Korruption: Gelegenheit macht Diebe
Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine bergen die Gefahr hastiger und damit korruptionsanfälliger Beschaffungen der öffentlichen Hand. Die Politik muss jetzt für Transparenz sorgen und die Rechtsstaatlichkeit stärken.
Auf den Punkt gebracht
- Aufholbedarf. Österreich hat im internationalen Korruptionsindex schon einmal besser abgeschnitten. Derzeit liegt es drei Plätze hinter Deutschland.
- (Un)saubere Verwaltung. Im Alltag verbessert sich die Lage zwar, Schmiergelder sind selten geworden. Doch auf politischer Ebene hinkt Österreich hinterher.
- Demokratie stärken. Was moralisch verwerflich ist, sollte politisch niemals opportun sein. Österreichs Parlament ist gefordert, seine Kontrollfunktion wahrzunehmen.
- Günstiger Moment. Krisenzeiten wie jetzt können Machtmissbrauch fördern, aber sie bieten auch eine Chance für überfällige Reformen – etwa beim Weisungsrecht.
Die gute Nachricht zuerst: In den vergangenen Jahrzehnten ist in Österreich die „kleine“ Korruption, die Alltagskorruption, zurückgegangen. Wir sind sauberer geworden – auch im Vergleich zu anderen Ländern. Unter „kleiner“ Korruption versteht man etwa den Geldschein im Führerschein, der bei einer Verkehrskontrolle vermeintlich vor Unannehmlichkeiten schützen, oder das Kuvert, welches am Passamt eine Vorreihung erwirken soll.
Diese Vorgänge sind deutlich abgeklungen, und ich würde auch dringend davon abraten, solches zu versuchen. Denn das „Schmieren“ eines Polizisten kann rasch von einer zunächst harmlosen Verwaltungsübertretung wegen Schnellfahrens zur Bestimmungstäterschaft zum Amtsmissbrauch und somit ins Kriminal führen. Auch unser Gesundheitssystem ist so gut ausgebaut, dass etwa nach einem Unfall alle gleich gut versorgt werden. Das gilt für den Millionär genauso wie für die Mindestpensionistin. Kurz gesagt: Man muss nichts dazulegen, um sofortige und hochwertige Behandlung zu bekommen.
Zahlen & Fakten
Wohlstand reduziert Korruption
Die Gründe für diese positive Entwicklung sind vielschichtig. Vieles hängt mit unserem steigenden Wohlstand zusammen. Je weiter eine Gesellschaft in dieser Hinsicht nach oben klettert, desto mehr werden Werte des Gemeinwohls geschätzt – desto mehr steigt aber auch die Verantwortung. Oder wie Bertolt Brecht meinte: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ So ist etwa von einem Polizisten in einem Niedriglohnland, der den Gegenwert von 50 Euro im Monat verdient und dessen Wohnung selbst dort 200 Euro kostet, realistischerweise kaum zu erwarten, dass er nicht etwas „dazuverdienen“ muss.
Positiv sei auch erwähnt, dass die öffentliche Verwaltung ein neues Selbstverständnis entwickelt hat. Die Behörden wollen nicht korrupt erscheinen oder mit Schlendrian in Verbindung gebracht werden. Ein besonderes fragwürdiges Prozedere wurde vor einiger Zeit abgestellt: die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern. Ob man es glaubt oder nicht, aber diese Möglichkeit war bis zum Ende der 1990er-Jahre legal. Die damalige Begründung: Weil in manchen Ländern alle anderen auch Korruptionszahlungen leisten, müsse dies zur „Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit“ auch für Unternehmen aus Österreich möglich sein. Die Mitgliedsländer der OECD, damit auch Österreich, haben dem einen Riegel vorgeschoben.
Krisen als Korruptions-Turbo
Ganz oben in der Pyramide läuft Korruption dann noch einmal anders ab. Hier geht es um sehr viel Geld, Postenschacher, Macht(missbrauch) und Einfluss. Das hat sich nicht zuletzt deutlich rund um die Themen-komplexe Inseratenkorruption und manipulierte Umfragen gezeigt.
Und offenbar gibt es bei den großen, spektakulären Korruptionsfällen eine Art Wellenbewegung in Österreich. Auf AKH-Skandal, Lucona oder Noricum in den 1980er-Jahren folgten die umstrittene Beschaffung der Eurofighter, die Causa Buwog und zuletzt die überteuerte Errichtung des Wiener Krankenhauses Nord mit seinem „Energieschutzring“. Und künftige große Fälle sind leider nicht auszuschließen.
Würde Österreich heute einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen, würde der abgelehnt werden.
Insbesondere deshalb, weil etwa durch die Corona-Krise und die aktuelle geopolitische Situation weltweit gigantische Beträge in sehr kurzer Zeit ausgegeben werden – etwa für Pharmaprodukte und Schutzmasken oder für Rüstungsbeschaffungen –, und unter Zeitdruck bleiben (zu) oft Checks und Balances, parlamentarische Kontrollen oder Rechnungshofprüfungen auf der Strecke.
Speziell Militärausgaben bergen hohe Risiken. Meist gibt es nur wenige Anbieter am Markt, eine Aura des Geheimnisvollen umweht die Branche, und politische Interessen spielen ebenfalls mit. Da wird man ein scharfes Auge auf die Vorgänge haben müssen. Denn überspitzt formuliert gilt: Gelegenheit macht Diebe.
Vermittler braucht kein Mensch
Um derlei „Versuchungen“ Einhalt zu gebieten, gibt es eine konkrete Maßnahme im gerade angelaufenen Antikorruptionsbegehren – nämlich den man in the middle (den Vermittler) auszuschließen. Den braucht es nämlich nicht, der Staat kann auch direkt von den Anbietern oder von anderen Staaten kaufen. Außerdem müssen Abwicklungen über Briefkastenfirmen unterbunden werden. Die Politik hat eigentlich bereits zugesichert, dies und anderes mehr gesetzlich zu verankern. Die Notwendigkeit solcher Regeln hat sich bei der Beschaffung der Eurofighter mehr als deutlich gezeigt.
Tatsache ist, dass Österreich mit großen oder kleinen Korruptionsfällen nicht allein dasteht. Der Vergleich mit Deutschland liegt hier stets nahe. Entgegen der weit verbreiteten Annahme ist es nicht unbedingt so, dass das kleine Österreich – wo jeder jeden kennt – anfälliger ist als Deutschland. Wir waren sogar im Korruptionswahrnehmungsindex schon besser als unser Nachbarland – aktuell ist es gerade umgekehrt. Doch das kann sich auch wieder ändern. Deutschland ist etwas konsequenter in der Administration – landläufig gesagt etwas „preußischer“.
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Allerdings sind die beiden Länder weltweit die einzigen Staaten, die ein direktes Weisungsrecht von politischen Organen an Staatsanwaltschaften haben. Alle anderen haben das abgeschafft. Folge: Würde Österreich heute etwa einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen, würde der aus genau diesem Grund abgelehnt werden.
Um die Korruption nachhaltig und gründlich zu bekämpfen, bietet sich gerade jetzt ein window of opportunity, das genützt werden muss. Gewählt wird planmäßig erst wieder im Jahr 2024. Das bedeutet, dass bereits in diesem Jahr die ersten Pflöcke für mehr Transparenz und Sauberkeit eingeschlagen werden müssen. Wann, wenn nicht jetzt!
Conclusio
Korruptionsskandale sind regelmäßig Hauptthema in der medialen Berichterstattung. Statt nur auf spektakuläre Einzelfälle zu reagieren, fordern die Initiatoren des Antikorruptionsvolksbegehrens eine grundlegende Änderung in Politik, Justiz und Verwaltung. Anstand und Transparenz sowie eine Vorbildwirkung der handelnden Organe sind essenziell. Gerade gibt es ein window of opportunity, Gesetze auf den Weg zu bringen, die Österreich in Sachen Korruptionsbekämpfung wieder auf internationales Top-Niveau bringen können. Denn ein funktionierender Rechtsstaat ist nicht nur für das Gerechtigkeitsempfinden der Bürger wichtig, sondern auch für den Wirtschaftsstandort. Besonders in Zeiten von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg dürfen Kontrollmechanismen nicht schlampig gehandhabt werden.