Neustart für die Kernenergie

Die deutsche Energiewende erweckt den Anschein, als sei die Atomkraft eine Technologie ohne Zukunft. Das Gegenteil ist der Fall. Global arbeiten Wissenschaftler an neuen Reaktoren, die effizient und sicher sind.

Illustration einer Sonne mit dem Symbol für Radioaktivität
Ohne Atomkraft werden wir in Zukunft keinen Strom haben. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Trügerische Energiewende. Bei Abschaltung von AKW und Kohlekraftwerken droht ein dramatischer Mangel an Strom.
  • Illusion statt Realität. Die Energiewende basiert auf Unredlichkeit. Bei kompletter Umsetzung werden wir in Europa auf Komfort verzichten müssen.
  • Zukunft der Technik. Sogenannte Dual-Fluid-Reaktoren moderner Bauart versprechen sichere und effiziente Energie aus Atomkraft.
  • Verlierer Deutschland. Der Atomausstieg macht das Land von russischem Gas abhängig und verhindert smarte Forschung.

Wenn ein Astronaut der internationalen Raumstation ISS einen Blick auf die Nachthalbkugel werfen würde, könnte er von dort das Licht der großen Städte auf der Oberfläche deutlich erkennen. Die Grenzen der Kontinente würden sich abzeichnen, ebenso wie wichtige Industrieregionen. Afrika allerdings wäre ein weitgehend dunkler Fleck. Dort würden nur wenige Küstenregionen strahlen, am hellsten in Südafrika. Afrika hat nicht genug Elektrizität. Einige der ärmsten Regionen der Welt liegen auf dem Kontinent. Noch immer müssen viele Afrikaner hungern, denn der Mensch braucht auch Energie, um genug zu essen zu haben.

Mehr im Dossier Atomkraft

Der Traum vom grünen, ökologischen Kreislaufleben ist für die meisten Afrikaner aktuell kein erstrebenswerter Traum. Ihn können sich nur Menschen in den reichen Ländern leisten, die die Auswirkungen fehlender Energie in Wirtschaft, öffentlichem Leben und privatem Konsum nie erleben mussten. Sie sind energetisch privilegiert, ohne es auch nur zu ahnen.

100 Sklaven für jeden

Jeder mitteleuropäische Durchschnittsbürger lebt auf dem Standard eines römischen Kaisers. Für den arbeiteten 100 Sklaven rund um die Uhr. Sie kochten sein Essen, sie bereiteten sein Bad, sie transportierten ihn, sie versorgten ihn mit Neuigkeiten und unterhielten ihn.

Um den römischen Kaiser-Standard mit der Gegenwart zu vergleichen, muss man die menschliche Arbeitskraft der 100 Sklaven messen und in den Verbrauch elektrischer Energie umrechnen. Dabei käme heraus, dass die Arbeit der 100 Sklaven ungefähr der Energiemenge entspricht, die der Durchschnittsbürger heute täglich verbraucht. 100 energetische Sklaven sind für jeden von uns rund um die Uhr tätig, unsichtbar und fast unbemerkt.

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Zahlen & Fakten

Ein erheblicher Teil dieser Energie kommt in Deutschland bislang aus Atomkraftwerken und Kohlemeilern. Beide sollen im Zuge der „Energiewende“ abgestellt werden. Irgendwie dämmert es derzeit den Protagonisten der sogenannten „Energiewende“ aber, dass die Energiedichte der Technologien des Mittelalters – seien es Windmühlen oder Brenngläser – nicht ausreichen, um eine moderne Industriegesellschaft zu versorgen. Die „Energiewende“ soll daher durch Einsparung von Energie zum Erfolg geführt werden.

Die Diskussion über die Einsparung von Energie basiert auf Unredlichkeit. Die Energiewender gaukeln der Bevölkerung vor, alles könne so weitergehen wie bisher. Dass man komfortabel weiterleben und trotzdem Energie sparen könne.

Mehr Energie sparen geht nicht

Aber das Einsparpotential in Deutschland ist, genau wie in Österreich, bereits weitgehend ausgeschöpft. Seit 2013 steigt Deutschlands Energiebedarf moderat, aber stetig an. Wenn Energie in Deutschland eingespart wird, dann deshalb, weil Produktionen nach China ausgelagert wurden. Energiesparen ist nicht so einfach. Deswegen schafft es auch kaum eine Gesellschaft, die im Wachstum begriffen ist. Im Gegenteil, der Energiebedarf wächst. In den nächsten 40 Jahren wird er sich weltweit verdoppeln.

Der größte Nutznießer der verhunzten Energiewende ist aktuell der russische Konzern Gasprom.

Die Unredlichkeit der Energiewender besteht darin, dass die Frage nicht gestellt wird – werden darf: Welche energetischen Sklaven werden wir freilassen? Oder genauer: Worauf sind wir bereit, zu verzichten?

Denn auf Verzicht läuft jede nennenswerte Energieeinsparung hinaus. Verzichten wir auf Komfort? Auf warmes Wasser, auf Transportmöglichkeiten? Oder – und das ist wohl die Kernfrage – werden wir die größten Elektroenergieverbraucher Industrie und Gewerbe, die 73 Prozent des Gesamtverbrauches ausmachen, einfach nicht mehr versorgen?

Der größte Nutznießer der verhunzten Energiewende ist aktuell der russische Konzern Gasprom. Da es bis 2038 keine großflächig funktionalen Energiespeicher geben wird, setzt die deutsche Regierung darauf, die abgeschalteten Kern- und Kohlekraftwerke sukzessive durch Gaskraftwerke zu ersetzen. Sie müssen vom Staat gebaut werden, da sie von vorn herein unwirtschaftlich sein werden. Diese Gaskraftwerke sollen dann irgendwann eine Umstellung auf die Wasserstoffwirtschaft möglich machen, koste es, was es wolle.

Das Gas für die Gaskraftwerke muss irgendwoher kommen. Deshalb setzte sich Angela Merkel so für die Gasleitung North Stream 2 ein, mit der Gas durch die Ostsee an der Ukraine vorbei geleitet werden soll. Dass sie sich damit von Wladimir Putin abhängig macht, den sie gleichzeitig mit Wirtschaftssanktionen behängt, gehört zu den vielen Rätseln der Merkelschen Logik.

Ein neues Zeitalter der Kernenergie

Es dauerte Millionen von Jahren, bis sich der Mensch das erste Feuer untertan machen konnte. Die Kernenergie ist das zweite Feuer, das der Mensch domestizieren wird. Denn sie ist – entgegen der Gerüchte – eine junge Technologie, die erst am Anfang ihrer Entwicklung steht. Gerade schickt sich die vierte Generation von Ingenieuren an, sie noch sicherer und effizienter zu machen.

Der deutsche Alleingangs-Ausstieg nützt niemandem. Deutschland kann seine Handvoll Kernkraftwerke abschalten, aber es wird damit keine Vorbildwirkung entfalten. Global ist die Kernenergie nicht am Ende.

450 Atomreaktoren produzieren weltweit etwa zehn Prozent des Stroms. 50 Kernkraftwerke sind im Bau, viele neue Reaktoren in der Planungsphase. China allein plant 44, Russland 24, Indien 14, Ägypten vier, die USA drei. Japan wird die meisten abgeschalteten Reaktoren wieder anfahren, neun sind bereits in Betrieb. Sie sollen bis 2030 beachtliche 114 der 140 Kohlekraftwerke ersetzen. Auch im Nahen Osten bricht das Zeitalter der Kernenergie an. Kürzlich wurde in den Vereinigten Arabischen Emiraten das erste Kernkraftwerk in der arabischen Welt ans Netz genommen, drei weitere Reaktoren sind im Bau. Auch in der Türkei werden mehrere Reaktorblöcke errichtet.

Neue Reaktortypen werden entwickelt, ob man das in Deutschland oder Österreich goutiert oder nicht. Die Reaktoren der Generation 4 sind sicher und können den Abfall der bisherigen Kernkraftwerke als Brennstoff nutzen. Die Welt forscht an technischen Wundern wie gasgekühlten Hochtemperatur-Reaktoren, bleigekühlten Schnell-Reaktoren, Salzschmelze-Reaktoren - typischerweise mit Thorium als Brennstoff. Wissenschaftler entwickeln überkritische wassergekühlte Reaktoren und natriumgekühlte Schnellreaktoren. Russland baut den ersten bleigekühlten Reaktor BREST OD 300, China den in Deutschland erfundenen Kugelhaufenreaktor HTR-PM. Im russischen Bielojarsk laufen die natriumgekühlten schnellen Reaktoren BN 600 und BN 800.

Nicht alle konkurrierenden Reaktorkonzepte sind gleich aussichtsreich. Die meisten Reaktor-Startups setzen auf das Flüssigsalzkonzept. Kanadische Startups arbeiten genauso an dieser Technologie wie dänische. Der Kernenergieausstieg ist kein Vorbild, sondern ein Rückfall in uralte Technologiefeindlichkeit. All diese Neuerungen geschehen ohne uns.

Der Dual-Fluid-Reaktor

Beziehungsweise fast ohne uns. Das vielversprechendste Konzept neuer Reaktortechnologie ist der von deutschen Wissenschaftlern entworfene Dual-Fluid-Reaktor DFRM.

Einer der wichtigsten Unterschiede zu herkömmlichen Reaktoren: Bei diesen liegt stets ein großer Vorrat an spaltbarem Material im Kern des Reaktors. Beim DFRM ist das anders, die Reaktivitätsreserve befindet sich außerhalb des Reaktors. Es wird immer nur die Menge zugeführt, die gerade für die Wärmeproduktion benötigt wird. Eine unkontrollierte Leistungsexkursion durch Freisetzung des Energievorrates – das, was wir von Atomunfällen kennen – ist nicht möglich, da kein Energievorrat im Reaktorkern existiert. Beim Dual-Fluid-Reaktor ist stets nur die im Moment zur Energieerzeugung benötigte Brennstoffmenge im Reaktor – just in time – vorhanden. Er kann demzufolge nicht „durchgehen“. Das größte Sicherheitsproblem dieser Technologie wird damit gelöst.

Der Dual-Fluid-Reaktor könnte über Umwege sogar die Rettung der deutschen Energiewende sein.

Auf Grund seiner extrem hohen Energiedichte ist der DFR erheblich kleiner als ein herkömmlicher Reaktor gleicher Leistung. Der Reaktorkern selbst ist nicht viel größer als ein Auto. Er arbeitet im drucklosen Zustand, statt mit Hochdruck von über 100 Bar wie in einem Druckwasserreaktor. Das vereinfacht die Konstruktion und Fertigung des Reaktors erheblich.

Energiewende nur mit Atomkraft

Es ist nicht so, dass es beim DFRM keine Herausforderungen gäbe. Der DFRM arbeitet mit extrem  hohen Temperaturen, was seinen Wirkungsgrad erhöht. Der Kern des DFRM muss aus Keramikwerkstoffen gebaut werden, die Temperaturen von bis zu 1.800 Grad Celsius widerstehen können. Solche Werkstoffe gibt es zwar, sie wurden allerdings in heutigen Kraftwerken noch nicht eingesetzt, da sie in Kombination mit der Temperatur dem hohen Druck nicht gewachsen sind. Der DFRM benötigt diesen hohen Druck nicht, er kommt mit deutlich weniger als zehn Bar im Reaktor aus. Daher erscheint die Verwendung solcher keramischen Werkstoffe möglich.

Der DFRM kann je nach Design als Brutreaktor für eine erheblich bessere Kernbrennstoffausnutzung oder als Verbrenner von langlebigen radioaktiven Abfällen (Transmutation) betrieben werden. Einfacher gesagt: Neue Kernkraftwerke können mit dem Müll alter Kernkraftwerke betrieben werden. Das Endlagerproblem wäre damit gelöst.

Der Dual-Fluid-Reaktor könnte über Umwege sogar die Rettung der deutschen Energiewende sein. Mit ihm könnte man die Zeit gewinnen, die man zum Einsatz einer Wasserstoffwirtschaft braucht. Doch dazu müsste die Politik über ihren Schatten springen. Daher geht wohl eher das sprichwörtliche Kamel durch ein Nadelöhr, als dass dieser neue Reaktortyp in absehbarer Zeit in Deutschland entwickelt werden könnte. Im Land der Energiewende wird es eher zu einem Energiesozialismus kommen, in welchem nicht mehr genug Strom für alle und zu jeder Zeit da ist und die Politik das knappe Gut denjenigen zuteilt, die sie für wichtig oder würdig hält.

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Conclusio

Die Energiewende birgt einige Gefahren – insbesondere was die Bereitstellung von ausreichend Strom betrifft. Spätestens nach Abschaltung der letzten verbliebenen deutschen Kernkraftwerke, wird sich die Frage stellen: Strom oder Verzicht? Einen Ausweg aus der Anti-Atom-Haltung im deutschen Sprachraum könnten moderne, sichere Modelle, wie der Dual-Fluid-Reaktor bieten. Diese arbeiten effizient und arbeiten sogar mit atomaren Abfällen.