Der lange Schatten des Donald Trump
Joe Biden punktet bei den Midterms maximal bei den Eliten, während sich traditionelle Wählerschichten im Stich gelassen fühlen. Donald Trumps Themen Migration und Sicherheit ziehen mehr. Die Republikaner haben Rückenwind.
Auf den Punkt gebracht
- Kontaktverlust. Die Demokraten haben den Draht zur Arbeiterklasse und den Mittelschichten verloren, aus denen ihre Wähler eigentlich kommen.
- Unterschätzt. Joe Biden und sein Wahlkampfteam unterschätzen die Bedeutung von Patriotismus und Religion bei ihren Wählern.
- Überschätzt. Die Anliegen der progressiven liberalen Elite, wie etwa Antirassismus, werden von den Demokraten systematisch überbewertet.
- Entscheidung. Die Midterms sind für die Wahlen 2024 wichtig, die Politik Donald Trumps wird jedenfalls die Meinungsbildung in den USA bestimmen.
Politische Veränderungen werden oft erst sichtbar, nachdem die darunter liegenden sozialen tektonischen Platten sich langsam, aber permanent verschoben haben. So wurde in den Medien die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 als eine Zäsur in der amerikanischen Politik präsentiert. Doch in Wirklichkeit war Trump mehr Symptom als Ursache der aktuellen politischen Großwetterlage in den Vereinigten Staaten. Das zeigt sich jetzt, zu den Midterms, den Halbzeitwahlen der Präsidentschaft Joe Bidens, wieder einmal besonders deutlich.
Im Gegensatz zu der medial oft kolportierten Meinung, die USA stünden an der Kippe zu einem neuerlichen Bürgerkrieg, ist die Mehrheit der Menschen im Land wesentlich weniger polarisiert, als angenommen wird. Dieses Zerrbild der Wirklichkeit ist primär darauf zurückzuführen, dass die Polarisierung insbesondere innerhalb der Klasse der „Meinungsmacher“ ausgeprägt ist.
Je höher der Bildungsgrad und das politische Engagement, umso stärker überzeugt ist man von der Richtigkeit der eigenen und der Falschheit gegensätzlicher Meinungen – und das bis zu dem Punkt, an dem man der Gegenseite bewusst eine moralische Bösartigkeit unterstellt.
Extreme am politischen Rand
Nirgendwo hat sich das so deutlich gezeigt wie in der Abtreibungsdebatte, in der die politischen Parteien völlig gegensätzliche Positionen beziehen: ein komplettes Verbot (Republikaner) oder die komplette Liberalisierung (Demokraten) – sogenannte Late-Term-Abortions bis in die 24. Schwangerschaftswoche inbegriffen.
Die Mehrheit findet sich jedoch in der Mitte, wo man sich wünscht, das Recht auf Abtreibung generell zu bewahren, aber ab der 15. Schwangerschaftswoche Restriktionen einzuführen. Da 93 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in den ersten 13 Wochen stattfinden, wäre die Zahl der von solchen Restriktionen betroffenen Frauen relativ gering. Wie dieses Beispiel zeigt, finden sich Extrempositionen zwar an den Rändern der Parteien und den Meinungsseiten der „New York Times“ oder Fox News, aber in wesentlich geringerem Ausmaß im Gros der Bevölkerung.
Zahlen & Fakten
Diese Feststellung erklärt auch die miserablen Popularitätswerte von Präsident Joseph R. Biden, welcher mit einer Zustimmungsrate von 55 Prozent ins Amt gestartet ist, aber mittlerweile auf nur mehr knapp 40 Prozent zurückgefallen ist. Auch wenn es gerne vergessen wird: Das Versprechen von Joe Biden während des Wahlkampfes 2020 war eine Rückkehr zur Normalität nach den chaotischen Trump-Jahren.
Die Strategie der Wahlkampf-Manager war es, Biden als Kandidaten der Mitte und Vertreter der Arbeiterklasse zu präsentieren. Nachdem jedoch klar geworden war, dass Biden zwar als Kandidat der Mitte angetreten ist, aber im Sinne des linksliberalen Randes seiner Partei regiert, fielen auch seine Umfragewerte.
Abgehobene Eliten
Besonders in den wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsschichten – in denen auch ethnische Minderheiten am stärksten vertreten sind – wirkt der Kurs Bidens elitär und der Lebenswirklichkeit der Menschen entrückt. Während Trumps entscheidendes Wahlkampfthema eine Einschränkung der illegalen Migration war (wer erinnert sich noch an den Slogan „Build the wall“?), ist unter Joe Biden die Grenze zu Mexiko de facto ein offenes Tor in die USA. Im Jahr 2021 wurden über 1,7 Millionen illegale Grenzüberschreitungen festgestellt – ein Rekord, der jedoch in diesem Jahr mit geschätzten 2,3 Millionen erneut übertroffen werden wird.
Auch die medial gefeierte Vergabe von Studienkrediten wurde außerhalb der liberalen Meinungsblase wesentlich kritischer wahrgenommen. Wurde noch unter Bill Clinton die Demokratische Partei als Vertreterin der Arbeiterklasse und Minderheiten gesehen, verfolgt sie jetzt zunehmend die Ziele einer wohlhabenden, oft mehrheitlich weißen Gesellschaftsschicht, wie die liberale Kommentatorin Batya Ungar-Sargon in einem Beitrag für das „Wall Street Journal“ feststellte. Passend dazu finden Politiker der Demokraten immer wieder ihren Weg auf die Cover-Seiten von „Vanity Fair“ oder „Rolling Stone“.
Den „Celebrity-Faktor“ in der Politik gibt es natürlich auch auf der anderen Seite: So wurde ja nicht nur der Trash TV-Star Donald Trump Präsident, auch Arnold Schwarzenegger konnte seinen Star-Faktor in politische Wahlerfolge ummünzen. Die Dimension links der Mitte ist jedoch eine andere: Selbst Politiker, die kaum Wahlerfolge vorzuweisen haben, wie Beto O’Rourke oder Stacey Abrams, werden medial wie Popstars verehrt, ein Gastauftritt als Präsidentin eines geeinten Planeten in der Serie „Star Trek“ durfte dabei nicht fehlen. Unvergessen natürlich auch der gemeinsame Podcast von Barack Obama und Bruce Springsteen inklusive dazugehörigen Buchs.
DeSantis, ein unterschätzter Player
Trotz dieser Star-Power fühlen sich jedoch viele traditionelle Wähler der Demokraten auf der Strecke gelassen, was sich auch zunehmend in Umfragen und Wahlergebnissen niederschlägt. So ist beispielsweise Florida von einem sogenannten Swing-State unter der Führung des republikanischen Gouverneurs Ron DeSantis zu einem soliden „Red State“ mit republikanischer Mehrheit geworden.
DeSantis ist eine interessante Figur, weil er intellektuell zu erfassen scheint, was Donald Trump 2016 intuitiv verstanden hat. Der Schlüssel zu Trumps Wahlerfolg vor sechs Jahren war neben dem Migrationsthema eine Mobilisierung jener Bevölkerungsteile, die sich von der Politik ignoriert fühlten. In einer Studie der angesehenen RAND Corporation stellte sich heraus, dass der treffsicherste Weg, einen Trump-Wähler zu identifizieren, in der Zustimmung zur Aussage „Menschen wie ich haben keine Stimme“ lag.
So absurd es auf den ersten Blick erscheinen mag, aber für viele Menschen war der mehrfach geschiedene Reality-TV-Star und mit seinem (übertriebenen) Reichtum prahlende Donald Trump eine Abrechnung mit dem politisch-medialen Establishment, von dem man sich verachtet fühlte.
Entgegen den Erwartungen hat dieser Aspekt des „Trumpismus“ die Republikanische Partei in einem größeren Ausmaß für Minderheiten geöffnet, als man annehmen würde. Während das Rassismus-Thema in den USA noch immer wichtig ist, nimmt innerhalb vieler ethnischer Communitys die Ansicht zu, dass das Interesse der Demokraten nur wahltaktisch ist, aber sich zu selten in tatsächlicher Politik niederschlägt. In den Minderheitenvierteln der Großstädte hat die Kriminalität massiv zugenommen, und allen „Black Lives Matter“-Protesten zum Trotz hat die Verringerung der Polizeipräsenz in Problemzonen Gewalt- und Eigentumsdelikte ansteigen lassen.
Diese Feststellung wurde empirisch in mehreren Studien von Roland G. Fryer – selbst Afroamerikaner und jüngster Ökonomie-Professor in Harvard – nachgewiesen. Doch oftmals war das simple Narrativ der rassistischen Polizei (die in vielen Großstädten übrigens mehrheitlich nicht-weiß ist) wichtiger als die Realität.
Patriotismus und Religion
Es überrascht daher nicht, dass die Republikaner bei Afroamerikanern und Latinos an Popularität gewinnen. In diesem Jahr wurde mit Mayra Flores die erste in Mexiko geborene Kongressabgeordnete vereidigt – und zwar für die Republikaner. In einem traditionell demokratischen Wahlbezirk mit 85 Prozent Latinos gewann sie bereits im ersten Wahldurchgang die nötigen 51 Prozent, um eine Stichwahl zu vermeiden. Obwohl die Republikaner landesweit bei Schwarzen und Hispanics immer noch weit zurückliegen, geht der Trend in ihre Richtung, wie selbst die „New York Times“ zugeben musste.
Zahlen & Fakten
Trump konnte bei Latinos zwischen 2016 und 2020 acht Prozentpunkte dazugewinnen, und die spanisch sprechende Community engagiert sich auch immer mehr innerhalb der konservativen Partei. Wie das liberale Online-Magazin „Vox“ festgestellt hat, sind es vor allem Latinas, welche die leichte „Hispanisierung“ der Republikaner vorantreiben. Während europäische Kommentatoren oftmals von weißem christlichem Nationalismus sprechen, übersehen sie, dass vor allem Religion und Patriotismus bei vielen Minderheiten wichtige Werte sind. Der Wahlslogan der bereits erwähnten Mayra Flores war „Gott, Familie, Vaterland“ – eine Botschaft, die offensichtlich auch bei Amerikanern mit Migrationshintergrund ankommt. Gleichzeitig wird die Republikanische Partei immer diverser.
Ist „Woke“ schuld am Phänomen Trump?
Wie dramatisch diese Entwicklungen tatsächlich sind, zeigt der Werdegang des Politologen Ruy Teixeira. Im Jahr 2002 veröffentlichte er das Buch „Die kommende demokratische Mehrheit“. Kernthese war, dass aufgrund der demografischen Entwicklungen der Demokratischen Partei eine permanente und solide Mehrheit in der amerikanischen Politik sicher sein würde.
Mittlerweile hat Teixeira seine These zurückgezogen und auch eine Erklärung gefunden, warum er falsch lag. Es war 2002 noch nicht vorherzusehen, dass die sogenannte „Woke“-Ideologie im linken politischen Spektrum so zunehmen würde, dass sie eine Säule der vermeintlichen „permanenten Mehrheit“ untergraben würde.
Für Teixeira war die weiße Arbeiterklasse mit ihren Anliegen eine Kernklientel der Demokraten, aber in der woken Weltsicht teilt sich die Politik in eine rassistische und eine antirassistische Hälfte auf, und durch diese Linse wird jedes Problem betrachtet. Doch damit punktet man bloß bei weißen Universitätsabsolventen (plus 16 Prozentpunkte seit 2012), verliert aber bei ethnischen Minderheiten (minus 19 Prozentpunkte).
Teixeira liefert auch die wahrscheinlich treffendste Analyse für kommende Wahlen: Trump war ein Bulldozer, der sowohl Teile der eigenen Partei als auch bisher als unveränderlich akzeptierte Wählerstrukturen eingerissen hat. Spätestens seit dem Sturm auf das Kapitol ist Trump wohl mehr eine Hypothek als Hoffnungsträger seiner Partei. Aber, wie Teixeira sagt: „Früher oder später kommt eine bessere, klügere Version von Trump“, und auch er empfiehlt, den Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, im Auge zu behalten.
Conclusio
Jahrzehntelang geltende Abgrenzungen zwischen den beiden großen Parteien der USA weichen sich auf. Religion und Patriotismus – Werte, die besonders von vielen Republikanern hochgehalten werden – ziehen zunehmend Minderheiten (darunter viele Latinos) an. Gleichzeitig findet eine Entfremdung klassischer demokratischer Wählergruppen von ihrer Partei statt. Der Grund: deren elitäre Abgehobenheit, die weder Arbeiterklasse noch Minderheiten repräsentiert. Die von vielen Meinungsmachern herbeigeschriebene Spaltung des Landes, die bald zum Bürgerkrieg führen werde, stimmt freilich nicht. Der entscheidende Erfolgsfaktor bei den kommenden Präsidentschaftswahlen wird es sein, denen, die sich ungehört fühlen, eine Stimme zu geben. Das muss nicht unbedingt Donald Trump sein – es gibt viele Kandidaten.