Blockchain als neue Governance-Struktur

Der Hype rund um Bitcoin kommt und geht. Aber das dahinterliegende Organisationssystem, die Blockchain, bleibt. Als Governance-Struktur könnte es Systeme aller Art revolutionieren, von Politik über Unternehmen bis hin zu Wahlen.

Dieser Report erschien am 11. Mai 2018 auf Geopolitical Intelligence Services.

Skyline von Shanghai mit digitalen Verbindungslinien
Blockchain birgt das Potential, weltweite Governance-Strukturen zu revolutionieren. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Erfolgreiches Konzept. Blockchain, das System hinter der Kryptowährung Bitcoin, hat sich bewährt – und ist vielseitiger anwendbar, als viele glauben.
  • Flache Hierarchien. Dadurch, dass das System dezentralisiert organisiert ist, liegt es an jedem Teilnehmer selbst, sich aktiv einzubringen.
  • Gemeinsam sicher. Blockchain kann bei der Sicherheit punkten. Durch hohe Transparenz ist die Möglichkeit der Manipulation weitgehend ausgeschlossen.
  • Ketten mit Potential. Jede Art von bürokratischem System könnte von Blockchain als Organisationsprinzip profitieren. Die Frage ist: Wollen wir das auch?

Für manche ist der Bitcoin die Geburtsstunde einer libertären Utopie, andere verteufeln die Kryptowährung als Vorboten der Anarchie. Einige andere sehen darin noch immer eine Art Pyramidensystem. Was jedoch weitgehend unbemerkt bleibt: Die Bedeutung von Bitcoin liegt nicht in seinem Marktwert, sondern in dem dahinterstehenden Governance-Prinzip des Systems, der Blockchain. Die wichtigste Erkenntnis aus der Bitcoin-Entwicklung ist, dass Blockchain funktioniert.

Bitcoin ist eine Kryptowährung. Digitale Tauschmittel sind aber nur eine Anwendungsmöglichkeit für die zugrundliegende neue Technologie namens Blockchain. Blockchain ist ein digitales und dezentrales sowie öffentliches Hauptbuch (digitized, decentralized, and distributed public ledger). Bevor wir uns damit befassen, wie Blockchain funktioniert, sind diese zwei Konzepte wichtig zu klären: „Hauptbuch“ (ledger) und „öffentlich“ (public).

Kryptowährungen sind nur eine Anwendungsmöglichkeit der Blockchain-Technologie.

Ein Hauptbuch (ledger) enthält die vollständige Aufzeichnung einer Transaktion über einen bestimmten Zeitraum oder sogar über die gesamte Lebensdauer einer Einheit – zum Beispiel einem Unternehmen, einer Gruppe oder einem Netzwerk. Das Hauptbuch (ledger) der Blockchain ist öffentlich (public) und für alle jederzeit und ohne Einschränkungen sichtbar. wobei mit „alle“ tatsächlich jede einzelne Person gemeint ist.

Aber wie funktioniert das Ganze? Blockchain ordnet neue Informationen an – beispielsweise eine neue Transaktion – und fügt sie als in sich geschlossenen Block dem öffentlichen Hauptbuch (public ledger) hinzu. Alle Blöcke werden aufgezeichnet und in chronologischer Reihenfolge in das Hauptbuch (ledger) aufgenommen. Jeder neue Block muss jedoch zunächst mehrheitlich von einem System an Knotenpunkten (nodes) – das sind mit dem Netzwerk verbundene Computer – validiert werden. Validieren bedeutet, dass einzelne Knoten (nodes) den Block zu ihren Versionen des Hauptbuchs (ledger) hinzufügen. Somit existieren mehrere, über Knoten (nodes) verteilte Versionen des öffentlichen Hauptbuchs (public ledger). Wenn die Mehrheit von ihnen einer identischen Form zustimmt, gilt eine Transaktion als abgeschlossen.

Prinzipien der Governance

Am 8. März 2017 veröffentlichte die Harvard Business Review einen Artikel mit dem Titel „Blockchain wird für das Finanzsystem sein, was das Internet für die Medien war“ („The Blockchain Will Do to the Financial System What the Internet did to Media“). Ein Jahr zuvor behauptete der International Banker, dass „Bitcoin die Fähigkeit der Zentralbanken, die Wirtschaft zu lenken, gefährden könnte“. Solche Bedenken haben ihren Ursprung in den Unterschieden zwischen den aktuell gängigen Governance-Strukturen und der Blockchain.

Moderne Governance-Strukturen – wie beispielsweise Geldpolitik, Hierarchien von Unternehmen, die Organisation von Versorgungs- und Wertschöpfungsketten und sogar politische Institutionen – stützen sich auf eine Reihe von Prinzipien. Dazu zählen: Zentralisierung, Hierarchie, Monopol (jede Tätigkeit wird von einer Einheit ausgeübt, diese Einheit hat die Herrschaft über den Prozess), Arbeitsteilung, Vertrauen in die Verwaltung und Isonomie (Gleichheit der Einheiten auf der gleichen Hierarchieebene).

Der Vorteil dieser Prinzipien besteht darin, dass sie effizient sind und Planung ermöglichen. Die zentrale Einheit kann ihre Vorstellungen über die Hierarchiestrukturen durchsetzen. Auf der anderen Seite wird die Struktur abhängig von zentraler Planung, Monopolen und administrativer Kontrolle.

Die Prinzipien, auf die sich Blockchain stützt, sind anders. Es handelt sich um einen dezentralisierten, eher funktionalen als hierarchischen Governance-Mechanismus. Jeder Teilnehmer kann jederzeit anbieten oder nachfragen. Eine Vielzahl von Akteuren muss die gleiche Tätigkeit parallel zueinander ausüben.

Blockchain toleriert bei den Nutzern zwar Pseudonyme, ist aber der völligen Transparenz von Transaktionen verpflichtet.

Blockchain kombiniert Elemente von Kooperation und Wettbewerb – und das oft gleichzeitig. Beispielsweise müssen die Knoten (nodes) kooperieren, damit eine Transaktion in das Hauptbuch (ledger) aufgenommen wird. Auf der anderen Seite konkurrieren sie in der Frage, wie schnell sie Transaktionen validieren, denn nur der Erste wird vom System belohnt. Da die Verifizierung von Transaktionen im gesamten Netzwerk stattfindet, ist das Leitprinzip der Governance schließlich der oben beschriebene Mehrheitsgrundsatz (nodal majoritarianism).

Es gibt noch einen weiteren scharfen Kontrast. Heutige Governance-Strukturen neigen dazu, Vertraulichkeit zuzulassen oder sogar zu bevorzugen. Dies gilt weniger für die Privatsphäre der Nutzer. Insbesondere der zentrale, monopolistische Entscheidungsträger ist selten transparent und einsehbar. Blockchain hingegen mag zwar Nutzer mit Pseudonymen tolerieren, ist aber als verteilte Liste – als Hauptbuch (public ledger) – der völligen Transparenz von Transaktionen und Knotenpunkten (nodes) verpflichtet.

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Eine kurze Geschichte von Bitcoin und Blockchain

2008Unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto wird das „White Paper“ zu Bitcoin und Blockchain präsentiert.
2009Die ersten Bitcoin-Transaktionen finden statt. Mit 10.000 Bitcoin werden zwei Pizzen im Wert von 25 US-Dollar bezahlt – Anfang 2021 sind das mehr als 500 Millionen US-Dollar.
2011Ein Bitcoin ist einen US-Dollar wert; die ersten Google-Suchen nach „Blockchain“ tauchen auf und andere Kryptowährungen treten in Erscheinung.
2012Blockchain wird erstmals als Organisationsstruktur mit anderen Anwendungsmöglichkeiten untersucht.
2013Die Marktkapitalisierung von Bitcoin erreicht 1 Milliarde US-Dollar; der erste nennenswerte Kryptowährungsdiebstahl (25.000 Bitcoin) findet statt.
2015NASDAQ startet Blockchain-Testversuche mit dem Ziel, den Prozess effizienter zu gestalten.
2016Google, IBM, Amazon und Microsoft testen Blockchain-Services mit ihren Kunden.
2017Bitcoin wird als offizielles Zahlungsmittel in Japan anerkannt.
2018Arizona und die Schweiz akzeptieren Bitcoin als Steuerzahlungsmittel. Laut Forbes verwenden 15 Prozent der Finanzunternehmen Bitcoin als Zahlungsmittel.

Anwendung als Blockchain

Die soeben beschriebenen Prinzipien der Governance bilden nicht unbedingt einen strikten Gegensatz. Aber in den meisten Fällen stehen sie zumindest in der Praxis im Widerspruch zueinander. Auch wenn Blockchain das System des Zentralismus und der Arbeitsteilung nicht verdrängen wird, kann sie es mit ihrem dezentralisierten, kooperativen und konkurrierenden Modell ergänzen.

Jede Art von bürokratischer Organisation kann vom Blockchain-Einsatz profitieren.

Beispiele für die Anwendung von Blockchain sind medizinische Aufzeichnungen, Versicherungen, Aktionärsstrukturen und Buchhaltung. In der Tat kann jede Art von bürokratischer Organisation – sei es die Politik oder Liefer- oder Wertschöpfungsketten – von ihrem Einsatz profitieren. Schließlich sind in sichere Blockchains eingebettete Daten unveränderlich und nicht löschbar. Die Technologie kann zur Identitätsprüfung und in der Cloud-Speicherung eingesetzt werden.

Ein zentraler möglicher Einsatzort für die Blockchain ist die Cybersicherheit. Risiken wie Datenverlust, Hacking, Malware, Spyware sind bei Datenbanken unvermeidbar. Datenbanken, die von einer monopolistischen, zentralen Einheit organisiert werden, sind anfälliger für Schäden als dezentrale Systeme. Eine über die Mehrheit verwaltete Datenbank wird mehrfach repliziert und wäre diesen Risiken nur ausgesetzt, wenn mehr als die Hälfte aller Knoten betroffen sind.

Fragen und Schlussfolgerung

Es wird dauern, bis diese Innovationen tatsächlich unsere Gesellschaft beeinflussen. In der Zwischenzeit bleiben noch viele Fragen zu den Governance-Prinzipien von Blockchain offen. Welche Rolle spielen Knotenpunkte (nodes)? Sind sie Gatekeeper, Supermächte, Oligopole? Braucht Blockchain ein bestimmtes „Ökosystem“, um erfolgreich zu sein?

Andere Fragen betreffen die Reaktion der Gesellschaft auf die neue Technologie. Wie werden Gesetzgeber und Interessengruppen reagieren? Werden Unternehmen und Behörden Blockchain übernehmen oder sich dagegen wehren? Werden sie sich von der Transparenzanforderung angezogen oder abgestoßen fühlen? Wie werden sich zentralisierte Hierarchien an funktionale Dezentralisierung anpassen?

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Conclusio

Blockchain könnte Regierungssysteme und Governance aller Art revolutionieren. Die Technologie hat gezeigt, dass ein verteiltes Verifizierungssystem zentralistische Systeme ersetzen kann, die auf Vertrauen basieren. Langfristig wird dieser Governance-Wandel der wichtigste Beitrag der Blockchain zur globalen Geschäftswelt sein. Das dezentralisierte System befeuert Wettbewerb und verbessert die produktive Zusammenarbeit. Es wird aber dauern, bis diese Innovationen tatsächlich unsere Gesellschaft beeinflussen. Bis dahin sollte gezielt daran gearbeitet werden, die verbleibenden Fragen zu den Governance-Prinzipien von Blockchain zu beantworten.