Taiwan steht vor einem Krieg

Viele im Westen scheinen sich der Tatsache nicht bewusst zu sein, dass die chinesische Führung eindeutig die Absicht hat, Taiwan mit Gewalt zu erobern.

Taiwan Krieg: Foto von zwei Frauen, die Fahnen von Taiwan schwenken.
Der 10. Oktober ist der Nationalfeiertag von Taiwan. Erinnert wird an den Wuchang-Aufstand am 10. Okober 1911, der das Kaiserreich China beendete. © Getty Images

In der westlichen Welt und insbesondere in Europa nennen viele Beobachter Gründe, warum Peking keine Gewalt anwenden wird, um Taiwan unter seine Kontrolle zu bringen. Hier könnte der Wunsch Vater des Gedankens sein.

Kommentatoren halten an der Illusion fest, dass Präsident Xi Jinping weniger nationalistisch und rationaler sei als der russische Staatschef Wladimir Putin, und dass er daher keine Eskalation und keinen offenen Konflikt mit den Vereinigten Staaten riskieren würde.

Ist das wirklich so?

Die Geschichte der Agenda Chinas

Taiwan ist eine der chinesischen Küste vorgelagerte Insel im westlichen Pazifik mit rund 24 Millionen Einwohnern. Das Land verfügt über eine hoch entwickelte und produktive Wirtschaft. Es ist der weltweit größte Lieferant von Mikroprozessoren. Sein bei weitem größter Handelspartner ist das chinesische Festland.

Mao Zedong, der erste kommunistische Führer Chinas, erhob bereits Ansprüche auf Taiwan, nachdem der ehemalige Präsident Chiang Kai-Shek und seine Armee 1949 auf die Insel geflüchtet waren. Bis 1971 wurde Taiwan von den Vereinten Nationen als einziger legitimer Vertreter des chinesischen Staates betrachtet.

Schwarz-weiß Fotografie von Gerald Ford und Deng Xiaoping, die sich mit Sektschalen anstoßen.
Peking am 4. Dezember 1975: Der amerikanische Präsident Gerald Ford und Deng Xiaoping, damals noch Vorsitzender des Politbüros, aber kurz vor seiner dritten Absetzung durch Mao Zedong. Nach dessen Tod 1976 konnte Deng seine Reformen fortsetzen. © Getty Images

Nach Maos Tod 1976 prägte Deng Xiaoping – ein großer Reformer und Wegbereiter des wirtschaftlichen Erfolgs Chinas – den Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“, um Macau, Hongkong und Taiwan schrittweise zu integrieren. Sowohl Hongkong als auch Macau wurden erfolgreich in das Zwei-System-System eingegliedert, was für beide Seiten Vorteile brachte. Taiwan hat jedoch seine Souveränität und sein System verteidigt. In jüngster Zeit hat Präsident Xi den Grundsatz der „zwei Systeme“ in Hongkong abgeschafft.

Präsident Xi brach mit dem von Deng Xiaoping eingeschlagenen Kurs: mehr Stärke, Wirtschaftskraft und Wohlstand bei gleichzeitiger politischer Zurückhaltung. Dengs Ziel war es, Wirtschaft und Technologie anzukurbeln und gleichzeitig die internationalen Beziehungen und die Verteidigungsfähigkeit zu verbessern. Jetzt konzentriert sich die neue Führung auf Macht, Nationalismus und die kommunistische Ideologie.

Xi hat die Begrenzung seiner Amtszeit auf zehn Jahre aufgehoben, Vorträge über seine Aussagen und Ansichten in den Schulen eingeführt und den Englischunterricht eingeschränkt. Die derzeitige Vorliebe der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) für eine stärkere Einmischung des Staates in die Wirtschaft und zusätzliche Privilegien für staatseigene Unternehmen wird sicherlich nach hinten losgehen. Kurzfristig kann dies Peking jedoch helfen, seine politischen Ziele zu erreichen.

Der Plan für den Krieg

Für die KPCh ist die Modernisierung des Verteidigungs- und Marinesektors eine absolute Priorität. Seit einigen Jahren hat Präsident Xi den Druck auf Taiwan erhöht. Das Zentralkomitee der KPCh hat kürzlich ein neues Weißbuch mit dem Titel Die Taiwan-Frage und Chinas Wiedervereinigung in der neuen Ära veröffentlicht.

Das Dokument liest sich als eine offizielle Strategie. Es wurde vom Sprecher der Partei wie folgt vorgestellt: „Da Chinas nationale Verjüngung zu einer historischen Unvermeidbarkeit geworden ist, haben wir jetzt bessere Bedingungen, mehr Vertrauen und größere Fähigkeiten, um die nationale Wiedervereinigung zu erreichen. Da China sich auf eine neue Reise begibt, um ein modernes sozialistisches Land in jeder Hinsicht aufzubauen, ist es notwendig, ein neues Weißbuch zur nationalen Wiedervereinigung herauszugeben.“

Die Formulierung „historische Unvermeidbarkeit“ ist eine sehr deutliche Botschaft, die keinen Raum für einen Rückzieher lässt.

In früheren offiziellen Dokumenten wurde die Wiedervereinigung mit Taiwan als ein friedlicher Prozess beschrieben. Die Option „ein Land, zwei Systeme“ wurde ins Auge gefasst (ob dies wirklich der Fall war, ist inzwischen in Frage gestellt). Eine militärischen Präsenz war nicht vorgesehen, und eine unabhängige Verwaltung wurde in Betracht gezogen.

Foto einer jungen Frau vor lebensgroßen bunten Puppenfiguren im Stil chinesischer Kämpfer.
Der taiwanesische Feiertag in Toronto: In Kanada heißt der Tag auch „Doppel-Zehner“, „Double Tenth Day“. Rund 100.000 Taiwanesen haben die kanadische Staatsbürgerschaft. © Getty Images

Diese Haltung wird durch das Weißbuch völlig umgestoßen, indem klar dargelegt wird, dass eine militärische Besetzung gerechtfertigt ist, wenn die Wiedervereinigung nicht anders erreicht werden kann. Nationalismus ist ein zentrales Thema, und die Worte „ein Blut“ werden verwendet, um die Beziehungen zwischen Taiwan und dem Festland zu beschreiben.

Tatsächlich befindet sich Präsident Xi nun in der teilweise selbst verschuldeten Lage, die Insel „reintegrieren“ zu müssen. Angesichts des Ausmaßes, in dem seine Regierung das Volk und die politische Elite indoktriniert hat, wäre es schwierig, einen anderen Weg zu finden, dieses Ziel wieder zu erreichen.

Und es gibt noch weitere Gründe, die Peking zu einem gewaltsamen Vorgehen zwingen könnten. China wird durch den so genannten US-Verteidigungsring, der von Südkorea und Japan im Norden bis hin zu Okinawa, Taiwan, den Philippinen und Vietnam im Süden reicht, am Zugang zum offenen Pazifik gehindert. Diese Länder sind alle amerikanische Verbündete – mit Ausnahme von Vietnam, aber Hanoi arbeitet eng mit Washington zusammen, um Peking einzudämmen.

Wenn China die Hegemonie der USA herausfordern will – und das hat es eindeutig vor –, muss es diesen Ring durchbrechen. Die Einnahme Taiwans würde diesem Zweck dienen. Eine chinesische Invasion Taiwans würde von Washington als eine große Bedrohung für die Westküste der USA angesehen werden.

Diese Rivalität führt dazu, dass die Welt in Blöcke aufsplittert. China drosselt den Tourismus. Sein weitsichtiger Plan, eine Kreislaufwirtschaft einzuführen, könnte sich auch als Kriegswirtschaft erweisen. Im globalen Süden und in Zentralasien verstärkt China seinen Einfluss, nicht nur in Bezug auf seine wirtschaftliche und diplomatische Präsenz, sondern auch auf seine Seemacht und sein Militär. Russland, das inzwischen auf der Weltbühne isoliert ist, hat sich dem chinesischen Lager angenähert.

Wirtschaftliche Interessen an Taiwan

Als weltweit größter Lieferant von Mikrochips ist Taiwan ein attraktiver Preis, vor allem auf kurze Sicht. Die USA und Europa haben endlich erkannt, dass eine Abhängigkeit vom Ausland bei einer so wichtigen Versorgung katastrophale Folgen haben könnte, und sie entwickeln Pläne zur Förderung der heimischen Produktion. Dies könnte China dazu veranlassen, eher früher als später zu handeln, zumal es ebenfalls auf diese Lieferungen angewiesen ist.

Europa konzentriert sich jetzt verständlicherweise auf die Ukraine. Ein Krieg um Taiwan hätte eine globale Dimension und würde die volle Aufmerksamkeit der USA erfordern. In Washington wird die Ukraine eher als ein lokaler Konflikt betrachtet. Die europäischen Länder sollten darauf vorbereitet sein. Wenn ein Konflikt im Pazifik ausbricht, wird sich die Last der Unterstützung der Ukraine verlagern. Die USA werden von Berlin, Paris, London und anderen erwarten, dass sie sich einschalten.

Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“ und die friedliche globale demokratische Zukunft haben sich als Illusionen erwiesen. Der „Kampf der Kulturen“ von Samuel Huntington scheint sich durchzusetzen.