E-H: Empörung bis Herrschaftsanspruch
Empören Sie sich! Seien Sie beleidigt! Und machen Sie mit jenen gemeinsame Sache, die die Welt von Wörtern und Taten befreien, die andere Menschen kränken. Fortsetzung des ABC der politischen Korrektheit.
E wie Empörung
Helmut Qualtinger meinte: „Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.“ In der westlichen Welt gibt es jeden Tag Empörung über irgendetwas, was von jemandem mit einem gewissen Bekanntheitsgrad gesagt wurde, was dazu führt, dass sich Personen, die behaupten, für eine größere Gruppe von Menschen zu sprechen, beleidigt fühlen können.
Nehmen Sie sich an diesen Leuten ein Beispiel. Empören Sie sich! Seien Sie beleidigt! Empfangene Beleidigungen werden auf Ihrem Sozialkreditkonto über den Umweg von Aufmerksamkeitsrenditen als Einnahmen verbucht. Je mehr Kränkungen, desto reicher werden Sie.
F wie Faschismus
Wenn ein halbprominenter Halbprominentenfriseur bei einer Umfrage in einer Gratiszeitung halb betrunken äußert, Fahrradfahrer seien ärgerliche Verkehrshindernisse und sowieso Idioten, versäumen Sie keinesfalls die Gelegenheit, Ihr Sozialkreditkonto aufzuladen. Nützen Sie Facebook, Twitter und den Stephansplatz, um sich im Namen aller Fahrradfahrer verletzt zu zeigen.
Posten Sie auf Instagram ein Foto, auf dem Sie weinend Ihr Fahrrad streicheln. Verlangen Sie die Deportation des Friseurs. Wenn sich das nicht durchsetzen lässt, kleben Sie einen Zettel an die Tür des Frisiersalons, auf dem steht: „Hier schert ein Nazi!“ Vergessen Sie nicht, sich daneben für Facebook fotografieren zu lassen. Dem versoffenen Glatzentischler wird vor lauter Shitstorm Hören und Sehen vergehen. Am Ende wird er sich vor Gott und der Welt entschuldigen, bevor er sich mit einem Nervenzusammenbruch für einige Zeit ins Sanatorium zurückzieht. Was Ihren enormen Zuwachs an Sozialkredit anbelangt, haben Sie technisch gesehen jetzt im Grunde die Radfahrer abgezockt, aber das wird niemand bemerken.
G wie Gesetz
Eine Person aufgrund ihrer Äußerungen und ihrer vermeintlichen Ansichten aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen, zu verstoßen und isolieren, nennt man canceln. Der Begriff fällt häufig, wenn von der Woke-Bewegung die Rede ist, einer Art dezentralen Sekte, die sich das Ziel gesetzt hat, die Welt von allen Wörtern, Handlungen und Menschen zu befreien, die Gruppen von Menschen kränken könnten. Canceln ist eine Kombination von Mobbing und Ächtung. Mobbing ist ja eigentlich geächtet, aber das gilt nur, wenn der andere keine verachtenswerten Ansichten vertritt.
Dieses Verhaltensmuster könnte man sozialen Terror nennen, wenn man nicht befürchten müsste, das nächste Opfer des tugendhaften Lynchmobs zu werden, wie zum Beispiel der klinische Psychologe, Medientheoretiker und Bestsellerautor Jordan Peterson, ein Liberaler, der bis vor kurzem an der Universität von Toronto Psychologie lehrte. Als die kanadische Regierung ein neues Gesetz vorstellte, das jeden Bürger im Umgang mit Transgender-Personen zur Verwendung bestimmter Pronomen verpflichtete, protestierte er. Wenn ihn ein transgeschlechtlicher Student darum bitten würde, ihm oder ihr gegenüber Pronomen in der dritten Person wie „ze“ oder „zher“ zu verwenden, würde er diesem Wunsch nachkommen, aber per Gesetz dazu verpflichtet zu werden, lehnte er ab.
H wie Herrschaftsanspruch
Nach meiner Theorie könnte es sich bei der Woke-Bewegung um einen Zusammenschluss wiedergeborener Gefängniswärter handeln, auf denen seit Jahrhunderten ein Fluch lastet, der es ihnen unmöglich macht, Einzelpersonen zu erkennen oder gar als Individuum wahrzunehmen. Sie unterscheiden Menschen nur nach Gruppenzugehörigkeit und sind auf ewig dazu verurteilt, der Individualität ähnliche Eigenschaften wie Radioaktivität beizumessen.
Eigentlich würde jeder Einzelne von ihnen Stimmen hören, aber das wäre zu individuell, weswegen sie ihre Psychosen kollektiviert haben und in ihren gleichgeschalteten Köpfen einen vielstimmigen Chor hören, der ihnen einredet, sie seien auserwählt, auf der Welt über Gut und Böse zu richten. Derzeit, so die Stimme, seien sie der Brigade zugeteilt, in deren spezieller Zuständigkeit es liegt, darüber zu befinden, wer oder was rassistisch, diskriminierend und politisch nicht korrekt ist, was erlaubt sein und was verboten werden sollte.
Ich glaube nicht, dass das wirklich so ist. Aber es ist schöner zu glauben, dass übernatürliche Mächte für diese gefährliche Art Größenwahn und Herrschaftsanspruch verantwortlich sind, als zu denken, dass das Verhalten der Wokies auf freiwilliger Menschenverachtung basiert.
... weiter geht’s im Abc
I-L: Intoleranz bis Lynchmob
M-P: Männlichkeit bis Phallokratie
Q-T: Quotenregelung bis Twitter
U-X: Unvereinbarkeit bis X-Chromosom
Y-Z: Y-Chromosom bis Zivilcourage
Das große Abc der Empörten
Sagen Sie nicht, was Sie denken, denn das könnte schlecht ausgehen. Vermeiden Sie verpönte Wörter wie „Mutter“, und kritisieren Sie keine Fahrradfahrer. Ein satirisches ABC, wie man sozialen Terror überlebt.