Trotzdem keine Bananen in Sibirien
Steigende Temperaturen verleiten zur These, dass in Tundra und Taiga bald Ackerbau möglich ist. Die tatsächlichen Vorteile der Klimaerwärmung für Regionen wie Sibirien sind aber begrenzt, denn neben dem Klima kommt es auf viele weitere Faktoren an.
Auf den Punkt gebracht
- Langsame Wanderung. Die ökonomisch sinnvolle Wachstumsgrenze für Silomais rückt jedes Jahr um rund zehn Kilometer weiter nach Norden vor.
- Dramatische Entwicklung. Sogenannte Klima-Kippeffekte können gerade in nördlichen Breitengraden dramatische und unumkehrbare Folgen haben.
- Komplexes System. Der Ackerbau ist von zahlreichen, hochkomplexen Parametern abhängig. Es reicht nicht, nur die Temperatur im Auge zu behalten.
- Verminderte Vielfalt. Kleinräumig könnten in alpinen Regionen durch den Temperaturanstieg Pflanzen wie die Preiselbeeren fast aussterben.
Weil alle Dinge zwei Seiten haben, könnte man überlegen, ob es nicht auch Vorteile des globalen Temperaturanstiegs gibt. Etwa eine deutliche Ausweitung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen. So einfach ist die Sache in der Realität freilich nicht: Denn das Wachstum von Nutzpflanzen ist von zahlreichen Faktoren, die wiederum miteinander in Zusammenhang stehen, abhängig. Die wichtigsten Parameter sind das Vorhandensein von ausreichend Wasser und die herrschende Temperatur. Beide Stellschrauben der Natur werden durch den Klimawandel stark beeinflusst.
Obstbau ist in höheren Lagen möglich
Das führt zu durchaus bemerkenswerten Ergebnissen. Wir sehen nämlich bereits jetzt deutliche Auswirkungen des schon erfolgten Temperaturanstiegs. So ist der Obstbau mittlerweile in höheren Lagen möglich – in Lagen in denen man noch gegen Ende des vorherigen Jahrhunderts nicht daran denken konnte. Aus Pflanzensicht haben sich durch den Klimawandel einige limitierende Wachstumsfaktoren verbessert: Weniger starker Winterfrost bedeutet bessere Überwinterungsbedingungen bei Winterkulturen, oder vor allem in ozeanisch geprägten Klimaten auch weniger Schäden an Trieben und Knospen durch Spätfrost im Frühjahr. In Finnland, Norwegen oder Schweden kann bereits die Sommerkultur Silomais angebaut werden, die recht wärmesensibel ist. Das eröffnet natürlich einige landwirtschaftliche Möglichkeiten.
Mit einer großen Einschränkung, die bei laienhafter Betrachtung weit weniger augenfällig ist: die Bodenverhältnisse. Nicht jeder Boden ist für Landwirtschaft gleich gut geeignet. Sandige oder steinige Böden sind schwierig – und zwar unabhängig von der Temperatur. Auch zu viel Hitze oder zu starke Sonneneinstrahlung sind dem Wachstum abträglich. Um es klar zu sagen: Das Zusammenspiel der einzelnen Parameter ist sehr komplex.
Südfrüchte am Nordkap sind Illusion, aber Weinbau in Südschweden kann in den nächsten Dekaden Sinn machen.
Was hingegen recht eindeutig definiert ist, sind Grenzwerte, die natürliche Prozesse in Gang bringen oder komplett unmöglich machen. So ist bei vielen Nutzpflanzen die Photosynthese erst ab circa fünf Grad Celsius plus möglich. Salopp gesagt: darunter tut sich nichts. Wird aber diese Grenze übersprungen, macht sich plötzlich ein großer Einfluss bemerkbar – Wachstum, Vermehrung, Fruchtausbildung. Ein paar Zehntel Grad mehr haben großen Einfluss auf die Dauer der Wachstumsperiode und das gesamte Wohlergehen der Pflanze.
Will man Pflanzen landwirtschaftlich nutzen, kommt es ja nicht nur auf das pure Überleben des Gewächses an. Sondern vor allem um den Ertrag, es soll ja schließlich geerntet werden. Ein Beispiel: Reis wächst mittlerweile auch in unseren Breitengraden. Sinn macht der Anbau aber nur bedingt, weil es im Vergleich zu den herkömmlichen Anbauregionen relativ wenig Ertrag gibt. In anderen Regionen (subtropische Regionen Asiens) ist der Ertrag wesentlich höher. Entscheidend ist die Optimaltemperatur. Umso häufiger diese erreicht wird, desto höher fällt die Ernte aus – sofern nicht andere Faktoren ertragslimitierend wirken (wie Wasser, Bodenbeschaffenheit, etc.).
Klimawandel trifft alpine Regionen
Der Effekt des Temperaturanstiegs ist aber nicht nur nach den Breitengraden zu beobachten, sondern mit der Höhenlage auch in den Bergen, etwa den Alpen. Dafür gilt eine grobe Maßregel: Ein Anstieg um 0,5 Grad Celsius bringt ein Vorrücken einer bestimmten Temperaturzone und des damit verbundenen Vegetationscharakters von 100 Höhenmetern. Das heißt: Die bereits durch den Klimawandel stattgefundenen circa plus ein Grad Celsius im Alpenraum bedeuten schon eine Höhenveränderung von 200 Metern. Das macht etwa den Obstbau in über 1.000 Metern möglich. Während sich in den niederschlagsarmen Niederungen etwa das produktive Grünland zurückzieht – wegen des zunehmend hohen Wasserbedarfs durch die stärkere Verdunstung bei höheren Temperaturen. Merke: Unter etwa 800 Millimeter Jahresniederschlag wird es für produktives Dauergrünland schwierig – das ist auch bei uns in Österreich der Fall.
Noch einmal zurück nach Skandinavien. Der bereits angesprochene Silomais rückt derzeit jährlich durchschnittlich um zehn Kilometer nach Norden vor. Die Folge: Der durchaus wirtschaftlich sinnvolle Anbau ist in Dänemark bereits möglich – vor 20 Jahren war in dieser Region noch nicht daran zu denken. Für Körnermais reicht der Effekt des Klimawandels freilich noch nicht aus – denn bei dieser Version des Anbaus müssen die Körner auch voll ausreifen, was nur bei höheren Temperaturen funktioniert. Denkt man die 10 Kilometer-Entwicklung weiter, dann wären in 100 Jahren weitere tausend Kilometer erreicht. Dem ist natürlich nicht immer so, denn dann kommen wieder andere limitierende Faktoren wie die Tageslichtdauer als bestimmend für die Wachstumsperiode ins Spiel. Die Ansprüche an diese Parameter variieren bei jeder Pflanze. Südfrüchte am Nordkap sind Illusion, aber Weinbau in Oberösterreich oder Polen bis Südschweden kann in den nächsten Dekaden Sinn machen.
Zahlen & Fakten
- Temperaturanstieg macht Obstbau in Lagen über 1.000 Metern möglich.
- Die sinnvolle Anbaugrenze für Silomais rückt pro Jahr 10 Kilometer nach Norden.
- Ein Anstieg von 0,5 Grad bedeutet in den Alpen eine Vegetationsänderung von 100 Höhenmetern.
- Photosynthese ist erst ab plus 5 Grad Celsius möglich.
Betrachtet man den Klimawandel und den damit in Zusammenhang stehenden Temperaturanstieg auf einer globalen Ebene, kommt man trotz der vorher ausgeführten Entwicklungen zu einem ernüchternden Ergebnis. Die Vor- und Nachteile gleichen sich nicht aus. Der Verlust von fruchtbaren Gebieten, etwa durch Fortschreiten der Wüsten, wird absehbar nicht durch die Ausweitung der Anbaugebiete im Norden kompensiert. Denn in Sibirien wird es voraussichtlich an vielen Standorten und für viele Nutzpflanzen zu feucht werden – viel Regen bedeutet auch geringere Sonneneinstrahlung. In Verbindung mit den dortigen Böden (einstige Permafrostböden) könnte großflächige Landwirtschaft (zu) herausfordernd werden.
Für den Klimawandel ist das Auftauen der Permafrostböden und das Austrocknen der in Russland vorhandenen großflächigen Moor- und Sumpflandschaften zudem ein weiterer Treiber. Drainagiert man diese Landschaften, dann wird die dort gespeicherte enorme Menge an gebundenen Kohlenstoffverbindungen frei. Tauen dann auch noch die Permafrostböden weiter auf, beginnen Mikroorganismen zu arbeiten und Methangas entweicht – ein besonders klimawirksames Gas. Die Folge können sogenannte Klimakippeffekte sein, also einzelne Veränderungen, die bei Überschreiten einer bestimmten Schwelle rapide und irreversible Folgen haben können. Leider werden auch Bäume in arktischen Tundralandschaften sehr, sehr langsam wachsen – bis diese CO2 binden, vergehen Zeitspannen, die mehrere menschliche Generationen umfassen.
Die Natur ist sehr anpassungsfähig
Abschließend lässt sich sagen: Das Klima auf der Erde war schon immer Veränderungen unterworfen. Im Mittelalter gab es etwa durch natürliche Klimaschwankungen verursachte Abkühlung dramatische Ernteausfälle und dadurch Hungersnöte. Damals war die direkte regionale Abhängigkeit der Nahrungsmittelproduktion aus der Landwirtschaft auch viel ausgeprägter. Das ist heute zum Teil auch noch in Entwicklungsländern der Fall. Sie sind anfälliger auf durch Klimaeinflüsse verursachte Nahrungsmittelknappheit aus eigener Produktion. In weiter entwickelten Ländern sind aufgrund der viel besseren Agrarstrukturen und der implementierten Produktionstechnik eher rein ökonomische Auswirkungen zu beobachten.
Kurzfristig kann der Anbau stressresistenter Pflanzen helfen. Die Natur ist tatsächlich sehr anpassungsfähig. Klar ist aber auch: Das Klima ist ein träges System und ein Einfluss auf dessen Wandel hat einen langen Bremsweg. Maßnahmen, die wir jetzt treffen, zeigen erst im Jahr 2050, aber dann sehr nachhaltig, ihre Effekte. Die geringeren CO2-Emissionen der „Corona-Zeit“ machen sich in diesem System kaum bemerkbar. Dafür war/ist die Zeitspanne einfach zu kurz. Auf Pflanzenebene könnten regional einige Arten massiv zurückgedrängt werden – für einige Alpenkräuter oder die Preiselbeere könnte der natürliche Verbreitungsraum regional stark eingeschränkt sein. Oliven werden aber in Südtirol auch auf Höhen von 1.000 Meter gedeihen. Mangos oder Bananen freilich nicht…
Conclusio
Die Grenze für den Anbau einzelner Feldfrüchte rückt wegen des Temperaturanstiegs jährlich um zehn Kilometer nach Norden vor. Das bedeutet aber nicht, dass der kommerzielle Anbau überall sinnvoll und möglich ist, weil auch andere Faktoren wie Bodenbeschaffenheit oder Bewässerung in Betracht gezogen werden müssen. Der Klimawandel mag in manchen Regionen der Erde, wie Skandinavien oder Sibirien, Vorteile für die Landwirtschaft bringen. Die Nachteile überwiegen aber. So kann das Auftauen von Permafrostböden zu gewaltigen zusätzlichen CO2-Emissionen führen. Zwar ist die Natur sehr anpassungsfähig. Stressresistente Pflanzen können neue Lebensräume erobern. Doch es ist dennoch wichtig, den Klimawandel jetzt zu bremsen, weil das Klima ein sehr träges System ist. Maßnahmen, die wir jetzt setzen, machen sich erst Jahrzehnte später bemerkbar – wenn wir sie aber nicht setzen, drohen Klima-Kippeffekte mit ungeahnten Folgen.