Der Witz

Witze sind nicht korrekt. Witze tun weh. Darum haben vor allem Diktatoren Angst vor ihnen, denn vielleicht lachen die Untertanen über sie.

Charlie Chaplin in Der große Diktator als Adenoid Hynkel bei einer Rede. Neben ihm Mikrophone, im Hintergrund Fahnen mit zwei X statt dem Hakenkreuzsymbol. Der Film ist ein Beispiel für Witze über Diktatoren.
Charlie Chaplin als Diktator Adenoid Hynkel in „Der große Diktator“ (1940). © Getty Images

Der erste Witz, den ich in meinem Leben gehört habe, geht so: In einem Haus wohnen drei Männer, einer heißt Niemand, der andere Keiner, der dritte Blöd. Eines Tages spuckt Keiner dem Blöd auf den Kopf. Der geht zur Polizei und klagt: Keiner hat mir auf den Kopf gespuckt, und Niemand hat’s gesehen. Fragt der Polizist: Sind Sie blöd? Sagt Blöd: Ja.

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Der klassische Kinderwitz. Noch heute kann ich darüber lachen. Überhaupt liebe ich Kinderwitze am meisten, sie erkunden die Worte und die Dinge, sie nehmen ihnen auf unschuldige Weise die Unschuld. Kinder wissen, dass sie nackt sind, aber sie schämen sich nicht.

Viel später las ich in der Odyssee des Homer die Geschichte, wie Odysseus und seine Gefährten in der Höhle des einäugigen Riesen Polyphem eingeschlossen sind. Der Riese frisst jeden Tag drei Kameraden. Odysseus gibt ihm Wein zu trinken, der schmeckt dem Ungeheuer, er fragt nach dem Namen des Mannes, der ihm so etwas Gutes zu trinken gibt, er wolle ihn dafür als Letzten fressen. Odysseus antwortet: Mein Name ist Outis.

Wird der Konsonant in der Mitte hart ausgesprochen, heißt das „Niemand“. Wird er weich ausgesprochen, ist es der Kosename, den die Mutter des Odysseus ihrem Sohn als Kind gegeben hat. Odysseus spricht den Konsonanten eher hart aus. Bald darauf ist Polyphem betrunken und fällt in Schlaf. Da sticht ihm der Held das Auge aus. Der Riese schreit, seine Brüder kommen gelaufen und fragen, was denn los sei. Polyphem antwortet aus der Höhle: Niemand hat mich geblendet! Da denken sie, er ist verrückt geworden, und gehen wieder.

Ha, Homer kannte den Witz! 

Immer wird einer ausgelacht

Wie funktioniert eigentlich ein Witz? Wann ist ein Witz gut, wann weniger gut? Eine Theorie besagt, witzig ist immer ein Gefälle. Wenn der Papst furzt, ist das lustiger, als wenn ein Normalsterblicher wie ich einen fahren lässt. Umgekehrt müssen wir lachen, wenn in einer Szene mit besoffenen Rabauken gesagt würde, einer von den Kerlen habe Verdauungsgase ausgeschieden, indem er flatulierte. 

Immer wird einer ausgelacht. Witze sind nicht korrekt. Witze tun weh und sollen weh tun. Der französische Philosoph Henri Bergson hat in seinem berühmten Essay „Das Lachen“ die These aufgestellt, erwachsenes Lachen sei immer ein Auslachen. Das Auslachen ist eine erste und milde Form einer Sanktion, einer Bestrafung. Wir lachen, wenn einer auf einer Bananenschale ausrutscht, weil er nicht aufgepasst hat, wo er hintritt. 

Es kann aber auch sein, dass wir eine Situation konstruieren und sie einem anderen unterstellen, um ihn lächerlich zu machen. Das heißt dann, wir tun, als ob er bestrafungswürdig wäre, obwohl er es vielleicht gar nicht ist. Das erweist sich in den meisten Fällen als harmlos – obwohl es im strengen Sinn gewiss nicht korrekt ist. Wenn ich als Hohenemser Witze mache über unsere Nachbargemeinde, also wenn ich einen sogenannten typischen Dornbirner in einer lächerlichen Situation zeige, dann würde jeder den Kopf schütteln, käme einer daher und bezeichnete mich als einen Rassisten.

Jetzt könnte man sagen: Was redest du da! Wenn einer lediglich in einer anderen Stadt geboren ist, dann ist das etwas anderes, als wenn er einer anderen Rasse angehört! So aber könnte doch nur ein Rassist argumentieren, denn jeder vernünftige Mensch weiß inzwischen, dass der Begriff Rasse nicht nur problematisch, sondern nichts anderes als eben selbst rassistisch ist.

Der Witz und die Diktatur

Also wo liegt der Unterschied, wenn ich einen Dornbirner aufgrund seines Dornbirnerseins beleidige oder wenn ich jemanden wegen seiner Hautfarbe herabsetze? Die Antwort könnte lauten: Ein Dornbirner hat wegen seiner Herkunft nicht so viel leiden müssen wie ein Mann oder eine Frau mit dunkler Hautfarbe. Das ist natürlich richtig. Und wenn der Spaß nicht ganz abgeschafft werden soll, dann müssen Neckereien zwischen Dornbirnern und Hohenemsern möglich bleiben. Wäre nicht eine Gesellschaft wünschenswert, in der Witze über eine andere Hautfarbe ähnlich harmlos sind wie solche Neckereien?

In der Szene aus „Der große Diktator“ sitzt Benito Mussolini auf einem so niedrigen Stuhll, dass er kaum über den Tisch blicken kann, hinter dem Charlie Chaplin als Diktator Adenoid Hynkel auf einem erhöhten Stuhl sitzt und auf ihn herabblickt.
Die Tricks der Macht: Szene aus „Der große Diktator“ mit Jack Oaki als Benito Mussolini. © Getty Images

Diktatoren haben sich immer vor Witzen gefürchtet. Nicht nur, weil ein gezielter Witz gesellschaftliche Missstände unter Umständen klarer aufdeckt als ein ausgefeilter Leitartikel. Der Diktatur, schreibt Manès Sperber in seiner Analyse der Tyrannis, lebt in ständiger Angst, denn auch wenn sich seine Untertanen vor ihm in den Staub werfen, kann er nicht wissen, was in deren Köpfen vorgeht. Sie fürchten ihn, aber vielleicht lachen sie heimlich über ihn. Hitler soll nach Chaplins Film „Der große Diktator“ überlegt haben, ein Mordkommando gegen den Komiker auszusenden. 

Der Witz macht nackt. Er reißt dem Tyrannen die Uniform vom Leib. Ein nackter Mensch zu sein und nicht mehr, das ist schwer zu ertragen – nicht nur für den Tyrannen, für jeden. Über Robespierre tuschelten die Leute, er achte jeden Morgen auf dem Abort darauf, dass seine Därme die Würde seiner Unbestechlichkeit wahrten.

Dies ist der Unterschied zwischen Judenwitzen und jüdischen Witzen: Erstere sind in den meisten Fällen sadistisch und vom Hass auf die Menschen diktiert, einem Hass auf alle Menschen. Letztere erzählen vom Mängelwesen Mensch, aber auch von seiner Gabe, über sich selbst zu lachen und andere damit zum Lachen zu bringen.

Mehr Michael Köhlmeier