Ist der Tourismus noch zu retten?

Die Pandemie stellte den Tourismus Österreichs ins Rampenlicht. Überangebot, Fachkräftemangel und Klimawandel bedrohen die Branche. Zeit für eine nachhaltige Vision.

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Winteridylle pur, wie sie nur noch selten vorzufinden ist. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Das Problem. Die Tourismusbranche leidet unter Überkapazitäten, Personalmangel und Klimawandel. Es wird zu wenig Wert auf Nachhaltigkeit gelegt.
  • Faktor Corona. Covid und Lockdowns haben dem Fremdenverkehr einen massiven Dämpfer versetzt, aber der Branche wenigstens Aufmerksamkeit verliehen.
  • Keine Einheitslösung. Touristen verlangen gute Leistungen, aber nicht jede Gemeinde braucht ein komplettes Infrastruktur-Angebot.
  • Neue Rahmenbedingungen. Raumordnung, Zuschüsse, Nutzungsmöglichkeiten von Hotels und viele andere Punkte gehören dringend neu geordnet.

Die Geschehnisse rund um die Pandemie haben uns in den letzten 19 Monaten auch im Tourismus einer Zäsur unterworfen. Beginnen wir mit der erfreulichen Nachricht. Noch nie in der Wirtschaftsgeschichte des Landes hat der Tourismus einen derartig hohen Stellenwert erfahren. Es erforderte leider über Monate geschlossene Betriebe und zigtausende Mitarbeiter in Kurz­arbeit, um die Bedeutung des Fremden­verkehrs in Österreich sichtbar zu machen. Unsere Relevanz wurde just im Nichtvorhandensein erlebt. Plötzlich wurde über die rund 240.000 Mitarbeiter, die vor der Pandemie im Tourismus beschäftigt waren, gesprochen. Plötzlich war es möglich, die längst über­fällige Qualitätsdiskussion im touristischen Angebot zu führen. 

International wurde über die Medien ein anderes Bild vermittelt: Ischgl! Eine obszöne Feierdestination in den Bergen? Industrialisierte Saufgelage neben Schneekanonen und Bergen leerer Bierflaschen. Dazwischen illuminierte Pärchen, die der Jägermeister oder die Verzweiflung zusammenführte. Fest steht, in den letzten Jahrzehnten wurden auf Teufel komm raus Hänge und Skidestinationen erschlossen, Seilbahnen und Lifte auch auf den letzten verbleibenden Gipfel gebaut. Dazu Bettenburgen und Après-Ski-Bars zum Abwinken – und das beileibe nicht nur in Ischgl. 

Bild von Apres-ski
Gute Stimmung, schlechte Wirkung: Überdimensionierte Après-Ski-Feiern sind in Verruf geraten. © Picturedesk

Diese gnadenlose Erschließung immer neuer Winterdestinationen brachte für davor ärmliche Regionen des Landes den lang ersehnten Wohlstand und neben der Landwirtschaft die einzig mögliche Beschäftigung in abgelegenen Tälern. Der Tourismus ist einer der wichtigsten wirtschaftlichen Treiber für Regionen, Destinationen, Bundesländer und eine stattliche Einnahme­quelle für den Finanzminister. 

Fleckerlteppich statt Masterplan

Kurz nach Corona kamen die Hilfs­pakete, bei denen sich der Bund nicht gerade mit Ruhm bekleckerte. Nach den vielen handwerklichen Fehlern im Krisenmanagement und dem Fleckerl­teppich an Rettungspaketen verlor man ja den Überblick. Die österreichische Regierung agierte nach dem Motto „Jugend forscht“. Sobald eine Gruppe aufschrie, wurden Hilfen mit der Gieß­kanne ausgeschüttet. Die nächste Generation wird den damit verbundenen Schuldenberg abtragen oder massive Leistungskürzungen des Staates hinnehmen müssen.

Erinnern Sie sich zufällig noch an das Projekt „Safe A“? Ab Juli 2020 sollten 65.000 Tests pro Woche in ganz Österreich durchgeführt werden. Von den angepeilten 1,5 Millionen Tests brachte man bis November letzten Jahres nicht einmal ein Drittel auf den Boden. Das reichte aber, um bei einigen rasch gegründeten Test-Unternehmen die Kassen klingeln zu lassen. Fest steht nur, der Steuerzahler sprang für diesen Marketing-Gag ein.

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Zahlen & Fakten

Die gute Sommersaison haben wir nicht dem Corona-Management der Regierung zu verdanken, sondern der Inlandsnachfrage und Urlaubslust nach der Zeit der Lockdowns. Doch durch das ständige Auf- und Zusperren warfen viele Fachkräfte das Handtuch und sattelten auf andere Berufsfelder um. Ja, touristische Berufe sind mit Entbehrungen verbunden. Man arbeitet, wenn die anderen feiern. Das wurde vielen erst in der Krise so richtig bewusst. Vielen Fachkräften fehlte aber auch schlicht die Perspek­tive, wann es wieder weitergeht. 

Die Gehälter und Lohnnebenkosten sind für viele Betriebe kaum mehr zu stemmen, den Mitarbeitern bleibt davon dennoch viel zu wenig. Über die Senkung der Lohnnebenkosten und über die Abschaffung der kalten Progression diskutieren wir in Österreich seit Jahrzehnten – leider ohne den politischen Willen der jeweils Regierenden, daran auch nur ansatzweise etwas zu ändern. 

Dem Wintertourismus fehlen nach Hochrechnungen der Unternehmensberatung MRP Hotels rund 50.000 bis 55.000 Fachkräfte in der Branche. Vielleicht erledigt sich das Überangebot ja auf diese Weise. Skigebiete, Restaurants und Hotels können in ihrem Angebot nur mehr eingeschränkt bespielt werden, weil die Mitarbeiter dafür ­fehlen. Aber sieht so eine Tourismus­strategie aus?

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Zahlen & Fakten

Mehrere Baustellen

Wir stehen vor gewaltigen Problemen, die dieser an sich wunderbare Wirtschaftszweig in den nächsten Jahren bewältigen muss:

  • Welche Raumordnung brauchen wir, und wie gehen wir mit dem touristischen Überangebot um?
  • Was passiert mit dem Wintertourismus im Klimawandel, und wie reagieren wir darauf?
  • Dem Tourismus fehlen dramatisch die Fachkräfte, und die demografische Kurve wird dieses Problem noch verstärken. 

Vielfach werden nur Nächtigungszahlen bejubelt und dabei die Wertschöpfung und Folgen für Umwelt und Landschaftsbild ignoriert. Wir brauchen endlich eine touristische Vision jenseits des „Overtourism“. Nachhaltiger Tourismus kann nur im Einklang mit der Natur und der Bevölkerung vonstattengehen. Was müssen wir tun?

Eine neue Vision 

  • Touristen müssen ihre Ziele schnell und bequem erreichen können. Aber nicht jede Gemeinde braucht ein eigenes Freibad und einen eigenen Gondelbetrieb. Wir müssen die Infrastruktur von Gemeinden zusammenschließen. Die Raumplanung muss ein Landesentwicklungsprogramm enthalten, Regionen müssen gebildet und gemeinsame Entwicklungspläne erstellt werden.
  • Wir brauchen Nutzungsänderungen, ein Hotel soll nicht nur ein Hotel sein dürfen. Möglich ist etwa eine Adaptierung zu Alters- und Pflegeheimen und Jugendstartwohnungen oder ein Umbau in Personalunterkünfte für aktive Betriebe. 
  • Wir brauchen eine Rahmenkompetenz für Raumplanung auf Bundes­ebene mit dem Ziel einer überörtlichen Steuerung, die den Spielraum der Gemeinden bei der Flächenwidmung klar definiert. Der Bund soll dabei keinem neuen Zentralismus frönen, aber er muss Kontrollfunktionen wahrnehmen, um Willkür auf regionaler Ebene Einhalt zu gebieten. 

Nachhaltiger Tourismus kann nur im Einklang mit der Natur und der Bevölkerung funktionieren.

  • Landes- und Bundeszuschüsse für Bauaufgaben sind an Qualitätskriterien zu binden. Gelder für die Infrastruktur dürfen nur mehr vergeben werden, wenn positive Auswirkungen auf das Siedlungsverhalten festgestellt werden. Die Wohnbauförderung torpediert jede Bemühung zur Reduktion des Bodenfraßes und gehört rasch reformiert.
  • Aufgaben der Länder sind in der Raumordnung klar definiert. Auf die einzelne Parzelle bezogen, liegt die Entscheidung aber auf Gemeindeebene. Für Vorhaben, deren Auswirkungen über die Gemeinde hinausgehen – Einkaufszentren, Appartementhäuser etc. –, bedarf es einer Steuerung durch die Länder und Eingriffsmöglichkeiten des Bundes. Die Aufsichtsfunktion muss von den Ländern endlich wahrgenommen werden!

Statt größer, weiter, schneller muss der Tourismus nachhaltiger werden. Tourismus funktioniert nur im Einklang mit der Natur und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Wintertourismus funktioniert nur mit Schnee, und dieser kommt uns durch den Klimawandel abhanden. Eine flächendeckende Schneedecke wird in Zukunft nur mehr auf über 1.200 Höhenmetern zu finden sein. Uns schmelzen aber nicht nur Schnee und Gletscher davon, auch das Inter­esse der Stadtbevölkerung am Wintersport schmilzt. Vom Umsatzbringer Wintertourismus müssen wir uns daher verabschieden.

Schonungslose Offenheit gefragt

Wir brauchen Konzepte für einen qualitätsvollen und nachhaltigen Ganzjahrestourismus und eine enge Kooperation der Gemeinden und Destinationen. Das Schrebergartendenken muss ein Ende haben. Die Jobs im Tourismus müssen flexibler und familienfreundlicher werden, das setzt eine hochwertige Kinderbetreuung voraus. Die Betriebe werden sich mit den Gemeinden und Ländern etwas überlegen müssen. 

Ein ganzjähriges touristisches Erlebniskonzept schafft durchgängige Beschäftigung und damit eine Perspek­tive. Halligalli im Winter und braune Hänge im Sommer – das ist vorbei. Aber schonungslose Offenheit und Leidensdruck waren immer schon der beste Motor für Innovation. Stellen wir uns dem nicht, fährt das Tourismusland gegen die Wand.

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Conclusio

Die Pandemie machte die Bedeutung des Tourismus erst richtig sichtbar. Etliche Betriebe waren geschlossen und zigtausende Mitarbeiter ohne Arbeit. Mit Ischgl als Hotspot in Europa richtete sich die internationale Aufmerksamkeit auf den Massentourismus. Überangebot und knappe Margen in der Branche führen dazu, dass Quantität vor Qualität geht. Dabei gibt es große Probleme zu lösen: Der Lebensraum, der Österreich für Gäste so attraktiv macht, wird sukzessive verbaut. Der Klimawandel gefährdet die Pisten. Und der Mangel an Fachkräften spitzt sich zu. Konzepte für einen qualitätsvollen und nachhaltigen Ganzjahrestourismus sind dringend nötig. Statt Schrebergartendenken müssen Bund, Länder und Gemeinden überregionale Konzepte umsetzen. Zudem müssen Jobs in der Branche familienfreundlicher sein.