Ende des autoritären China?

Xi Jinping hat seine Macht scheinbar einzementiert. Doch die Proteste haben gezeigt, dass die Autorität von Xi und der KPCh auch bröckeln kann – mit geopolitischen Folgen. Ein Podcast mit der Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik.

Eine Frau in einer rosafarbenenen Daunenjacke und mit einer blauenn Einkaufstasche geht durch eine Wohnsiedlung an Personen in weißer Schutzkleidung vorbei, die am Wegesrand sitzen.
Alltag unter strengen Covid-Regelungen in China im November 2022. © Getty Images

Man wartet nur noch, dass der letzte Tropfen fällt, der das Fass zum Überlaufen bringen wird“, so die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik in diesem Podcast. China befinde sich in einer so heiklen Situation wie seit Jahrzehnten nicht.

Der Podcast

Die angespannte innenpolitische Situation in China hat Folgen für die gesamte Welt. In diesem Podcast erläutert die China-Expertin detailliert, was das neue Kriegskabinett von Xi Jinping bedeutet, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ein Krieg um Taiwan ist und was die Situation eskalieren könnte. In einem Punkt ist die Wissenschaftlerin sicher. Das Skript, das einen Angriff auf Taiwan rechtfertigt, liegt für den Fall der Fälle schon bereit: „Es wird ein „Unfall“ gewesen sein“, sagt sie.

Dass die Proteste gegen die Lockdowns nach dem Brand in einem Wohngebäude, bei dem 44 Menschen ums Leben kamen, sich auf zahlreiche Städte in ganz China ausgeweitet haben, bringt Xi Jinping unter Zugzwang. Denn der Protest ging von einer Stadt aus, die zu den am stärksten polizeilich überwachten Städten des Landes gehört. Nun geht es nicht mehr nur um ein Ende der Corona-Maßnahmen. Die Bevölkerung stellt die Autorität der Kommunistischen Partei Chinas offen in Frage. Doch die autoritäre Führung schlägt nach der Lockerung der Maßnahmen mit den Mitteln der Überwachung und Zensur zurück.

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Zahlen & Fakten

Foto von vier Jugendichen, einer mit Regenschrim, die in die Kamera lachen, wobei einer von ihnen ein Victory-Zeichen macht. Das Foto wurde bei Protesten 1989 in China aufgenmmen.
Auf dem Tiananmen-Platz in Peking am 1. Juni 1989. © Getty Images

Demokratiebewegungen

Die Herrschaft der Kommunistischen Partei in China ist nicht unumstößlich. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahrzehnten seit der Gründung der Volksrepublik 1949 zu Protesten und Aufständen für mehr Demokratie.

  • Die „Mauer der Demokratie“ ist eine einfache Ziegelmauer in Peking und war ab 1978 das Zentrum einer Bewegung für mehr Demokratie und für individuelle Freiheit. Auf dieser Wand wurde die politische Führung in Wandzeitungen kritisiert. Mao Zedong war 1976 gestorben, nach seinem Tod gab es eine Phase der Liberalisierung, der „Pekinger Frühling“. Mit dem Ende diese Öffnung ab 1978 war auch die Mauer der Demokratie wieder Geschichte.
  • Die Proteste der Studierenden im Winter 1986/87 nahmen an der Technischen Universität Hefei ihren Ausgang und verbreiteten sich schnell in ganz China. Korruption und eine Inflationsrate von 16 Prozent verstärkten die Unzufriedenheit mit der politischen Führung. Intellektuelle wie der Physiker Fang Lizhi setzten ihr Engagement bis nach 1989 fort. Li musste dann allerdings in die USA flüchten.
  • Die Trauerfeier nach dem Tod Hu Yaobongs am 15. April 1989 entwickelte sich zu einem Protest für mehr Demokratie auf dem Tiananmen-Platz in China, wo über viele Wochen hinweg Studierende campierten. Yaobong hatte sich als Generalsekretär der KPCh für eine Öffnung und demokratische Reformen eingesetzt, zu denen es nach seiner Absetzung 1987 nicht mehr kam. Immer mehr Menschen schlossen sich im Frühjahr 1989 den Protesten der Studierenden an. Am 4. Juni 1989 wurde die Besetzung des Platzes durch das Militär beendet. Die Zahl der Todesopfer im Zusammenhang mit dem 4. Juni beläuft sich nach Angaben von Amnesty International auf 2.800 Menschen.
Auf einer Asphalt-Straße sind Fahrräder zu sehen, die platt gefahren wurden. Menschen mit Fahrrädern stehen und sehen sich das an. Das Foto wurde nach den Protesten 1989 in China aufgenommen. Die Proteste waren damit beendet.
Am Tiananmen-Platz in Peking am Morgen des 6. Juni 1989. Getty Images
  • Die Jasmin-Revolution 2011: Wie auch im Arabischen Frühling kam es im Frühjahr 2011 in rund zwölf chinesischen Städten zu regelmäßigen Protestmärschen und Verkehrsblockaden. An manchen Tagen dauerten die Proteste nur wenige Stunden.
  • Das Dorf Wukan wurde ab 2011 kurzfristig zu einem Symbol für demokratische Hoffnungen in China. Den Dorfbewohnern war es gelungen, sich gegen Enteignungen durch Geschäftsleute und Parteikader zu wehren und unabhängige Wahlen durchzusetzen. Immer wieder musste der Ort sich gegen Bauprojekte, Überwachung und Zensur durchsetzen, 2016 wurde die Demokratiebewegung schließlich zum Schweigen gebracht.
  • Vor dem 20. Parteitag der KPCh am 13. Oktober 2022 gelang es Protestierenden, von der Sitong-Brücke in Peking ein riesiges Plakat zu hängen auf dem unter anderem zu lesen war: „Wir wollen keine Sklaven sein, sondern in Würde leben; wir wollen keine diktatorischen Führer, sondern Wahlen.“ Die Demonstranten verbrannten Reifen und sangen in Sprechchören. Alle Demonstranten wurden verhaftet.
Foto von Menschen, die an einem Kanal stehen und die leuchtenden Displays ihrer Mobiltelefone hoch halten. Das Foto wurde am Abend in der Dunkelheit aufgenommen.
Hier kommen Panzer nicht so leicht hin: Die Proteste im November 2022 in China. © Getty Images
  • Die Lockdown-Proteste begannen schon im Oktober 2022 nach einem Corona-Ausbruch in einer Foxconn-Niederlassung mit 300.000 Arbeitern. Es kam zu Arbeitsniederlegungen und gewaltsamen Konfrontationen mit der Polizei. Ein Feuer in einem Wohnkomplex in Urumqi, das von der Feuerwehr nicht gelöscht werden konnte, weil diese aufgrund der Covid-Beschränkungen keinen Zugang bekam, war der Anlass, der die Proteste, die überall aufgeflammt waren, schließlich zu Massenprotesten werden ließ.

Über Susanne Weigelin-Schwiedrzik

Susanne Weigelin-Schwiedrzik ist Sinologin. Von ihrer Professur für Moderne Sinologie an der Universität Heidelberg (1989 bis 2002) wurde sie 2002 an die Universität Wien berufen, wo sie bis 2020 als Professorin am Institut für Ostasienwissenschaften tätig war. Seit 2012 ist sie korrespondierendes Mitglied in der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In ihrer Forschung hat sie sich insbesondere mit der chinesischen Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts und zeitgenössischer chinesischen Diskursen über historische Ereignisse wie die große Chinesische Hungersnot und die Kulturrevolution auseinandergesetzt. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien von ihr im Brandstätter Verlag das Buch „China und die Neuordnung der Welt“. Weigelin-Schwiedrzik schreibt als Autorin für den Pragmaticus.

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