Die Klimafolgen dieses Krieges
Russlands Krieg in der Ukraine ist eine menschliche Katastrophe, die durch Umweltzerstörung noch schlimmer wird. Wir dokumentieren die Klimafolgen, um sie strafbar zu machen.
Auf den Punkt gebracht
- Alte Waffe. Die gezielte Zerstörung von Wäldern, Flüssen ist ein altes militärisches Mittel, um größtmögliche Kriegsschäden zu bewirken.
- Dauerhaft. In einer hoch industrialisierten Umwelt potenzieren sich die langlebigen Folgeschäden, die Emissionen werden die gesamte Welt auf Dauer belasten.
- Neue Messung. Die erste Studie zu CO2-Emissionen des Ukraine-Krieges zeigt, dass nur ein Jahr Krieg den Jahres-Emissionen Belgiens entspricht.
- Beweise sammeln. Die Registrierung von Umweltschäden ist notwendig, um Russland in vollem Umfang zur Verantwortung zu ziehen.
Der vollständige Einmarsch der Russischen Föderation in die Ukraine hat Europa und die Welt in Aufruhr versetzt. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg versucht ein Land, eine souveräne Nation zu besetzen, zu zerstören und von der europäischen Landkarte zu tilgen.
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Die menschliche Tragödie, die dieser Akt der Aggression ausgelöst hat, ist ungeheuerlich: Millionen von Ukrainern mussten ihre Heimat verlassen und in anderen Teilen des Landes Zuflucht suchen oder ins Ausland fliehen.
Zivile Infrastruktur als Ziel
Die Ukraine ist ein hoch industrialisiertes Land, und das Ausmaß der Zerstörung der zivilen Infrastruktur – Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Industrie und Straßen – ist groß. Mit der Stabilisierung der Frontlinien nach den ersten Monaten der Invasion hat sich das Ausmaß der Zerstörung zwar verlangsamt, doch mit jedem weiteren Kriegsmonat nehmen die Schäden zu.
Die Ukraine ist ein Land von der Größe Frankreichs mit einer gut ausgebildeten Bevölkerung und einer starken Zivilgesellschaft. Gegenüber einer viel größeren russischen Armee erwies sich die Widerstandsfähigkeit dieser Zivilgesellschaft als entscheidend für den Überlebenskampf des Landes.
Viele Zivilisten halfen den Flüchtlingen bei der Suche nach einer neuen Bleibe, und Privatpersonen unterstützen freiwillig diejenigen, die in der Nähe der Frontlinien geblieben sind. Die ukrainische Armee wird von der Gesellschaft durch direkte Spenden, wie zum Beispiel Autos mit Allradantrieb, oder durch Spendenaktionen für den Kauf von Drohnen unterstützt.
Bestimmung der Umweltschäden
Die Ukraine hat recht bald damit begonnen, die durch den Krieg verursachten Schäden zu registrieren. Das Land unternimmt diese Anstrengungen in Erwartung einer Entschädigung durch Russland, die Gegenstand einer künftigen Regelung sein muss. Mitarbeiter der Hochschule für Wirtschaft Kiew haben in Zusammenarbeit mit ukrainischen Ministerien ehrenamtlich damit begonnen, alle Schäden an der zivilen Infrastruktur zu erfassen und zusammenzustellen.
Aber nicht nur die materiellen Schäden, auch die Umweltschäden werden erfasst, wobei das Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen die Federführung hat. Nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen (NGO) helfen bei diesem Unterfangen, oft mit Hilfe von Satellitenbildern und Postings in sozialen Medien. Bürger können sogar mit einer App einfach per Telefon Umweltvorfälle melden.
Warum ist die Erfassung von Umweltschäden relevant? Sollte nicht der Kampf ums Überleben im Vordergrund stehen, und ist nicht die Sorge um die Umwelt nur ein ablenkender Luxus?
Die Darstellung der Umwelt als Luxus täuscht darüber hinweg, dass die Umwelt seit jeher ein Mittel ist, um den Gegner im Krieg unter Druck zu setzen. Im Mittelalter wurden Wasserbrunnen vergiftet, um eine belagerte Stadt zur Kapitulation zu zwingen. Im 16. Jahrhundert setzten die Niederländer ihr Land unter Wasser, um den spanischen Truppen das Leben schwer zu machen und den Zugang zu versperren.
Ökozid als Kriegswaffe
In der heutigen Zeit haben kriegerische Auseinandersetzungen in einem hochindustrialisierten Land wie der Ukraine viel größere Auswirkungen auf die Umwelt: Das Land ist dicht mit Industriekomplexen wie jenen der Chemie- und Stahlindustrie überzogen. Jeder Beschuss kann zu einer unkontrollierten Freisetzung von Schadstoffen in Boden, Wasser und Luft führen.
Nach internationalem Recht werden Kollateralschäden bis zu einem gewissen Grad akzeptiert, wenn der Schaden im Vergleich zum militärischen Gewinn begrenzt ist. Eine Zerstörung der Umwelt, die keine oder nur sehr geringe Effekte auf die militärische Situation hat, ist jedoch ein Kriegsverbrechen.
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist ein typisches Beispiel für ein (Umwelt-)Kriegsverbrechen ohne oder sehr geringen militärischen Nutzen, aber mit enormen Umweltschäden. Einige Rechtsexperten argumentieren sogar, dass diese Aktion als Ökozid definiert werden könnte, das heißt, als „rechtswidrige oder mutwillige Handlungen, die in dem Wissen begangen werden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass durch diese Handlungen schwere und entweder weit verbreitete oder langfristige Umweltschäden verursacht werden“.
Ökozid ist im internationalen Recht nicht als Verbrechen anerkannt, wie es im ukrainischen Recht der Fall ist, aber Juristen würden ihn gerne als „fünftes“ Verbrechen neben Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Verbrechen der Aggression anerkannt sehen.
Globale Wirkung
Und damit komme ich zu meinem Punkt: Russland sollte für seine Aggression in vollem Umfang zur Verantwortung gezogen werden. Es sollte Reparationen und Entschädigungen zahlen, damit die Ukraine einen Großteil der Schäden, auch an der Umwelt, beheben kann. Um dies zu ermöglichen, ist die Registrierung des entstandenen Schadens ein erster, aber entscheidender Schritt.
Und die Umweltschäden beschränken sich nicht nur auf Boden, Wasser und Luft auf dem Gebiet der Ukraine. Jeder groß angelegte Konflikt, wie es dieser Krieg ist, führt zu erheblichen Emissionen von Treibhausgasen in die Atmosphäre.
Als ich zusammen mit einer Gruppe von Klimaexperten einen Monat nach der Invasion damit begann, die Klimaschäden zu berechnen, wurde uns schnell klar, dass dies noch nie zuvor gemacht worden war. Hierfür gibt es mehrere Gründe.
Seit dem Zweiten Weltkrieg war die Welt nie frei von Konflikten und Kriegen, aber in vielen Fällen handelte es sich um relativ kleine Konflikte fernab der Öffentlichkeit, so dass das menschliche Leid kaum sichtbar war, ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Umwelt. Auch ist der Zusammenhang zwischen Kohlenstoffdioxid-Emissionen und dem Treibhauseffekt zwar seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt, allerdings befasste sich außerhalb der Klimawissenschaften lange Zeit kaum jemand damit.
Einige Wissenschaftler haben die Treibhausgasemissionen von Konflikten untersucht, etwa den Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg, die Zerstörung von Ölquellen in Kuwait durch die sich zurückziehende irakische Armee oder den Einsatz fossiler Brennstoffe durch die US-Armee in ihrem „Krieg gegen den Terror“. Die Emissionen von Konflikten wurden jedoch nie umfassend untersucht, wie dies jetzt der Fall ist.
CO2 und der Krieg
Das erste, was einem zum Thema Kohlenstoffemissionen einfällt, ist die Kriegsführung selbst. Wie der Rest der Gesellschaft ist auch das Militär für seine täglichen Operationen in hohem Maße von fossilen Brennstoffen abhängig. Kampfflugzeuge, Panzer und Lastwagen verbrauchen Kerosin oder Diesel in großen Mengen. Diese Kampfflugzeuge, Panzer und Lastwagen werden aus Stahl oder Aluminium hergestellt, also aus Materialien, deren Herstellung sehr kohlenstoffintensiv ist, ganz zu schweigen von der Munition, die in großen Mengen produziert werden muss.
Zahlen & Fakten
Die Bilanz nach einem Jahr
- 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent wurden im ersten Jahr des Krieges zusätzlich emittiert. Das entspricht den Emissionen Belgiens im selben Zeitraum.
- Mehr als die Hälfte (50,2 Prozent) geht auf die Zerstörung ziviler Infrastruktur zurück.
- Fast 22 Prozent der Emissionen sind eine Folge der Kampfhandlungen.
- Fast 18 Prozent sind Emissionen aus Waldbränden.
- Die Zerstörung der Nordstream-Pipelines ist Ursache für 14,6 Prozent der Emissionen.
- 12 Prozent sind zusätzliche Emissionen der zivilen Luftfahrt (Umwege)
- Fluchtbewegungen verursachten 2,7 Prozent der Emissionen.
Da es keinen Präzedenzfall gab, gingen wir davon aus, dass Kriege und Kriegsemissionen die wichtigste Emissionsquelle sein würden. Dies erwies sich als nicht zutreffend. Der Beschuss auf beiden Seiten der aktiven Frontlinie verursacht viele Waldbrände, hauptsächlich in Wäldern, aber auch auf landwirtschaftlichen Flächen und in der bebauten Umgebung.
Jenseits der aktiven militärischen Zonen werden Waldbrände mit regulären Ursachen (zum Beispiel Blitzschlag, menschliche Aktivitäten) nicht gelöscht: Viele Feuerwehrleute kämpfen an der Front, Luftangriffe erlauben es nicht, das Feuer zu löschen, und der Luftraum ist für Löschflugzeuge gesperrt. Die Zahl der Brände, die größer als ein Hektar sind, hat sich im Vergleich zum gleichen Zeitraum vor Kriegsbeginn um das 36-fache erhöht.
Eine weitere Emissionsquelle ist der Transport von etwa acht Millionen Ukrainern, die ins Ausland geflohen und von denen etwa drei Millionen in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Innerhalb der Ukraine zogen Millionen von Menschen auf der Suche nach Sicherheit vom Osten in den Westen des Landes.
Der Wiederaufbau
Die größte Quelle ist jedoch der künftige Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur nach dem Ende des Krieges. Wir alle haben die Bilder der Zerstörung gesehen, mit Mariupol als ikonischem Beispiel: Praktisch alle Gebäude, einschließlich der beiden Stahlwerke, wurden dem Erdboden gleich gemacht. Dies alles muss in gewissem Umfang wieder aufgebaut werden, wofür große Mengen an Beton, Stahl und anderen Baumaterialien benötigt werden.
Gemeinsam mit der Europäischen Union und anderen Verbündeten bereitet sich die Ukraine bereits auf den Wiederaufbau nach dem Krieg vor. Finanzielle Mittel werden bereitgestellt, und Architekten und Stadtplaner befassen sich mit verschiedenen Entwürfen.
Die Ukraine setzt sich sehr für einen umweltfreundlichen Wiederaufbau ein, das heißt, sie stellt sicher, dass die Gebäude energieeffizient sind und erneuerbare Energie, zum Beispiel durch Sonnenkollektoren, erzeugen. Dennoch ist die Verwendung von großen Mengen an Beton und Stahl unvermeidlich, die bei ihrer Herstellung große Mengen an Treibhausgasen freisetzen.
Energiekrise als Folge
Der Krieg hat auch Auswirkungen auf die Emissionen außerhalb des Konfliktgebiets. Westliche Flugzeuge, die zwischen Nordeuropa und China oder Japan fliegen, dürfen den sibirischen Luftraum nicht nutzen und müssen erhebliche Umwege fliegen. Unabhängig von der Frage, wer es getan hat, wäre die Sabotage von Nord Stream 1 und 2 ohne die russische Aggression nicht möglich gewesen. Nach den Explosionen wurden enorme Mengen an Methan in die Atmosphäre freigesetzt, ein sehr starkes Treibhausgas.
Positiv zu vermerken ist, dass die von der Russischen Föderation ausgelöste Energiekrise dem ohnehin schon rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa Auftrieb gegeben hat. Plötzlich wurde Europa klar, dass entgegen der landläufigen Meinung Sonne und Wind die zuverlässigsten Energiequellen sind, nicht Öl und Gas.
Das ukrainische BIP sank im Jahr 2022 um fast 30 Prozent, da viele Industrien schließen mussten und der Konsum zurückging, da etwa 20 Prozent der Bevölkerung das Land verlassen hatte. Obwohl noch keine Daten vorliegen, werden die Treibhausgasemissionen insgesamt gesunken sein. Leider bringt dies keine Entlastung für das Klima, da viele dieser Emissionen einfach ins Ausland verlagert werden, da die Geflüchteten Energie und Produkte anderswo verbrauchen und Stahlerzeugnisse, die vor dem Krieg ein wichtiges Exportgut der Ukraine waren, von Konkurrenten hergestellt werden.
Unsere Studie hat gezeigt, dass die ersten zwölf Monate dieses Krieges zu zusätzlichen Gesamtemissionen von 119 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent geführt haben, was den jährlichen Emissionen eines hochentwickelten Landes wie Belgien entspricht.
Unterschätzter Emittent: Das Militär
Obwohl die Kriegsführung nur 20 Prozent der Gesamtemissionen ausmacht, rückt unsere Studie die militärischen Emissionen ins Rampenlicht. In Friedenszeiten ist das Militär ein großer Emittent von Treibhausgasen, und eine aktuelle Studie schätzt, dass das Militär allein für 5,5 Prozent der gesamten weltweiten Emissionen verantwortlich ist.
Da wir eher früher als später aus den Treibhausgasemissionen aussteigen wollen (die EU will bis 2050 eine Netto-Null-Emission erreichen), muss auch das Militär seinen Betrieb dekarbonisieren. Leider gibt es aufgrund der Geheimniskrämerei kaum Transparenz über die Emissionen der Verteidigungsindustrie.
Auch die Ausnahmen, die dem Militär im Kyoto-Protokoll und im Pariser Abkommen zugestanden werden, tragen nicht dazu bei, das Ausmaß der militärischen Emissionen zu verstehen. Da Europa seine Militärausgaben aufgrund der Aktionen der Russischen Föderation erhöht, werden die militärischen Emissionen im kommenden Jahrzehnt eher zunehmen als abnehmen.
Die Ökologisierung des Militärs wird definitiv ein Thema sein, dem in den kommenden Jahren immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, da die Verteidigungsindustrie erst anfängt, über Dekarbonisierungsstrategien nachzudenken und hinter den Bemühungen der zivilen Welt zurückbleibt.
Zurück zur Ukraine: Die Registrierung der Umwelt- und Klimaschäden wird Russland nicht dazu bringen, seinen Krieg zu beenden. Aber es wird der Ukraine dabei helfen, die Beseitigung der Schäden vorzubereiten, was eine gewaltige Aufgabe sein wird. Außerdem wird ein Register die notwendigen Beweise liefern, um die Russische Föderation für alle Schäden, die sie dem Land zugefügt hat, zur Rechenschaft zu ziehen. Und, vielleicht naiverweise, sollte es die Hemmschwelle für künftige Aggressoren erhöhen, einen solch zerstörerischen Krieg zu beginnen.
Conclusio
Umwelt und Natur sind gezielt zerstörte Kriegsziele im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die Schäden werden von ukrainischen Behörden, Wirtschaftswissenschaftlern und NGO dokumentiert. Zum ersten Mal wurden im bisherigen Kriegsverlauf auch die Treibhausgasemissionen gemessen, um die globalen Folgen des Krieges einschätzen zu können. Neben der Kontamination und der Zerstörungen von Wäldern wird sich der Wiederaufbau am stärksten niederschlagen. Da Ökozid und Klimafolgen keine Straftatbestände nach EU-Recht sind und auch im internationalen Recht nur bedingt strafbar sind, ist die Klärung von Reparationen und Entschädigungen eine bedeutende Rechtsfrage.