Fakten statt Propaganda

Nur eine offen geführte gesellschaftliche Debatte schützt die Demokratie vor autoritären Zumutungen.

Illustration eines übergroßen Mannes mit Megafon, der eine Familie anschreit
Lauter schreien als alle anderen – das Erkennungszeichen eines Demagogen. © Michael Pleesz
×

Auf den Punkt gebracht

  • Aktivismus. Parteipolitischer Aktivismus ist für den Journalismus eine Sackgasse, für die Wissenschaft eine Katastrophe.
  • Massenmedien. Um einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten, müssen sich die Medien von regierungsnahen Meinungen und volkspädagogischen Intentionen befreien.
  • Konformismus. Die Massenmedien bewirken, dass die Menschen nicht mehr fürchten, die falsche Meinung zu haben, sondern mit ihrer Meinung allein zu bleiben.
  • Gefühlsdemokratie. Wo Tugendterror das Gefühl zum Wahrheitskriterium erhebt, ersetzen Betroffenheit und Angst das Argument und den Konsens.

Belehren und beschimpfen sind die heute vorherrschenden Kommunikationsformen in Medien und Politik. Immer mehr Journalisten missverstehen sich als politische Aktivisten und willige Helfer von Regierungspropaganda.

Das kann man in der ganzen westlichen Welt beobachten. Journalisten präsentieren sich gerne als Oberlehrer der Nation. Bei den großen Themen unserer Zeit wie Massenmigration, Klimawandel und Corona hat sich in dramatischer Weise gezeigt, dass sich Journalisten und leider auch Wissenschaftler auf das Feld der Parteipolitik verirrt haben – und auf diesem Feld herrscht nicht der Zwang des besseren Arguments, sondern der Kampf. Für den Journalismus ist das eine Sackgasse, für die Wissenschaft eine Katastrophe.

Mehr aus dem Dossier Demokratie

Die Politik hält sich „Haltungsjournalisten“ und Gefälligkeitswissenschaftler, um sich gegen jeden echten Dissens zu immunisieren. Nichts fürchtet die Regierung einer modernen Massendemokratie mehr als einen selbständig denkenden Menschen. Weil echte Aufklärung durch Pro und Contra das Meinungsmonopol der politisch Korrekten gefährden würde, bekämpfen sie abweichende Meinungen mit dem Begriff false balance. Gemeint ist die Balance zwischen Pro und Contra.

Befreiung der Medien notwendig

Die politisch-mediale Elite geht also davon aus, dass es eine falsche Vorstellung von Objektivität ist, die Gegenmeinung zu Wort kommen zu lassen, wenn die kompakte Majorität die „richtige“ Meinung vertritt. Wenn die klassischen Massenmedien einen Beitrag zur Aufklärung leisten wollten, dann müssten sie ihre Nachrichten und Berichte von regierungsnahen Meinungen und volkspädagogischen Intentionen befreien.

Die größte Gefahr für die Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern der Bullshit.

Sie müssten einen Weg heraus aus der Sackgasse der politischen Korrektheit und ihrer Verbalexorzismen finden. Die größte Gefahr für die Wahrheit ist nämlich nicht die Lüge, sondern der Bullshit. Und die größte Gefahr für die Demokratie ist nicht der Hass der radikalen Verlierer, sondern das Schweigen der vielen, die sich vom Paternalismus der politisch-medialen Elite bevormundet fühlen.

Die Tyrannei der Minderheiten

Technisch gesehen ist der Konformismus ein Effekt der Massenmedien. Je besser nämlich die Massenmedien die öffentliche Meinung organisieren, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich die meisten Menschen in ihrem Urteil über die Meinung der meisten Menschen irren. Dieser Irrtum potenziert sich dann in der öffentlichen Meinung über die öffentliche Meinung.

Wenn sich aber die Mehrheit über die Meinung der Mehrheit täuscht, liegt dem eine Angstdynamik zugrunde, die so alt ist wie die Demokratie selbst: die Angst, von der Mehrheit geächtet zu werden. Die Menschen fürchten nicht mehr, die unrichtige Meinung zu haben, sondern nur noch, mit ihrer Meinung allein zu bleiben. Deshalb sagen sie lieber, was man zu den großen Themen der Politik heute so sagt.

Demonstranten bei einem Protest gegen Waffengewalt in den USA streiten – wenige Tage nach einer Massenschießerei in einer texanischen Grundschule, bei der 19 Kinder und zwei Erwachsene starben – mit einer Frau, die an der NRA-Konferenz in Houston, Texas, USA teilnimmt.
Texas, 2023: „Wieso muss ich Sie anflehen, dass es Sie nicht kalt lässt?“ Demonstranten bei einem Protest gegen Waffengewalt werden – wenige Tage, nachdem an einer Grundschule in Uvalde 19 Kinder und zwei Erwachsene erschossen wurden – von einer Frau konfrontiert, die für den privaten Waffenbesitz ist. © Getty Images

Doch was man so sagt, ist in Demokratien zumeist die Meinung gut artikulierter Minderheiten. Mit anderen Worten: In der Mediendemokratie werden die Menschen durch eine Sprache versklavt, die als die unwiderrufliche der Mehrheit auftritt, in Wahrheit aber von gut organisierten Minderheiten lanciert wird. Die öffentliche Meinung verhilft also immer häufiger nicht der Majorität, sondern der Orthodoxie zum Ausdruck. Diese Orthodoxie heißt heute politische Korrektheit.

Der politischen Korrektheit geht es nicht darum, eine abweichende Meinung als falsch zu erweisen, sondern diejenigen, die eine abweichende Meinung haben, als unmoralisch zu verurteilen. Man kritisiert Andersdenkende nicht mehr – man hasst sie. Wer widerspricht, wird nicht widerlegt, sondern zum Schweigen gebracht.

Dazu passt auch die sogenannte Wokeness als Tyrannei der Minderheiten, die sich diskriminiert fühlen. Sie haben eine Kultur der Überempfindlichkeit und Wehleidigkeit entwickelt, in der es vor allem darum geht, einen prominenten Opferstatus zu erlangen. Was natürlich nicht argumentativ, sondern nur emotional möglich ist. Wo aber Gefühle statt Argumente die Debatten bestimmen, kommt es unvermeidlich zur Verteufelung der Andersdenkenden.

Dieser Tugendterror legitimiert sich nicht mehr diskursiv. Er erspart sich die Arbeit des Begriffs und reklamiert emotionale Echtheit – das wahre Gefühl als Wahrheitskriterium. Wer gefühlsecht ist, dem werden Unsachlichkeit und Inkompetenz verziehen.

Betroffenheit statt Argumente

Vor allem die Umweltaktivisten zeigen, dass man durch und durch unpolitisch sein und gerade dadurch attraktiv erscheinen kann. Sie sehnen sich nach einer Ergänzung der nüchternen Prosa des sozialen Rechtsstaats durch den Kitsch einer Gefühlsdemokratie.

Diese rousseauistische Nostalgie nach einer von Gefühlen geleiteten Gesellschaft, in der ein autoritärer Staat sichtbar „soziale Gerechtigkeit“ schafft, ist sehr romantisch. Sie hat einen Jargon der Achtsamkeit entwickelt, mit dem eine hysterisch hochgezüchtete Empfindlichkeit den Anspruch auf bevorzugte Behandlung begründet. Man zeigt seine Wunden vor und klagt die Gesellschaft an. Als Opfer braucht man keine Argumente. An die Stelle von Ideologiekritik tritt Entrüstung.

Corona und Klima, aber auch Europa und Massenmigration werden von der „woken“ Linken als Probleme definiert, die man nur lösen kann, wenn man es mit Rechtsstaat und Demokratie nicht so genau nimmt. An die Stelle der demokratischen Legitimation tritt die existenzielle. Betroffenheit und Angst ersetzen das Argument und den Konsens.

×

Zahlen & Fakten

Zwei Wissenschaftler bei einem Demonstrationsmarsch gegen fossile Brennstoffe in London, 2023
London, 2023: Zwei Wissenschaftler verweisen auf die einseitige Berichterstattung über Klimaproteste - Störaktionen werden zu Nachrichten, aber der Fakt, dass 100.000 Menschen demonstrieren, nicht. © Getty Images

Glossar: Generationengerechtigkeit

Der Grundsatz der Generationengerechtigkeit besagt, dass die Institutionen zur Förderung des Wohlstands und der Lebensqualität aller Menschen Verwaltungsakte erlassen sollten, die einen Ausgleich zwischen den kurzfristigen Bedürfnissen der heutigen Generation und den längerfristigen Bedürfnissen künftiger Generationen schaffen.

Die Fairness zwischen den Generationen ist in das Konzept der nachhaltigen Entwicklung eingebettet. Die Agenda 2030 erkennt an, dass die Zukunft der Menschheit und des Planeten auch in den Händen der heutigen jüngeren Generation liegt; internationale und regionale Institutionen haben eine wichtige Rolle dabei zu spielen, die Regierungen in ihren Bemühungen zu unterstützen, die Bedürfnisse heutiger und künftiger Generationen in politischen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.

Die revolutionäre Ungeduld der Aktivisten rechtfertigt sich damit, dass es fünf vor zwölf sei. Die Lage soll so dramatisch sein, dass sich die Demokratie als zu langsam erweist. Weil dringend und unverzüglich gehandelt werden soll, wird der Eindruck erweckt, dass sich unsere Gesellschaft im Ausnahmezustand befindet. Hier steht also nicht weniger als das Ganze auf dem Spiel.

Der Ausnahmezustand ruft nach Diktatur – und zwar heute nach Ökodiktatur. Sie soll die Umweltaktivisten in die Lage versetzen, für die dringende „gute Sache“ die Demokratie außer Kraft zu setzen. Nichts ist für autoritäre Herrschaft günstiger als der Ausnahmezustand. Hier gibt es nur noch die Erlösung im radikalen Bruch mit dem Leben, das wir bisher kannten.

Demokratie braucht Diskurs

Das funktioniert, weil die Klimaschutzaktivisten den Menschen eine handfeste politische Theologie anbieten – eine Geschichte von drohendem Weltuntergang und möglicher Rettung. Und dieser Rettung in letzter Minute steht die Demokratie im Weg.

Nun wäre es aber eine optische Täuschung zu glauben, dass die revolutionäre Ungeduld der Weltretter gegen die Regierungspolitik gerichtet sei. In Wahrheit ist sie nur ein Brandbeschleuniger. Regierung und Protestbewegung ziehen am selben Strang.

So ragt aus den vielen tollen Initiativen der deutschen Ampel-Regierung das Gesetz zur „Demokratieförderung“ heraus. Es handelt sich dabei um eine Art Reeducation 2.0. Der therapeutische Staat macht es sich zur Aufgabe, seine Bürger umzuerziehen. In einer ARD-Sendung war sogar von einem „Demokratie-TÜV“ die Rede. Kontrolliert und überwacht werden soll alles, was der politischen Agenda der Meinungselite widerspricht. Zur Förderung der Demokratie gehören deshalb neue Meldestellen, die Handlungen und Meinungen der Unbelehrbaren „auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ registrieren. So soll sich Deutschland in ein Land der „Hinweisgeber“ – zu Deutsch: Denunzianten – verwandeln.

Die Demokratie von Regierungsseite zu fördern ist aber genauso paradox wie Rousseaus Projekt, die Bürger zur Freiheit zu zwingen. Das ist nicht ganz leicht zu durchschauen, und die Vormundschaftsmentalität der politischen Klasse und ihrer Sympathisanten tarnt sich geschickt. „Engagementstrategie“ und „Vielfaltsgestaltung“ sind die paradoxen Begriffe einer paternalistischen Politik, die die Bürger zum Engagement zu erziehen und in ihrer Freiwilligkeit zu unterstützen vorgibt.

Und in den Talkshows feiern sie ihre Eliteherrschaft, die Politiker und Journalisten, Manager und Entertainer, Programmierer und Therapeuten und die durch nichts legitimierten indirekten Gewalten – die NGOs. Wehe dem, der nicht dazugehört.

×

Conclusio

Bei vielen großen Themen unserer Zeit klaffen öffentliche und veröffentlichte Meinung auseinander. Die Vertreter der Politischen Korrektheit schützen ihr Meinungsmonopol, indem sie abweichende Meinungen ächten. Die daraus resultierende Angst, von der Mehrheit geächtet zu werden, erzeugt Konformismus. Doch wenn Betroffenheit und Angst das Argument und den Konsens ersetzen, ist die Demokratie gefährdet. Denn diese lebt von der offenen gesellschaftlichen Debatte.

Weiterlesen

Newsletter abonnieren