Zum Stand des Krieges

Der Politikwissenschaftler Gerhard Mangott zieht Bilanz: Sind China und Russland wirklich so eng? Ist die nukleare Drohung ein Bluff? Kann der Krieg mit Verhandlungen enden?

Innenansicht einer durch Raketen zerstörten Kirche in Odessa.
Zerstörungen in der Spaso Preobrazhenskiy-Kathedrale am 24. Juli 2024. Die Kathedrale im Zentrum von Odessa wurde bei einem Raketenangriff Russlands teilweise zerstört. Bei dem Angriff wurden 18 Menschen verletzt, ein Mensch starb. 1936 durch die Sowjets zerstört, war die Kathedrale ab 1999 wiederaufgebaut und 2003 geweiht worden. © Getty Images

Als Putin am 17. Juli 2023 das Getreideabkommen nicht mehr verlängerte, nahm er in Kauf, das Lager seiner Unterstützer, vor allem die Türkei und China, zu brüskieren. Der Politikwissenschaftler Gerhard Mangott zieht nach 17 Monaten des Krieges eine nüchterne Bilanz und erklärt, warum und wie sehr China, die Türkei und einige afrikanische Staaten von Russland abhängig sind und was Russland wiederum von ihnen braucht.

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Immer noch sind Rohöl, Erdgas und Düngemittel das Faustpfand Russlands. Die Türkei ist auf russische Touristen angewiesen, auf die Bauaufträge für türkische Unternehmen und für türkische Landwirte. Gleich zwei Pipelines verbinden Russland mit der Türkei, die das Gas außerdem weiter nach Europa verkauft. China fungiert in Bezug auf Dünger ebenfalls als Parallelimporteur bzw. -exporteur und ermöglicht es Russland so, die westlichen Sanktionen zu umgehen.

Zwei Menschen mit Schaufeln gehen vor einem zerstörten Metallgebäude auf Getreidehaufen herum. Im Hintergrund sind verbrannte LKW zu sehen. Das Bild illustriert einen Beitrag über den Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Frage ob Russland und die Ukraine in Verhandlungen eintreten können.
Ein durch Raketen zerstörtes Getreidelager bei Odessa am 24. Juli 2023: Bewohnerinnen und Bewohner von Pavlika versuchen zu retten, was von der Gerste und den Erbsen noch übrig ist. Der Verlust an Getreide trifft den globalen Süden indirekt über höhere Preise an den Börsen. © Getty Images

Einen Dragonbear wie ihn die Politologin Velina Tchakarova beschreibt, sieht Mangott hingegen nicht. China hat ein starkes Interesse an einem antiwestlichen Russland, das halbwegs stabil ist. Die Allianz der beiden Staaten sei darüber hinaus nicht so eng und friktionsfrei wie es die Metapher nahelegt.

Auf der anderen Seite sei die Loyalität der USA zur Ukraine ungebrochen, wie Mangott erläutert: „Die Waffenlieferungen sprechen eine deutliche Sprache.“ Ende Juli hat das ukrainische Präsidialamt unter Präsident Wolodymyr Selenskyj Gespräche über Sicherheitsgarantien mit Washington aufgenommen.

Das Ende des Krieges

Eine Verhandlungslösung hält Mangott zu diesem Zeitpunkt für nicht wahrscheinlich. Die Ukraine kann erst dann verhandeln, wenn keine russischen Soldaten mehr auf ukrainischem Boden sind. „Worüber soll dann noch verhandelt werden?“, fragt Mangott. Was sich derzeit abzeichne, sei ein Erschöpfungskrieg, der auf militärische Abnützung hinauslaufe. Wenn dieses Stadium erreicht ist, werde es auch zu Verhandlungen kommen, glaubt Mangott.

Die nukleare Bedrohung

Ebenso wie der Historiker Timothy Snyder hält Gerald Mangott es für falsch, den Krieg als einen Krieg Putins zu sehen, das verstelle den Blick für die tiefgreifenden Veränderungen, die in Russland passiert sind und wecke die falsche Hoffnung, der Krieg sei beendet, wenn Putin nicht mehr an der Macht sei: „Auf einen Zerfall der russischen Führungselite darf der Westen nicht hoffen. Das ist unrealistisch.“

Die Angst vor einer nuklearen Eskalation des Krieges kann Gerhard Mangott nicht ganz beschwichtigen. Die nukleare Drohung sei mehr als ein Bluff: „Ein Restrisiko für taktische Nuklearwaffen besteht, wenn Russland den Zugriff auf die Krim gefährdet sieht, dass muss man berücksichtigen.“

Über Gerhard Mangott

Gerhard Mangott ist Universitätsprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck und auf Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum spezialisiert. Für den Pragmaticus hat er eine Analyse des Systems Putin geschrieben.

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