Krieg gegen den Westen
Der Westen sollte aufhören, dem eigenen Exekutionskommando die Patronen zu bezahlen. Das gilt für Russland ebenso wie für den Iran.
Vertreter aus den rechten und linken Rändern des politischen Spektrums deuten Russlands Krieg gegen die Ukraine zu einem von den USA provozierten Stellvertreterkrieg um. In ihrer kruden Weltsicht ist die Europäische Union ein willfähriger Büttel der US-Regierung und die Sanktionen eine von Joe Biden aufgezwungene Eskalationsstrategie auf Kosten Europas während Putin quasi in Notwehr handelt.
Ukrainer, die letzten Verteidiger Europas
In Wirklichkeit ist für Putin die angebliche NATO-Osterweiterung, was für Hitler der fingierte Überfall auf den Sender Gleiwitz war: ein Vorwand für einen mörderischen Raubzug. Und wäre die Ukraine allein auf deutsche oder französische Unterstützung angewiesen, hätte sich das Land dem Verbrecher im Kreml längst ergeben müssen. Nach der Unterwerfung: Friedhofsruhe.
Die Ukraine kämpft für den ganzen Westen
Für viele offenbar keine erschreckende Vorstellung. In Österreich stimmt nur die Hälfte der Bevölkerung den Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu, im EU-Durchschnitt sind es mit 78 Prozent mehr als drei Viertel. Noch von keinem Sanktionsgegner habe ich bisher einen konkreten Plan gehört oder gelesen, wie man dem russischen Überfall anders entgegentreten hätte können als mit Waffenlieferungen und/oder Sanktionen. Friedensverhandlungen? Geschenkt, worüber glauben denn diese Leute, dass Biden, Macron, Scholz und Dutzende andere mit Putin gesprochen haben und immer noch sprechen.
Jeder Euro, der nach Russland fließt, hilft Putin, seine Kriege zu finanzieren, die sichtbaren ebenso wie die unsichtbaren.
In Wahrheit meinen die vorgeblichen Friedensfreunde meistens „Erdgas“, wenn sie „Frieden“ sagen. Was geht uns die Ukraine an, solange das Gas weiter durch die Pipelines strömt. Doch die Hoffnung, als letzter gefressen zu werden, wenn man das Krokodil lange genug füttert, ist naiv.
Während der Krieg auf den Schlachtfeldern der Ukraine weithin sichtbar ist, führt Putin seit Jahren im Verborgenen einen hybriden Krieg gegen den Westen. Russische Redaktionsstuben und Rechenzentren entwerfen gezielte Desinformationskampagnen und verbreiten sie in Social Media und auf RT (Russia Today). Russland unterstützt Parteien und Bewegungen, die Europa, die USA und die NATO auseinandertreiben, die Fliehkräfte innerhalb der Europäischen Union verstärken und der europäischen Wirtschaft schaden, kurz: alles, was den Westen schwächt.
Sanktionen: Gas ist nicht alles
Jeder Euro, der nach Russland fließt, hilft Putin, seine Kriege zu finanzieren, die sichtbaren ebenso wie die unsichtbaren. Wenn man dem Westen im Zusammenhang mit den Wirtschaftssanktionen etwas vorwerfen kann, dann nur, dass er sie viel zu spät verhängt hat. Viel zu lange haben wir Putins Waffen finanziert, die Kanonen und Granaten, die Computer, die Mikrochips und die Cyber-Experten. Sie richten sich auch gegen uns. Denn die Ukraine kämpft nicht nur für ihre ihre eigene Freiheit. Auf ihren Schlachtfeldern entscheidet sich die Zukunft der europäischen Nachkriegsordnung, die auf Verträgen, Abkommen und institutionalisierten Prozessen zur Konfliktlösung beruht.
Fällt das Kopftuch, wankt die Diktatur
Szenenwechsel. Auch dreitausend Kilometer von Kiew entfernt kämpfen Zehntausende für Freiheit, Frieden und Wohlstand. Nicht gegen einen fremden Aggressor, sondern gegen das eigene Regime.
Es ist vor allem die junge Generation, die auf den Straßen Irans ihr Leben riskiert. Menschenrechtsgruppen zufolge wurden bis jetzt mindestens 250 Demonstranten getötet, darunter zwei Dutzend Minderjährige, berichten Medien. Bis Anfang Oktober konnte die Widerstandsbewegung die Namen von 206 Opfern verifizieren, die Zahl steigt ständig. Genaue Opferzahlen sind schwer zu ermitteln, zumal das Regime die Leichname von Ermordeten nur an ihre Familien aushändigt, wenn diese sich zum Schweigen verpflichten. Längst geht es um mehr als die Lockerung von Bekleidungsvorschriften: fällt erst die Pflicht zum Hijab, wankt die religiösidentitäre Grundlage der Diktatur.
Ein Viertel der iranischen Bevölkerung lebt in den Slums am Rand der Großstädte, etwa 40 Prozent der 80 Millionen leben unter der offiziellen Armutsgrenze. Das Mullah-Regime kann sich nur mehr durch exzessive Gewaltanwendung an der Macht halten. Schon im November 2019 hatten iranische Regierungskräfte Proteste der Bevölkerung mit äußerster Gewalt niedergeschlagen. Sie schossen mit Maschinengewehren aus nächster Nähe, von Dächern und aus Hubschraubern, bis zu 1.500 Demonstranten wurden damals getötet.
Zu den aktuellen Protesten bezog die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Bundestag bemerkenswert klar Stellung und bewies mit ihrem Statement zugleich, wie wenig sie die Situation versteht: „Bei allem Respekt vor kulturellen und religiösen Unterschieden: Wenn die Polizei, wie es scheint, eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das nichts, aber auch gar nichts mit Religion oder Kultur zu tun. Dann ist das schlicht ein entsetzliches Verbrechen.“
Wenn die Durchsetzung eines von der Islamischen Republik Iran verhängten religiösen Gebotes nichts mit dem Islam zu hat, dann hat der Vatikan auch nichts mit der katholischen Kirche zu tun. Die Demonstranten im Iran wissen es besser. Sie fordern nichts weniger als das Ende der klerikal-faschistischen Diktatur.
Keine Munition für den Krieg gegen den Westen
Auch die Iranerinnen und Iraner kämpfen nicht nur für sich selbst. Ohne die Diktatur der Mullahs wäre die Welt ein besserer und sichererer Ort. Staatsgründer Ayatollah Khomeini hatte schon bei seiner Machtergreifung einen „heiligen Krieg“ um die „Eroberung aller nicht mohammedanischen Territorien“ der Welt ausgerufen. Seither fördert das Regime weltweit islamistische Terrororganisationen und will Israel von der Landkarte tilgen.
Eine Neuauflage des Atomabkommens (JCPOA) könnte dem Iran nach Berechnungen der „Foundation for Defense of Democracies“ (FDD) durch die Aufhebung von Sanktionen schon im ersten Jahr bis zu 275 Milliarden Dollar in die leeren Staatskassen spülen. Milliarden, die unmittelbar in den Machtapparat zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und die Präsenz der iranischen Streitkräfte in der Region fließen würden. Und in das Atomprogramm. Schon allein deshalb wäre eine Neuauflage des JCPOA mehr als blauäugig und gegen unsere eigenen Interessen. Niemand bezahlt freiwillig die Patronen des eigenen Exekutionskommandos.