Das Ende der Odyssee
Vor 15 Jahren war Griechenland praktisch pleite. Jetzt freut sich das Land über solides Wirtschaftswachstum, sinkende Arbeitslosigkeit und das Vertrauen von Investoren. Die Rosskur hat sich - entgegen allen Protesten - gelohnt.

Auf den Punkt gebracht
- Haushaltskrise. Vor 15 Jahren galt Griechenland als insolvent, da der öffentliche Sektor über seine Verhältnisse gelebt hatte.
- Bankrottgefahr. Nach der Finanzkrise verlangten Geldgeber höhere Zinsen, was die Lage zusätzlich verschärfte.
- Wirtschaftliche Erholung. Durch harte Sparmaßnahmen erholte sich Griechenland. Die Arbeitslosigkeit sinkt; das Land gilt wieder als kreditwürdig.
- Wachstum. Nach der wirtschaftlichen Rosskur kann Griechenland wieder auf einen soliden Wachstumspfad wechseln.
Es waren harte Tage, denen noch härtere Jahre folgten: Vor 15 Jahren musste Giorgos Papandreou kurz nach seinem Amtsantritt eingestehen, dass das griechische Haushaltsloch mit 13 Prozent mehr als doppelt so hoch ausfallen werde wie geplant. Der damalige Ministerpräsident versuchte in Athen vergeblich, mit einigen Budgetkorrekturen das Ruder herumzureißen. Griechenlands öffentlicher Sektor hatte jahrelang über seine Verhältnisse gelebt. Insbesondere seit dem Beitritt zur Eurozone konnte der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch stetig steigende Staatsschulden überdeckt werden, die aufgrund niedriger Zinsen tragbar schienen.
Doch nach der Finanzkrise schauten Geldgeber etwas genauer auf die Bonität ihrer Schuldner und verlangten wegen des gestiegenen Risikos höhere Zinsen auf ihre gewährten Kredite. Wie dramatisch die Lage war, machte der bekannte Ökonom Hans-Werner Sinn klar: Er verglich den Zustand Griechenlands mit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers, die zum Ausbruch der Finanzkrise 2008 geführt hatte. Auch Griechenland war praktisch bankrott. Kaum jemand hätte damals eigenes Geld darauf gewettet, dass dieser wirtschaftlich todkranke Patient seine Odyssee in absehbarer Zeit beenden würde.
Doch mittlerweile sieht es für die Griechen wieder ganz gut aus. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosenquote ging zurück, das Land gilt unter Investoren als kreditwürdig. Ermöglicht wurde diese Genesung durch eine Rosskur, die den Bürgern einiges abverlangte. Diverse Sparpakete und eine Restrukturierung des öffentlichen Sektors machten viele Menschen zunächst einmal ärmer.
Rosskur mit Folgen
Das in Griechenland erwirtschaftete Pro-Kopf-Einkommen lag in der Spitze im Jahr 2008 bei 32.200 Dollar, 2024 wird mit 24.000 Dollar gerechnet. Das Land hat sich also längst nicht von den Folgen des Beinahe-Crashs erholt. Viele Griechen suchten nach der Krise ihr Glück im Ausland. Die Bevölkerung schrumpfte um gut 600.000 Personen auf derzeit noch 10,4 Millionen Menschen.
Nun sieht es für die Griechen wieder ganz gut aus. Ermöglicht wurde die Genesung durch eine Rosskur.
Dafür geht es an anderen Stellen bergauf: Die Arbeitslosigkeit war von 7,8 Prozent im Jahr 2008 auf 27,5 Prozent im Jahr 2013 regelrecht explodiert, ist aber inzwischen auf 9,4 Prozent gesunken. Mit Ausnahme des ersten Corona-Jahres 2020 verzeichnete Griechenland seit 2017 in jedem Jahr positive Wachstumsraten. Für 2024 prognostiziert der Internationale Währungsfonds eine Wachstumsrate von zwei Prozent des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf.
Die Trendwende spiegelt sich in der Staatsschuldenquote wider: Im Jahr 2020, bedingt durch den Schock der Pandemie, erreichte diese mit 213,2 Prozent ein historisches Maximum. Seitdem aber sinkt sie: 2024 sollte die Verschuldung mit 158 Prozent des BIP den niedrigsten Stand seit 2011 erreichen. Das zeigt sich auch in den Bewertungen der großen Ratingagenturen, die Griechenlands Kreditwürdigkeit inzwischen hochgestuft haben, sodass das Interesse der Investoren an griechischen Staatsanleihen steigt und die Zinsen sinken.
Wie wichtig das Vertrauen der Finanzmärkte ist, wird bei einem Zinsvergleich deutlich: Auf dem Höhepunkt der Krise im Frühjahr 2012 rentierten zehnjährige griechische Staatsanleihen mit extremen 42 Prozent. Die Emission neuer Anleihen hätte sich der griechische Staat zu diesem Zeitpunkt kaum leisten können, er war dementsprechend auf europäische Hilfen angewiesen. Inzwischen liegt die Rendite der Anleihen bei nur noch rund drei Prozent, und der Zugang zu frischen Mitteln am Kapitalmarkt ist gegeben.
Gab es Alternativen?
Oft wird bei der Interpretation der griechischen Entwicklung vor allem auf die Veränderung des BIP pro Kopf abgestellt – und zwar indem der Höchstwert im Jahr 2008 mit dem aktuellen Wert verglichen wird. Dies führt dann, gerade von linker Seite, zum Befund, dass die Spar- und Reformpolitik zu einem Wohlstandsverlust für die Griechen geführt habe. Implizit wird damit behauptet, dass eine alternative Reaktion zu besseren Ergebnissen hätte führen können.
Da Griechenland selbst damals keinen Zugang zum Kapitalmarkt mehr hatte, wären höhere Staatsausgaben nach 2009 aber nur durch europäische Transfers finanzierbar gewesen. Nach der kruden Logik simpler keynesianischer Schuldenmechanik hätten höhere Staatsausgaben zu höheren Einkommen in Griechenland führen müssen. Ganz so einfach ist es aber nicht. Gleichzeitig muss man auch sehen, dass diese Strategie den Reformdruck von der griechischen Politik genommen hätte. Das Land wäre womöglich dauerhaft in einem Zustand gehalten worden, in dem Einkommen nur von außen stabilisiert werden können.
Die Jahre stark beschleunigten Wachstums nach der Jahrtausendwende erscheinen hier als Anomalie, die nach der Finanzkrise fast symmetrisch wieder korrigiert wurde. Am besten versteht man dies, wenn man sich genauer anschaut, was in den 2000er-Jahren passiert ist. Von einer deutlichen Vergünstigung seiner Finanzierungskonditionen infolge der Euro-Einführung profitierend, hatte sich der griechische Staat in dieser Phase auf eine Ausgabenbonanza eingelassen. Der öffentliche Sektor wurde auch personell massiv ausgebaut, Löhne und Gehälter stiegen gerade in diesem Bereich stark, Sozialleistungen wurden erhöht.
Griechenland in den 2000er-Jahren ist ein Beispiel dafür, dass defizitfinanzierte Staatsausgaben kurzfristig hohe Wachstumsraten produzieren können. Es ist aber auch ein Muster für die Fehlallokationen, die damit ausgelöst werden. Das Problem ist nämlich nicht nur, dass eine solche Strategie nicht nachhaltig sein kann, weil die Schulden irgendwann zu hoch werden. Dazu kommt noch, dass zwar kurzfristig mehr und höhere Einkommen generiert werden, in Griechenland erzeugte Waren und Dienstleistungen auf dem internationalen Markt aber zu teuer und damit unverkäuflich werden.
Kurzsichtige Politik
Man kann also nicht einfach die Wachstumsraten der 2000er-Jahre in die Zukunft extrapolieren und beklagen, dass die Sparpolitik nach der Krise den Boom gebrochen habe. Dieser Trend war nie nachhaltig. Er war nicht das Ergebnis von Innovationen oder Produktivitätsgewinnen in griechischen Unternehmen. Die ineffiziente und kurzsichtige Politik der scheinbar goldenen 2000er-Jahre trug den Korrekturbedarf, der sich später in schmerzhaften Reformen und negativen Wachstumsraten niederschlug, bereits in sich.
Griechenland reduziert dank eines positiven Budgetsaldos jährlich seine Schulden.
Man kann sicherlich davon ausgehen, dass Griechenland inzwischen auf einen langfristig robusteren Wachstumspfad zurückgekehrt ist. Dafür sind einige wichtige Reformmaßnahmen verantwortlich: Seit 2015 weist Griechenland mit Ausnahme der Corona-Krise positive Primärsalden auf, das heißt, die Differenz zwischen Staatseinnahmen (ohne Nettokreditaufnahme) und Staatsausgaben (ohne Zinsausgaben) ist positiv. Griechenland kann seine laufenden Ausgaben ohne neue Kredite finanzieren und reduziert in jedem Jahr mit positivem Saldo seinen Schuldenstand.
Dazu kamen institutionelle Reformen. 2022 wurden Arbeitsmarktreformen beschlossen, die einerseits die Organisation der staatlichen Jobvermittlung effizienter gestalten sollten, aber auch neue Anreize zur Arbeitsaufnahme schufen. Sanktionen und Belohnungen halten sich etwa die Waage: Wer nicht kooperiert, muss mit Kürzungen rechnen. Auf der anderen Seite wird das Arbeitslosengeld nach einer Neuanstellung für eine gewisse Zeit weiterbezahlt. Hinzu kommen verschiedene Programme zur Weiterbildung, der entschlossene Kampf gegen Schwarzarbeit und eine schon seit längerem umgesetzte Flexibilisierung des Arbeitsmarkts.
Wichtig waren auch Deregulierungen für einige Branchen, in denen zuvor staatliche Zutrittsbarrieren gegolten hatten, die ökonomisch ineffiziente, aber politisch gut vernetzte Anbieter vor Wettbewerb schützten. Auch der Zugang zu einigen Berufen, die starken Beschränkungen unterlagen, wurde liberalisiert. Die Öffnung betraf u. a. Lastwagenfahrer, Apotheker, Anwälte, Notare und die Taxibranche.
Insgesamt ist die griechische Reformagenda sicherlich noch nicht abgeschlossen. Die bereits umgesetzten Reformen zielen aber wesentlich darauf ab, sowohl die Effizienz der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen als auch die Angebots- und Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu verbessern. Genau diese Reformen tragen nun die ersten Früchte.
Conclusio
Boom. Griechenlands Boom in den 2000er-Jahren folgte keinem langfristig stabilen Wachstumspfad, sondern war ein kurzfristiges Strohfeuer, das mit hohen öffentlichen Schulden und wachsenden Staatsausgaben angefacht wurde.
Bust. Dieser Weg musste an ein Ende kommen, als die Staatsschulden untragbar geworden waren. Die folgende Krise, die sich zur ernsthaften Bedrohung für den Euro auswuchs, war eine notwendige Korrektur des künstlich geschaffenen Booms.
Reset. Nach einer Reihe sinnvoller Reformen für solidere Staatsfinanzen und eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft kann Griechenland nun wieder auf einen soliden Wachstumspfad wechseln. Der Reset zeigt schon positive Ergebnisse.
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