Warum „Böhmen“ den Euro nicht will

Der lange Atem der Geschichte hält Tschechien in einer politischen und wirtschaftlichen Sonderstellung fest. Wie viele andere zentraleuropäische Länder hat es keine Eile, dem Euroraum beizutreten – zumal es sich auch ohne ihn gut entwickelt.

Eine Ampel in Tschechien, auf der das Wort „Warten“ aufleuchtet

„Warten“: Tschechien sieht keinen Grund, sich mit dem Beitritt zum Euro zu beeilen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Aufschwung Ost. Tschechien ist ein Land mit langer Industrie-Tradition und ein Erfolgsmodell beim Erobern globaler Märkte.
  • Zähe Altlasten. Das Wüten von zwei Diktaturen im 20. Jahrhundert hat tiefe Spuren hinterlassen und das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben.
  • Währungstradition. Damit ist auch das Vertrauen in den Euro endenwollend – die Bevölkerung hält lieber an der Krone fest.
  • Vorrangige Ziele. Um seinen Erfolgskurs fortsetzen zu können, braucht Tschechien eine Bildungsreform und engagiertere Korruptionsbekämpfung.

Um zu verstehen, warum die Menschen in Böhmen (und Mähren – ich meine stets beide Landesteile) dem Euro ablehnend gegenüberstehen, bedarf es eines Blicks auf das Schicksal des Landes im 20. Jahrhundert. Zwei autoritäre Regime, die Nationalsozialisten und die Kommunisten, haben den Rechtsstaat nachhaltig untergraben und das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert. 

Österreich hat bis Ende der 1970er-Jahre gebraucht, um den üblen Gestank der Nazi-Herrschaft zumindest ansatzweise zu vertreiben. In Böhmen haben die Diktaturen mehr als 50 Jahre gewütet – mit den bekannt verheerenden Konsequenzen. Daher sind Skepsis und Misstrauen weit verbreitet. Man hat auch gesehen, wie es einzelnen Ländern – etwa Griechenland, Portugal oder Italien – nach der Einführung des Euro ergangen ist. 

Hinzu kommt ein nostalgischer Faktor. Böhmen ist das einzige Land der früheren Monarchie, welches noch an der Kronen-Währung festhält. Die Leute hängen an der Krone und die eigene Währung gibt, zumindest am Papier, das Gefühl, ein wenig unabhängiger von der Europäischen Zentralbank agieren zu können. Trotz Wechselkursschwankungen und unterschiedlicher Zinsniveaus ist der Spielraum in der Praxis freilich eng begrenzt.

Andererseits sieht man in Böhmen, wie das Land durch den Beitritt zur Europäischen Union aufgeblüht ist. Dieser Schritt war das Klügste, was wir machen konnten. Blicken Sie beispielsweise nach Jungbunzlau (Mladá Boleslav, nordöstlich von Prag), wo Škoda für Volkswagen qualitativ bessere Autos baut, als sie es selbst in Wolfsburg können.

Der Beitritt zur Europäischen Union war das Klügste, was wir machen konnten.

Der Grund: Böhmen ist ein altes Industrieland mit einer etablierten Industriekultur. Die Menschen sind von Technik begeistert. Plakativ gesagt: Der Volkswagen-Konzern hat mit Škoda in zwei Jahren mehr weitergebracht als mit Seat in 40 Jahren. So haben auch viele andere westeuropäische Unternehmen gesehen, welches Potenzial in Böhmen liegt. 

Natürlich sind hier Bereiche wie Kohle, Stahl oder Textil eingegangen, wie überall anders in Europa auch. Aber es sind neue Industrien entstanden. Die gute Ausbildung und Tüchtigkeit der Menschen hat vor allem Hochtechnologien beflügelt. Die Abkehr von einer sozialistischen Wirtschaftsform, wo der Export bestenfalls in die Sowjetunion stattfand, hat schnell funktioniert. Tschechien hat globale Märkte erobert und besteht im Wettbewerb. Es ist ein echtes Erfolgsbeispiel in Zentral- und Osteuropa.

Der Euro wäre ein Vorteil

Klar, dass die Industrie einen Beitritt zum Euro vehement befürwortet. Auch meine wirtschaftsliberale Partei Top 09 ist dafür. Dennoch wird es so schnell keinen Beitritt zur Gemeinschaftswährung geben. Wir sind im EU-Konzert ein sehr leises Land. Premier Andrej Babiš hat zudem immer nein zu allem gesagt – getreu dem britischen Kinderreim „Mary, Mary, quite contrary“. Das hat nicht unbedingt zur Stärke beigetragen. Hinzu kommt: Gerade erst wurde das Parlament gewählt und 2023 finden Präsidentenwahlen statt. Das ist nicht der Zeitpunkt, ein Thema wie den Euro-Beitritt zu diskutieren. 

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Zahlen & Fakten

  • Neben Tschechien ist noch in fünf weiteren Ländern Zentraleuropas keine Euro-Einführung geplant: Schweden, Dänemark, Polen, Ungarn und Rumänien.
  • Inzwischen zählen 19 EU-Mitgliedstaaten zum Euro-Währungsgebiet. Zum Zeitpunkt der Gründung des Währungsraums waren es noch 11 Länder.
  • Das jüngste Beitrittsmitglied zur Eurozone ist Litauen. Dort wurde 2015 der Euro eingeführt.
  • Kroatien will 2023, Bulgarien 2024 den Euro einführen.

Es gibt noch andere wesentliche Aufgaben, die neben einem Euro-Beitritt wichtig wären: Ein Ende der Korruption und Freunderlwirtschaft, ein Erstarken des Rechtsstaats, die Digitalisierung der Verwaltung und eine Reform des Schulsystems. Letztgenanntes muss endlich aus der Zeit der Monarchie ins 21. Jahrhundert gebracht werden.

Egoistischer „Westen“

Dass Tschechien dem Euro skeptisch gegenübersteht, hat freilich auch mit Fehlern des „Westens“ zu tun. Westeuropa hat nach der Wende nur an sich gedacht. Es ging ausschließlich um die Eroberung der neuen Märkte und nicht um die Menschen. Eine Strategie, die der Form halber mit ein paar freundlichen Phrasen verziert wurde. 

Nur sehr wenige Politiker haben sich ernsthaft bemüht, altruistisch zu handeln. Das haben die Menschen in den Ländern von Rumänien bis Polen bis heute nicht vergessen. Leider geht diese unglückliche Politik in die Verlängerung. Das Beste, oder eigentlich schlechteste, Beispiel ist der Westbalkan. Das ständige Vertrösten dieser Region bezüglich einer Aufnahme in die Europäische Union führt zu enttäuschten Hoffnungen und ist eigentlich ein Verbrechen. 

Natürlich nützen Länder wie Russland und die Türkei das aus, um ihren Einfluss dort zu erweitern und in den Balkan einzudringen. Die Europäische Union ist schlichtweg zu blöd und auch zu egoistisch – diese Länder könnten längst integriert sein. Aber da spielt wohl die Angst und Gier einiger Mitgliedsländer eine wichtige Rolle. Sie wollen die hauptsächlich finanziellen Mittel, die dorthin gehen würden, lieber selbst fressen. Und wichtige Spieler, etwa Frankreich, kennen den Balkan einfach nicht gut genug – näher gelegene Länder wie natürlich Österreich hingegen schon. Hier bräuchte es mehr Initiative!

Alte Bande

Das bringt uns zum schwierigen Verhältnis von Österreich und Tschechien. Ich sage immer: Böhmen und Österreicher (außer Tiroler und Vorarlberger) sind ein gemeinsames Volk, nur eben mit unterschiedlicher Sprache. Daher kommt auch ein bisschen die Abneigung – man ist sich zu ähnlich, um einander zu verstehen. 

Die Ungarn tun sich da durchaus leichter. Sie sind ganz, ganz anders als die Österreicher und gewinnen damit seit jeher mehr an Sympathien. Das ist schon seit weit über hundert Jahren so und hat sich scheinbar auch nicht geändert. Den Euro haben sie freilich auch nicht. 

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Conclusio

Als Industrieland im europäischen Wirtschaftsgefüge würde Tschechien von der Gemeinschaftswährung profitieren. Dennoch stößt der Euro auf Ablehnung in der Bevölkerung, die ihre Ursachen auch in den zwei diktatorischen Regimen des 20. Jahrhunderts hat. Darunter hat auch das Vertrauen in den Rechtsstaat gelitten – eine wichtige Voraussetzung, um Europa als Ganzes zu begreifen. Tschechien ist ein leiser Spieler im EU-Konzert und hat kaum potente Unterstützer. Leider ist auch der kulturell nächste Nachbar Österreich kein echter Partner. Auch hier spielt die gemeinsame, nicht immer erfreuliche, Geschichte eine Rolle. Der Euro-Beitritt ist aber nur eines von vielen Themen für Tschechien. Korruptionsbekämpfung, Verbesserung des Schulsystems und Begeisterung für Technologie sind für das Land essenziell.