Wer mit Taylor Swift & Co Milliarden macht

Im weltweiten Musikbusiness blieb in den letzten zwei Jahrzehnten kein Stein auf dem anderen. Für junge Musiker und Nachwuchsbands ist der Wettbewerb härter als je zuvor.

Taylor Swift auf der Eras Tour am Soldier Field, Chicago, 2. Juni 2023. Das Bild illustriert einen Artikel über die Musikindustrie.
Taylor Swift auf der Eras Tour am Soldier Field, Chicago, 2. Juni 2023. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Industrie. 2022 machte die Branche mehr als 26 Milliarden Dollar Umsatz. An die 70 Prozent davon entfallen auf digitale Vertriebswege, das meiste davon auf Streaming.
  • Verdienst. Labels (master owner) und Musikverlage (copyright owner) lukrieren den Großteil der Einnahmen, dafür trugen die Labels früher auch das Produktionsrisiko.
  • Künstler. Wenige Musiker verdienen genug, um davon leben zu können. Einen Vertrag mit den Labels bekommt nur, wer online schon erfolgreich ist.
  • Streaming. Wettbewerb und Chancen sind größer als je zuvor. Einige wenige Superstars kassieren den Löwenanteil, junge Musiker werden benachteiligt.

Das Time-Magazin kürte sie im Dezember zur „Person of the Year: Taylor Swift ist gegenwärtig der ultimative Superstar der Musikindustrie. Und eine herausragende Geschäftsfrau, die sich aus der Abhängigkeit von Musiklabels und -verlagen völlig freigespielt hat. Die Künstlerin als freie und erfolgreiche Unternehmerin – eine absolute Ausnahme in einer Branche, die ihre Kreativen gerne in finanzieller Abhängigkeit hält. 

Weltweit erzielte die Musikbranche im Jahr 2022 einen Umsatz von über 26 Milliarden Dollar; es war der höchste Wert seit 20 Jahren. Rund 70 Prozent dieser Summe entfielen auf digitale Vertriebswege, hauptsächlich auf Streaming. Jeder kann heute einen Song aufnehmen und ins Internet stellen. Also kann, anders als früher, theoretisch auch jeder ein Star werden. 

Doch trotz des riesigen Marktes im Internet verdienen nur wenige Musiker genug, um von ihrer Arbeit zu leben. Macht und Geld sind nach wie vor in den Händen von ein paar wenigen Playern konzentriert. Junge Musiker und Nachwuchsbands werden im Abrechnungssystem der Streaming-Plattformen krass benachteiligt.

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Zahlen & Fakten

Aber der Reihe nach: Bis heute gibt es bei jeder Aufnahme zwei Player, ohne die nichts geht – das Label (master owner) und den Musikverlag (copyright owner). Die Labels halten alle mit den Aufnahmen verbundenen Rechte und die Verlage jene an Komposition und Text. Bei diesen beiden sammelt sich der Großteil der Einnahmen. 

Wer groß abkassiert

Bis vor etwa zehn Jahren übernahm die Plattenfirma das komplette Risiko. Sie finanzierte die Aufnahmen (Musiker, Studio, Techniker), die Pressung, das Cover, das Marketing und die Promotion. Der Musiker bekam einen Vorschuss und einen prozentuellen Anteil der künftigen Einnahmen, von denen zuerst der Vorschuss zurückverdient werden musste. Das heißt: Kein Künstler musste den Vorschuss zurückzahlen, aber sein Anteil wurde so lange einbehalten, bis die Summe abbezahlt war.

Viele Superstars fuhren mit dem neu angeschafften Porsche schnurstracks in die Pleite, weil sie dieses Prinzip nicht verstanden. Selbst Vorschüsse in Millionenhöhe wurden oft umgehend in „Sex, Drugs and Rock & Roll“ investiert. Danach sahen die Musiker allerdings auch bei einem Nummer-1-Hit oft jahrelang keinen Cent, bis der Vorschuss beglichen war. 

Viele Superstars fuhren mit dem neu angeschafften Porsche schnurstracks in die Pleite, weil sie ihren Vertrag nicht verstanden.

Was die Plattenlabels für Musiker, sind Musikverlage für Komponisten und Texter. Ihre Aufgabe ist die Förderung und Monetarisierung von musikalischen Werken; das beginnt mit dem Notendruck und endet mit dem Pitching von Songs an Labels und Radiostationen. Auch die Verlage gewähren ihren Vertragspartnern kleine Vorschüsse, die den Künstlern helfen, sich und ihre Familien durchzubringen. Und wie bei den Plattenfirmen muss jeder Vorschuss vom Künstleranteil zurückverdient werden. 

Die Verlage holen sich zehn Prozent der Verkaufserlöse von Tonträgern und ungefähr den gleichen Anteil der Ticketerlöse von Konzerten. Zudem fließt bei jedem Radioeinsatz Geld an die jeweiligen Verwertungsorganisationen (in Österreich ist das die AKM), die wiederum an die Verlage ausschütten. Die oft durchaus hohen Summen aus Radio und TV-Werbung werden meist halbe-halbe zwischen master owner (Label) und copyright owner (Verlag) geteilt. In den ersten 70 Jahren der Musikindustrie sah eine typische Verteilung der Plattenerlöse etwa so aus: 85 Prozent gingen ans Label, 5 an den Verlag, 2,5 Prozent bekam der Komponist, 2,5 Prozent der Texter, 5 der Musiker. 

Kreative in der Rechtsabteilung

Erst Bob Dylan gelang es in den frühen 1960er-Jahren, eine Künstlerlizenz in Höhe von 10 Prozent durchzusetzen. Einerseits konnte und wollte es sich sein Label Columbia Records nicht leisten, Dylan zu verlieren, andererseits wusste der Vorstand natürlich, dass man damit einen Präzedenzfall geschaffen hatte. 

Doch auch in den Plattenfirmen gibt es jede Menge Kreative. Man findet sie vor allem in den Rechtsabteilungen, die mit neu erfundenen Abzügen höhere Lizenzzahlungen für die Künstler schnell wieder kompensieren. Im Laufe der Zeit sollten nunmehr auf den Vorschuss angerechnete Kosten die steigenden Lizenzgebühren mehr als wettmachen. Anders als in Europa war und ist das Musikbusiness im angloamerikanischen Raum extrem von Vorschüssen getrieben. 

Was viele Künstler verdrängen, wenn sie sich über einen Millionen-Dollar-Vorschuss freuen: Der Manager nimmt sofort seine 15 Prozent davon und ist damit schon am Tag der Unterschrift unter den Plattenvertrag fein raus. Selbst wenn er gleich danach gefeuert werden sollte, hat der Manager das Geld, für das er sonst zwei Jahre arbeiten müsste, längst in der Tasche. 

In den 1970er-Jahren verkauften viele Künstler ihre Singles und Alben millionenfach. Doch am Ende des Jahrzehnts brach der Absatz dramatisch ein. Es waren Michael Jackson und sein Produzent Quincy Jones, die die Industrie retteten. Jacksons zweites Album Thriller brach alle Verkaufsrekorde – was sich Jackson mit nie zuvor dagewesenen Konditionen vergolden ließ: 18 Millionen Dollar Produktionsvorschuss, die nicht (!) verrechenbar waren, und eine Künstlerlizenz um die 40 Prozent für seine späteren Alben.

Goldene Jahre

Die Erfindung der CD sorgte Mitte der 1980er-Jahre für neue Goldgräberstimmung in der Branche. Bald waren CDs günstiger herzustellen als ihre analogen Vorgänger, aber das wusste kaum jemand, und so konnte man sie als „rauschfrei“ deutlich teurer verkaufen als Vinylplatten. Ein wahrer Goldregen ergoss sich über die großen Plattenfirmen, die Majors: Alle erfolgreichen alten Vinyl-Releases wurden auf CD neu herausgegeben. Es gab also keine neuen Aufnahmekosten und keine neuen Vorschüsse – aber höhere Verkaufspreise und niedrigere Künstlerlizenzen aufgrund neu erfundener Rechnungsposten wie dem „CD-Technikabzug“.

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Zahlen & Fakten

Doch die Digitaltechnik, die die CD erst möglich machte, erlaubte auch Kopien ohne Qualitätsverlust, und das Internet wurde stetig schneller. 1999 eröffnete Napster eine illegale Gratis-Tauschbörse für mp3-Files. Fans hatten plötzlich Zugang zu den neuesten Hits, ohne einen Cent dafür zu bezahlen – und kulturell wurde das nicht als Diebstahl, sondern als cool betrachtet. Die Musikindustrie hatte vorerst keine Antwort darauf, außer Millionen Dollar für Kopierschutzsysteme auszugeben, die binnen Tagen von Teenagern gehackt wurden. Und dann klagte man Vierzehnjährige auf 20 Millionen Dollar Schadensersatz, was die Bestohlenen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu „Bösewichten“ und die Diebe zu „Helden“ machte.

Die digitale Revolution in der Musikindustrie

Steve Jobs’ Moment war gekommen: Der iPod und iTunes änderten das Konsumverhalten über Nacht. Apple behielt dafür 30 Prozent Vertriebsentgelt und war damit der Gewinner – und ein neuer Major  Player in der Musikindustrie.

Doch immer mehr junge Leute dachten sich: „Ich muss Musik nicht besitzen, es reicht, wenn ich sie miete!“ Daniel Ek, ein ehemaliger Musikpirat aus Schweden, hat dieses Prinzip verstanden und die Streaming-Plattform Spotify gegründet. Die Verhandlungen mit der Musikindustrie dauerten drei Jahre, und am Ende ließen sich die Majors ihre Zustimmung teuer gegen eine 15-prozentige Beteiligung an Spotify selbst und 70 Prozent der monatlichen Abonnement-Einnahmen abkaufen. 

2013 waren die CD-Verkäufe und Downloads auf dem Tiefpunkt. Nur Spotify nahm langsam Fahrt auf, und die Labels erkannten die Vorteile. Keine teuren Booklets, keine Presskosten, kein Retourenrisiko, kein physischer Vertriebsapparat. Der entscheidende Unterschied ist jedoch ein anderer: Die Plattenfirmen tragen seither kein Risiko mehr. Während sie früher die Aufnahmen finanzierten, nehmen sie heute nur noch Künstler unter Vertrag, die schon durch hohe Streaming- oder Social-Media-Zahlen Erfolg bewiesen haben. Wohlgemerkt mit Songs, deren Entstehungskosten vom Künstler und seinem Team getragen wurden.

Ed und Taylor bekommen fast alles

Die 70 Prozent, die Spotify ausschüttet, werden durch die Gesamtzahl sämtlicher Streams pro Territorium geteilt und mit den tatsächlichen Streams der einzelnen Künstler multipliziert. Dadurch steht jede österreichische Indie-Band mit 615 Streams im direkten Konkurrenzkampf mit Ed Sheeran, dessen Hits weltweit 2,5 Milliarden Mal gestreamt werden. Die besten 5 Prozent der Welt erhalten durch dieses System rund 90 Prozent des Kuchens.

In der Praxis bedeutet das: Selbst wenn ich als Spotify-Abonnent kein einziges Mal Taylor Swift oder Ed Sheeran höre, sondern ausschließlich österreichische Indie-Künstler, wird doch der größte Teil meines monatlichen Abo-Entgelts bei Ed und Taylor landen – während die von mir in Dauerschleife gehörten Acts vermutlich nur ein paar Cent erhalten. 

Wer in der digitalen Welt nicht von seiner Musik leben kann, hätte es auch in der analogen nicht geschafft.

Den Streaming-Plattformen ist egal, an wen sie zahlen. Sie wären offen für ein System, in dem das Geld jedes Abonnenten an die von ihm tatsächlich gehörten Acts geht. Den Majors sind aber die geltenden Regeln lieber, und sie forcierten Adaptierungen, die das Problem noch verschärfen: Musiker, die unterhalb einer gewissen Anzahl von Streams bleiben, bekommen gar nichts mehr, und das dadurch eingesparte Geld wird den erfolgreicheren Kollegen aliquot zugerechnet. 

In der digitalen Musikindustrie ist der Wettbewerb globaler und härter als je zuvor. Doch gleichzeitig sind auch die Chancen ungleich höher. Wer in der digitalen Welt nicht von seiner Musik leben kann, hätte es in der analogen wohl auch nicht geschafft.

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Conclusio

Wer die Rechte hat, hat die Macht – und das Geld: Nach diesem Prinzip funktioniert die globale Musikindustrie. Der größte Teil der Einnahmen bleibt also bei Plattenfirmen und Musikverlagen. Die meisten Musiker bekommen lediglich einen Bruchteil der Einnahmen. Nur  wenige Stars können dieses Schema durchbrechen und werden selbst zu Multimillionären. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Branche von Grund auf verändert. Physische Tonträger werden kaum noch verkauft, der Markt gehört Streaming-Plattformen wie Spotify. Deren Abrechnungssystem begünstigt die Top-Stars. Für die Independent-Szene wird ­privates Mäzenatentum deswegen immer  wichtiger: Wer einen Künstler unterstützen will, kauft direkt auf dessen Website oder unterstützt ihn finanziell auf  der Plattform Patreon.

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