Landwirtschaft: Zeit für Plan B

Wir brauchen jetzt dringend die Wende zu einer ökologischen und nachhaltigen Landwirtschaft. Dieser Wende könnte es helfen, die Gentechnik als eine nützliche Züchtungsmethode zu sehen, statt die Technologie der Industrie zu überlassen.

Illustration eines Paradiesbaums mit Gentechnik-Obst
Für eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht es viel mehr als nur Gentechnik, aber die Möglichkeiten der Molekularbiologie könnten auch eine nützliche Züchtungsmethode für eine nachhaltige Landwirtschaft sein. © Team Rottensteiner
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Auf den Punkt gebracht

  • Problemfokus. Die Gentechnik wird zu Recht kritisch betrachtet. Das Misstrauen wird aber vor allem durch die industrialisierte Landwirtschaft geschaffen.
  • Weltenwandler. Bereits die traditionelle Kreuzungszüchtung hat die Ökosysteme der Erde dauerhaft verändert, Gentechnik ist per se nicht riskanter als diese.
  • Am Scheideweg. Bald müssen zehn Milliarden Menschen ernährt werden, ohne die natürlichen Ressourcen Wasser, Boden, Luft und Biodiversität weiter zu zerstören.
  • Den Nutzen sehen. Die grüne Gentechnik ist eine weitere Züchtungsmethode und könnte auch in einer nachhaltigen Landwirtschaft eine Rolle spielen.

Es ist schon 30 Jahre her, dass ich für eine Studie zum Vergleich von Biolandbau und konventioneller Produktion und zur Anwendung von gentechnisch veränderten Züchtungen wie den transgenen Bt-Mais angefragt wurde. Das Zentrum für Biosicherheit und Nachhaltigkeit in Basel führte damals eine Studie zur Folgenabschätzung der Gentechnik durch. Es wurden exakt die gleichen Fragen diskutiert wie heute.

Ernährung, Wasser, Klima

Ich führte den Begriff der „Systemkomepetenz“ als Grundlage einer nachhaltigen Landwirtschaft ein. Ich war überzeugt, dass der Biolandbau durch die damals erst erwachende Ökoforschung noch zu ungeahnten Lösungen kommen könnte. In 30 Jahren Bioforschung musste ich lernen, dass systemische Lösungen in wichtigen Bereichen der Landwirtschaft unendlich langsame Prozesse sind.  

Gentechnik erfordert Transparenz

Seit diesen ersten Debatten gab es unter Beteiligung der Wissenschaft, der Politik, der NGOs, der Konsumentinnen und der biologischen und konventionellen Landwirtinnen unzählige nationale und EU-weite Studien zu den Risiken und Potentialen der Gentechnik. Die Datenlage ist klar: Grundsätzlich unterscheiden sich die neuen Züchtungsmethoden bezüglich ihrer Wirkung auf die (Agrar-) Ökosysteme und auf die menschliche Gesundheit nicht von der klassischen Kreuzungszüchtung. Im Raum steht heute hauptsächlich noch die Frage, ob das Vorsorgeprinzip bei der molekularbiologischen Züchtung eine Nullrisiko-Strategie sein muss, und damit viel weiter gehen soll als in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Die Anliegen der Gesellschaft müssen offen und ohne Scheuklappen diskutiert werden.

Unklar ist zweitens, wie konsequent die Deklaration der Züchtungsmethoden praktiziert werden soll, auch in Fällen, wo die identische Mutation auch in der Natur oder durch traditionelle Kreuzungszucht entstehen kann. Bei Punktmutationen, die bereits zahlreiche agronomisch, ökologisch oder für die Qualität interessante Sorteneigenschaften ermöglichen, ist der analytische Nachweis wie die Mutation zustande kam, unmöglich. Dieser Nachweis muss in Zukunft über eine lückenlose Dokumentation des Züchtungsprozesses sichergestellt werden. Ein prozessorientiertes Qualitätssicherungsverfahren, wie es im Ökolandbau schon seit 1992 vorgeschrieben und angewandt wird, müsste eingeführt werden. Vermutlich wird es dabei vor allem bei internationalen Warenströmen und bei Mischfuttermitteln eine hohe Fehler- oder Betrugsquote geben, die übrigens auch die strengste Ökokontrolle nicht verhindern kann.

Besonders kritisch werden drittens die Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen gesehen. Die drei Fragen Sicherheit, Kontrolle und Eigentumsrechte sind tatsächlich allesamt Anliegen der Gesellschaft, die offen und ohne Scheuklappen diskutiert werden müssen. Besonders die letztgenannte Tatsache, dass mit der Gentechnik die Patentierung als Züchterschutz aus den USA in Europa eingeführt wurde, wird zu Recht kritisiert. In Europa sichert der gut etablierte Sortenschutz genug Tantiemen für den Züchter, verunmöglicht aber den Nachbau durch Bäuerinnen und das Weiterzüchten durch andere Züchter nicht. Für den züchterischen Fortschritt ist der Sortenschutz ein dynamisches und bewährtes Konzept, wo es nur Gewinnerinnen gibt. Dies könnte auch für die Regulation gentechnisch veränderter Pflanzen ein Vorbild sein.

Das Misstrauen bleibt

30 Jahre wissenschaftlicher Fortschritt, unzählige Studien unter Einbezug des Dialogs mit der Gesellschaft, Tausende von Foren und Debatten, für die die Wissenschaftlerinnen ihre Labors verließen, und dennoch: Eine Mehrheit der Bevölkerung ist immer noch überzeugt, dass man noch nicht genug wisse, um die „Büchse der Pandora“ zu öffnen. Das Bild einer Risikotechnologie mit wenig Nutzen für die große Jahrhundertherausforderung einer sicheren Ernährung von bald zehn Milliarden Menschen bei gleichzeitig stark reduziertem Verbrauch der natürlichen Ressourcen Luft, Wasser, Boden und Biodiversität hält sich hartnäckig. Warum?

Die Erfolgsgeschichten fehlen. Die Züchter gehen nicht in die Offensive, und die neuen Sorten sind nicht auf dem Markt.

Das Knäuel an Gründen ist nur schwer zu entwirren. Nach so intensiver öffentlicher Risikodiskussion ist ein schlechtes Image kleben geblieben: „Il n’y a pas de fumée sans feu“, es gibt keinen Rauch ohne Feuer, wie man in Frankreich solche Situationen beschreibt. Das verunsichert. Man weiß aus der neuropsychologischen Forschung und aus soziologischen Studien, dass die Korrektur von schlechten Geschichten ein Vielfaches von guten braucht. Haben wir diese Erfolgsgeschichten tatsächlich, die den vielfältigen Nutzen der neuen Züchtungsmethoden Schlag um Schlag beweisen? Die Züchter reden viel von vollen Pipelines mit neuen Sorten hochrelevanter ökologischer und Qualitäts-Eigenschaften, und das Julius Kühn Institut führt die entsprechenden Listen stetig fort. Aber die Züchter gehen nicht in die Offensive und die neuen Sorten sind nicht auf dem Markt. Es wird noch zehn Jahre dauern, bis die Stimmung kippen wird. Aber sie wird.

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Zahlen & Fakten

Foto eines Rapsfeldes unter einem bewölkten Himme
Ein Rapsfeld in Schottland: Großbritannien hat sich dazu entschlossen, mit CRISPR/Cas veränderte Pflanzen für den Anbau zuzulassen. © Getty Images

Wieviel Natur steckt in unserem Essen?

Nicht mehr sehr viel: Schon vor 15.000 Jahren begann der Mensch, aus Wildpflanzen Kulturpflanzen zu machen. Das Ergebnis sind heute Pflanzen, die sich sehr gut in die Geschäftsmodelle der industrialisierten Landwirtschaft einfügen, aber dem Klimawandel nicht gewachsen sind. Ein Überblick über Verfahren der Pflanzenzüchtung.

  • Kultivierung: Mit der Aussaat von nützlichen Pflanzen begann der Mensch schon vor rund 15.000 bis 10.000 Jahren seine Umwelt zu verändern und schuf eine eigene menschengemachte „Natur“.
  • Domestikation: Durch Zurückhalten von bestimmten Samen traf der sesshaft gewordene Mensch eine erste Auslese von Pflanzen, die sich besonders gut für den Anbau und für die Ernte eignen.
  • Kreuzung: Die Kreuzungszüchtung versucht, bestimmte Eigenschaften gezielt zu züchten und dauerhaft im Erbgut zu verankern.
  • Hybridsorten: „Hybriden“ werden durch Selbstbefruchtung, die sogenannte Selbstung, erzeugt. Sie sind genetisch einheitlich; das primäre Züchtungsziel: gute Umsetzung von Stickstoffdünger. Hybriden sind vermehrungsfähig, die Nachkommen haben aber sehr schlechte Erträge.
  • Mutationszüchtung: Hierbei werden Pflanzen radioaktiv bestrahlt oder mit Chemikalien behandelt, um verbesserte Eigenschaften zu erzielen. Diese Form der Züchtung wird auch Mutagenese genannt und ist seit den 1960er Jahren eine übliche Methode.
  • Gentransfer: Der Gentransfer erlaubt den Einbau fremder Gene in das Pflanzengenom. Es ändern sich die Ziele der Pflanzenzüchtung. Es geht fortan vor allem darum, Pflanzen resistent zu machen – vor allem gegen Pestizide.
  • Genom-Editierung und Genscheren: Das Erbgut der Pflanzen wird direkt und gezielt verändert. Es ist heute üblich, Pflanzen durch Genom-Editierung gegen bestimmte Insektengifte oder auch Unkrautvernichter, zum Beispiel Glyphosat, resistent zu machen.

Billige Futter- und Lebensmittel als Problem

Ein weiterer Grund für das Misstrauen gegen die Gentechnik ist die Tatsache, dass die intensive, auf wenige Produktionszweige ausgerichtete Landwirtschaft immer noch dominant die Agrarsysteme prägt. Diese produziert billige Futter- und Lebensmittel. Und Konsumentinnen kaufen mit überwältigender Mehrheit billig ein, das zeigt gerade wieder die aktuelle Krise, wo der Konsum von biologischen Lebensmitteln ins Stocken gerät.

Was die Konsumentin gut findet, verhindert, dass sich diversifizierte, agrarökologische Produktionssysteme durchsetzen. Industrielle Produktionssysteme werden zu Unrecht mit der Gentechnik gleichgesetzt. Die industrielle Landwirtschaft ist das Ergebnis einer ökonomischen und logistischen Entwicklung, die viele Profiteure hat. Die Gentechnik ist eine nützliche Züchtungsmethode, die solche negativen Entwicklungen unterstützt, die aber genauso überlegene Eigenschaften für nachhaltige und komplexe Anbausysteme liefern könnte.

Gentechnik im Dienste der Nachhaltigkeit

Wir kennen die Stufen der agrarökologischen Transformation zu nachhaltigen, resilienten Produktionssystemen, und wir kennen den ökologischen Fußabdruck des verschwenderischen Konsums von Fleisch und von Lebensmittelverschwendung: Die vielen positiven Ansätze und Initiativen, die es sowohl in der nachhaltigen Landwirtschaft wie auch im nachhaltigen Konsum gibt, müssen durch die Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) gestärkt werden, und es bedarf auch der Maßnahmen auf der Ebene der Regionalpolitik. Deshalb diskutiert die Europäische Kommission zurzeit einen gesetzlichen Rahmen für die Farm-to-Fork-Strategie, die zum ersten Mal einer Entwicklung eine Richtung gibt und diese auch mit geeigneten Indikatoren einer umfassenden Nachhaltigkeit überwachen will.   

Der Plan A für eine Transformation ist die Ernährung: eine Halbierung des Fleischkonsums und der Lebensmittelverschwendung.

In Diskussionen gibt es auch immer wieder forschungsskeptische Menschen, denen die Entwicklung viel zu schnell geht. Diese denken in Begriffen wie natürlich und künstlich. Oft wird dabei übersehen, dass die Landwirtschaft die Natur seit 15.000 Jahren sehr stark verändert hat. Eine moderne Gerstensorte hat Körner, die hundertmal schwerer sind als jene der Urform, der Mäusegerste. Der Akt des Essens hat aber in der übersättigten Gesellschaft mittlerweile einen dermaßen überhöhten Status des Genusses, der Lebensfreude, der gesellschaftlichen Positionierung und der persönlichen Identitätsfindung erhalten, dass Bilder wie Natürlichkeit in der Werbung instrumentalisiert werden.


Mein Fokus liegt nicht erst seit den Arbeiten für die wissenschaftliche Vorbereitung des UNO-Welternährungsgipfels 2021 auf der Frage der gesunden Ernährung von zehn Milliarden Menschen, ohne den weiteren Verschleiß von natürlichen Ressourcen und den Verbrauch von fossilen Energieträgern. Aus den Studien zum Verlust von Biodiversität wissen wir, dass die Stickstoffdüngung, die industrielle, nach Größe und Vereinfachung strebende Landwirtschaft und die Anwendung von Pestiziden die verursachenden Faktoren des Verlusts der Arten sind.

Plan B heißt, die Forschung konsequent im Sinne der nachhaltigen Problemlösung zu nutzen.

Der Plan A für eine Transformation ist deshalb immer die Ernährung, das heißt, eine Halbierung des Fleischkonsums und eine Halbierung der Lebensmittelverschwendung. Wir dürfen aber die Instrumente des Plan B nicht aus der Hand geben, und die sind im Falle der Landwirtschaft und der Ernährung für wichtige Meinungsträger der Gesellschaft weniger „sexy“, denn sie heißen, die modernen Methoden der Forschung, die Digitalisierung, die Molekularbiologie und die Materialwissenschaften (zum Beispiel Nanotechnologien für die Haltbarmachung von Lebensmitteln) konsequent im Sinne der nachhaltigen Problemlösung zu nutzen. Damit lösen wir die Treiber der gewaltigen Steigerung der Lebensmittelproduktion des 19. und 20 Jahrhunderts ab, den Bergbau (Phosphor), die Erdölindustrie (Stickstoff) und die chemische Synthese (Pestizide). Der Raubbau-Mentalität folgt eine echte ökologische Feinsteuerung.

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Conclusio

Die Tatsache, dass die grüne Gentechnik heute vor allem in der industriellen Landwirtschaft, die nicht zukunftsfähig ist, genutzt wird und besonders im Hinblick auf Patente ein Problem darstellt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine weitere Züchtungsmethode ist, die nicht mehr oder weniger Risiken birgt als die konventionelle Kreuzungszüchtung. Die neue Gentechnik könnte auch in einer nachhaltigen Landwirtschaft, die die natürlichen Ressourcen nicht ausbeutet, eine Rolle spielen. Die intensive Landwirtschaft ist das eigentliche Problem, das gelöst werden, und die Gentechnik ein Werkzeug, das man ihr aus der Hand nehmen sollte.