Genschere: Züchtung im Zeitraffer
Die Genschere CRISPR/Cas wird unsere Landwirtschaft und das Essen auf unseren Tellern für immer verändern – und das ist gut so. Mit ein paar Schnitten werden aus Wildpflanzen Kulturpflanzen.
Auf den Punkt gebracht
- Historischer Moment. Die Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas war einer der bedeutsamsten wissenschaftlichen Durchbrüche der letzten Jahrzehnte.
- CRISPR/Cas. Das neue Verfahren ist nicht nur überraschend einfach in der Anwendung, sondern auch zeitsparender und günstiger als bisherige Genscheren.
- Ungeahnte Möglichkeiten. Die Eigenschaften einer Pflanze können gezielt verändert werden. Ungewünschte Effekte der Züchtung werden rückgängig gemacht.
- Ernährungskrise. Die Genschere birgt ein enormes Potenzial, Kulturpflanzen resistenter gegen den Klimawandel zu machen – und das sehr schnell.
Revolutionen passieren nicht alle Tage, und es ist ein Privileg, so etwas mitzuerleben. Der Fall der Berliner Mauer war so ein Ereignis für Deutschland, an das sich die Älteren von uns wahrscheinlich immer noch mit einer Gänsehaut erinnern. Alles erscheint in einer solchen Situation möglich, aber natürlich erfüllen sich nicht alle Hoffnungen. In einer ähnlichen Situation befindet sich die Biologie seit einigen Jahren. 2012 wurde erstmals eine sehr effiziente molekulare Schere aus Bakterien beschrieben, mit der sehr einfach die DNA, die genetische Information, in allen Organismen gezielt verändert werden kann: die Genschere CRISPR/Cas.
2020 erhielten Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, die beiden Forscherinnen, die das CRISPR/Cas-System zuerst entdeckt hatten, den Nobelpreis für Chemie. Zu Recht: CRISPR/Cas ist sicherlich die bisher wichtigste Entdeckung in der Biologie im 21. Jahrhundert.
Werkzeug aus Bakterien
Wie immer bei Revolutionen sind die Dinge auch bei CRISPR/Cas nicht geradlinig verlaufen. Bakterien waren die Organismen, anhand derer seit den 1960er-Jahren die Grundprinzipien der molekularen Genetik aufgeklärt werden konnten. Nachdem man der Meinung war, die grundsätzlichen Mechanismen verstanden zu haben, konzentrierten sich die meisten Forschenden in den letzten 30 Jahren auf menschliche, tierische oder pflanzliche Zellen.
Bisherige Tops...
- Impossible Foods: Es sieht aus wie Blut, schmeckt nach Fleisch, ist aber pflanzlich. Die Burger von Impossible Foods sind das Produkt eines Gentransfers.
- Transgener Mais, Soja, Baumwolle: Mais, Soja und Baumwolle, die Unkrautvernichtungsmittel vertragen und selbst Insektengifte bilden, sind wirtschaftlich top. Sie beherrschen heute die globalen Märkte: Weltweit sind 74 Prozent aller Sojabohnen und 31 Prozent des Maises gentechnisch verändert.
- Golden Rice: Der Reis mit einem höheren Gehalt an Betacarotin (Provitamin A) ist technisch eine Sensation, weil Betacarotin normalerweise in Blättern gebildet wird. Die Forscher verlegten den Prozess ins Reiskorn.
- Star Ruby und Ruby Red: Bei diesen Grapefruits hat man Ende der 1960er-Jahre zu radioaktiver Bestrahlung gegriffen, um die Mutationen für das rosa Fruchtfleisch auszulösen. Ein großer Teil des heutigen Hartweizens und der Gerste ist durch solche mutagenen Methoden entstanden. Diese Pflanzen müssen nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden.
...und Flops der Gentechnik
- Flavr-Savr-Tomate: Genetisch klappte alles, nur wirtschaftlich nicht. 1994 wurde die Anti-Matsch-Tomate in den USA zugelassen, 1997 wieder archiviert, doch zuvor sicherte Monsanto sich Patent und Methode.
- Frostschutz-Bakterien: Ein gentechnisch verändertes Bakterium sollte Erdbeeren vor Frost schützen. „Ice-minus“ wurde aber von Niederschlägen heruntergewaschen und stellte sich schon in der Anwendung als unpraktikabel heraus.
- Gestreifte Petunien: 1990 erlebten Kölner Forscher ein PR-Desaster bei einem Freilandversuch mit Petunien. Statt einfarbig waren die gentechnisch veränderten Petunien plötzlich gestreift. Für viele war dies der Beweis für die Unberechenbarkeit von Gentechnik; für Forscher hingegen ein Hinweis auf die Macht jenseits der Gene, die Epigenetik.
- Innate-Kartoffel: Eine Kartoffel, die keine Druckstellen bekommt, länger haltbar ist und weniger krebserregendes Asparagin enthält? Klang gut, kam aber nie wirklich vom Fleck: Allergieverdacht.
Umso überraschender kam dann die Entdeckung, dass Bakterien eine sehr einfach zu programmierende molekulare Schere benutzen, um Erreger wie zum Beispiel bakterielle Viren, sogenannte Phagen, abzuwehren. Das für die Biotechnologie besonders Nützliche an der Bakterienmethode ist, dass ihre Schere aus zwei Komponenten besteht: Aus einem Protein, Cas9, das für die Schneidefunktion verantwortlich ist, und aus einer Matrix aus Ribonukleinsäure, der guide RNA (gRNA).
Diese gRNA definiert, an welcher Stelle in einem Genom der Schnitt erfolgt. Das heißt, man kann die Schere relativ einfach verändern, indem man die gRNA verändert. Das Schneideprotein bleibt immer gleich, nur die gRNA wird an die Stellen im Genom angepasst, die verändert werden sollen. Es ist ebenso einfach, mehrere Veränderungen gleichzeitig in einem Genom zu erzeugen – hier setzt man dann mehrere anstelle von nur einer gRNA mit dem Cas9-Protein ein.
Günstige und wirksame Schere
Für die Pflanzenforschung und die Landwirtschaft ist die Entdeckung von CRISPR/Cas ein Segen. Obwohl wir schon seit 30 Jahren mit anderen molekularen Scheren gearbeitet haben und auch schon seit langem wissen, was man mit solchen Werkzeugen alles erreichen kann, sind es doch die Einfachheit und Effizienz von CRISPR/Cas, die den entscheidenden Unterschied machen. Die Genschere beschleunigt den Prozess und reduziert die Kosten drastisch: Während man vor 15 Jahren noch ein Dreivierteljahr brauchte, um eine DNA-Schere zum Preis von 25.000 Euro zu konstruieren, ist dies bei CRISPR/Cas durch die einfache Handhabung der gRNA für nur 20 Euro möglich und dauert nicht einmal einen Tag.
CRISPR/Cas ist sicherlich die bisher wichtigste Entdeckung in der Biologie im 21. Jahrhundert.
Die Scheren werden biochemisch so programmiert, dass sie genau die Gene schneiden können, die man ausschalten will. Die Reparatur des Schnitts durch die Zelle führt oft zu Veränderungen an der Schnittstelle. Diese Veränderungen können dann zum Verlust der Funktion des Proteins führen, das eine bestimmte Eigenschaft kodiert.
Erste Anwendungsbeispiele
Wie kann aber die Zerstörung von genetischer Information einen Fortschritt erzeugen? Nun, viele Eigenschaften, die für Pflanzen in der Wildnis von Vorteil sind, sind bei Kulturpflanzen unerwünscht. Wenn man zum Beispiel aus langen, dünnen Halmen kurze, dicke Halme macht, dann kann das Getreide im Feld besser Stürme überstehen.
Wenn man bei Hülsenfrüchten verhindert, dass Schalen bei Reife aufplatzen, um die Samen zu verteilen, kann man die Ernte viel besser einfahren. Auch ist es möglich, Proteine auszuschalten, die für unliebsame Eindringlinge wie etwa Mehltau wichtige Andockstellen sind. So kann die Infektion verhindert und damit auch der Einsatz von Pestiziden massiv reduziert werden.
Mit CRISPR/Cas wurden bereits Weizen-, Tomaten- und Erdbeersorten erzeugt, die gegen Mehltau resistent sind. Daneben konnte Sojaöl mit einer für Menschen gesünderen Zusammensetzung der Fettsäuren gewonnen werden, auch glutenfreier Weizen wird bald zur Verfügung stehen, sodass an Zöliakie, eine Autoimmunerkrankung, leidenden Patienten geholfen werden kann.
Hitze- und Stresstoleranz
Es gibt noch weitere, vielversprechende Anwendungen von CRISPR/Cas für die Pflanzenzüchtung: Die Erderwärmung wird zu einem Rückgang der Ernteerträge führen, wenn wir zukünftig nicht hitze- und salztolerante Kulturpflanzen anbauen. Es ist tatsächlich relativ schwierig, unsere hochgezüchteten Kulturpflanzen mit diesen Eigenschaften zu versehen, aber es gibt viele hitze- und stresstolerante Wildpflanzen. Mit CRISPR/Cas haben wir nun ein Werkzeug in der Hand, das durch gezielte Veränderungen aus Wildpflanzen Kulturpflanzen macht.
So konnten Forscher durch wenige gleichzeitige Mutationen aus wilden Arten von Physalis, Reis und Tomate jeweils kultivierte Sorten erzeugen, ohne dass dies viele Jahre wie die klassische Züchtung brauchte. Aus Wildpflanzen wie der in Äthiopien angebauten Zwerghirse könnten so innerhalb kürzester Zeit neue hitzeresistente Kulturpflanzen entwickelt werden.
Auch kann man mit CRISPR/Cas nun leichter attraktive Gene von Wild- auf Kulturpflanzen übertragen: Gene sind ja linear auf Chromosomen angeordnet, was dazu führt, dass viele Eigenschaften nur gemeinsam übertragen werden können. Deshalb mussten Züchter bisher oft in Kauf nehmen, dass neben positiven Eigenschaften wie etwa einer Resistenz gegenüber Krankheiten auch negative Eigenschaften wie etwa Bitterstoffe eingekreuzt werden.
Meiner Gruppe ist es vor kurzem gelungen, mit CRISPR/Cas erstmals die Struktur von Chromosomen und damit auch die Abfolge der Gene zu verändern. So haben wir nun eine ganz neue Technik in Händen, Gene zwischen Chromosomen auszutauschen oder auf Chromosomen zu verschieben und somit im Züchtungsvorgang negative von positiven Eigenschaften zu trennen.
Das geniale Immunsystem
Wie funktioniert CRISPR in Bakterien? CRISPR steht für clustered regularly interspaced short palindromic repeats, also „gehäuft auftretende, regelmäßig unterbrochene, kurze palindromische Wiederholungen“. Das sind Abschnitte auf der DNA, bei denen die vier Bausteine, die Basen (Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin), so angeordnet sind, dass sie ein Palindrom bilden, also rückwärts wie vorwärts gelesen werden können. Bakterien nutzen diese Palindrome, um Informationsschnipsel von Krankheitserregern, mit denen sie infiziert wurden, zu kennzeichnen.
Diese Reaktion auf eine Infektion ist Teil ihrer Immunabwehr: Werden Bakterien von einem Virus infiziert, zerlegen sie seine genetische Information mit Enzymen und legen diese Schnipsel gesammelt in einem spezifischen Bereich ihres eigenen Bakteriengenoms ab, auf dem sogenannten CRISPR locus. Zwischen diese Schnipsel werden die sich wiederholenden Sequenzen, die Palindrome, gesetzt.
Das Genom der Bakterien enthält nun also auch Teile des Virus-Genoms. Aus diesen speziellen DNA-Abschnitten werden zuerst gRNA hergestellt. Diese bilden dann mit dem Protein Cas9 ein Schneide-Enzym. Kommt es nämlich zu einer erneuten Infektion mit einem für das Bakterium bekannten Phagen, so wird dessen Identität anhand seiner genetischen Information durch diesen Komplex aus gRNA und Cas9 erkannt und sogleich zerschnitten. Die gRNA führt dabei das Enzym und „sagt“ ihm, welche Erbinformation des Virus zerstört werden soll.
Weil die gRNA praktisch ein Abbild der genetischen Information eines bestimmten Pathogens ist, haben Bakterien mit dieser Kombination aus spezifischer gRNA und Schneide-Enzym jeweils maßgeschneiderte Waffen im Falle von Infektionen. CRISPR/Cas ist also ein sehr effizientes Immunsystem für Bakterien: Mit diesem System verhindern Bakterien die Vermehrung von Phagen und werden resistent gegen Pathogene, mit denen sie einmal konfrontiert waren. Es ist schon ein Paradoxon der Wissenschaftsgeschichte, dass der Mechanismus des sehr viel komplexeren, menschlichen Immunsystems Jahrzehnte vor dem sehr viel einfacheren, bakteriellen System in der Funktion erklärt werden konnte.
Neubewertung der Gentechnik
Aber ist CRISPR/Cas nicht gefährlich? Veränderungen des genetischen Materials, Mutationen, passieren in der Natur ständig: Die Pflanzen eines einzigen Getreidefeldes unterscheiden sich jeweils durch hundert oder mehr natürliche Mutationen. Wenn wir die DNA mit CRISPR/Cas schneiden, führt die Reparatur des Schnitts zu einer weiteren Veränderung der genetischen Information. Diese unterscheidet sich aber durch nichts von den natürlichen Mutationen.
Es ist also im Nachhinein gar nicht möglich – weder anhand der Anzahl noch anhand der Art der Mutationen –, eine geneditierte Pflanze von einer natürlichen Pflanze zu unterscheiden. Selbstverständlich muss man aber solche Pflanzen, wie dies auch bei klassisch gezüchteten Sorten passiert, auf Unbedenklichkeit für den Verbraucher prüfen, bevor man sie in der Landwirtschaft nutzt. Jedoch gibt es keine Hinweise, dass von diesen Pflanzen auf irgendeine Art und Weise eine spezielle Gefährdung ausgehen könnte.
Es ist im Nachhinein gar nicht möglich, eine geneditierte von einer natürlichen Pflanze zu unterscheiden.
In vielen Ländern werden daher geneditierte Pflanzen inzwischen wie konventionelle Züchtungen klassifiziert und angebaut. In der EU sind geneditierte Pflanzen mit transgenen Pflanzen gleichgesetzt, was de facto einem Anbauverbot in Europa gleichkommt, da der Anbau unter diesen Bedingungen immense Kosten verursachen würde.
Keine Frage: Bei der Anwendung von CRISPR/Cas in der Pflanzenzüchtung überwiegen die Chancen massiv gegenüber den Risiken. Wir müssen uns jetzt den Herausforderungen der Zukunft stellen: Wir wollen den Pestizidverbrauch massiv reduzieren, wir brauchen schnell Kulturpflanzen, die besser mit Hitze und Versalzung umgehen können, um massive Ernteeinbrüche durch die nicht mehr aufzuhaltende Erderwärmung zu vermeiden. Dazu sollte CRISPR/Cas zukünftig auch in Europa einen wichtigen Beitrag leisten können.
Conclusio
CRISPR/Cas ist eine Genschere, die zuerst an Bakterien entdeckt wurde. Sie ist Teil der Immunabwehr vieler Bakterien. Die Entdeckung dieser „Schere“ war ein Zufallsfund, der aber die Pflanzenforschung und die Landwirtschaft revolutionieren wird. Zum ersten Mal ist es möglich, Gene gezielt zu verändern. Dies beschleunigt die gentechnische Manipulation von Pflanzen und macht sie günstiger. In der Landwirtschaft könnte Crispr/Cas eingesetzt werden, um Nutzpflanzen rasch besser an Dürre, Hitze und Versalzung anzupassen, aber auch um Lebensmittel mit neuen Eigenschaften auszustatten. Die Mutationen durch CRISPR/Cas sind nicht von natürlichen Mutationen zu unterscheiden. Die Europäische Union sollte Zulassungsverfahren und Anbauverbote überdenken: Der Klimawandel wird sonst zu Ertragsverlusten führen.