Beenden Frauen das Regime im Iran?

Die Frauen im Iran haben es mit einem gefährlichen Gegner zu tun – den Revolutionswächtern. Doch ihr Widerstand zeigt, dass der Gottesstaat nun am Ende ist. Warum, erklärt die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur im Podcast.

Foto einer Frau mit einer schwarzen Jeansjacke, auf deren Rücken ein Bild von einer Frau mit geschlossenen Augen und einer Mundbedeckung abgebildet ist Die Frau hält ihre Haare fest. Die Geste zeigt, dass die Frau sich die Haare abschneiden will, ein Symbol für die Revolution der Frauen im Iran 2023.
Internationale Unterstützung für den Kampf der iranischen Frauen, hier in Washington im Februar 2023. Die Solidarität sei wichtig, meint Katajun Amirpur, jedoch: „Wir gucken immer nur eine zeitlang hin.“ © Getty Images

Am 16. September 2022 starb die 22jährige Mahsa Amini im Kasra-Krankenhaus in Teheran an den Folgen von Schlägen durch die sogenannte Sittenpolizei. Noch am selben Tag kam es vor dem Krankenhaus zu Protesten.

Der Podcast

Frauen warfen ihre Kopfbedeckung ab und schnitten sich öffentlich die Haare ab – ein Akt des Widerstandes, denn nach Vorstellung mancher Autoritäten des islamischen Regimes ist es Frauen verboten, kurze Haare zu tragen. Die Protestierenden riefen „Tod dem Diktator“ und bald auch „Frau, Leben, Freiheit“ – „Jin, Jiyan, Azadî“.

Die Protestierenden riskieren alles, denn der Gegner ist mächtig: Die Menschen kämpfen gegen ein „Schattenimperium“, wie Katajun Amirpur erklärt. Es sind die Revolutionswächter, die brutale Macht, die in Wahrheit den Iran regiert und die Wirtschaft beherrscht. Die Islamwissenschaftlerin Amirpur erklärt im Podcast, wie diese Machtelite entstand und warum sie dennoch überzeugt ist, dass der Iran nun – wie auch der Rest der Welt – in eine Phase des Postislamismus eingetreten ist.

Die Situation im Iran

Das Regime im Iran reagierte auf die Proteste zunächst mit Pfefferspray, Schlägen, Verhaftungen und Schüssen. Allein in den ersten drei Wochen des Protests starben nach Angaben der Menschenrechtsorganisation HRANA 200 Menschen durch das Regime, darunter Jugendliche und Kinder.

Inzwischen ist das Regime dazu übergegangen, Menschen zu verhaften, zu foltern und nach Scheinprozessen zu exekutieren. Amnesty International geht von 94 Exekutionen im Januar und Februar 2023 aus. Betroffen sind vor allem jugendliche Angehörige ethnischer und konfessioneller Minderheiten. Auch die Giftgas-Anschläge auf Schulen und mutmaßlich die Teheraner U-Bahn sind Ausdruck der Brutalität des Regimes.

Doch der Widerstand geht weiter und ist inzwischen in eine Phase des zivilen Ungehorsams eingetreten, erklärt Amirpur: „Frauen tragen weniger das Kopftuch, die Behörden kommen nicht mehr hinterher.“ In dieser Phase sei es wichtig, dass die öffentliche Aufmerksamkeit außerhalb des Iran nicht nachlässt. Man müsse bedenken, dass das Internet eingeschränkt sei und Bilder und Berichte daher nur schwer nach Außen dringen.

×

Zahlen & Fakten

Schwarz-weiß Fotografie von Frauen und jungen Männern die bei einer Demonstration ein großes Banner mit persischen Schriftzügen tragen und ernst blicken.
Demonstration für das Frauen-Wahlrecht 1953 in Teheran. Im selben Jahr fand die amerikanisch-britische „Operation Ajax“ statt und installierte die Schah-Diktatur. © Getty Images

Die Kämpfe der Frauen

Die Proteste im Iran sind nicht die ersten des Landes und oft genug waren es die Frauen, die Veränderung eingefordert haben. Eine sehr kurze Geschichte ihrer Kämpfe im Iran.

Frauen schwenken Kopftücher, Schals und Schleier. Schwarz-weiß Foto aus dem Iran.
Juli 1980: Frauen protestieren beim Amtssitz des damaligen Präsidenten Abolhassan Banisadr gegen die Schleier-Pflicht. © Getty Images
  • 1979 bis 1980: Gleich nach dem Sturz des Schah ging es los. Frauen wehren sich gegen die Pflicht zur Verhüllung. Die Vorschriften galten zuerst für den Öffentlichen Dienst, später für alle Frauen. Doch noch unter der Diktatur des Schah erkämpften sich Frauen das Wahlrecht. Sie erlangten es früher, 1963, als die Frauen in der Schweiz (1971).
Foto von protestierenden Frauen im Iran, keine trägt ein Kopftuch.
Proteste gegen Bekleidungsvorschriften am 8. März 1979 in Teheran. © Getty Images
  • 1999 begannen Proteste zunächst ausgehend von Studierenden, nachdem ein Student in Teheran bei einer Polizeirazzia ermordet wurde. Zu dem Zeitpunkt ist die Macht der Revolutionswächter schon einzementiert: Sie haben 100.000sende Männer unter Waffen, darunter die paramilitärischen Basijis, die Iranische Revolutionsgarde und die Gefängniswärter. Die Revolutionswächter haben auch die wirtschaftliche Macht im Staat. Bei den Protesten 1999 wurde das Ende der Islamischen Republik Iran gefordert.
Drei verschleierte junge Frauen stehen zusammen, eine von ihnen telefoniert. In der Hand halten sie Bilder mit dem Konterfei von
Präsident Mohammed Khatami galt als Hoffnungsträger für mehr Demokratie. Im Juli 1999 kommt es nach dem gewaltsamen Tod eines Studenten bei einer Polizeirazzia zu Protesten. © Getty Images
  • 2009 flammten die Proteste wieder auf, nachdem es zu Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen gekommen war. „Wo ist meine Stimme?“ lautete der Slogan. Es ging um die Stimmen für Mir Hossein Mousavi.
Frauen mit zum Victoryzeichen erhobenen Händen gehen eine Straße entlang und halten Fotos von Mir Hossein Mousavi, einem Präsidentschaftskanidaten, in die Höhe.
Proteste in Teheran 2009: Mir Hossein Mousavi war ein Reform-Kandidat, doch es kam zu Wahlbetrug. © Getty Images
  • 2022: Am 17. September 2022 wurde Mahsa Amini in ihrem kurdischen Heimatort Saqqez beigesetzt. Viele hunderte Menschen kamen. Es ist der Auftakt für die bisher größten Proteste im Iran. „Jin, Jiyan, Azadî“ wird zum Ruf für ein Ende des Gottesstaates. Katajun Amirpur urteilt, dass dieser sich bereits lang delegitimiert habe. Auch aus theologischer Sicht. Auch diese Proteste sind nicht die ersten der Zehner- und Zwanziger Jahre. 2018 und 2019 brachten die Lebenshaltungskosten die Menschen auf die Straße.
Eine Frau hält einen Bilderrahmen mit zwei Fotos, die eine junge Frau zeigen. Auf dem einen Foto ist sie verwundet, auf dem anderen Foto steht sie lächelnd in einem Garten.
Mahsa Amini auf Fotos bei solidarischen Protesten in Berlin im September 2022. © Getty Images

Über Katajun Amipur

Katajun Amirpur stammt aus Köln und ist Professorin für Islamwissenschaften an der Universität zu Köln mit dem Schwerpunkt Schia- und Iranstudien. Amirpur ist die Autorin zahlreicher Bücher über den Islam und den Iran. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem von der Europäischen Akademie der Wissenschaften; zuletzt erhielt sie den Reuchlin-Preis der Stadt Pforzheim. Am 16. März 2023 erscheint ihr neuestes Buch im Verlag C.H. Beck: Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat.