbar sind und dass die Gründer das auch wissen.

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Glauben etwa Jeff Bezos oder Elon Musk, die ja viele Milliarden in Start-ups wie zum Beispiel Altos Labs investiert haben, gar nicht an die Möglichkeiten der Biotechnologie oder an die Unsterblichkeit?

Doch, dieses tiefe Verlangen nach Unsterblichkeit, das Verlangen, nicht älter zu werden, ist echt. Viele, die jetzt diese Start-ups gründen, sind Männer in ihren Vierzigern und Fünfzigern. Sie haben den Mythos des jungen Silicon Valley mit geschaffen: das des 20jährigen Entrepreneurs, des Gründers, der ein Studienabbrecher ist usw. Sie waren erfolgreich, sie haben das Geld, und sie leben in einem Umfeld, das sie in ihrem Streben nach Höherem bestärkt. Sie glauben, dass der ganze Rest der Welt nicht groß genug denkt und dass sie es schaffen ­können.

Jack Dorsey, Mitbegründer von Twitter. Inzwischen ist nicht Kommunikation, sondern Unsterblichkeit ein Geschäftsmodell von Silicon Valley.
Jack Dorsey (45), Mitgründer von Twitter, hat angeblich eine besonders strenge Diät: Nur eine Mahlzeit täglich und zwar abends. Am Wochenende fastet er. © Getty Images

In Ihrem Buch „The Code. Silicon Valley and the Remaking of America“ zeigen Sie, wie das Silicon Valley aus dem Geist des Kalten Krieges entstand. Die Computer und die Apps, die wir jetzt haben, sind quasi Folgeprodukte der Rüstungsindustrie. Das ist ein recht weiter Weg bis zur Manipulation von Erbgut.

Es stimmt, die großen Stärken der Universität Stanford, das Herzstück des Silicon Valley, lagen zunächst in der Physik und im Ingenieurwesen und erst dann in der Medizin und der Biomedizin. Es gibt also auch die Biotechnologie-Tradition, aber es ist eine andere Welt. Eine der Herausforderungen besteht darin, dass die Denkweisen und Geschäftsmodelle der Computerbranche und der Plattformen nicht einfach auf Biotechnologie-Start-ups übertragbar sind. Die Erwartung aus der Softwareentwicklung ist immer, dass man ein Ziel sehr schnell erreicht. Das wird nicht passieren.

Das Motto des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg lautet „Move fast and break things“ während medizinische Zulassungsverfahren oft ewig dauern und die Medizin strenger Regulation unterworfen ist. Was passiert, wenn diese Welten kollidieren?

Diese Regulierungen existieren aus einem guten Grund. Dass es die Zulassungsbehörde FDA gibt, hat damit zu tun, dass im späten 19.  Jahrhundert Quacksalber von Tür zu Tür gegangen sind und den Leuten irgendetwas als Medizin verkauft haben. Es gab überhaupt keine Einschränkungen, und Menschen sind daran gestorben. Was passiert, wenn diese Welten kollidieren, hat die Causa rund um Theranos und Elizabeth Holmes gezeigt (das Unternehmen behauptete fälschlich, Bluttests mit nur einem Tropfen Blut durchführen zu können, Anm. d. Red.) – es ist ­einer der seltenen Fälle, in denen eine Start-up-Gründerin vor Gericht gelandet ist. Das hat eben damit zu tun, dass bei Theranos nicht nur an Software geforscht wurde – sondern dort wurde die Gesundheit von Menschen beeinträchtigt. Das ist etwas komplett anderes, als wenn mein iPhone nicht funktioniert. Dieses Streben der Milliardäre des Silicon Valley nach biologischer Perfektion oder Langlebigkeit bewegt sich aber manchmal am Rande der Wissenschaft, oder besser gesagt, es ist etwas, dass die meisten Mainstream-Wissenschaftler in den großen Forschungseinrichtungen wahrscheinlich nicht verfolgen würden.

Viele bedeutende Wissenschaftler, darunter einige Nobelpreisträger, sind ­jedoch mittlerweile bei Biotech-Start-ups aus dem Silicon ­Valley ­gelandet. Etwa Jennifer Douda, die die Genschere CrisprCAS mitentwickelt hat. Sie arbeitet jetzt für Altos Labs. Was macht die Unternehmen attraktiv für Wissenschaftler?

Geld. Manche Wissenschaftler folgen dem Geld. Die Gründer des Sili­con Valley haben wahnsinnig viel Geld, das sie für etwas ausgeben wollen, was sie für Philanthropie halten. Im Silicon Valley werden hochdotierte Preise wie der „Breakthrough Prize“ dafür vergeben, Grenzen zu sprengen. Bislang hatte die US-Regierung noch mehr Mittel für Forschung zu vergeben als jede private Einrichtung, aber das könnte sich jetzt ändern. Für Wissenschaftler, die Professuren innehaben, die Labors in Unis betreiben und institutionalisierte Beziehungen mit der Regierung haben, ist es nicht so attraktiv, ins Silicon Valley zu gehen. Aber Forscher, die nicht von diesen Mainstream-Instituten kommen oder die sich zur Aufgabe gemacht haben, mit Konventionen zu brechen, haben viele Anreize, dorthin zu wechseln. Anders als bei Datenwissenschaftlern gibt es im Biotech-Bereich immer noch sehr viele ethische Fragen und nachgelagerte soziale Auswirkungen.

Müssen wir damit rechnen, dass die Denkweise des Silicon Valley, die Sie auch die „Kirche des Techno-Optimismus“ nennen, auf andere Ökosysteme übergreift? Werden irgendwann die Gesetze und Regeln von den neuen Start-ups gemacht?

Die Regulierungsbehörden sind staatlich. Sie verändern sich nur sehr langsam. Hinzu kommt: Auch wenn das Silicon Valley sich gern als das Paradies des freien Marktes präsentiert – ohne staatliche Förderung und staatliche Aufträge gäbe es das Silicon Valley gar nicht. Und auch nicht ohne die Regulation. Denken wir zum Beispiel an die Internetinfrastruktur und so einfache Dinge wie URLs und IP-Adressen. Wir müssen auch bedenken: Dieser ganze unglaubliche Reichtum des Silicon Valley, der dieses Streben nach Unsterblichkeit oder ewiger Jugend finanziert, ist ein Phänomen des 21. Jahrhunderts, eine Entwicklung, die erst seit den 2010er Jahren so richtig Fahrt aufgenommen hat.

Wie ernst muss man die Anstrengungen des Silicon Valley, unsterblich zu werden, also nehmen?

Dieses Streben ist nach Unsterblichkeit ist zum Teil einfach eine mehr oder weniger verrückte Idee, die dem Gesundheitswahn dieses kalifornischen Biotops geschuldet ist. Aber das kommerzielle Interesse am Gesundheitsmarkt ist ernst zu nehmen. Heute ist es schon selbstverständlich, dass wir unsere Gesundheit biometrisch überwachen. Und im Bereich Gesundheitsversorgung könnte man auch tatsächlich sehr viel verbessern, vor allem in den USA, wo wir ein kolossales Versagen des Gesundheitssystems haben. Eine bessere Gesundheitsversorgung würde auch zur Langlebigkeit beitragen. Es ist ein sehr lukrativer Markt, der weiter wachsen wird.

Ein Portrait-Foto der Historikerin Margaret O'Mara. Sie erforscht die GEschichte des Silicon Valley.
Die Historikerin Margaret O'Mara forscht und lehrt an der University of Washington und ist die Autorin mehrerer Bücher zur Technologiegeschichte der USA. Jim Garner / jgarnerphoto