Fuscher Lacke, Großglockner

Bedrohter Schatz: Das Wasser der Alpen

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Auf den Punkt gebracht

  • Gestörter Kreislauf. Der Wasserkreislauf ist durch Klimawandel, Erderwärmung, zerstörte Böden, Entwaldung und Versiegelung aus den Fugen geraten.
  • Am falschen Ort. Das Wasser ist nicht mehr dort wo es gebraucht wird. Es kommt in den Alpen ebenso zu Dürren wie zu Überflutungen.
  • Hoher Bedarf. Wenn die Bevölkerung wächst, steigt auch der Wasserverbrauch, doch die Wasserressourcen werden immer geringer.
  • Wege aus der Wasserkrise. Der Wassermangel ist kein Schicksal – Aufforsten, Zwischensaaten, Entsiegelung und Renaturierung sind Lösungen.

Wasser kann eigentlich nicht knapp werden. Lokale und globale Wasserkreisläufe sorgen dafür, dass auch „verbrauchtes“ Wasser früher oder später zurückkehrt. Auch das Wasser der Alpenregionen ist Teil dieser Wasserkreisläufe, kein Tropfen geht je verloren. Ist die Frage, ob Wasser knapp werden kann, also falsch?

Leider nein. Erst kürzlich etwa hat eine Studie im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums anhand einer Vielzahl von Szenarien für Österreich festgestellt, dass das verfügbare Grundwasser bis 2050 um 23 Prozent abnehmen könnte. Das Risiko, dass in einigen Regionen – vor allem im Osten der Republik – das Wasser in den kommenden drei Jahrzehnten knapp wird, steigt.

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Zahlen & Fakten

Wasser wird auf Feldern zur Bewässerung verteilt
Felder in Niederösterreich: Bereits im März musste 2022 zusätzlich bewässert werden. © Picturedesk

Wenn der Schnee ausbleibt

Die beiden Hauptursachen für das mögliche Knappwerden sind der höhere Wasserbedarf einer stetig wachsenden Bevölkerung und der Klimawandel. Der Klimawandel ist dabei ein schwer einzuschätzender und zugleich mächtiger Faktor: Die Erderwärmung verändert den Wasserhaushalt und die Landschaften der Alpen nämlich grundlegend. Die Erderwärmung sorgt – verkürzt gesagt – dafür, dass das Wasser nicht mehr dort ist, wo es gebraucht wird.

Unter den Bedingungen des Klimawandels ist zunächst mehr Wasser dort, wo sonst keines ist oder zumindest früher weniger war: 2016 wollten Forscher des Schweizer Wasserforschungsinstituts wissen, wie viele neue Gletscherseen in den Schweizer Alpen seit dem Ende der sogenannten Kleinen Eiszeit, also seit etwa 1850, durch die Erderwärmung entstanden sind. Das Ergebnis: Die schmelzenden Gletscher hatten 1.192 neue Gletscherseen geschaffen. 180 dieser neuen Seen waren innerhalb von nur zehn Jahren entstanden, zwischen 2006 und 2016. Offenbar hatten sich die Zuwachsraten schon seit 1946 immer mehr beschleunigt. Tatsächlich entstehen Gletscherseen heute bereits zehnmal so schnell wie von 1850 bis 1945 und dreimal so schnell wie 1946 bis 2006.

Konfliktstoff Wasserkraft

Das Wasser, das die Gletscher freigeben, strömt immer früher und in immer größeren Mengen ins Tal, in Kombination mit dem tauenden Permafrost fördert das die Gebirgserosion. Steinschlag, Muren, Lawinen: Mit steigenden Temperaturen wird der Wasserreichtum der Alpen zur exponentiell wachsenden Gefahr. Oder auch zu einer Chance? 2019 errechnete das Schweizer Bundesamt für Energie, dass die neuen Gletscherseen gut 700 zusätzliche Gigawattstunden Strom bereitstellen könnten, würde man sie zu Stauseen ausbauen.

Die Überlegungen sind bereits weit gediehen: Als besonders vielversprechend für die neue Wasserkraft gelten zum Beispiel der Aletsch-, der Rhone- oder auch der Triftgletscher. Der Hydrologe Rolf Weingartner von der Universität Bern sieht alte Konflikte um das Wasser und seine Nutzung wieder aufleben: „Klimawandel und Energiekrise machen es noch dringlicher, eine Lösung zu finden“, sagt er. Es gehe um die grundsätzliche Frage, ob man die neuen Seen überhaupt nutzen sollte. Der Aletschgletscher liegt beispielsweise in einem UNESCO-Weltnaturerbe-Gebiet; über das geplante Wasserkraftwerk des Triftgletschers wird mit zunehmender Erbitterung gestritten.

Auch in Deutschland, das für seine Wasserversorgung vor allem auf Grundwasser angewiesen ist, mehren sich die Vorboten kommender Wasserkonflikte. Der größte Wasserverbraucher in Deutschland ist der Energiesektor, wobei speziell der Kohleabbau enorme Wassermengen verschlingt.

Der Wasserkreislauf gerät aus dem Lot

Die beschleunigte Gletscherschmelze betrifft eines der bedeutendsten Süß­wasserreservoire der Erde. So attraktiv die neuen Gletscherseen auf den ersten Blick sein mögen – für die nachhaltige Versorgung der Region Alpen mit Wasser ist es kein gutes Zeichen, wenn die Gletscher zu früh im Jahr zu viel Wasser freigeben. Zumal sich die Gletscher nicht mehr wieder aufbauen, weil zu wenig Schnee fällt. Und je weniger Schnee fällt, desto früher liegen Felsen brach, die dann weit weniger Sonnenenergie zurückspiegeln, was wiederum bedeutet, dass die Erderwärmung schneller fortschreitet. Es ist eine negative Rückkopplung. Der Glaziologe Matthias Huss von der ETH Zürich twitterte kürzlich ein erstes Fazit einer einwöchigen Hitzewelle jetzt im Juni: 300 Millionen Tonnen Wasser in Form von festem Schnee und Eis haben die Schweizer Gletscher in einer einzigen Juniwoche verloren. In Deutschland ist die Zugspitze eisfrei.

Wie viel Wasser zur Verfügung steht, hängt nicht nur vom Niederschlag ab.

Süßwasser gibt es auf der Erde nur wenig und wie eine Studie zeigt, sind die Grenzen der Süßwasservorräte der Erde bereits überschritten. Ein paar Zahlen: 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser gibt es auf der Erde, rund 500.000 davon sind stets durch Niederschlag und Verdunstung in Bewegung. Der flüssige Zustand – Weltmeere, Flüsse, Seen, Grundwasser – ist nur einer von vielen.

Der größte Teil des Wasservorkommens der Erde, etwa 97 Prozent, ist Salzwasser. Von den 38 Millionen Kubikkilometern Süßwasser lagern 29 Millionen Kubikmeter gefroren in Eis und Gletschern, 9,5 Millionen Kubik­kilometer sind tief liegendes Grund­wasser in der Erdkruste. Letztendlich bleiben weltweit nur rund 140.000 Kubikkilometer Süßwasser, die tatsächlich verfügbar sind.

Illustration des Wasserkreislaufs
Der Wasserkreislauf. Dieses Gefüge gerät durch die Erderwärmung aus dem Lot. © Carolin Eitel

Wie viel Wasser zur Verfügung steht, hängt nicht allein vom Niederschlag ab. Das Wasser befindet sich in einem Kreislauf. Für die Verfügbarkeit von Wasser kommt es auf alle Elemente dieses Kreislaufs an, vor allem auf die natürlichen Speichermedien und Transporteure des Wassers: die Gletscher, die Vegetation, der Boden und die Feuchtgebiete. Für die stetige Neubildung von sauberem Süßwasser ist die Vegetation entscheidend. Pflanzen halten den Kreislauf in Gang.

Das Prinzip des Kreislaufs ist einfach: Durch die Sonneneinstrahlung verdunstet Wasser über Land und Meer und wird durch Luftströmungen weitertransportiert. Es kondensiert schließlich, weil es in höheren Luftschichten abkühlt, und fällt als Schnee, Eis oder Regen wieder zur Erde. Ein Teil wird in Eis und Gletschern gespeichert, ein anderer fließt mit den Flüssen wieder ins Meer, ein weiterer Teil wird vom Boden und in Pflanzen aufgenommen und landet schließlich – wieder – im Grundwasser.

Wie aus genug zu wenig wird

Die Erderwärmung bringt diesen Wasserkreislauf durcheinander: Wasser verdunstet durch die höheren Temperaturen schneller und bleibt als Wasserdampf zunächst in der Atmosphäre hängen, weil wärmere Luft mehr davon aufnehmen kann. Die Atmosphäre bläht sich regelrecht auf. Kühlt der Wasserdampf schließlich doch ab, kommt das Wasser als sintflutartiger Starkregen nieder.

Geschieht dies dort, wo der Boden entweder durch Verkehrsflächen und Gebäude versiegelt ist oder aber – wie die meisten Ackerflächen – stark verdichtet, versickert dieses Wasser nicht mehr. Es trägt damit nicht mehr zur Neubildung von Grundwasser bei.

In den Bergen bringen die höheren Temperaturen den Kreislauf des Wasser durch die Gletscherschmelze in Gefahr. Die saisonale Gletscherschmelze setzt früher und beschleunigt ein, in der Folge steigt das Risiko von Sturzfluten und Überschwemmungen in den Tälern. Die Gletscher bilden im Wasserkreislauf normalerweise ein Reservoir, das im Zyklus der Jahreszeiten die Wasserversorgung sicherstellt, wenn die Vegetation es braucht.

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Zahlen & Fakten

Niederschläge werden unberechenbar: In den Bergen gibt es mehr davon, jedoch fällt immer weniger Schnee; in den Tälern und Ebenen kommt es gleichzeitig häufiger zu Dürren wie zu Extremregen. Eine Studie europäischer und US-amerikanischer Agrarwissenschaftler kam 2019 zu dem Schluss, dass bis zum Ende des Jahrhunderts ein Gürtel schweren Wassermangels genau dort entstehen wird, wo heute der meiste Weizen produziert wird. Der Osten Österreichs liegt ebenfalls in dieser Zone.

„Es kommt jetzt darauf an, Niederschläge in der Region zu halten“, sagt Klaus Haslinger, Hydroklimatologe an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien. Haslinger hat untersucht, wie sogenannte Dürredekaden, Jahrzehnte extremer Trockenheit, entstehen. Eine seiner Studien zeigt, dass eine vermeintliche „Jahrhundertdürre“ wie jene von 2003 bald alle 8 bis 15 Jahre auftreten kann.

Ein bedeutender Faktor, um Dürren zu verhindern oder ihre Auswirkungen zu mildern und zumindest für lokale Verdunstungsniederschläge zu sorgen, ist der Boden. Boden, der viel Pflanzenmaterial – etwa aus Zwischensaaten oder durch mehrjährige Sorten – enthält, kann bis zu fünfmal mehr Wasser speichern als ein Boden, der im Winter brach liegt. Ebenso wichtig: Aulandschaften, Sümpfe und Moore, die Wasser reinigen, zur Grundwasser­neubildung beitragen, den lokalen Wasseraustausch in Gang halten und zusätzlich CO² speichern. Die österreichische Grundwasserstudie empfiehlt außerdem, Flächen zu entsiegeln, damit mehr Wasser über den Boden ins Grundwasser gefiltert wird. Derzeit versickern rund 27 Prozent des Niederschlags im Grundwasser.

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Zahlen & Fakten

Wasser in den Alpen wird knapp: Foto eines schmelzenden Gletschers
Ein schmelzender Gletscher in der Schweiz. © Getty Images

5 Ideen gegen Wassermangel

  1. Keine Brachen. ­Brachen nach der Ernte im Sommer ­fördern Bodenerosion. Umgekehrt wird Boden zu einem guten Wasserspeicher und Wasser­filter, je mehr Pflanzen wachsen und je viel­fältiger diese sind. Zwischensaaten stärken den Boden als Filter und Speicher von Wasser.
  2. Entsiegelung. Regenwasser, das von den ­Böden aufgenommen werden kann, trägt zur Grundwasser-Neubildung bei. Versiegelte Flächen hingegen bergen das ­Risiko von Überschwemmungen und Sturzfluten: Wo Straßen und Gebäude sind, fließt das Wasser einfach ab.
  3. Schwammstädte. ­Zürich, Linz oder Wien starten mit neuen Straßenuntergründen erste Versuche, Regenwasser zurückzuhalten, um die Stadtbäume zu unterstützen und die urbane Hitze zu begrenzen. Bäume in der Stadt können die Temperaturen deutlich senken und helfen, das Wasser in der Region zu halten. In China versuchen viele Städte den Anteil von betonierter Fläche zu reduzieren.
  4. Regionalität. Lebensmittel aus der Region sind an die Standorte angepasst, schützen lokale Wasserkreisläufe, ver­hindern die Übernutzung von Grundwasser und mildern so Klimawandelfolgen wie Dürren.
  5. Feuchtgebiete: Sümpfe, Moore und Auen filtern Wasser, reinigen es und sorgen für sauberes Trinkwasser; sie schützen vor Flutkatastrophen, kühlen ihre Umgebung und fördern lokale Niederschläge. Intakte und möglichst naturnahe Flusslandschaften sind für die Erneuerung des Grundwassers unverzichtbar.

Dass die neue Realität des aus den Fugen geratenen Wasserkreislaufs, der stete Wechsel von Dürren und Fluten auch für Europa nicht in einer fernen Zukunft liegt, spüren – in Europa – aktuell Staaten wie Italien, Spanien, Deutschland oder Österreich. Während extreme Trockenheit und Hitze Ernten bedrohen, sind zugleich die ersten Überschwemmungen und extremen Regenfälle wie zuletzt in Kärnten und in Oberösterreich zu verzeichnen.

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Conclusio

Auch die Alpenregionen sind nicht vor Wassermangel gefeit: Der Bedarf an Wasser steigt und zugleich nehmen die Ressourcen aufgrund des Klimawandels ab. Der Wasserkreislauf, der eigentlich dafür sorgt, dass immer genug „neues“ Wasser zur Verfügung steht, ist aus dem Lot geraten. Indikatoren sind die viel zu frühe Gletscherschmelze, der Mangel an Schnee und die Trockenheit, da das Wasser in einem wärmeren Klima schneller verdunstet. In Zukunft wird es deshalb häufiger zugleich zu Dürren und zu extremen Niederschlägen kommen. Ein ernster Wassermangel kann durch verschiedene Maßnahmen verhindert werden, etwa durch Entsiegelung, andere Anbaumethoden und die Renaturierung von Feuchtgebieten.