Warmer Wind über dem Atlantik

Europa erhofft sich von US-Präsident Joe Biden eine Rückkehr zur Normalität – aber der Fokus der US-Außenpolitik wird nicht auf Europa, sondern in Asien liegen.

US-Präsident Joe Biden steigt in Georgia aus einem Flugzeug
US-Präsident Joe Biden: Wie wird er mit Europa umgehen? © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Knappe Mehrheit. Der neue US-Präsident Joe Biden hat im Kongress nur eine hauchdünne Mehrheit, was seine Handlungsfreiheit einschränkt.
  • Pro Klima und Gesundheit. Die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen und ein Wiedereintritt in die Weltgesundheitsorganisation konnte er trotzdem beschließen.
  • Andere Prioritäten. Zu viel darf sich Europa aber nicht vom neuen US-Präsidenten erwarten, dessen Hauptsorge China sein wird.
  • Gemeinsame Sache. Das wird sich in den Beziehungen zu Europa widerspiegeln: Biden wird von Europa verlangen, seine Maßnahmen gegen China mitzutragen.

Nach der Wahl von Joseph Biden zum neuen US-Präsidenten hoffen viele auf ruhigeres transatlantisches Fahrwasser. Die Europäer möchten Bidens Ankündigung einer kooperativen US-Außenpolitik, die Verbündete nicht bestraft, sondern in Richtungsentscheidungen mit einbezieht, gerne Glauben schenken. In den vier Jahren „America First“-Politik unter Donald Trump hat jedoch das Vertrauen zwischen beiden Partnern gelitten. Angesichts der tiefen Spaltung der USA stellt sich außerdem die Frage, inwieweit der neue Präsident die außenpolitische Linie seines früheren Vorgesetzten, Ex-Präsident Barack Obama (2008-2016), überhaupt fortsetzen kann.

Regieren mit einer hauchdünnen Mehrheit

Nach den turbulenten US-Präsidentschafts- und Kongresswahlen und der schwierigen Übergangsphase, die von der historisch einzigartigen Nichtanerkennung des Wahlergebnisses durch den amtierenden Präsidenten und einem zweiten Impeachment-Verfahren nach dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol in Washington gekennzeichnet war, lässt sich eine Tatsache nicht von der Hand weisen: Auch nachdem Donald Trump das Weiße Haus verlassen hat, bleiben die Polarisierung des politischen Systems und der Populismus als treibende Kraft in der US-Politik erhalten. Das liegt zum einen daran, dass sich die Republikanische Partei (noch) nicht vom Machtanspruch und den politischen Methoden Trumps gelöst hat. Zum anderen hat Trump in einigen Bereichen der US-Außenpolitik Fakten geschaffen, die über seine Amtszeit hinaus fortwirken – etwa in der Weise, in der unilaterale Handelszölle und Sanktionen, auch gegenüber Verbündeten, zum Einsatz kamen.

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Zahlen & Fakten

Biden ist in der Lage, in einigen Bereichen symbolische Änderungen vorzunehmen.

In Anbetracht der sehr knappen politischen Mehrheit für die Demokraten im US-Kongress fällt es schwer, sich eine vollständige Umkehr von der Politik Trumps in den nächsten vier Jahren vorzustellen. Wie frühere Präsidenten wird auch Biden für zentrale außenpolitische Projekte auf eine überparteiliche Zustimmung angewiesen sein. Sonst droht die Umkehr seiner Politik wie zuletzt unter der Trump-Regierung, die direkt nach der Amtsübernahme zentrale Projekte Obamas mit einem Schlag rückgängig gemacht hat. Dennoch wäre Biden auch ohne breite politische Mehrheiten in der Lage, in einigen Bereichen symbolische Veränderungen vorzunehmen. Er hat beispielsweise bereits veranlasst, dass die USA zum Pariser Klimaabkommen und auch in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurückkehren. Biden hat auch den mit Russland ausgehandelten Vertrag über die Begrenzung von Atomwaffen (New Start) für fünf Jahre verlängert.

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Zahlen & Fakten

US-Außenpolitik: Was Biden tun kann

Biden kann zudem veranlassen, dass die USA sich erneut in Verhandlungen über neue Regeln und Verfahren innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) konstruktiv einbringen. Und er kann seine besten Diplomaten  instruieren, um – in Abstimmung mit wichtigen Verbündeten – alles daran zu setzen, um mit dem Iran ein neues und verbessertes Abkommen zur Kontrolle der Nutzung nuklearen Materials und auch nicht-nuklearer Waffen auszuhandeln. Strebt aber die Biden-Regierung in den genannten Bereichen langfristige Lösungen an, denen nicht bei jedem Regierungswechsel die Aufhebung durch die Amtsnachfolger droht, wird sie breitere Mehrheiten im Kongress dafür gewinnen müssen.

Letztlich werden beide Häuser des Kongresses zustimmen müssen, wenn internationale Verträge geändert oder ganz neuen Abkommen verabschiedet werden sollen. Ob es um neue, plurilaterale Abkommen im WTO-Rahmen – etwa zu unzulässigen staatlichen Subventionen, zum digitalen Handel oder dem Handel mit Medizinprodukten – oder um den Abschluss bilateraler Abkommen mit engen Handelspartnern gehen wird: Der US-Präsident benötigt dafür zunächst ein Mandat des US-Kongresses und später die Zustimmung zu den fertig ausgehandelten Verträgen. Auch wenn es um international vereinbarte neue Klimaschutzziele oder um nukleare oder konventionelle Rüstungskontrolle geht, wird Biden mit den Republikanern und in einzelnen Fällen – etwa bei geplanten Handelsabkommen – auch mit der innerparteilichen Opposition verhandeln müssen, um Ziele umzusetzen.

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Trump und Europa – eine schwierige Beziehung

Mai 2017Bei seiner ersten Auslandsreise wirft Trump den NATO-Staaten vor, das Bündnis finanziell nicht ausreichend zu unterstützen.
Juni 2017Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen.
Mai 2018Die USA steigen aus dem Iran-Deal aus, der von seinem Vorgänger Barack Obama, den Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrat und der EU abgeschlossen wurde.
Juni 2018Strafzölle für die EU-Staaten werden beschlossen. Trump verweist auf die höheren Zölle in Europa.
Juli 2020Die USA steigen aus der Weltgesundheitsorganisation WHO aus. Trump wirft ihr vor, zu China-freundlich zu sein.
Juli 2020Zehntausende Soldaten aus US-Basen in Deutschland werden abgezogen, weil Trump Deutschland vorwirft, sich finanziell nicht stark genug an der NATO zu beteiligen.

China als einigendes Element

Neben den genannten innenpolitischen Widerständen sprechen auch eine Reihe externer Faktoren dagegen, dass die neue Biden-Regierung nahtlos an die außenpolitische Agenda der Obama-Regierung anknüpfen wird. Zwar begann schon in den letzten Amtsjahren der zweiten Obama-Regierung ein Umdenken in der Außenpolitik gegenüber China unter der Führung von Xi Jinping. Heute ist kein anderes außenpolitisches Thema relevanter für die USA als China. Es wird nicht mehr nur als wirtschaftlicher Wettbewerber, sondern zunehmend auch als geopolitischer Rivale gesehen.

In dieser Einschätzung stimmen sowohl Demokraten als auch Republikaner überein. Hat auch Joe Biden als Präsidentschaftskandidat in einem Fernsehinterview kurz vor der Wahl noch geäußert, dass er Russland für die größte strategische Bedrohung der USA hält, während er China primär als wirtschaftlichen Konkurrenten beschrieb, so hat längst ein Umdenken eingesetzt. Strategiedokumente der Biden-Regierung, außenpolitische Reden und bereits gefällte Entscheidungen wie der schnelle Afghanistan-Rückzug zeigen, dass die strategische Konkurrenz mit China an erste Stelle steht. Andere Ziele sind nachrangig.

Die USA werden mit Europa weiter kritisch ins Gericht gehen.

China wird ganz klar auch als Bedrohung in der Sicherheitspolitik und als autoritäre Kraft von historischem Ausmaß identifiziert, die sich dem westlichen Modell einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft entgegenstellt. Gerade weil Chinas Aufstieg zu einem möglichen geopolitischen Gegenspieler auf US-Seite so großen Widerstand hervorruft und damit die tiefen Gräben zwischen den Parteien zu überdecken verspricht, wird es das dominante Thema der nächsten Jahre bleiben. Die Abwehr möglicher chinesischer Angriffe auf die wirtschaftliche Prosperität und sicherheitspolitische Vorherrschaft der USA, die unter der Trump-Regierung zum Leitmotiv der Außenpolitik wurde, bleibt auch unter der Biden-Regierung weiterhin oberste Priorität.

USA werden mit Europa hart ins Gericht gehen

In den transatlantischen Beziehungen wird daher die Abwehr chinesischer Unternehmen vom europäischen Markt, vor allem in sicherheitspolitisch relevanten Produktions- und Technologiebereichen, eine große Rolle spielen; genauso die Abwehr von Versuchen politischer Einflussnahme durch Beijing. Kaum ein anderes Beispiel zeigt die Bedeutung Chinas für das Verhältnis der USA zu Europa so gut wie die Frage, ob das chinesische Unternehmen Huawei weiter am Ausbau des 5G-Telefonnetzes beteiligt wird. Abwehr chinesischer Einflussnahme wird über Jahre ein Querschnittsthema in den Beziehungen zwischen der EU und den USA bleiben.

Washington wird von den Europäern mehr Maßnahmen fordern, um den Binnenmarkt und auch die Gesellschaft widerstandsfähiger gegen chinesische Einflussnahme zu machen. Über die Frage des Ausbaus der Telekommunikationsnetzwerke hinaus, werden die USA mit Europa auch in anderen Bereichen kritisch ins Gericht gehen, beispielsweise wenn es um die Beteiligung chinesischer Unternehmen an europäischen Firmen geht. In einigen Bereichen könnten Forderungen an die Europäer wachsen, die Handels- und Sanktionspolitik in Abstimmung mit Washington verstärkt dazu einzusetzen, China wegen Regelverstößen in der Handelspolitik oder wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen zu bestrafen.

Schnittmenge Green Deal

Joe Biden hat im Wahlkampf seinen Wunsch klar gemacht, das eigene Land nach der Corona-Krise wieder „neu und besser“ aufzubauen und dabei gleichzeitig den wirtschaftlichen Protektionismus der Trump-Jahre zurückzudrängen. Als Präsident setzt Biden auf globale Kooperation mit anderen Staaten, um Probleme zu bekämpfen, die sich nicht allein im nationalstaatlichen Rahmen lösen lassen. Gerade die transatlantische Gemeinschaft bietet der Biden-Regierung hierfür einen geeigneten Ausgangspunkt.

Die EU-Kommission hat mit dem European Green Deal bereits einen Plan für europäisches Wirtschaftswachstum und die Umstrukturierung der Wirtschaft vorgelegt. Gerade in der Klimapolitik könnten konkrete, gleichzeitig umgesetzte politische Maßnahmen zur Erreichung der Pariser Klimaziele ihre Wirkung wechselseitig verstärken. die konkrete Umsetzung bedarf allerdings einer feinfühligen Abstimmung zwischen den Europäern und der Biden-Regierung. Im Juli 2021 führte die ein  umfassendes Maßnahmen-Paket „Fit for 55“ ein, das neben anderer Regulierung einen Grenzausgleichsmechanismus für CO2-intensiv produzierte Importgüter in den Bereichen Elektrizität, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel und Zement, vorsieht.

Die Biden-Regierung sieht den geplanten Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) der EU jedoch kritisch, weil er gegen WTO-Regeln verstoßen könnte. Die Demokraten werden vorerst keinen eigenen CO2-Preis und bundesweiten Emissionshandel in den USA einführen. Hierzu fehlen die notwendigen politischen Mehrheiten im Kongress. Beobachter rechnen mit Spannungen im transatlantischen Verhältnis. Noch bleibt jedoch Zeit für eine Einigung über abgestimmte Klimamaßnahmen, bevor die EU den CBAM ab 2023 abgestuft einführen will.

Zerschlagenes Porzellan

Global erreicht die Biden-Regierung also mehr, wenn sie mit Europa an einem Strang zieht. Um eine koordinierte transatlantische Wirtschafts- und Klimapolitik voran zu bringen, müssen jedoch Europa und die USA bestehende Differenzen in einigen zentralen Bereichen ruhen lassen. Hierzu zählen Konflikte in der Handelspolitik, in der Energiepolitik (einschließlich energiebezogener US-Sanktionen) und in der Digitalpolitik. An Vorschlägen, wie hier Konflikte beigelegt werden könnten, mangelt es nicht. Da jedoch in den vergangenen Jahren, nicht allein von US-Seite, jedoch zu großen Teilen von unilateralen Entscheidungen Washingtons ausgehend, viel Porzellan zerschlagen wurde, steht der Aufbau von Vertrauen zwischen den transatlantischen Partnern wohl an erster Stelle.

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Conclusio

US-Präsident Biden versucht die Ära Trump vergessen zu machen. So machte er etwa den Ausstieg aus dem Klimaabkommen und aus der WHO rückgängig. Aber Europa ist für die USA vor allem in einem Punkt wichtig: Bei der gemeinsamen Abwehr von Versuchen chinesischer Einflussnahme. Zunächst muss jedoch das Vertrauen wieder hergestellt werden: In den vergangenen Jahren wurde zwischen Europa und den USA viel Porzellan zerschlagen – von beiden Seiten.