Der Staat vergisst die Jungen

Wir investieren in junge Menschen, als Gegenleistung unterstützen sie uns im Alter: Das ist die Idee hinter dem sogenannten Generationenvertrag. Doch die Politik bricht mit diesem Prinzip und bürdet den Jungen laufend neue Belastungen auf. Das kann nicht gut gehen.

Illustration von einer endlosen Treppe auf der Vertreter unterschiedlicher Generation einander emporhelfen.
Im Kreislauf der Generationen müssen die Erwerbstätigen sowohl in die Jungen investieren als auch die Älteren unterstützen. Wird für Kinder zu wenig getan, steigen alle Altersgruppen schlecht aus. © Tibo Exenberger/Carolineseidler.com
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Auf den Punkt gebracht

  • Leistung. Im Erwerbsalter wird derzeit rund die Hälfte des Einkommens über Staat und Familie an Kinder und Jugendliche sowie Pensionisten umverteilt.
  • Gegenleistung. Die jüngste Generation sollte es schaffen dank der Investitionen in sie im Erwerbsalter, um die anderen Altersgruppen zu stützen.
  • Ungleichgewicht. Derzeitige Ansprüche der älteren Generation werden selbst mit massiven Wohlstandseinbußen für Junge nicht erfüllbar sein.
  • Umdenken. Innovationen und bessere Gesundheit ermöglichen es, Beziehungen zwischen Jung und Alt wieder zu beiderseitigem Vorteil zu gestalten.

Die meiste Zeit in unserem Leben sind wir auf andere Generationen angewiesen. In der Kindheit und Jugend vor allem auf unsere Eltern, in der Pension auf die Beiträge der Erwerbstätigen. In Österreich ist nur bei 25- bis 60-Jährigen das durchschnittliche Erwerbseinkommen höher als der Konsum.

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Unser Lebensverlauf mit langer Ausbildungsphase und langem Altersruhestand führt zu Ressourcenkonflikten zwischen den Generationen. Die Erwerbsbevölkerung muss sowohl für Kinder und Jugendliche, für die Pensionisten, für ihren eigenen Konsum und für Investitionen aufkommen. So wird im Haupterwerbsalter etwa die Hälfte des Einkommens über Staat und Familie an Kinder und Jugendliche sowie an die Bevölkerung im Ruhestand umverteilt. 

Ungeschriebener Vertrag der Generationen

Die Umverteilung zu Kindern und Jugendlichen und jene zur älteren Bevölkerung hängen langfristig eng zusammen. Die Pensionen und Gesundheitsleistungen für die Bevölkerung im Ruhestand müssen mit entsprechenden Investitionen in junge Generationen und damit künftige Beitragszahler gedeckt werden. 

Zu diesen Investitionen in die nächste Generation gehört es, Kinder zu haben, für deren Bildung und die Integration in den Arbeitsmarkt zu sorgen und den Nachwuchs mit Kapital auszustatten. Je besser das gelingt, desto mehr Einkommen können die Jungen später erwirtschaften, um die Pensionen und das Gesundheitssystem zu finanzieren. Investitionen in die junge Generation sind daher das zentrale Element des Generationenvertrags.

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Zahlen & Fakten

Der Generationenvertrag beschreibt den Zusammenhang zwischen den Investitionen in Kinder und Jugendliche und deren späteren Leistungen für die ältere Generation. Dabei erbringt die Elterngeneration Leistungen für ihre Kinder, im Gegenzug erbringen diese im Erwerbsleben Leistungen für die Generation ihrer Eltern im Ruhestand.

Dieser Vertrag ist zwar keiner im rechtlichen Sinne. Der Begriff streicht aber hervor, dass die Beziehungen zwischen den Generationen auf Leistung und Gegenleistung beruhen. Die ältere Generation hat Verpflichtungen gegenüber der jüngeren und kann nicht willkürlich Ansprüche auf deren Einkommen erheben. Doch der Staat hebelt diesen Generationenvertrag und damit die Vorsorge für Junge zunehmend aus.

Familien und Jugend vernachlässigt

Der Ökonom Wilfrid Schreiber entwarf 1955 ein staatliches Absicherungssystem, das den Generationenvertrag berücksichtigt. Sein Entwurf sah auch Rentenzahlungen an Kinder und Jugendliche vor und einen Mechanismus, die Auszahlungen an die Beiträge anzupassen. Beim Ausbau des Sozialstaates blieben gerade diese Komponenten unterentwickelt. Das Sozialsystem ist geprägt von geringer Unterstützung für Familien und einer Belastung der Erwerbstätigen durch steigende Pensionsausgaben. 

Dass der Generationenvertrag im staatlichen Umverteilungssystem außer Acht gelassen wird, hat mehrere negative Folgen. Dazu gehören etwa die geringen Pensionen für Mütter. Sie werden gegenüber Kinderlosen benachteiligt, da sie aufgrund von Betreuungspflichten ihre Erwerbstätigkeit reduzieren müssen und damit auch geringere Ansprüche im Pensionssystem erwerben. Das Pensions- und Rentensystem wird so zum Problem für die Demografie: Tatsächliche „Beiträge“ zum staatlichen Absicherungssystem – nämlich Investitionen in Kinder und zukünftige Steuerzahler – reduzieren Einkommen und Pensionen und steigern in weiterer Folge das Armutsrisiko in allen Lebensphasen.

Eine weitere große Herausforderung ist die fehlende Abstimmung zwischen Pensionsversprechen und Beiträgen der Erwerbsgeneration: Zwischen 2022 und 2035 werden die Babyboomer in Österreich und Deutschland das Pensionsalter erreichen. Der sogenannte Altenabhängigkeitskoeffizient (Anzahl der über 65-Jährigen je 100 Personen im Alter 20–64) wird in dieser kurze Zeitspanne in Österreich von 32 auf 45 steigen, in Deutschland von 38 auf 51 und in der Schweiz von 32 auf 42. 

Bereits jetzt macht sich die demografische Verschiebung in Form von Arbeitskräftemangel bemerkbar. Das Pensionssystem ist von der Alterung besonders betroffen, weil bevölkerungsreiche Altersgruppen als Beitragszahler wegfallen und als Leistungsempfänger dazukommen. Es gibt in keinem der drei Länder einen Mechanismus, der die Anpassung von Beiträgen und Auszahlungen an diese demografischen Änderungen sicherstellt. 

Kosten ungleich verteilt

Die Ansprüche der älteren Generation werden selbst mit massiven Wohlstandseinbußen für Junge nicht erfüllbar sein. Allein die vorwiegend an Ältere gehenden Sozialleistungen (Gesundheit und soziale Sicherheit) entsprachen im Jahr 2021 bereits 36 Prozent der erwirtschafteten Einkommen der Haushalte in Deutschland, in Österreich sogar 46 Prozent.

Auch die Kosten für die aktuelleren Corona-, Energie- und Teuerungskrisen werden mit Vorliebe auf jüngere Generationen und damit auf die Zukunft abgeschoben. Besonders in Österreich hatten die Corona-Maßnahmen gravierende Auswirkungen auf Junge und deren Zukunft. Die Wirtschaftshilfen beliefen sich auf 1.475 Euro pro Kopf, die Staatsschulden stiegen zwischen 2019 und 2020 von 71 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 83 Prozent, und das Ganze hatte keinen sichtbaren positiven Einfluss auf die Wirtschaft.

Ebenso werden die Energiepreisdeckel und Teuerungsausgleiche in Österreich und Deutschland vor allem mit neuen Schulden finanziert, welche die zukünftige Steuerbelastung zusätzlich steigern werden. Nachhaltige Lösungen sind offenbar tabu. Spar- und Effizienzanreize werden wegsubventioniert, neue, teure Investitionen in fossile Infrastruktur getätigt – trotz negativer Auswirkungen auf das Klima und hoher Kosten. All diese Maßnahmen senken nicht nur den Wohlstand künftiger Generationen, sondern langfristig auch deren Potenzial zur Finanzierung der Versorgungsansprüche älterer Generationen. 

Widerstand der Jungen wächst

Doch die Jungen setzen sich zunehmend zur Wehr. Der Widerstand reicht von „Fridays for Future“ und der „Letzten Generation“ bis zur Bitcoin-Community. Diese unterschiedlichen Bewegungen eint ein Ziel: Wohlstand in Form von ökologischem oder finanziellem Kapital für die Zukunft zu erhalten. Der aktuelle Arbeitskräftemangel wird den Jungen und der Erwerbsbevölkerung als Ganzes in die Hände spielen. Sie erhalten Verhandlungsmacht zurück, die noch nicht unbedingt für hohe Löhne, aber jedenfalls für eine Reduktion der Arbeitszeit und bessere Work-Life-Balance oder Work-Family-Balance genutzt werden kann.

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Zahlen & Fakten

Die Jungen wollen die Konsequenzen der Bevölkerungsalterung nicht allein tragen. Über 60 Prozent der Jugendlichen sprechen sich für die Vier-Tage- und 30-Stunden-Woche und für mehr Homeoffice aus. Ihrer neuen Macht bewusst, sehen Jugendliche ihre eigene Zukunft weniger düster als jene der Gesellschaft, wie die Pragmaticus-Jugendstudie 2023 zeigt: Während knapp die Hälfte der Befragten die Zukunft der Gesellschaft mit „eher düster“ beurteilt, blickt nur jeder fünfte Jugendliche in Österreich und Deutschland mit Pessimismus in seine eigene Zukunft, in der Schweiz zeigte sich weniger als jeder zehnte derart pessimistisch.

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Zahlen & Fakten

Der Wohlstand im Alter lässt sich nur durch Investitionen in kommende Generationen sichern. In einem nachhaltigen Sozialsystem sollten nicht willkürliche Ansprüche an Junge im Vordergrund stehen, sondern Verpflichtungen gegenüber jungen Generationen und der Zukunft.

Die Politik darf den Generationenvertrag nicht weiter torpedieren, zum Beispiel durch Pensionsversprechen, die auf Seiten der Empfänger falsche Sicherheit suggerieren und von künftigen Steuerzahlern nicht zu erfüllen sind. Oder durch grobe Vernachlässigung familiärer Investitionen und die damit verbundene Benachteiligung von Müttern und Familien. Auch schuldenfinanzierte Subventionen stehen im Widerspruch zum Generationenvertrag.

Neuer Generationenvertrag

Technische Innovationen, bessere Gesundheit und eine höhere Lebenserwartung schaffen neue Möglichkeiten, Generationenbeziehungen wieder als Vertrag zu beiderseitigem Vorteil neu zu gestalten. Sie machen es leichter, bis ins hohe Alter aktiv und wirtschaftlich autonom zu bleiben.

Dies ist ein wichtiger Schritt, um Junge zu entlasten und Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. So kann jeder einen höheren Beitrag zum Generationenvertrag leisten – und damit nicht nur den Wohlstand der nächsten Generation erhalten und steigern, sondern vor allem auch den eigenen.

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Conclusio

Der Generationenvertrag steht für die Idee, dass die Gesellschaft in die Jugend investiert, damit sich diese im Erwerbsalter um Ältere im Ruhestand und die nächste Generation kümmern kann. Dazu gehört es, Kinder zu haben, für deren Bildung sowie Karrierechancen zu sorgen und den Nachwuchs mit Kapital aus­zustatten. Der Staat hebelt die Vorsorge für Junge aber aus. Diese Investitionen geraten zu kurz, weil die Kosten für die Alters­vorsorge stetig steigen: In Österreich ist nur bei 25- bis 60-Jährigen das durchschnittliche Erwerbseinkommen höher als der Konsum. Um das System nachhaltig zu gestalten, müsste die Chance genutzt werden, dass viele ältere Menschen heute länger gesund und wirtschaftlich aktiv bleiben – zum eigenen Wohl und zum Wohl der nächsten Generation.