China hat ein Russland-Problem

China will ein wirtschaftlich geschwächtes und militärisch kalkulierbares Russland, um die eigene Macht auszubauen. Die Taktik steht allerdings im Widerspruch zu den globalen ökonomischen Interessen des Reichs der Mitte.

Am Hafen von Qindao in China. Russland ist China wirtschaftlich unterlegen.
Am Hafen von Qindao in China. Die chinesische Wirtschaft beruht auf globalem Handel. Vor allem auf jenem mit Europa und den USA. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Rückendeckung. China lässt Russland im Ukrainekrieg gewähren, jedoch stehen für Peking Eigeninteressen im Vordergrund.
  • Prestigeprojekt in Gefahr. Je länger der Konflikt dauert, desto größer wird die Gefahr für Chinas „Neue Seidenstraße“.
  • Zweischneidiges Schwert. China will Russland als schwachen Bündnispartner halten, ohne die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu kompromittieren.
  • Kein Frieden. Mit der Fortdauer des Krieges verstärken sich die Widersprüche der chinesischen Interessen. Friedensvermittler will China dennoch nicht sein.

Je länger der Ukraine-Krieg dauert während die russische Seite keine Bereitschaft für eine Verhandlungslösung jenseits eines einseitig diktierten Friedens signalisiert und in Europa die sozialen Auswirkungen der russischen Verknappung der Energie immer deutlicher spürbar werden, desto lauter werden die Stimmen, die Friedensverhandlungen mit Hilfe der Vermittlung von China fordern.

Doch China hat sich bisher diplomatisch geweigert und will solche Verhandlungen nicht übernehmen. Dies wirft mehr denn je die Frage auf, welche Interessen China im Ukraine-Konflikt hat. Und wie das Verhältnis zu Russland ist. Während einige Beobachter ein offizielles militärisch-ökonomisches Bündnis ausmachen, sehen andere eher ein opportunistisches Verhalten Pekings. Dieses Verhalten geht nicht nur auf Kosten des Westens, sondern schädigt auch Russlands geopolitische Interessen. China versucht, seinen globalen Machteinfluss im Windschatten des Ukraine-Krieges zu stärken.

Xi und Putin: Geheimnisvolles Treffen im Februar

Chinas Präsident Xi Jinping hatte von Moskaus militärischem Invasionsplan angeblich bei dem Besuch Wladimir Putins am 4. Februar in Peking erfahren. Ohne Zweifel sind die bilateralen Beziehungen zwischen Peking und Moskau im letzten Jahrzehnt deutlich stärker und vertieft worden. Jedoch spiegeln sie zugleich ein immer größeres Ungleichgewicht in den bilateralen Beziehungen wider.

Foto von Wladmir Putin in einem schwarzen Mantel stehend auf einer Tribüne.
Wladimir Putin am 4. Februar 2022 bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele in Peking. © Getty Images

Im Vorfeld der Olympischen Spiele trafen die beiden Präsidenten einander bereits zum 37. Mal. 2021 hatten Russland und China ihre bilateralen Beziehungen wiederholt offiziell als „grenzenlose strategische Partnerschaft“ deklariert. Dabei gelten beide Staaten als revisionistische Großmächte, welche die bestehenden, regelbasierten multilateralen Sicherheitsordnungen in Europa und Asien ablehnen und eigene aufbauen wollen. In diesen soll der jeweilige regionale Hegemonieanspruch gegenüber kleineren Anrainerstaaten diplomatisch und notfalls auch militärisch durchgesetzt werden.

Die Abhängigkeit Russlands

In den vergangenen Jahren ist der bilaterale Handel zwischen Russland und China von 95 Mrd. US-Dollar (2013) auf 147 Mrd. US-Dollar (2021) stetig gewachsen. Mit einem Anteil am russischen Außenhandel von fast 20 Prozent ist China inzwischen der zweitwichtigste Handelspartner Russlands. Demgegenüber ist der Anteil Russlands am chinesischen Außenhandel mit gerade einmal 2,4 Prozent sehr bescheiden – verglichen mit dem bilateralen Handel Chinas mit der EU (695 Mrd. US-Dollar) und mit jenem mit den USA (657 Mrd. US-Dollar) 2021.

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Zahlen & Fakten

Foto einer kreisförmigen Stahlkonstruktion in China, die von einem Arbeiter im Blaumann und mit rotem Helm mit einer Flex bearbeitet wird.
Im Werk der Pengfei Group im Juli 2022: Hier entstehen unter anderem Fertigungsmaschinen für Kunden entlang der Neuen Seidenstraße in Zentralasien. © Getty Images

Ambivalenter Handel

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In den ersten fünf Monaten 2022 hat der bilaterale Handel zwischen China und Russland noch einmal um rund 28 Prozent zugelegt, vor allem aufgrund größerer Liefermengen fossiler Energie, die mehr als 70 Prozent aller russischen Exporte nach China ausmacht. Doch während die russischen Exporte nach China im gleichen Zeitraum um 46,5 Prozent zunahmen, stiegen die chinesischen Exporte nach Russland nur um 7,2 Prozent, sodass die wirtschaftliche Abhängigkeit Russlands von China angesichts der westlichen Sanktionen weiter gewachsen ist.

Gleichzeitig ist Russlands Wirtschaft mit seiner ungesunden Abhängigkeit von fossilen Energieexporten – sie machten rund mehr als 40 Prozent der Staatseinnahmen aus – in den letzten Jahren international weiter zurückgefallen und liegt mit seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) nominal nur an elfter Stelle weltweit (nach Südkorea und vor Brasilien) und beim BIP pro Kopf deutlich hinter Polen (auf Platz 52: Russland auf Platz 66 in 2020). Russland droht damit zu einem immer mehr verarmten Juniorpartner Chinas abzurutschen.

„Green Deal“ brachte Russland unter Druck

Beim Besuch des russischen Präsidenten Putin in China Anfang Februar war noch ein neues Gasabkommen mit einem Wert von 117,5 Mrd. US-Dollar abgeschlossen worden. Trotzdem bleibt Russland nur der drittgrößte Gaslieferant Chinas. Mit Blick auf die bereits vor der Ukraine-Invasion zunehmend belasteten Beziehungen mit der EU und im Zuge des „European Green Deal“, war der Druck auf Russland bereits vor dem Ukraine-Krieg erheblich gestiegen, seine Gasexporte zu diversifizieren und diese vor allem nach China und Asien auszubauen.

Trotz der seit 2019 im Betrieb befindlichen Pipeline „Power of Siberia-1“, die erst 2025 in vollem Umfang zur Verfügung stehen wird, gingen auch 2021 noch immer rund 83 Prozent der russischen Gasexporte weiterhin nach Europa.

Im Februar dieses Jahres hat Russland mit Peking eine zweite Gaspipeline („Power of Siberia-2“) vereinbart. Doch sie wird erst 2026 in Betrieb gehen, sodass mögliche Gasexportkürzungen oder sogar eine Einstellung des Pipelinegasexports in die EU-27 mittelfristig nicht durch erhöhte Lieferungen nach China kompensiert werden kann. Dafür fehlen neue Verträge und die notwendige Gasinfrastruktur, etwa Pipelines. Auch die russischen LNG-Exporte können nicht kurzfristig stärker gesteigert werden.

Russland liefert Waffen an China

Seit Jahren ist Russland ein wichtiger High-tech Waffenlieferant Chinas. Im Dezember haben beide Seiten die gemeinsame Entwicklung von „bestimmten High-tech Waffentypen“ beschlossen. Westliche Militärexperten schätzen, dass damit die Entwicklung von Hyperschallraketen gemeint sein könnte, die mit sechsfacher Schallgeschwindigkeit in niedriger Flughöhe jede westliche Luftabwehr überwinden können.

Darüber hinaus ist China an der gemeinsamen Entwicklung von nuklearangetriebenen und mit Nuklearwaffen bestückten U-Booten interessiert. Für Russland wird China künftig vor allem immer wichtiger werden, was die Lieferung modernster Computerchips für seine modernen Militärtechnologien betrifft, weil das Land nach den jüngsten Sanktionen fast völlig davon abgeschnitten ist.

China und Russland sind durch Propaganda, Verschwörungstheorien und Nationalismus verbunden.

Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass China der russischen Rüstungsindustrie seit Kriegsausbruch vermehrt Mikrochips, Halbleiter und andere elektronische Komponenten sowie Rohstoffe liefert. Damit kehrt sich erstmals auch die bilaterale Zusammenarbeit zwischen den beiden Rüstungsindustrien um, weil Russland auch in diesem kritischen Sektor immer abhängiger von China wird.

Außerdem haben Peking und Moskau in den vergangenen Jahren auch ihre militärischen Kooperationen mit größeren bi- und multilateralen Manövern gestärkt. Abgesehen von der Ausbildung von chinesischen Offizieren an der russischen Generalstabsakademie sind die beiden Länder durch gemeinsame Propaganda, Verschwörungstheorien und einem virulenten Nationalismus in ihrer Weltanschauung verbunden.

China bezahlt für ein schwaches Russland

Die russische Invasion in die Ukraine hat Peking aber auch mit zahlreichen neuen einander widersprechenden Interessen konfrontiert, diese Widersprüche werden mit jedem Tag größer. Auch Peking hat offenbar erwartet, dass die russischen Streitkräfte innerhalb weniger Tage ihre militärischen Ziele erreichen werden. Außerdem dürfte man über die politische Geschlossenheit und die beispiellosen Sanktionen des Westens gegenüber Russland überrascht und auch beunruhigt sein.

Darüber hinaus sind zahlreiche Projekte der chinesischen „Neuen Seidenstraße“ vom Ukraine-Krieg betroffen, da sowohl Russland als auch die Ukraine eine wichtige Rolle für die eurasischen Transportrouten nach Europa spielen. So hat etwa die Asian International Investment Bank (AIIB) alle laufenden und geplanten Geschäfte in Bezug auf Russland und Weißrussland nach der Invasion des Kremls in die Ukraine ausgesetzt, verbunden auch mit einem Einfrieren der bestehenden Kredite.

Schweden und Finnland, bisher traditionell neutral, werden nun sogar der NATO beitreten und das westliche Militärbündnis stärken. Das alles läuft den geopolitischen Interessen sowohl Russlands als auch Chinas völlig zuwider. Statt die NATO in Europa und Eurasien weiter zu schwächen, ist sie politisch und in ihrer Entschlossenheit gegenüber der Invasion Russlands durch gemeinsame Wirtschaftssanktionen und der militärischen sowie finanziellen Unterstützung der Ukraine geeinter denn je.

Und je länger der Konflikt dauert, desto größer werden die globalen wirtschaftlichen Auswirkungen, woran vor allem China kein Interesse hat. Auch, weil sich das Reich der Mitte vorerst noch keinen Abbruch seiner Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen leisten kann. So beläuft sich Chinas Handelsvolumen mit der EU und den USA auf 1,4 Billionen US-Dollar.

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Zahlen & Fakten

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Russlands militärische Invasion in der Ukraine hat in Peking sicherlich Besorgnis ausgelöst, nachdem klar wurde, dass Russland seine strategischen Ziele nicht wie erwartet innerhalb weniger Tage erreichen kann. Je länger der Konflikt andauert, desto mehr wird er eskalieren und den Welthandel sowie die Projekte der „Neuen Seidenstraße“ in Eurasien bedrohen.

Die EU und die USA beobachten genau, ob China eine militärische, wirtschaftliche und finanzielle Rettungsleine für Russlands Kriegsführung in der Ukraine bereitstellen wird, um die westlichen Sanktionen auszugleichen. Und ob oder wo rote Linien von Peking gegenüber Russland definiert werden. Vor allem die USA haben China mit schwerwiegenden Konsequenzen gedroht, falls China Russland militärisch sowie ökonomisch und finanziell in größerem Maße unterstütze. Zumindest die großen Staatskonzerne sind bisher vorsichtig, um nicht selbst Ziel von US-Sekundärsanktionen zu werden.

China ist auf den Westen angewiesen

Langsam werden auch die widersprüchlichen Interessen und Zielkonflikte auf Seiten Chinas deutlich, zumal es vorerst weiterhin auf den Westen im Hinblick auf seinen weiteren globalen machtpolitischen Aufstieg ökonomisch sowie technologisch angewiesen ist – auch wenn seine geopolitischen Interessen und autoritären sowie repressiven Machtstrukturen einen Konflikt mit dem Westen als Feindbild brauchen. Diese strategischen Interessenswidersprüche haben sich in Chinas Außen- und Wirtschaftspolitik seit der militärischen Invasion Russlands in die Ukraine stetig vergrößert.

Eine junge Frau in weißer Schutzkleidung beugt sich über einen Arbeitsplatz elektronischen Schaltkreisen und Mikroskopen.
Fertigung von Mikrochips in Suqian, China.

Zwar ist der russische Angriffskrieg nicht die eigentliche Ursache für den sich verschärfenden globalen Systemkonflikt zwischen den westlichen Demokratien und den beiden autoritär-repressiven Großmächten China und Russland. Doch droht der Ukraine-Konflikt zu einem Brandbeschleuniger dieser globalen Auseinandersetzung zu werden.

Mit Fortdauer des Krieges hat China mit einer klaren Unterstützung Russlands immer weniger zu gewinnen. Auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 22. September hat China nun erstmals offenere Kritik erkennen lassen, da „die Ukraine-Krise nicht im Interesse aller Parteien“ sei. Bereits zuvor hatte Russlands Präsident Putin auf dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organisation) vom 15. bis 16. September „einige Unterschiede“ bei gewissen Fragen eingestanden. Chinas Präsident Xi nahm sogar mit vorgeschobenen Gründen nicht mal am Dinner teil.

China benötigt die Unterstützung Russlands bei Konflikten um Taiwan und das Südchinesische Meer.

Zudem musste der Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates Patrushev am 19. September extra nach Peking fliegen, um die russischen Nukleardrohungen an den Westen zu erklären, die sowohl in China als auch Indien im Kontext von Russlands Teilmobilisierung und der Annexion der östlichen Oblaste der Ukraine Besorgnis ausgelöst hatten.

Doch der Westen muss gleichzeitig genauer hinsehen, inwieweit sich die Unterstützung Moskaus durch Peking vor allem auch militärisch wirklich zeigt. China könnte perspektivisch an einer gewissen Schwächung Russlands interessiert sein, weil Moskau dadurch noch abhängiger von Peking wird. Gleichzeitig will Peking jedoch nicht, dass Russland allzu schwach wird. Denn China benötigt die Unterstützung Russlands bei Konflikten um Taiwan und das Südchinesische Meer, um militärische sowie ökonomische US-Kapazitäten in Europa zu binden. Mit dem Ziel, die USA in Asien zu schwächen.

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Conclusio

Russland kann in seinem Krieg gegen die Ukraine noch auf die Unterstützung Chinas zählen. Aber je länger der Krieg dauert, umso stärker wird der Interessenskonflikt für das Reich der Mitte. Obwohl die militärische und wirtschaftlich Zusammenarbeit der beiden Länder intensiviert wurde, beeinträchtigt der Krieg die globalen und wirtschaftlichen Interessen Chinas. Peking weigert sich dennoch diplomatisch zu vermitteln und versucht durch eine Gradwanderung, seine geopolitischen Interessen zu durchzusetzen.