Bleibt die Inflation, weil wir alt sind?
Kurzfristig treiben Ukraine-Krieg und Lieferengpässe die Preise. Langfristig kommt mit der Alterung ein weiterer Teuerungsschub hinzu. Je weniger eine Gesellschaft aus ihrem Alter macht, desto stärker die Inflation.
Die hohe Teuerung lässt unsere Kaufkraft schrumpfen und die Wirtschaft erlahmen. Diese Entwicklung dürfte noch länger anhalten, sorgt doch die Alterung der Gesellschaft für zusätzlichen Inflationsdruck. Das stellt uns vor eine ziemlich schwierige Aufgabe, die aber nicht unlösbar ist. Allerdings erfordern die richtigen Maßnahmen einigen Mut und Entschlossenheit.
Dabei ist die Ausgangslage nicht überall gleich. Die Inflation lag im Durchschnitt der Eurozone im Mai bei 8,1 Prozent, in Österreich bei acht Prozent. In den USA stiegen die Preise im April um 8,3 Prozent an. Trotz ähnlicher Werte und einem wichtigen gemeinsamen Nenner – die durch Corona gestörten Lieferketten – unterscheiden sich die Gründe für die hohe Inflation in den USA und in Europa. Während sich hier vor allem steigende Energiepreise auswirken, ist die Inflation auf der anderen Seite des Atlantiks eine Folge des spektakulären Stimulus-Pakets. Dieses hat nicht nur dazu geführt, dass die Nachfrage nach Gütern nicht gesunken ist, sondern hat sie sogar noch erhöht; womit ein weiteres Mal die Frage nach der Wirkung solcher Maßnahmen beantwortet wäre.
Die Nachfrage erklärt einiges, aber nicht alles
Neben den Unterschieden gibt aber auch einen gemeinsamen Nenner: Die großzügige Corona-Unterstützung in den USA mit direkten Zahlungen an die Haushalte und einer spürbaren Erweiterung der Arbeitslosenunterstützung hat zu einem extremen Fachkräftemangel geführt. Nachdem 2021 immerhin 47 Millionen Amerikaner ihren Job aufgegeben oder verloren haben, werden nun quer durch alle Branchen Arbeitskräfte gesucht. Die US-Arbeitslosenrate liegt aktuell bei 3,6 Prozent – das sind etwa 5,9 Millionen Menschen. Gleichzeitig sind immer noch 11,5 Millionen Stellen unbesetzt. In einem solchen Umfeld steigen die Löhne – und damit auch die Preise – prompt.
Die wahren Gründe der Inflation
Auf den Arbeitsmärkten in Europa ist die Lage ähnlich. Rund 250.000 Arbeitslosen stehen in Österreich knapp 250.000 offene Stellen gegenüber – wobei es in vielen Regionen und Berufen signifikant mehr Jobs als geeignete Kandidaten gibt. Überall in Europa ist die Zahl der unbesetzten Stellen auf einem sehr hohen Niveau angekommen.
Was hat all das aber mit der Inflation zu tun? Sehr viel. Denn ein Arbeitsmarkt mit vielen offenen Stellen und nur wenigen passenden Fachkräften erzeugt einen Lohndruck nach oben. Die steigenden Lohnkosten werden weitergereicht und führen zu steigenden Preisen für die Konsumenten. Und wenn es nach den britischen Ökonomen Charles Goodhard und Manoj Pradhan geht, ist das erst der Anfang.
Alterung verstärkt die Inflation
In ihrem Buch „The Great Demographic Reversal“ beschreiben Goodhard und Pradhan, warum die Alterung der Gesellschaft aus ihrer Sicht zu einer dauerhaft hohen Inflation führen wird: Die geringere Verfügbarkeit von Arbeitskräften wird die zuvor geschwächte Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer wiederherstellen. Höhere Löhne und auch ein höheres natürliches Niveau der Arbeitslosigkeit werden die Folge sein. Darüber hinaus beeinflusst die Alterung die Produktivität. Ältere Mitglieder der Gesellschaft sparen außerdem in der Regel weniger als jüngere. Sie geben ihre Rücklagen aus, was zu einer höheren Nachfrage führt.
Wir müssen ältere Menschen durch Anpassungen im Pensionssystem länger im Job halten.
Demographiebedingte Ausgaben für Pensionen, Gesundheit und Pflege sorgen indes dafür, dass sich die Staaten weiter verschulden. Die jahrelange Nullzinspolitik hat die Illusion genährt, dass hohe Staatsschulden kein Risiko seien. Inzwischen übersteigt der Schuldenstand der meisten Industrieländer aber ihre Wirtschaftsleistung bei weitem. Das ist kein Problem, solange die Finanzmärkte an die Tragfähigkeit dieser Schulden glauben. Dieser Glaube kann sich aber rasch als Illussion herausstellen, wie uns etwa der drastische Anstieg der Zins-Spreads von Griechenland und Italien am Anfang der Corona-Pandemie gezeigt hat, bevor die EZB versprach, die Schulden zu kaufen. Diese steigen übrigens angesichts der möglichen Wende der EZB-Politik aktuell wieder und lagen in Mai 2022 fast auf dem Niveau von April 2020.
Zinserhöhungen helfen nur bedingt
Die Zentralbanken können – wenn sie wollen – der demographiebedingten Inflation entgegenwirken. Ein geeignetes Instrument dafür wäre eine restriktive Geldpolitik, also die Erhöhung der Leitzinsen. Diese wäre behutsam, in kleinen Schritten umsetzbar. Allerdings bliebe auch diese Intervention nicht ohne Nebenwirkungen: Steigende Zinsen führen dazu, dass weniger investiert wird, und das wiederum wirkt sich negativ auf das Wachstum aus. Damit wird es auch schwieriger, Investitionen anzugehen, die erforderlich wären, um den demografisch bedingten Arbeitskräftemangel ausgleichen zu können, weil das Kapital dafür fehlt.
Länger arbeiten sollte kein Tabuthema sein
Dieser Kapitalmangel kann zwar durch Kapitalzuflüsse aus dem Ausland behoben werden: Höhere Zinsen ziehen Kapital aus Ländern an, in denen die Zinsen geringer sind. Der damit verbundene Kapitalzufluss führt jedoch auch zu einer höheren Nachfrage nach der Währung und folglich zu einer Aufwertung. Das schwächt die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes mit einer älteren Gesellschaft; erst recht, wenn auch noch die Preise für die Produkte steigen.
In dieser Gemengelage bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Wettbewerbsfähigkeit so gut es geht zu pflegen. Sparen, Kostensenkungen, die Suche nach Effizienzpotenzialen zählen zu den Pflichtaufgaben. Die Kür aber wäre, dass wir endlich noch gezielter auf jene Arbeit setzen, in der die jahrzehntelange Erfahrung der Menschen die Produktivität nicht schmälert, sondern erhöht. Konkret: Ältere Menschen durch entsprechende Anpassungen im Pensionssystem länger im Job zu halten. Dieser Schritt wird zu fundamentalen Veränderungen in vielen Bereichen unseres Lebens führen. Aber das sollte uns unser Wohlstand wert sein.