Die fixe Idee der Populisten
Populismus und die Verwerfungen der Globalisierung haben miteinander zu tun. Allerdings nur in den Köpfen derjenigen, die den freien Markt ablehnen.
Ende September 2022 hat Italien ein neues Parlament gewählt. Wie erwartet, hat das von der rechtspopulistischen Partei Fratelli d'Italia angeführte Bündnis die absolute Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments erreicht.
Zu den Wahlversprechen der Fratelli gehören die auch hierzulande bekannten Forderungen nach höheren Ausgaben, etwa für Pensionen, kombiniert mit niedrigeren Steuern. Die Staatsschulden würden auf diese Weise weiter wachsen und Italien die Europäischen Fiskalregeln weiterhin verletzen. Ob die neue Premierministerin wirklich auf Konfrontationskurs mit der EU gehen wird, ist noch offen. Viel wichtiger aber ist die Frage, warum das nächste Land in die Hände von Rechtspopulisten kippt.
Populismus und Staatsverschuldung
Hängt der Rechtsruck mit der Entwicklung der italienischen Wirtschaft zusammen? Möglicherweise. Die italienische Staatsverschuldung hat die Marke von 150 Prozent überschritten, die Kosten der Zinsen belaufen sich jährlich auf 3,5 Prozent des BIP (in Österreich sind es knapp über ein Prozent). Angesichts der steigenden Leitzinsen der EZB steigt auch die Nervosität der Investoren – der Spread der italienischen Anleihen ist erneut gestiegen, auf ein Niveau, das zuletzt im Frühling 2020 beobachtet wurde – also vor der „Whatever It Takes-Ankündigung“ der Europäischen Zentralbank (EZB) anlässlich der Coronakrise.
Die EZB hat die Renditen italienischer Anleihen viele Jahre lang gedeckelt, womit die fiskalische Risikoprämie zwar gedämpft, aber nicht beseitigt wurde. Da ausländische Investoren nicht die gewünschte Rendite erhalten, verkaufen sie. Letztendlich wird nur noch die italienische Zentralbank Anleihen halten.
Die wahren Gründe der Inflation
Währenddessen stagnieren die Realeinkommen der Bevölkerung, sie lagen im Jahr 2021 bei knapp über 28.000 Euro pro Person. Gemessen an der Kaufkraft ist das im Vergleich zu 2007 ein Rückgang um fast zehn Prozent. Zuletzt waren die Einkommen im Jahr 1999 so niedrig.
Sündenböcke und Feindbilder
Unter solchen Bedingungen wird nach Sündenböcken gesucht, und meist sind sie auch schnell gefunden: Im Deutschland der Zwischenkriegszeit schob man Juden die Schuld an der wirtschaftlichen Misere zu. Dieser Antisemitismus gipfelte im Holocaust. Das Prinzip der Feindbilder und Sündenböcke ist ein sich wiederholendes Muster: Hinter dem Eisernen Vorhang, waren es die „Spekulanten“. Heutzutage sind es die Europäische Union, die korrupten Eliten, die Globalisierung und natürlich die Ausländer. Das Muster wiederholt sich in verschiedenen Ländern – in den USA, dem Vereinigten Königreich, in Frankreich – immer wieder aufs Neue.
In der Forschung wurden die Erfolge der Rechtspopulisten mit den Erfolgen der Globalisierung in Verbindung gebracht. Die wohl bekanntesten Ergebnisse beziehen sich auf den so genannten „China-Schock“ in den USA: Schätzungsweise zwei Millionen ArbeitnehmerInnen haben in den durch die traditionelle industrielle Produktion geprägten Regionen ihren Job verloren, weil Importe aus China billiger wurden als heimische Produkte. In letzter Konsequenz führte dies zum Wahlerfolg des populistischen Außenseiters Donald Trump. Ähnliche Ergebnisse findet man in den Studien über den Brexit, Frankreich oder Italien.
Die Hypothese, dass die Globalisierung und ihre Verlierer für den Aufstieg des Populismus (mit)verantwortlich sind, scheint empirisch belegt zu sein. Sind also die Forderungen nach Anti-Globalisierung und Protektionismus richtig? Absolut nein.
Ist die Globalisierung schuld?
Die Globalisierung produziert Gewinner und Verlierer: Unternehmen, die in Konkurrenz zu billigeren Produktionsstandorten stehen, müssen oft den Markt verlassen. Die am wenigsten produktiven halten nicht mit. Günstigere Importe helfen aber anderen Unternehmen am Markt: Jene, die Rohstoffe importieren oder selbst exportieren, werden produktiver, und die steigende gesamtwirtschaftliche Nachfrage sorgt dafür, dass mehr Arbeitsplätze entstehen.
Selbst die Literatur zum China-Schock in den USA kommt zu dem Schluss, dass netto um fast zwei Millionen mehr Jobs neu entstanden als verloren gegangen sind. Durch die niedrigeren Preise der importierten Güter profitieren auch die Konsumenten – und zwar vorwiegend die, die auf günstige Produkte besonders angewiesen sind.
Insgesamt müssen wir ein positives Bild von den Ergebnissen des freien Handels zeichnen. Das bedeutet aber nicht, dass man die Sorgen von Betroffenen ignorieren oder kleinreden darf. Die Vorteile des internationalen Handels sollten, so oft es nur geht, thematisiert werden: auch Europa hat vom Handel mit China und der Osterweiterung massiv profitiert. Aber diese positiven Effekte sind viel weniger greifbar als eine Werkschließung, die man am eigenen Leib erfährt.
Der Traum geht weiter – in Texas
Kurzfristige Friktionen, die Verlierer produzieren, können und sollten abgefedert werden – aber das ist eine Aufgabe der nationalen Sozialpolitik, durch Handelsbeschränkungen lässt sich das nicht lösen. Eine aktuelle Studie der Ökonomen Pablo D. Fajgelbaum und Amit K. Khandelwal zeigt, dass die Importzölle Donald Trumps gerade in jenen Wahlbezirken, in denen die Wahlergebnisse der republikanischen Kandidaten auf wackligeren Füßen standen, besonders hoch angesetzt wurden. Paradoxerweise hat der Handelskrieg von Trump dann ausgerechnet in diesen Bezirken für noch höhere Wohlstandsverluste gesorgt.
Die richtige Antwort auf Populismus
Was heißt das nun für Italien? Die wirtschaftliche Misere des Landes ist vergleichbar mit der Situation im US-amerikanischen Rust Belt. Weder die Globalisierung noch die europäische Integration sind Schuld daran, dass Italiens Wirtschaft an Attraktivität eingebüßt hat. Vielmehr hat sie die bereits vorhandenen strukturellen Probleme offenbart, es hat also, wie Warren Buffet es plakativ formulierte, die Ebbe gezeigt, wer ohne Badehose geschwommen ist.
Ein Hoch auf die Globalisierung
Die richtige Antwort auf den wachsenden Populismus ist deshalb nicht, die internationalen Märkte zu verlassen oder Migration zu verbieten – im Gegenteil. Stattdessen braucht es umfassende strukturelle Reformen, den Abbau von Arbeitsmarktbarrieren, um schnellere Anpassungen an neue Situationen möglich zu machen, und eine zielgerichtete Sozialpolitik.
Eine weitere Lektion aus der politischen Ökonomie des Populismus bietet sich uns nun im Kontext der Energiekrise: Durch die enorm gestiegenen Produktionskosten der europäischen Industrie droht ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten, insbesondere gegenüber China und den USA. Wenn Österreich und Deutschland das Schicksal des Rust Belt nicht teilen wollen, müssen auch hier dringend Reformen und eine sinnvolle sozialpolitische Unterstützung angepackt werden. Bleibt das aus, müssen wir mit höchst unangenehmen Konsequenzen rechnen – nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch mit Hinblick auf die politischen Machtverhältnisse.