Illustration einer Zeitung mit Überschrift Fachkräfte, auf die eine Lupe gehalten wird

Leerstelle Fachkräfte

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Kommentar

Ohne Handwerk keine Zukunft

Akademiker haben wir genug! Der Gesellschaft fehlen Nachwuchs-Handwerker. Und zwar viele. Wir müssen – und können – den jungen Menschen zeigen: Es lohnt sich, auf eine Lehre zu setzen.

Illustration von Reinhold Würth
ist Aufsichtsratsvorsitzender der Stiftung der Würth Gruppe
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Auf den Punkt gebracht

  • Kraftlose Wirtschaft. Der ökonomische Aufschwung sowie die Vision einer grünen Transformation droht an fehlenden Fachkräften zu scheitern.
  • Das Frauendilemma. Mangels ganztägiger Kinderbetreuung entscheiden sich auch viele hochqualifizierte Frauen gegen eine Vollzeitstelle.
  • Tabuthema Pensionsalter. Die erfahrensten Mitarbeiter werden in Rente geschickt, obwohl viele länger aktiv sein können und wollen.
  • Talente-Mörser Schule. Unser Bildungssystem übertüncht Begabungen und lässt Schüler ratlos zurück, welchen Beruf sie ergreifen wollen.

Gerade erwacht die Weltwirtschaft aus einem Albtraum. Wegen der Pandemie waren Geschäfte geschlossen, Handelsrouten gesperrt, zeitweise standen Fabriken still. Jetzt, da der Spuk in den Industriestaaten hoffentlich bald vorbei ist, setzt ein großer Tatendrang ein. Menschen geben wieder Geld aus, und Unternehmen produzieren mit Verve. Gleichzeitig wird von Washington über Brüssel bis Peking die neue Ära des grünen Wirtschaftens eingeläutet: Immense Infrastrukturprogramme sollen eine Verkehrs- und Energiewende bringen, Unternehmen sind angehalten, ihr Geschäft in den digitalen Raum zu verlegen. Wie sich herausstellt: Der Visionen gibt es viele, es fehlen die Menschen, sie in die Tat umzusetzen.

Ambitionierte Klimaziele stoßen an Grenzen: Es fehlen Handwerker, die Solarzellen auf Dächer schrauben und Thermen tauschen, es fehlen Facharbeiter, die Baumaschinen für neue Bahntrassen steuern, es fehlen Techniker und Ingenieure für die Öko-Projekte, und nicht zuletzt fehlen die Programmierer, die den Code schreiben, ohne den nur mehr wenig im privaten wie beruflichen Leben funktioniert. Was in der öffentlichen Debatte etwas sperrig Fachkräftemangel genannt wird, ist nichts Geringeres als eine der größten Herausforderungen für künftigen Wohlstand. Was ist zu tun?

Karriere mit Kindern

Dem Arbeitsmarkt fehlen nicht viele weibliche Beschäftigte, sondern weibliche Arbeitskraft – rund jede zweite Frau arbeitet Teilzeit. Darin sieht Monika Köppl-Turyna, Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, ein Problem und gleichzeitig einen Lösungsansatz für den Fachkräftemangel: Würden Frauen so häufig Vollzeit arbeiten, wie es bei Männern üblich ist, entspräche das einem zusätzlichen Arbeitspensum von 750.000 Vollzeitstellen. Um das Potenzial zu schöpfen, müsste die ganztägige Kinderbetreuung ausgebaut werden. Das Schöne daran: Eine derartige Investition finanziert sich für den Staat selbst, weil dank zusätzlicher Beschäftigung auch die Steuereinnahmen steigen und Ausgaben für Mindestpensionen sinken würden.

Alter als Hürde 

Apropos Pension, auch hier gibt es Reformbedarf. Die erfahrensten Leute verlassen Jahr für Jahr den Arbeitsmarkt Richtung Rente. Ein wirksames Instrument gegen den zunehmenden Fachkräftemangel wäre daher, diese vorhandenen Mitarbeiter zu motivieren, länger zu arbeiten, schlägt Buchautor und leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung Alexander Hagelüken in seinem Pragmaticus-Report vor. Die Politik betrachte das Pensionsalter als Tabu und ignoriere dabei, dass sich die Lebenserwartung in den vergangenen 150 Jahren verdoppelte. Viele Fachkräfte können und wollen etwas länger oder wenigstens bis 65 produktiv sein. Körperlich würden das die meisten schaffen. Altersteilzeit sollte schmackhafter gemacht werden, und auch finanzielle Anreize sollten gesetzt werden, über das gesetzliche Antrittsalter hinaus aktiv zu sein. Der Schlüssel, Fachkräfte zu halten, liegt oft darin, sie einfach zu fragen. Die Politik muss es nur möglich machen.

Fehlende Talenteschmiede

Seit langem reagieren Deutschland, Österreich und die Schweiz auf die Alterung der Gesellschaft mit Einwanderung. Ohne Migration würden ihre Bevölkerungen längst schrumpfen. Dank der Globalisierung ist es einfacher, Mitarbeiter aus dem Ausland anzusprechen. Gleichzeitig herrscht ein Wettbewerb vor allem um hoch qualifizierte Arbeitskräfte wie Ärzte, Programmierer oder gar selbständige Unternehmer. Sich im internationalen Talentewettbewerb zu behaupten ist wichtig, aber nicht einfach. Um den Fachkräftemangel zu verstehen, muss man feststellen, dass es bei der Integration von Einwanderern und deren Kindern Aufholbedarf gibt, wie der prominente Bildungsexperte Andreas Salcher in seinem Themenreport festhält: Schüler mit Migrationshintergrund würden bei Schulleistungen tendenziell in den meisten Industrieländern schlechter abschneiden als Kinder Einheimischer. In Österreich sei dieser Prozentsatz von Schülern mit Leistungsschwächen mit 53 Prozent allerdings erschreckend hoch.

Was Migrantenkindern zum Verhängnis wird, trifft den Nachwuchs von Einheimischen genauso: Das industrielle Modell von Schule selektierte in vermeintlich dumme und kluge Kinder. Einen Teil der Schüler und ihre Perspektiven abzuwerten verhindert, dass sich ihr Potenzial entfaltet. Effektiv fehlt Schülern nach Abschluss der Pflichtschule das Wissen, für welchen Beruf sie sich begeistern könnten. Aus demotivierten Teenagern Fachkräfte zu machen, die Stolz empfinden, etwas zu beherrschen, wird zur Herkulesaufgabe. 

Mehr Druck auf Arbeitslose?

Bei so manchem Unternehmer herrscht Unverständnis, dass trotz hoher Arbeitslosigkeit so viele Stellen wie noch nie unbesetzt bleiben. Über 130.000 Jobangeboten standen im Oktober 341.000 Arbeitslose gegenüber. Derzeit wird heftig darüber debattiert, ob das Arbeitslosengeld falsche Anreize setzt. Die renommierte Arbeitsmarktökonomin Andrea Weber hofft, dass in der laufenden Diskussion vermehrt auf wissenschaftliche Evidenz geachtet wird. In ihrem Pragmaticus-Report erklärt sie Vor- und vor allem Nachteile eines derzeit diskutierten Konzepts: Ein mit der Bezugsdauer sinkendes Arbeitslosengeld könnte Arbeitssuchende dazu motivieren, rascher eine Stelle anzunehmen.

Allerdings eigne sich die aktuelle Ausnahmesituation schlecht, um ein lange etabliertes System umzustellen. Generell legt die Forschung nahe, dass früh ansetzender finanzieller Druck auf Arbeitslose dazu führt, dass Betroffene zwar schneller, dafür aber schlechtere Stellen annehmen. Bei Langzeitarbeitslosen führt vermutlich Stigmatisierung dazu, dass ihnen angebotene Stellen mit der Zeit immer schlechter werden. In so einer Situation kann finanzieller Druck dazu führen, dass Arbeitslose rechtzeitig eine Stelle annehmen, bevor die Angebote noch unattraktiver werden.

Am Fachkräftemangel würde eine Reform des Arbeitslosengeldes jedoch wenig ändern. Die großen Stellschrauben liegen, wie unsere Experten zeigen, ganz woanders.

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Conclusio

Der vorerst schnelle Aufschwung nach den Verwerfungen durch die Pandemie entlarvt eine Schwachstelle vieler westlicher Volkswirtschaften. Die Bedürfnisse der Konsumenten samt ambitionierter grüner Transformation stoßen an die Grenzen des Machbaren: Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Drei von vier Unternehmen finden nicht genug qualifiziertes Personal. Viele befürchten deswegen Umsatzeinbußen. Dabei gibt es einige Lösungen: Kinderbetreuung müsste es beiden Eltern ermöglichen, Karriere zu machen. Ältere Fachkräfte werden in Pension geschickt, obwohl die meisten noch aktiv sein können und viele es auch wollen. Das Schulsystem steckt in antiquierten Mustern fest. Der künftige Wohlstand Europas hängt davon ab, dass die Politik allen, die es wollen, die Chance gibt, ihre Talente einzubringen.