Das geheimste Gewerbe der Welt

Ein chinesischer Ballon über Nordamerika sorgte für Aufregung. Handelte es sich um Spionage? Die technischen Möglichkeiten sind über die Jahrhunderte raffinierter geworden, die Motivation blieb gleich: Es geht immer um den eigenen Vorteil.

Illustration der Freiheitsstatue, die mit einer Pistole auf Spionageballons zielt.
Die USA schossen Chinas angeblichen Wetterballon medienwirksam vom Himmel. © Jens Bonnke
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Auf den Punkt gebracht

  • Ausgespäht. Mit dem Abschuss eines chinesischen Ballons, brachten die USA die Spionage zwischen den Großmächten ins Rampenlicht.
  • Informationsbeschaffung. Die aktivsten Geheimdienste sammeln Daten von Feinden, aber auch von alliierten Ländern.
  • Low-Tech. Ballone fliegen tiefer als Satelliten und können mehr „sehen“ – China ist darauf angewiesen, die USA haben weltweit Spähflugzeuge stationiert.
  • Taktik. Die Veröffentlichung von Geheimdienstinformationen scheint unter Präsident Joe Biden öfter als gezielte Taktik eingesetzt zu werden.

Am frühen Nachmittag des 4. Februar 2023 hob eines der modernsten Kampfflugzeuge der Luftstreitkräfte der Vereinigten Staaten, eine F-22 „Raptor“, zu einem Kampfeinsatz ab. Es stieg auf eine Höhe von etwa 58.000 Fuß (etwa 17,7 km) und feuerte eine wärmesuchende Kurzstreckenrakete ab. Deren Ziel: ein chinesischer Ballon auf etwa 60.000 Fuß Flughöhe vor der Küste des US-Bundesstaates South Carolina.

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China reagierte empört. Laut Peking diente der Ballon meteorologischen und anderen wissenschaftlichen Zwecken. Der Abschuss dieses „zivilen Luftschiffs“ war aus chinesischer Sicht eine „Überreaktion“. Für die US-Regierung stellte sich die Situation anders dar. Für sie war klar, dass der Ballon Spionagezwecken diente. So überflog er mit modernsten Sensoren hochsensible Einrichtungen der US-Nuklearstreitkräfte.

Geheimes im Rampenlicht 

Die folgenden Tage und Wochen waren von zahlreichen, oft hysterischen Meldungen über Ballone und andere nicht identifizierbare Flugobjekte geprägt. Wieder einmal war eine Branche in die Schlagzeilen geraten, die am besten im Verborgenen gedeiht: die internationale Spionage.

Seit es Menschen gibt, versuchen sie, den Geheimnissen der anderen auf die Schliche zu kommen. Die frühesten Aufzeichnungen über Spionageaktivitäten stammen von den Griechen und Römern der Antike. Heute beteiligen sich nicht nur alle Staaten, sondern zunehmend auch private Firmen an der Beschaffung von Informationen.

Die USA gelten als einer der aktivsten globalen Akteure mit insgesamt 18 Geheim- und Nachrichtendiensten.

Die USA gelten als einer der aktivsten globalen Akteure; sie betreiben eine Vielzahl an Spionageprogrammen und haben ein umfangreiches Netzwerk von Geheimdiensten, darunter die Central Intelligence Agency (CIA) und die National Security Agency (NSA), insgesamt 18 Geheim- und Nachrichtendienste. 

Von Freunden und Feinden

Auch Russland ist bekannt für seine umfangreichen Spionageaktivitäten. Der russische Inlandsgeheimdienst, der FSB, gehört zu den berüchtigtsten Organisationen. Unter anderem ist der FSB für die Spionageabwehr, den Grenzschutz sowie für Operationen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und damit auch für die Ukraine, die baltischen Staaten, Moldawien, Georgien und andere zuständig. 

China hat in den vergangenen Jahren seine Spionagetätigkeit stark ausgebaut und gilt mittlerweile als einer der größten globalen Akteure. Der chinesische Geheimdienst hat ein umfangreiches Netzwerk von Agenten und setzt auch auf Cyber-Spionage. Neben diesen Großmächten sind vor allem Israel, unter anderem mit seinem Geheimdienst Mossad, und Großbritannien auf diesem Feld aktiv.

Spioniert wird nicht nur gegen feindlich gesinnte, sondern auch gegen befreundete oder gar verbündete Staaten. Im Jahr 2013 kam etwa heraus, dass die US-amerikanische NSA das Handy der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört hatte. „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“, erklärte Merkel damals auf einer Pressekonferenz.

Auch in Österreich wird spioniert. Der Verfassungsschutzbericht 2021 der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst stellt fest: „Nach wie vor nutzen ausländische Staaten den neutralen Boden Österreichs als ein präferiertes Tätigkeitsgebiet für nachrichtendienstliche Aktivitäten.“ 

Geduld statt Gadgets

Die Gründe für globale Spionageaktivitäten sind vielfältig. Meist versuchen Staaten, ihre Interessen durchzusetzen – sei es, um einen wirtschaftlichen Vorteil zu erringen, politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen oder militärische Geheimnisse zu beschaffen. Die wohl älteste Form der Spionage ist die sogenannte „Human Intelligence“ (HUMINT), also die Informationsbeschaffung durch den Einsatz von Spionen, Informanten oder verdeckten Agenten.

Die Geschichte ist voll von spektakulären Fällen; man denke nur an Mata Hari, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland spionierte und von Frankreich dafür hingerichtet wurde. Oder an Klaus Fuchs, der während des Zweiten Weltkriegs Informationen aus dem US-Atombombenprogramm an die Sowjetunion lieferte. Die Praxis ist in den meisten Fällen weniger spektakulär. Gefragt sind vor allem Fachwissen, Erfahrung und Geduld.

007 vor dem Bildschirm

Die zunehmende Technisierung und Digitalisierung veränderte auch das Spionagegeschäft massiv. Mit der Eroberung des Luftraums in der ersten Hälfte und der Eroberung des Weltraums in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und schließlich mit der Schaffung des Cyber-Raumes in den vergangenen zwei Jahrzehnten traten die technischen Aufklärungsinstrumente in den Vordergrund.

Schlagworte wie „Signals Intelligence“, „Imagery Intelligence“, „Open Source Intelligence“ oder „Geospatial Intelligence“ und „Cyber Intelligence“ beherrschen heute das globale Spionagegeschäft.

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Zahlen & Fakten

Illustration einer Krake, deren Tentakel unbemerkt in einen Laptop reingreifen an dem die Hände eines Nutzers arbeitern.
Spätestens seit den Snowden-Leaks ist bekannt, wie umfangreich US-Geheimdienste Kommunikation im Internet überwachten. © Jens Bonnke

Spielarten der Informationsbeschaffung

  • HUMINT
    Steht für Human Intelligence, und damit ist die aus jedem besseren Spionagethriller bekannte Arbeitsweise gemeint: Es werden menschliche Quellen genutzt, um vertrauliche Informationen über Staaten, Organisationen oder Personen zu beschaffen. 
  • SIGINT 
    Bedeutet Signals Intelligence. Hier -gelingt die Informationsgewinnung durch die möglichst unbemerkte -Erfassung und Analyse von elektronischen Signalen und Kommunikation, die von einem bestimmten Ziel ausgehen. Durch den Einsatz von Abhörgeräten, Satelliten und anderen elek-tronischen Geräten können Telefonate, E-Mails und andere Nachrichten erfasst und analysiert werden.
  • IMINT 
    Imagery Intelligence umfasst die Informationsgewinnung durch die Analyse von Bildern und Aufnahmen von Zielen. Diese Bilder stammen beispielsweise von Satelliten, von Drohnen, von Überwachungskameras am Boden – oder von Kameras, die in hochfliegenden Ballons über das Zielland getragen werden.
  • GEOINT 
    Geospatial Intelligence umfasst die Informationsgewinnung durch die Analyse von geografischen und räumlichen Daten. Dazu gehören Karten, Satellitenbilder, geografische Informationen, Bodenaufnahmen und anderes Informationsmaterial, das über die räumliche Beschaffenheit eines Landes oder Gebietes Auskunft gibt. 
  • OSINT 
    Open Source Intelligence umfasst die Informationsbeschaffung, bei der öffentlich zugängliche Quellen genutzt werden. Diese Quellen können Nachrichtenartikel, Social-Media-Beiträge, Regierungsdokumente, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Unternehmensberichte, Blog-Posts oder öffentlich zugängliche Datenbanken sein.
  • CYBERINT 
    Cyber Intelligence umfasst die Informationsbeschaffung im Cyber-Raum. Sie umfasst die Sammlung, Analyse und Bewertung von Informationen über Cyber-Bedrohungen, -Angriffe und Schwachstellen, um frühzeitig auf Bedrohungen zu reagieren und Risiken zu minimieren. 

Auf die Höhe kommt es an

Es ist ein offenes Geheimnis, dass de facto der gesamte Internetverkehr durch unterschiedliche globale Mächte überwacht wird – zum Beispiel mittels „Packet Sniffing“. Dabei werden mittels Schadsoftware ganze Passagen aus ungesicherter Kommunikation abgegriffen. Zusätzlich können Mobiltelefone oder Computer mittels eigener Programme zur Informationsgewinnung angezapft werden.

Hier geht es um das Sammeln persönlicher Informationen, das Abhören von Telefonaten und das Lesen von Nachrichten. Der Umfang dieser klandestinen Programme wurde im Ansatz bekannt, als Edward Snowden im Jahr 2013 Dokumente der NSA veröffentlichte. Diese bewiesen eine umfassende Überwachung der Kommunikation von Bürgern, politischen Entscheidungsträgern und Unternehmen.

Hochauflösende Kameras und andere elektronische Sensoren, die in Satelliten verbaut sind, überwachen heute in Echtzeit einen Großteil der Erde. Einige der modernsten Satelliten sind in der Lage, Objekte auf der Erdoberfläche zu erkennen, die so klein wie ein Auto oder sogar kleiner sind. Diese Satelliten können auch Bewegungen von Personen auf der Erdoberfläche erkennen.

China besitzt keine militärische Infrastruktur auf dem amerikanischen Kontinent. So bleibt dem Land nur die Aufklärung mit Ballonen.

Damit stellt sich die Frage, warum einige Staaten bis heute Ballone zu Aufklärungszwecken einsetzen. Hierfür gibt es mehrere Erklärungsansätze: Spionageballone können – wenn sie über ein Steuersystem verfügen – länger über ihrem Zielgebiet verharren. Satelliten in einem niedrigen Orbit kreisen dagegen um die Erde. Damit bleibt nur ein kurzes Zeitfenster, um ein bestimmtes Ziel zu beobachten.

Außerdem können Satelliten aufgrund ihrer Höhe nur eingeschränkt Telekommunikation überwachen. Ballone haben hier wegen ihrer geringeren Flughöhe einen Vorteil. Viele Staaten, etwa die USA, verwenden für solche Aufgaben Flugzeuge wie zum Beispiel die RC-135V/W „Rivet Joint“. Diese Flugzeuge nutzen die US-Basen im indopazifischen Raum. China hingegen besitzt keine militärische Infrastruktur auf dem amerikanischen Kontinent. So bleibt dem Land nur die Aufklärung mit Ballonen.

Warum der Ballon platzen musste

Die massive Reaktion der US-Regierung kann verschiedene Gründe haben: Zum einen könnte die Biden-Administration durch die breite Berichterstattung über den chinesischen Spionageballon politisch unter Zugzwang gesetzt worden sein. Oder: Mit dem Abschuss wollten die USA das Thema vom Tisch haben. Schließlich stand Außenminister Antony Blinken kurz vor einer Reise nach China (die er dann aber verschob).

Es kann auch sein, dass die US-Regierung bewusst auf eine diplomatische Eskalation setzte. Wenige Tage nach dem Abschuss wurde nämlich bekannt, dass es bereits unter Präsident Donald Trump Überflüge gegeben hatte. Vielleicht wollte Joe Biden den Chinesen signalisieren, dass die USA über die Spionageaktivitäten informiert sind und diese nicht mehr akzeptieren.

Neue Taktik

Für Letzteres spricht, dass Biden schon zuvor Geheimdienstinformationen als politisches Werkzeug einsetzte: Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 machten die USA öffentlich, was sie über Putins Aufmarsch wussten – um ihn doch noch von seinen Plänen abzuhalten.

Spionage wird manchmal als „zweitältestes Gewerbe der Welt“ (nach der Prostitution) bezeichnet. Vielleicht ist das ein wenig übertrieben. Aber das geheime Ausspähen anderer bleibt in der internationalen Politik von großer Bedeutung – ob mit Ballonen oder mit anderen technischen Hilfsmitteln.

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Conclusio

Spionage, also die systematische Beschaffung von strategisch relevanten, wirtschaftlich interessanten oder anderweitig geheimen Informationen, hat sich rasant weiterentwickelt. Klassische -Methoden der Informationsbeschaffung durch Agenten haben zwar noch immer ihre Relevanz. Diese Arbeit wird jedoch längst ergänzt durch fliegende Hightech-Beobachtungsstationen, die von Satelliten oder Ballonen aus ihre Ziele ausspähen. Zugenommen hat auch die Bedeutung der Spionage im digitalen Raum. Dabei werden nicht nur klassische Ziele wie Staaten, Konzerne oder Organisationen angegriffen, sondern auch nichtsahnende Bürger – mitunter von ihrem eigenen Staat. Der Abschuss des mutmaßlichen Spionageballons über den USA dürfte ein politisches Signal an China gewesen sein, es lieber nicht zu weit zu treiben.

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