Game Over für Spekulanten

Kleinanleger trieben gezielt Aktien in astronomische Höhen – und Hedgefonds in den Ruin. Beginnt hier die große Demokratisierung der Kapitalmärkte oder ein völlig unkontrollierbares Börsenchaos auf Kosten der Jungen?

Junge Frau zieht an einem übergroßen Ballon
Der Aktienkurs von Gamestop wurde von jungen Kleinaktionären in die Höhe getrieben – zum Leidwesen von Hedgefonds. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Revolution der Jungen. Vor allem junge Kleinaktionäre sprechen sich bei Aktienkäufen zunehmend online ab und setzen Großinvestoren unter Druck.
  • Böse Überraschung. Hedgefonds, die auf fallende Kurse gewettet haben, erleben mitunter ihr blaues Wunder. Der Fall GameStop hat das gezeigt.
  • Demokratisierung der Märkte. Einst verschlossene Aktienmärkte werden durch die Beteiligung von Kleinanlegern demokratisiert. Alle können mitmachen.
  • Hohes Risiko. Kleinanleger können zwar lukrative Kursbewegungen auslösen. Wann der richtige Zeitpunkt ist, um auszusteigen, weiß keiner.

Es ist ein neues Spiel. Zum ersten Mal in der Geschichte des Aktienhandels haben Kleinanleger 2021 gemeinsam ihre Muskeln spielen lassen und die Kurse vom Videohändler GameStop und Kinobetreiber AMC fast nach ihrem Wunsch in astronomische Höhen getrieben. Sie nutzten dabei zur Kommunikation die Plattform Wallstreetbets des sozialen Netzwerks Reddit. Gehandelt wurde über neue Onlinebroker wie Robinhood und Trade Republic. Die Spekulation ging voll auf: GameStop-Aktien stiegen zwischenzeitlich um sagenhafte 2.000 Prozent. Kleinanleger wurden zu Millionären, Hedgefonds wie Melvin Capital – eigentlich die Meister der Spekulation – verloren Milliarden. Einige dieser risikoreichen Fonds gingen sogar über den Jordan.

Die revolutionären Entwicklungen werfen einige Fragen auf. Wie gewagt sind die Wetten der meist jungen Anleger? Und kippt das Machtgefüge an den Märkten, an denen Profi-Investoren wie Investmentbanken oder Hedgefonds bisher dominierten? Läuten die Ereignisse eine Demokratisierung der Kapitalmärkte, vielleicht sogar eine Ökologisierung ein?

„Die Märkte sind de facto schon sehr demokratisiert“, sagt die Finanzexpertin Larissa Kravitz, die auch die Homepage investorella.at betreibt. „Jeder und jede kann daran teilnehmen und der Markt macht keinen Unterschied, ob man männlich oder weiblich, schwarz oder weiß, jung oder alt ist. Das Trading steht allen offen.“ AMC und GameStop mögen zwei Spezialfälle gewesen sein, doch davon wird es in Zukunft mehr geben, meint Kravitz. „Das Gute war die öffentliche Wirkung. Sehr viel junge Menschen wurden darauf aufmerksam und schlossen sich dieser Bewegung an“, so die Expertin. Diese Entwicklung sieht sie äußerst positiv: „Die Märkte leben von Liquidität und Bewegung.“

Hedgefonds verkaufen, was sie gar nicht besitzen

Die Ziele der Trader waren einerseits durch die Verknappung auf dem Markt käuflicher Aktien – dem Short Squeeze – schnelle Gewinne zu machen und andererseits sich mit den Hedgefonds anzulegen, beschreibt Kravitz die Situation. Diese oft spekulativ ausgerichteten Profianleger hatten bei GameStop und AMC auf fallende Kurse gewettet.

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Zahlen & Fakten

Die Umsetzung eines Short Squeezes funktioniert so: Man sucht sich Unternehmen, bei denen sehr viele Investoren Aktien verkauft haben, die sie gar nicht besitzen. Die also Leerverkäufe getätigt haben, bei welchen risikofreudige Investoren die Wertpapiere nur geliehen haben. „Diese Investoren müssen die Aktien ja irgendwann wieder zurückkaufen.

Wenn der Kurs steigt, kann es sein, dass die Short Seller entweder in Panik geraten und beginnen zu kaufen oder dass die Banken sie zwingen deren – kreditfinanzierte – Positionen mit einem Kauf wieder zu schließen. So etwas kann den Kurs binnen kürzester Zeit enorm nach oben treiben“, sagt Kravitz.

Short Squeezes sind an und für sich nichts Neues, sie sind aus den USA schon seit den 1920er-Jahren bekannt: „Sie stellen auch einen wichtigen Korrekturmechanismus im Markt dar. Neu an AMC und GameStop ist lediglich, dass nicht Hedgefonds auf einen Squeeze spekulieren sondern Privatinvestoren“, sagt Kravitz. Aufgrund der GameStop-Turbulenzen musste ein Hedgefonds schließen. Kravitz: „In dieser Hinsicht war das ein Zeichen an die Hedgefonds-Branche, dass sie nicht allein am Markt sind und jederzeit damit rechnen müssen, dass jemand gegen sie spekuliert, wenn sie es übertreiben.“

Am Ende sind die Kleinanleger die Dummen

In der Aktion lauern aber auch Gefahren – speziell im Timing. Kauft man Aktien, um einen Short Squeeze auszulösen, und erlebt einen plötzlichen Kurssprung, ist es nahezu unmöglich abzuschätzen, wann die Spitze erreicht ist. So kann man mit einem Verlust aussteigen. Eine weitere Gefahr: Anleger können in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Auf Kursmanipulation stehen deftige Strafen.

Die Finanzmärkte selbst mögen das aushalten, sagt Kravitz, einzelne Broker jedoch nicht. So sperrten einige Plattformen zeitweise den Handel der betroffenen Aktien für Privatinvestoren – die Folge für die Privatinvestoren: sie konnten dann nicht rechtzeitig aus ihrer Aktienposition heraus.

Markus Wilhelm, Mitgründer von finanzenverstehen.at, sieht das Positive an der Corona-Krise: „Für Privatanleger war es noch nie einfacher, Wertpapiere zu handeln.“ Der Trend zu sogenannten „Hotstocks“ wie Gamestop und AMC werde sich wieder legen, meint Wilhelm: „Hier gibt es keinerlei fundamentale Indikatoren, die diese Kurse rechtfertigen. Das sind bloß Strohfeuer.“

Das Gefährliche dabei sei, dass viele Kleinanleger im Wallstreetbets-Forum alles auf einer Karte setzen und – wenn die Kurse wieder fallen – ihr gesamtes Kapital verlieren, sagt Wilhelm. Er spricht von einem Machtkampf zwischen David und Goliath.

Florian Beckermann, Vorstand des Interessenverbandes für Anleger (IVA), sieht in der GameStop-Gegenaktion zu einer Short-Seller-Attacke eine wirkliche Neuentwicklung. „Die Aktion stellt eine gewisse Rückkehr zur Aktionärsdemokratie dar. Eine Demokratie, die sich gegen eine scheinbar übermächtige Fonds-Industrie wehrt. Das ist das positive Element aus Sicht des Anlegerschutzes. Nicht, weil Kleinanleger Fonds nicht mögen, sondern weil Short-Selling-Attacken den Interessen von nachhaltigen Investoren regelmäßig entgegenlaufen.“

Die gefährdete Gruppe sind neuere Anleger mit einem unfreiwillig eingeschränkten Informationskosmos.

Florian Beckermann

Wenn es jedoch um den gesamten Ablauf der Aktion geht, gibt es für Beckermann nur ein Wort: Zockerei! „Fundamentale Kriterien wurden außer Acht gelassen. Fehlinformationen wurden gestreut. Die US-Börsenaufsicht wurde zu Recht alarmiert“, sagt Beckermann. „Sicher ist, dass auch beim Erfolg der Gegenaktion am Ende meist kleinere Privatanleger die Dummen waren.“

Ähnlich sieht Beckermann den AMC-Fall: „Auch hier haben die fundamentalen Aussichten des Unternehmens nichts mit dem Börsenhype zu tun. Die Erwartungen für das zukünftige Kinogeschäft sind überschaubar. Dennoch propagiert Reddit hier Vorteile und manche springen drauf.“

Gier macht blind

Jede Epoche, sagt Beckermann, hat sein Hype-Medium: „Früher gab es Gerüchte, heute heißt das Medium Reddit. Der Inhalt ist vergleichbar und für Nicht-Zocker eher unbrauchbar. Am Rande: Selbst der Broker Robinhood scheiterte an seinem eigenen Anspruch und zeigte durch zweifelhafte Handelsunterbrechungen, dass er zum Finanz-Establishment gehört. Eine Posse, die die Gamestop-Story noch pfefferte und die Gefahr für Privatanleger noch unterstrich. Die Gerichte werden dazu noch eine Meinung haben.“

Gefahren bleiben für Beckermann noch viele: „Vorab: Der gebildete Investor macht mir keine Sorgen – der kann das Risiko einschätzen. Die gefährdete Gruppe sind neuere Anleger mit einem unfreiwillig eingeschränkten Informationskosmos. Manche Reddit-Deals werden insbesondere in der Community propagiert, suggerieren leichte Gewinne für eine anfällige Klientel und verführen zu unkontrollierten, unregulierten Verlusten ohne gesetzlichen Schutz. Die Gier macht blind für jegliche Warnungen. Das ist die Hauptgefahr. Auch wenn es dem Staat nicht gefällt, sein Eingreifen ist notwendig. Gerade wenn junge Menschen betroffen sind, die der Kapitalmarkt dann als Investoren verliert. Denn nachhaltiges, regelmäßiges Anlegen in jungen Jahren ist das sinnvollste. Insofern ist die Entwicklung zusätzlich bedauernswert.“

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Conclusio

Hedgefonds setzen auf fallende Kurse ausgesuchter Aktien. In Sozialen Medien formiert sich eine Gegenbewegung, die just diese Aktien kauft und so die Preise hinauftreibt. Das kann als Demokratisierung bislang sehr verschlossener Kapitalmärkte gesehen werden. Oder als gefährliches Spiel, bei dem vor allem junge, unerfahrene Menschen viel Geld verlieren. Kleinanleger sollten nicht alles auf eine Karte setzen und einem Hype blind folgen. Zudem sollten Vorschriften betreffend Kursmanipulation beachtet werden – bei Verstößen drohen hohe Strafen.