Kommerz im Dreivierteltakt

Johann Strauss Sohn, dessen 200. Geburtstag heuer gefeiert wird, war ein begnadeter Entertainer – und dank seiner Frau auch als Unternehmer sehr erfolgreich.

Dirigent Johann Strauss (Sohn) mit Kapelle im Jahr 1893.
Dirigent Johann Strauss (Sohn) mit Kapelle im Jahr 1893. Als einer der ersten Künstler wurde er mit Tourneen reich, und er konnte ein neues Geschäftsmodell in seiner Branche etablieren. © Alamy
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Auf den Punkt gebracht

  • Jubiläum. Wien feiert 2025 das Strauss-Jahr und würdigt damit einen Musiker, der das Musik-Business rund um den Erdball revolutionierte.
  • Businessman. Der Walzerkönig machte in Wien ein Vermögen mit Events, das er in Immobilien anlegte und dadurch vermehrte.
  • Globalist. Strauss‘ USA-Reise war eine der ersten großen Musiktourneen, die den Wiener Musiker weit über den eigenen Kontinent hinaus berühmt machten.
  • Geschäftsidee. Die Strauss-Familie machte das Prinzip Tantiemen als Einnahmequelle für Musiker gesellschaftsfähig.

Kurz vor Antritt seiner Amerikanischen Reise im Juni 1872 sah sich Johann Strauss mit dem Vorwurf des Mietwuchers konfrontiert. Der berühmte Immobilienbesitzer habe seine Mieter in einem Haus in der Wiedner Hauptstraße mit einer „horriblen Zinssteigerung“ um 100, in einigen Fällen sogar um 200 Prozent überrascht, vermeldete das „Neue Wiener Abendblatt“ am 8. Mai.

Strauss rechtfertigte sich tags darauf, ebenfalls über die Zeitung und via seinen Anwalt, er habe Investitionen in Höhe von 20.000 Gulden für das kürzlich erworbene Haus tätigen müssen und auch geplante Renovierungskosten in die Mietberechnungen einfließen lassen. Der öffentliche Schlagabtausch ging bis zum 17. Mai hin und her.

Strauss als Geschäftsmann

Der Vorfall belegt nicht nur, dass der Walzerkönig fünf Jahre nach Erstaufführung seines Donauwalzers, den er auch in Paris, London und Berlin zu großer Popularität gebracht hatte, ein wohlhabender Mann geworden war, der mehrere Zinshäuser besaß. Er macht auch den überhitzten Immobilienmarkt in der Donaumetropole ein Jahr vor dem großen Börsecrash im Mai 1873 sichtbar. Die brummende Baukonjunktur, eine Folge des Ringstraßen-Booms, hatte auch die Baukosten explodieren lassen, die von privaten Vermietern auf die Mieter übergewälzt wurden. Dazu kam ein in den fortschrittlichen Salons der Stadt eingezogener blinder Glaube an die Börse und kapitalistische Grundprinzipien.

So wie der aus der Vorstadt stammende Strauss, der in diesen Salons gern verkehrte, agierten viele Hausbesitzer. Auch bei den Geschäftsmieten langten die Eigentümer kräftig zu. Der Restaurateur Eduard Sacher, der vier Jahre später sein Hotel gleich hinter der Oper eröffnen sollte, musste für sein Geschäft im Palais Todesco, so berichtet das „Illustrirte Wiener Extrablatt“ am 14. Mai 1872, fortan statt 12.000 plötzlich 20.000 Gulden Miete pro Monat zahlen, eine Steigerung um 66 Prozent.

Immobilien & Spektakel

Das Palais gehörte den Brüdern Eduard und Moritz von Todesco, Letzterer war viele Jahre lang Partner der früheren Opernsängerin Jetty Treffz und Vater von zweien ihrer sieben Kinder. Frau Treffz heiratete 1862 jedoch den aufstrebenden Musiker Johann Strauss Sohn, den sie angeblich im Salon der Todescos kennen gelernt hatte. Ohne ihre Weitsicht, ihre Managementqualitäten und ihr diplomatisches Geschick wären Ruhm und Reichtum des Komponisten wohl eine Spur kleiner ausgefallen.

Strauss ökonomisch zu fassen ist deshalb eine Kunst, weil er selbst zwar an Geld, aber nicht an wirtschaftlichen Vorgängen interessiert war. Der gewieftere Unternehmer war sein Vater (1804-1849) gewesen, ein Pionier des Musik-Marketings, der lithographische Porträts auf die Cover seiner Musikstücke drucken ließ und so das Starprinzip vorantrieb. Veranstaltungen machte er zum Spektakel. Auf eigene Kosten inszenierte er aufsehenerregende Feste für Tausende Besucherinnen und Besucher, etwa „Eine Nacht in Venedig“ im Wiener Augarten 1833 und 1834, ein Event mit mehr als 20.000 Beleuchtungskörpern.

Johann Strauss‘ Reisen wurden zur Blaupause für Musiktourneen, der Wiener Walzer zur Exportware.

Seine Reisen durch Europa wurden zur Blaupause für Musiktourneen verschiedenster Genres in späteren Zeiten, der Wiener Walzer wurde zur Exportware. Als sein Sohn am 16. Juni 1872 in Boston ankam, wo er beim gigantischen Weltfriedensfest des irischstämmigen Impresarios Patrick Gilmore auftreten sollte, waren der Markenname „Johann Strauss“ und der dazugehörige Titel „Walzerkönig“ den Amerikanern bereits ein Begriff.

Auf das moderne Dampfschiff „Rhein“, das den 46-Jährigen von Bremerhaven in die USA brachte, wäre Strauss nie gestiegen, wenn seine um sieben Jahre ältere Frau und der Generalagent des Festivals, der extra dafür nach Wien gekommen war, ihn nicht entschieden geschubst hätten. Stärker als die Panik vor der Reise und der Angst zu ertrinken war am Ende die Aussicht auf gewaltige Einnahmen: 20.000 US-Dollar, dazu Reise- und Verpflegungskosten für ihn, seine Begleiterin, einen Diener und eine Zofe.

In Wien waren das 40.000 österreichische Gulden, nach heutiger Kaufkraft über eine halbe Million Euro. „In keiner europäischen Stadt würde er in 20 Jahren eine so hohe Summe verdienen“, schrieb Ende Juli 1872 die in London erscheinende „Musical World“ über Strauss.

Beginn des Showbiz

Ein Weltmarkt für Musik begann in diesen Jahren zu entstehen. Die USA waren gewillt, die Wunden des 1865 beendeten Bürgerkriegs schnell heilen zu lassen. „Schneller, höher, weiter“ war das Motto nicht nur im Städtebau, sondern auch im Entertainment. Für Gilmores World Peace Jubilee wurde ein eigenes Stadion mit einem Fassungsvermögen von 100.000 Personen errichtet.

„Great Coliseum“, Boston 1872. Für ein 18-tägiges Musikfestival errichtet, fasste die Halle bis zu 100.000 Zuschauer – und Strauss beschwingte alle mit seinem „Donauwalzer“. Das war der Auftakt einer lukrativen Konzertserie in den USA.
„Great Coliseum“, Boston 1872. Für ein 18-tägiges Musikfestival errichtet, fasste die Halle bis zu 100.000 Zuschauer – und Strauss beschwingte alle mit seinem „Donauwalzer“. Das war der Auftakt einer lukrativen Konzertserie in den USA. © Library of Congress / Mary Evans / picturedesk.com

Für das Orchester, das Strauss dirigieren sollte, waren 2.000 Musiker vorgesehen, dazu kam ein Chor aus 20.000 Sängerinnen und Sängern. In der Realität fielen die Zahlen etwas niedriger aus, auch weil das Stadion sechs Wochen vor Start des Festivals von einem Sturm niedergerissen wurde und etwas kleiner dimensioniert in Windeseile neu errichtet werden musste. Dennoch galten die Konzerte des Bostoner Festivals für mehr als hundert Jahre als die größten Konzerte der Welt, im größten Veranstaltungssaal – akustisch eher eine hölzerne Scheune – der Welt.

Superstar Strauss testete erstmals seinen Marktwert in diesem Global Business aus. Gewiefte Manager und PR-Berater umschwirrten ihn. Sie schätzten seine exzentrische Art zu dirigieren und seine Anziehungskraft auf das weibliche Publikum als potenziell hyperlukrativ ein. Deshalb wollten sie ihn auch zu Konzerten nach New York lotsen.

Strauss als Spitzenverdiener

Der Österreicher und seine Entourage pokerten hoch und verlangten 2.000 Dollar pro Auftritt. Am Ende wurden es 1.300 Dollar – also etwa die gleiche Summe, die er für einen ein- bis zweistündigen Auftritt auch in Boston durchschnittlich bekam.

Um die Relationen zu veranschaulichen: 1.300 Dollar entsprachen rund 2.600 österreichischen Gulden, heute in etwa 30.000 Euro. Dagegen erhielt, wie aus einer Notiz des k.k. Hofzahlamts hervorgeht, Johanns jüngster Bruder Eduard, sein Nachfolger als k.k. Hofballmusik-Direktor, für zwei Ballabende im Jänner 1872 nur 520 Gulden ausbezahlt, also 260 Gulden je Abend. Das wäre heute mit umgerechnet 3.000 Euro zwar ebenfalls ein stattliches Honorar, jedoch war es nur ein Zehntel dessen, was der große Bruder in Boston für kürzere, wenn auch sicherlich nervenaufreibendere Engagements kassierte.

Die Globalisierung der Unterhaltungskunst begann sich im Dreivierteltakt zu drehen. Nur unwesentlich weniger als der Wiener Walzerkönig verdiente übrigens die ebenfalls auf der „Rhein“ nach Boston gereiste Sopranistin Minna Peschka-Leutner, eine an der Leipziger Oper verpflichtete, aus Wien stammende Diva. Selbst die 48 preußischen Militärmusiker jubelten über Einkünfte, von denen sie in der alten Welt nur träumen konnten.

Tantiemen als neue Geschäftsidee

Johann und Jetty Strauss begannen in diesen Jahren aber auch, das Geschäftsmodell des Unternehmens Strauss fundamental umzustellen: weg von persönlich dirigierten Konzerten mit Einmalhonorar, hin zu Tantiemen. Denn am Verkauf des gedruckten Donauwalzers (laut nicht gesicherten Quellen über eine Million Stück in kürzester Zeit) profitierte vor allem Strauss´ Verleger, der ihm pro Komposition ein Fixum bezahlte.

Nun war das Ziel, Werke auf die Bühne zu bringen und am Verkaufserlös beteiligt zu werden. Jetty drängte Johann zur Operette, so wie es Jacques Offenbach mit Werken wie „Orpheus in der Unterwelt“ in den 1860er- Jahren vorgemacht hatte. Der Plan dahinter war, nicht mehr Veranstalter auf eigene Rechnung, rastloser Orchesterleiter und ständig unter Strom stehender Vorgeiger sein zu müssen und von Ball zu Ball zu hetzen. Die Einnahmen sollten auch ohne persönliche Anwesenheit des Künstlers sprudeln.

Indigo und die 40 Räuber, Strauss‘ erste Operette, war in dieser Hinsicht wegweisend. In Summe verdiente er mit dem 1871 uraufgeführten Werk 26.000 Gulden Einreichungs- und Verlagstantiemen. Nach der Rückkehr aus Amerika folgte Carneval in Rom und dann, 1874, sein neben dem Donauwalzer berühmtestes Werk: Die Fledermaus. Genial war die Strauss-Produktionsweise in ökonomischer Hinsicht auch deshalb, weil einzelne Stücke – etwa Walzer - aus den Operetten ausgekoppelt und erneut verkauft wurden. Das multiple Ausschlachten und Wiederverwerten ihrer Stoffe lag im „Wiener Blut“ der Sträusse.

Genial war die Strauss-Produktionsweise, weil er begann, einzelne Stücke auszukoppeln und zu verkaufen.

Vater Strauss, ein Wirtssohn, war Privatunternehmer durch und durch gewesen, ein klassischer Gründer und CEO mit Mut zum Risiko, befeuert durch die Konkurrenz des anderen Walzerkönigs seiner Zeit, Joseph Lanner.

Doch Strauss Senior gründete nebenher eine Zweitfamilie. Am 31. Juli 1844 reichte Anna Strauss die Scheidung ein, am selben Tag gab der gleichnamige 18-jährige Sohn beim Magistrat der Stadt Wien zu Protokoll, Musiker werden zu wollen. Die Mutter setzte, um die wirtschaftliche Existenz zu sichern, ihre Söhne Johann, Josef und Eduard fortan dort ein, wo es zweckmäßig erschien. Die Rollen im Strauss-Unternehmen differenzierten sich und verfestigten sich nach dem Tod des Vaters 1849: Während Anna Strauss und ihre Schwester Josefine Waber sich um die Finanzen kümmerten, agierte Johann Strauss Sohn eher als CCO, als Chief Creative Officer. Seine Frau Jetty übernahm dann nach dem Tod der Mutter 1870 die Rolle einer Art doppelten CEO: Chief Emotional und Chief Executive Officer.

Das Erbe der Strauss-Familie

Privatunternehmen hin oder her: Die Nähe zum Hof war wichtiger Bestandteil einer Public-Private-Partnership, auch wenn „Hofball-Musikdirektor“ ein klassischer Titel ohne Mittel war. Deshalb war es für den jungen Strauss nach dem Tod seines Vaters 1849 wichtig, die Gunst des Kaisers zurückzuerobern, den die Sympathien des Komponisten für die Revolutionäre von 1848 verärgert hatten. So sind auch die vielen schmeichelnden Titel zu erklären, die Strauss seinen Musikstücken gab.

Nach dem Attentat auf den jungen Kaiser durch den ungarischen Schneider János Libényi 1853 komponierte Strauss den Kaiser-Franz-Joseph-I.-Rettungs-Jubel-Marsch. Zur Hochzeit des Kaisers mit Elisabeth von Bayern 1854 folgte der Walzer Myrthen-Kränze. Der 1859 uraufgeführte Vaterländische Marsch, eine Koproduktion mit seinem Bruder Josef, wird als weiterer Versuch der Wiedergutmachung der „wilden Revolutionsjahre“ gewertet.

Die beiden Schwestern, die von der „Firma Strauss“ stets mitversorgt wurden, starben alles andere als wohlsituiert. Der kinderlose Johann Strauss Sohn aber hinterließ bei seinem Tod 1899 neben drei Häusern in Wien und einer Villa in Bad Ischl ein Vermögen von 835.000 Gulden, was nach heutiger Kaufkraft mehr als vierzehn Millionen Euro entspricht. Per Testament legte er es in die Hände der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, die sich um die Auszahlungen der Legate an die Schwestern, an die Stieftochter sowie an die Dienerschaft kümmerte.

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Conclusio

Privatwirtschaft. Die Strauss-Kapelle war ein klassisches Private Venture, das über zwei Generationen zur Perfektion gebracht wurde. Dennoch war sie immer von der Gunst des kaiserlichen Hofs abhängig.
Globalisierung. Dank der neuen transatlantischen Linien zwischen Europa und den USA wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch das Musikbusiness zusehends global – die Gagen ebenso.
Tantiemen. Geld verdienen, ohne persönlich präsent zu sein: An Johann Strauss Sohn lässt sich der Wandel des Geschäftsmodells von Musikkreativen nachvollziehen. Neue Geldquelle waren Tantiemen.

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