Wider den Verzicht
Braucht der Mensch etwas Luxus im Leben? Na selbstverständlich, so wie vieles andere auch, was er nicht braucht.
Dass der Klimawandel ein gewisses Problem darstellt, hat sich mittlerweile bis in die kältesten Ecken der Arktis zu den dort nach wie vor zahlreich hausenden Eisbären herumgesprochen. Viel weniger ist den meisten Menschen jener andere gesellschaftliche Klimawandel bewusst, der im Windschatten seines Bruders von Tag zu Tag an Wirkungsmacht gewinnt, gleichsam als dessen Folge: die zuerst soziale, später dann meist auch gesetzgeberische Ächtung von so ungefähr allem, was den Menschen Vergnügen und angenehme Gefühle bereitet. Das gesellschaftliche Klima ist lustfeindlich geworden wie kaum je seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Denn egal, ob wir vom Verzehr einer herrlich duftenden, gerade aus Costa Rica angereisten Ananas reden, vom Erwerb irgendeines Hightech-Spielzeugs aus Asien oder einfach einem Besuch der Biennale in Venedig, um sich eine Dosis Kunst zu verpassen, vom Erwerb thailändischer Seide, edler Bordeaux-Weine oder gar von der ressourcenhungrigen Errichtung eines Einfamilienhauses – ein neuer Puritanismus sieht darin einen Verstoß gegen das Gebot der Enthaltsamkeit, der harter Bestrafung bedarf.
Fast alles ist suspekt
Klar, fast alles, was dem Menschen Vergnügen bereitet, ist irgendwie mit dem Ausstoß von klimaschädlichen Ausdünstungen verbunden und daher grundsätzlich suspekt; selbst gewisse zwischenmenschliche Aktivitäten sind ja in der Regel mit schnellerer Atmung und damit leicht erhöhten Emissionen verbunden.
Was den wenigsten Menschen freilich bewusst sein dürfte, ist die entsetzliche Verarmung, nicht nur in materieller, sondern vor allem auch in kultureller Hinsicht, die das konsequente Zurückdrängen all jener menschlichen Aktivitäten bedeutet, die in irgendeiner Form Kohlendioxid freisetzen. Denn eine Zukunft, in der wir weitgehend auf die Segnungen des internationalen Warenaustausches, der Leichtigkeit des Reisens sowie des Erfahrens fremdländischer Genüsse und Errungenschaften verzichten, ist keine sonderlich erstrebenswerte Zukunft.
Perverse Transportrouten
Klar, dass Nordseekrabben zum Schälen nach Marokko verbracht werden, um anschließend wieder zurück auf die nordeuropäischen Märkte gekarrt zu werden, ist nicht Fortschritt, sondern Perversion. Deshalb aber zurückzukehren zu einer Ökonomie, deren Handelsradius auf eine Tagesreise mit dem Lastenfahrrad reduziert wird, wäre geistige Verarmung und Verödung.
Tatsächlich von den Puritanern zum Verzicht gezwungen werden nur die Mittelschichten.
Es wäre, ganz nebenbei, auch höchst unsozial. Denn die Reichen und Mächtigen haben in der Geschichte ausnahmslos immer Wege und Mittel gefunden, um am Luxus ihrer Zeit partizipieren zu können. Tatsächlich zum Verzicht gezwungen werden von den Puritanern nur die Mittelschichten, denen sich ja dank des technologischen Fortschrittes und der Segnungen der Marktwirtschaft erst seit einigen Jahrzehnten die Möglichkeit eröffnet, die Enge und das Provinzielle zu überwinden.
Sie dafür zu verachten, wie das in bestimmten sich selbst als besonders avanciert verstehenden Milieus üblich ist, beweist nichts als deren eigene intellektuelle Verwahrlosung und Selbstverzwergung. Auf den von dort angestoßenen Klimawandel können wir genauso gut verzichten wie auf den meteorologischen.