Wir, die Marionetten des Staates

Der Staat werde zum Nachtwächter degradiert, hört man. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Staat ist stark und mächtig wie lange nicht mehr – und wir Bürger sind seine willfährigen Marionetten.

Illustration eines Marionettenspielers mit den Kräften der Gesellschaft an den Fäden
Wenn der Staat die Fäden in der Hand hält, ist das nicht automatisch zum Wohle aller. © Benedetto Cristofani
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Auf den Punkt gebracht

  • Zeitenwende. Nicht nur in Österreich ist der Staat seit Beginn der Corona-Pandemie erstarkt. Überregulierung ist ein europaweites Phänomen.
  • Alleskönner. Der Staat mischt sich ein, wo er nur kann – von der Gesundheits- über die Geld- bis hin zur Bildungspolitik. Mehr noch: Er wird sogar darum gebeten.
  • Doppelmoral. Dabei tragen gerade die staatlichen Regelwerke ihren Teil dazu bei, dass die oft beklagte Ungleichheit in der Gesellschaft weiter zementiert wird.
  • Eigenverantwortung. Wir sollten uns darauf zurückbesinnen, dass Freiheit das Leben bereichert – auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene.

Freiheit wird in Österreich nicht als Segen verstanden. Sondern als Drohung. Viele Bewohner dieses hübschen Landes schätzen die führende Hand des stark intervenierenden Staates. Sie tauschen bei jeder Gelegenheit Freiheit gegen etwas mehr Sicherheit ein. Die Freiheit jagt vielen Angst ein, weil sie nur mit ihrer Zwillingsschwester zu haben ist. Sie heißt Verantwortung.

Selbst entscheiden, was zu tun ist? Wozu, wenn es doch einen umsorgenden Staat gibt, der sich für die Lösung fast aller privaten Herausforderungen anbietet. Ein Angebot, das von einer wachsenden Zahl von Menschen bereit­willig angenommen wird. Sie lassen Entscheidungen über ihr eigenes Leben gerne von anderen treffen, vorzugsweise von Staatsbediensteten. Als könnten diese sie an der Hand nehmen und zum Glück führen. Die fremdbestimmten Bürger dieses Landes scheinen ganz im Trend zu liegen. Allerorts wird immer lauter nach dem regulierenden Staat gerufen. Er soll die Pandemie bekämpfen, deren wirtschaftliche Folgen ungeschehen machen, die soziale Ungleichheit korrigieren, den Klimawandel bremsen, für leistbaren Wohnraum sorgen und die Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit und Diversität anhalten. Mit dem Slogan „Mehr privat, weniger Staat“ wagt sich kein Politiker mehr in eine Debatte, geschweige denn in einen Wahlkampf.

Grenzenloses Tätigkeitsfeld

Regierungen aus aller Welt nützen diese Stimmung gekonnt, um den Einfluss des Staates immer weiter auszudehnen. Sie regulieren und bürokratisieren, was das Zeug hält. Natürlich immer für die „gute Sache“. Im Namen der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Nachhaltigkeit findet der intervenierende Staat ein nahezu grenzenloses Tätigkeitsfeld vor. Allen voran die Europäische Union findet sich immer neue Aufgaben.

Im Kampf gegen die großen Herausforderungen unserer Zeit versteht sich Brüssel nicht mehr als Normensetzer oder Schiedsrichter, sondern als Akteur. Wurde einst der Wettbewerb gepredigt, werden heute wieder nationale Industrien aktiv geschützt, um deren Ausverkauf zu verhindern. Der Einstieg des Staates kann aber nicht die Antwort sein, nach all den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit. Die EU sollte vielmehr darauf drängen, dass europäische Investoren dieselben Möglichkeiten vorfinden wie ausländische Käufer in Europa. Das gilt insbesondere im Umgang mit China.

Im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels setzt die EU nicht auf Technologieoffenheit, sondern auf Intervention. Ganz so, als könne Europa den Klimawandel im Alleingang stoppen. Das ist illusorisch. Entscheidend wird vielmehr sein, dass europäische Unternehmen als Verkäufer neuer Technologien auftreten, statt wie in der Digitalisierung auf der Käuferseite zu stehen. Wenn aber die Staaten entscheiden, welche Technologien sich in zehn oder zwanzig Jahren durchsetzen werden, wird das nichts.

Über die „Taxonomie“ versucht Brüssel die Kapitalströme gezielt in nach­haltige Investitionen umzuleiten. Unternehmen wird nicht nur vorgeschrieben, wen sie zu beschäftigen haben, sondern auch, welche Investitionen sie als nachhaltig zu werten haben. Sehr zur Freude unzähliger Lobbyisten, die für ihre Kunden Ausnahmen erwirken.

Notenpresse im vollen Einsatz

Das für den Umbau in eine sozial und ökologisch gerechte Gesellschaft benötigte Geld wird nicht mehr erwirtschaftet. Es wird gedruckt – und zwar in den Kellern der staatlichen Notenpressen, und das in rauen Mengen und zum Nulltarif. Nach der Finanzkrise 2008 hat die Europäische Zentralbank die Zinsen sukzessive nach unten gedrückt und damit auch den Preis der staatlichen Schulden. Rechtfertigte die EZB ihre Nullzinspolitik ursprünglich noch damit, den Regierungen des Euroraums genügend finanzielle Mittel zu verschaffen, um ihre Volkswirtschaften zu modernisieren, bekommen diese heute unbegrenzt Gratisgeld, um ihre nicht modernisierten Volkswirtschaften zahlungsfähig zu halten.

Mussten heruntergewirtschaftete Staaten in früheren Zeiten hohe Zinsen bezahlen, um überhaupt an Kredite zu kommen, verdienen sie heute Geld, wenn sie sich immer weiter verschulden. Nichts könnte die Absurdität der staatlich orchestrierten Geldpolitik besser illustrieren als das.

Der Preis des billigen Geldes wird ein hoher sein. Bezahlen werden ihn die einfachen Bürger.

Obwohl der Europäischen Zentralbank die direkte Finanzierung von Staaten verboten ist, hält sie heute mehr als 30 Prozent der Schulden ihrer Mitgliedsländer. Wie das möglich ist? Ganz einfach: indem das Verbot über das Zwischenschalten von Banken umgangen wird. Diese versorgen die Euroländer großzügig mit Krediten, die ihnen in weiterer Folge die EZB abkauft. Die EZB gehört den nationalen Notenbanken, die wiederum im Besitz der jeweiligen Eurostaaten sind.

Mit anderen Worten: Die Eurostaaten verschulden sich mittlerweile zu einem Großteil bei sich selbst. Der Preis des billigen Geldes wird ein hoher sein. Bezahlen werden ihn nicht die Geldpolitiker, sondern die einfachen Bürger über die Entwertung ihrer Barschaften.

Der Staat war nie weg …

In Österreich wiederum feiert der intervenierende Staat kein Comeback. Er war nie weg. Seit der Nachkriegszeit spielt der Staat im Leben seiner Bürger die Hauptrolle. Er betreut den Nachwuchs in den öffentlichen Kindergärten, bildet die Jungen in staatlichen Schulen und Universitäten aus, bietet vielen Absolventen später den ersten und oft auch einzigen Job. Zudem sorgt er mit strengen Regulierungen und Sozialbauten für niedrige Mieten und über staatliche Kranken- und Pensionsversicherungen für soziale Sicherheit.

Der Staat schreibt den Bürgern vor, welche Interessenvertretung für sie die beste ist, zu welcher Zeit sie einkaufen dürfen und wann die Geschäfte besser geschlossen bleiben. Hierzulande bestimmen nicht die Kunden, ob jemand das Zeug zum Unternehmer hat. Das regelt der Staat mit einer Gewerbe­ordnung aus dem Jahr 1859. Den Preis der Arbeit legen nicht Angebot und Nachfrage fest, sondern Kollektiv­verträge. Sie erfassen 98 Prozent aller Arbeits­verhältnisse, wir haben es also mit einem sozialpartnerschaftlichen Lohnkartell zu tun. Im Staatsdienst verdienen alle dasselbe, unabhängig von Engagement und Leistung.

… und greift ordentlich zu

Während tausende Bürger gegen die Coronapolitik auf die Straße gehen, lassen sich Millionen von Staatsbürgern widerstandslos die Hälfte ihrer Arbeitseinkommen abknöpfen. Bereits von Durchschnittsverdienern mit 3.500 Euro brutto im Monat beansprucht der Staat 48 Prozent der Arbeitskosten für sich. Nur Belgien und Deutschland greifen noch stärker zu. Gemessen an den Arbeitskosten müssen sich die Bewohner dieses Landes mit den drittniedrigsten Nettolöhnen der EU begnügen.

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Zahlen & Fakten

Jeglicher Vermögensaufbau wird vonseiten des Staates verunmöglicht. Übrigens vom selben Staat, dessen politische Vertreter mit traurigen Gesichtern die wachsende Ungleichheit beklagen. Warum sich hart arbeitende Menschen das Geld aus den Taschen ziehen lassen, liegt an der Gegenleistung. Man muss nicht länger im Ausland gelebt haben, um zu wissen, dass der Leistungskatalog des österreichischen Solidarsystems ein luxuriöser ist. Von langen Karenzzeiten für Mütter, Väter und Bildungshungrige über den freien Hochschulzugang bis hin zur Rundumversorgung im Krankheitsfall: Ein vergleichbares Gesamtpaket ist fast nirgendwo auf diesem Erdball zu finden.

Der Bevölkerung ist allerdings nicht verborgen geblieben, dass der Staat für seine Leistungen zwar immer höhere Preise verrechnet, die gebotene Qualität aber schleichend sinkt. Zudem wird das Geld knapp: Im staatlichen Pensionssystem klafft jährlich eine Finanzierungslücke von 27 Milliarden Euro – so hoch ist die Differenz zwischen den Auszahlungen an die Pensionisten und den Einzahlungen der Aktiven. Nur um das Ausmaß des Pensionslochs zu veranschaulichen: Das sind die gesamten Lohnsteuereinnahmen von Jänner bis November oder die Kosten von drei Hypo-Alpe-Adria-Pleiten jedes Jahr.

Große Bildungslücken

Obwohl Österreich die dritthöchsten Bildungsausgaben pro Schüler weltweit ausweist, kann jeder fünfte Pflichtschüler im Alter von 15 nicht sinnerfassend lesen. Ebenso viele beherrschen die Grundrechnungsarten nicht. In den staatlichen Schulen wächst die Armut von morgen heran. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder in eine Privatschule. Wer nicht, hat eben Pech gehabt. Willkommen in der „Klassenlotterie“ des Sozialstaats. Und dennoch scheint der Glaube an seine Lösungskompetenz ungebrochen zu sein.

Die Auslagerung jeglicher Verantwortung an den Staat bleibt nicht ohne Folgen. In Deutschland fliegen einer Enteignungsbewegung die Herzen zu, während in der zweitgrößten Stadt Österreichs die Kommunistische Partei die Gemeinderatswahlen gewinnt. Und das ganz ohne Tarnung. Wir sollten umkehren. Statt immer mehr private Entscheidungen an den Staat zu delegieren und ihm dafür immer mehr Geld zu überlassen, sollten wir in die Gegenrichtung aufbrechen.

Nicht mehr Staat, mehr Freiheit

Für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Wohlstand braucht es nicht mehr Staat. Es braucht mehr Freiheit. Allen voran eine funktionierende Marktwirtschaft mit mehr Wettbewerb. Es ist unumgänglich, dass sich der Staat nach der Coronapandemie aus dem Leben der Bürger zurückzieht. Helfen könnte eine Ausgabenbremse skandinavischen Vorbilds, die dafür sorgt, dass sich der ausgabenfreudige Staat vor sich selbst schützt und auf diese Weise den Bürgern mehr Geld bleibt.

In den staatlichen Schulen wächst die Armut von morgen heran.

Der Staat sollte als neutraler Anbieter von Bildung bleiben. Jedes Kind sollte wie in den Niederlanden einen öffentlichen Bildungsscheck erhalten – ob dieser bei einer staatlichen oder privaten Schule eingelöst wird, bleibt einzig und allein den Eltern überlassen. Die Macht der Kammern gehört drastisch reduziert, kein Bürger sollte sich im dritten Jahrtausend vorschreiben lassen müssen, wer seine Interessen vertritt. Die Gewerbeordnung ist komplett neu zu schreiben, reglementiert werden sollen nur noch jene Bereiche, deren Ausübung Mensch, Tier oder Umwelt gefährden. Inhaber von Geschäften sollten gemeinsam mit ihren Beschäftigten darüber entscheiden, wann sie aufsperren wollen und wann nicht. Freiheit ist nämlich keine Drohung. Sondern ein Segen, der einen noch nie da gewesenen Massenwohlstand ermöglicht hat.

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Conclusio

Der Staat greift immer stärker in alle möglichen Lebensbereiche ein. Er schreibt vor, welche Unternehmen ihre Leistungen anbieten dürfen, was nach­haltig ist und welche Schulen unsere Kinder besuchen. Dafür zwackt er 48 Prozent der durchschnittlichen Arbeitskosten ab. Die Ausdehnung des Staates wird immer teurer, während die gebotene Qualität sinkt. Das verhindert zusehends einen Vermögensaufbau. Eine Trendwende hin zu mehr ­Eigenverantwortung ist nach der Coronapandemie dringend notwendig. Von der Gewerbeordnung über das Bildungs­system bis hin zu den Interessen­vertretungen: Weniger Regulierung und mehr Freiheit sind angesagt. Das gilt auch für die Europäische Union, die längst nicht mehr Schiedsrichter spielt, sondern als aktiver Player die ­Geschicke lenkt.