Budget in der Zinsfalle

Die Staatsverschuldung ist so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Solange die Zinsen bei null lagen, war das bewältigbar, aber jetzt könnte es teuer werden.

Die Illustration zeigt goldene Münzen auf lila Wolken, die durch Leitern miteinander verbunden sind. Das Bild illustriert einen Artikel zum Thema Staatsschulden.
Schwindelnde Höhen: Die globale Staatsverschuldung ist so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Mit etwas Pech wird Österreich schon bald 16,5 Milliarden Euro pro Jahr allein für die Zinskosten aufbringen müssen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Spendierhosen. Österreichs Finanzminister plant mehr neue Schulden aufzunehmen als während der Finanzkrise von 2008.
  • Krisenmodus. Die hohen Transferleistungen während der Coronapandemie haben zu einer erhöhten Bereitschaft geführt, Schulden zu machen.
  • Zinsfalle. Doch die im Kampf gegen die Inflation erhöhten Zinsen werden dem Staat zusätzlich etliche Milliarden Euro nur an Tilgungskosten bescheren.
  • Vorsorge. Trotz der unsicheren Zeiten sollten die Schulden reduziert werden, um künftige Generationen nicht erheblich zu belasten.

Anfang Oktober stellte der österreichische Finanzminister Magnus Brunner sein zweites Budget vor. Auch im nächsten Jahr wird der Staat deutlich mehr ausgeben als einnehmen. Brunners Hoffnung war vermutlich, mit diesem Zahlenwerk Optimismus zu verbreiten. Seine Botschaft lautet: Egal welche Krisen bereits gewütet haben oder noch auf das Land zukommen könnten, der Staat wird sich nicht lumpen lassen und die Auswirkungen mit viel Geld bekämpfen. Das hören die Österreicher erfahrungsgemäß gerne.

Tatsächlich gilt der sparsame Staat hierzulande nicht als erstrebenswert. Für das laufende Jahr wird von den Wirtschaftsforschern noch dazu eine (leichte) Rezession in Aussicht gestellt; da muss der Finanzminister natürlich – frei nach den Thesen von John Maynard Keynes – in die Vollen gehen und das Geld mit beiden Händen ausgeben. Dass die Neuverschuldung des Bundes höher ausfällt als in der Finanzkrise von 2008, stört mittlerweile niemanden mehr.

Die gewaltigen Transferleistungen während der Pandemie ließen beim Schuldenmachen alle Hemmschwellen fallen.

Die gewaltigen Transferleistungen während der Coronapandemie ließen auf Dauer alle Hemmschwellen fallen. Doch Österreich ist mit dieser Sicht der Dinge keineswegs allein, und Magnus Brunner folgt im Grunde nur dem Zeitgeist. Bereits im Jahr 2018, vor der Pandemie und nach zehn Jahren mit solidem Wachstum auf der ganzen Welt, warnte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die Schuldenstände der entwickelten Volkswirtschaften ein Niveau erreicht hätten, das es zuletzt im Zweiten Weltkrieg gegeben habe. Komplize der Regierungen war dabei die Geldpolitik, insbesondere in der Eurozone. Durch ihre Null-Zins-Strategie wurde das Schuldenmachen erst so richtig unwiderstehlich.

Massiver Schuldenanstieg

Im Jahr 2021 warnte abermals der IWF, dass die globale Neuverschuldung 2020 so massiv ausgefallen sei wie zuletzt im Zweiten Weltkrieg. Allein im ersten Coronajahr waren die globalen Schulden um 226 Billionen (226.000.000.000.000) US-Dollar in die Höhe geschossen. Zuletzt forderten auch Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), und Clare Lombardelli, Chefökonomin der OECD, die Regierungen auf, ihre Schuldenlast zu reduzieren.

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Zahlen & Fakten

Jeder weiß: Das Unangenehme am Schuldenmachen ist die Tilgung. In den vergangenen Jahren hatten wir es aber mit einem Zinsumfeld zu tun, in dem die Finanzminister gerne zurückzahlten. Denn Staaten tilgen ihre Schulden über neue Schulden, solange ihnen jemand das Geld leiht.

Nicht zuletzt durch die Anleihenkäufe der Zentralbanken selbst war das lange ein gutes Geschäft für den Staat. Als Schuldtitel aus Zeiten höherer Zinsen ausliefen, konnten sie diese mit neuen Schulden zu praktisch null Zinsen refinanzieren. Während sich die Schuldenquote der USA gegenüber der Zeit vor der Finanzkrise 2008 etwa verdoppelt hat, blieben die Kosten der Schulden in Relation zur Wirtschaftsleistung konstant.

Auch in Österreich stieg die Schuldenquote gegenüber den Jahren vor 2008, gleichzeitig sanken die Refinanzierungskosten deutlich. Rückläufig waren die Refinanzierungskosten auch für Deutschland; nach einem Anstieg der Schuldenquote liegen sie mittlerweile wieder auf dem Niveau von vor der Finanzkrise.

Das Ende des Gratisgeldes

Doch was, wenn es mit dem Gratisgeld vorbei ist? Genau das erleben wir gerade in Echtzeit. Aufgrund der hohen Inflationsraten sahen sich die Zentralbanken genötigt, die Leitzinsen anzuheben. Die USA erhöhten den Zinssatz in elf Schritten von 0,25 Prozent im Februar 2022 auf 5,5 Prozent im September 2023.

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Zahlen & Fakten

Die EZB zog nach und ging in zehn Schritten von 0 Prozent auf derzeit 4,5 Prozent. Sinn und Zweck dieser Übung ist es, das Geldleihen teurer und den Konsum weniger attraktiv zu machen, um die Preissteigerungen zu dämpfen. Auch die Finanzierungskosten der Staatsschulden zogen zuletzt wieder kräftig an.

Müssten die Staaten ihre heutigen Schulden mit den Zinssätzen des Jahres 2007 begleichen, würden die Zinsausgaben um elf Milliarden Euro steigen.

Was höhere Zinssätze für den Staatshaushalt bedeuten können, zeigt die folgende vereinfachte Berechnung: Im Jahr 2021 musste Deutschland 0,6 Prozent des BIP an Zinskosten für die öffentlichen Schulden zahlen. In Österreich waren es 1,1 Prozent und in den USA knapp 3 Prozent.

Seit 2021 sind die Renditen für langfristige Schuldverschreibungen in den genannten Ländern allerdings jeweils um rund drei Prozentpunkte gestiegen und nähern sich bereits dem Niveau vor der Finanzkrise 2008 an. Müssten die Staaten ihre heutigen Schulden mit den Zinssätzen des Jahres 2007 begleichen, dann lägen die Refinanzierungskosten für Deutschland nicht mehr bei 0,6 Prozent, sondern bei knapp 3 Prozent des BIP. Für Österreich wären es 3,5 Prozent und für die USA sogar 5,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.

In absoluten Zahlen würde das bedeuten, dass Österreichs jährliche Zinsausgaben zu heutigen Preisen um rund elf Milliarden Euro steigen und damit in Summe 16,5 Milliarden Euro betragen würden. In Deutschland wären es knapp 100 Milliarden Euro zusätzliche Belastung, und in den USA würde der Schuldendienst um 640 Milliarden Euro pro Jahr zulegen. Damit läge allein der Anstieg der amerikanischen Zinskosten beim 1,3-Fachen der jährlichen Wirtschaftsleistung Österreichs.

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Zahlen & Fakten

Drama in mehreren Akten

Nun laufen die Schulden glücklicherweise nicht alle in diesem Jahr aus. Die Republik Österreich hat Anleihen mit bis zu 100-jähriger Laufzeit ausgegeben. Somit wirkt die Zinswende nicht auf einen Schlag.

Für eine präzise Schätzung der zu erwartenden Mehrbelastung ist die Struktur der Schulden entscheidend. Laut Daten der EZB müssen sowohl Deutschland als auch Österreich in den kommenden fünf Jahren etwa die Hälfte ihrer Verbindlichkeiten umstrukturieren. In einem ersten Szenario wird unterstellt, dass bis zum Jahr 2027 die auslaufenden Kredite mit den aktuellen Zinssätzen umgeschuldet werden müssen.

Außerdem wird angenommen, dass die Schuldenquote bis 2027 konstant bleibt, wie es das Finanzministerium prognostiziert. Bliebe auch die Struktur der Laufzeiten gleich, würde die Zinsbelastung des Staates bis 2027 auf 1,9 Prozent des BIP ansteigen – knapp elf Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht in etwa der Prognose des Ministeriums im aktuellen Finanzrahmen.

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Zahlen & Fakten

Szenario zwei zeigt die Entwicklung, sollten die Zinsen durchschnittlich um einen weiteren Prozentpunkt zulegen. In dem Fall stiege die Zinsbelastung auf 2,3 Prozent des BIP oder rund 13 Milliarden Euro. Das wäre dann auf einem Niveau mit den gesamten geplanten Einnahmen aus der Körperschaftsteuer.

Ähnlich ist die Situation in Deutschland. Auch hier prognostizierte das Finanzministerium im Oktober eine konstante Staatsschuldenquote bis 2027. Im ersten Szenario würde der Schuldendienst von 0,6 Prozent auf knapp 1,5 Prozent des BIP ansteigen. Im zweiten Szenario ginge er auf 1,85 Prozent bis zum Jahr 2027 hinauf.

Die Bombe tickt

Wegen der demografischen Entwicklung, aber auch wegen notwendiger Maßnahmen für Klimaschutz und Energiewende werden die Kosten für den Staatshaushalt mittelfristig enorm ansteigen. Das WIFO prognostizierte in einer Analyse für das Finanzministerium, dass die Schuldenquote bis 2060 aufgrund der genannten Kostentreiber auf über 120 Prozent des BIP ansteigen wird, falls die Politik nicht gegensteuert.

Das würde die Refinanzierungskosten für Österreich erheblich erhöhen. Bereits im Basisszenario unter der Annahme eines normalen Zinsumfelds würde der Schuldendienst in Relation zur Wirtschaftsleistung alles übertreffen, was wir in den vergangenen gut 30 Jahren in Österreich gesehen haben. In einem negativen Szenario mit höheren Zinsen auf Staatsanleihen steigt die effektive Zinsbelastung um 50 Prozent gegenüber dem Basisszenario. Die öffentliche Hand müsste jährlich mehr als sieben Prozent der Wirtschaftsleistung dafür ausgeben. Jeder siebente Euro im Budget wiederum wäre damit zur Bedienung der Altlasten gebunden.

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Zahlen & Fakten

Aktuell wird in Europa zwar über die Staatsschulden debattiert – aber mit einem falschen Fokus. Es geht seltener um die Frage, wie sich die enormen Schulden senken ließen, und viel öfter darum, wie man bestehende Fiskalregeln lockern und noch mehr Geld auf Pump aufnehmen könnte. Schließlich wollen ja auch Energiewende und digitale Transformation finanziert werden. Dafür andere Ausgaben zu senken, ziehen die meisten Politiker nicht einmal in Betracht.

Doch ein Aufweichen des Fiskalpaktes wäre fahrlässig und kontraproduktiv. Neben der Geldpolitik der Eurozone führt auch die Glaubwürdigkeit der Fiskalregeln dazu, dass wir auf unsere Schulden weniger Zinsen zahlen müssen als andere Länder. Laxere Regeln würde der Markt sofort mit höheren Zinsen beantworten. Mehr Flexibilität könnte also genau das Gegenteil von dem bewirken, was gewollt ist: mehr Kosten für den Schuldendienst, weniger Geld für Zukunftsinvestitionen.

Ohne rasche Rückkehr zu nachhaltiger Finanzpolitik werden unsere Kinder damit beschäftigt sein, die Bombe zu entschärfen.

Trotz der leichten Rezession und der geopolitischen Konflikte ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um die Schulden zu reduzieren und Spielraum für die Zukunft zu schaffen. Wir sind damit sehr spät dran und büßen schon jetzt für die Politik der Vergangenheit. Die Alterung der Gesellschaft wird eine zusätzliche Belastung darstellen.

Ohne rasche Rückkehr zu nachhaltiger Finanzpolitik werden unsere Kinder damit beschäftigt sein, die Bombe zu entschärfen, die wir ihnen hinterlassen haben. Und seelenruhig haben ticken lassen.

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Conclusio

Hohe Zinsen, hohe Schulden: Diesem explosiven Mix wird viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Bedrohung ist enorm. Müsste Österreich seine Staatsschulden zu jenem Zinssatz bedienen, der vor 2007 galt, würde die Belastung für das Budget um elf Milliarden Euro steigen. Die Situation ist aber auch deshalb äußerst angespannt, weil die Alterung der Gesellschaft und notwendige Investitionen in den Klimaschutz zusätzliche Ausgaben erfordern. Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, steigt die Verschuldung von knapp 80 Prozent der Wirtschaftsleistung bis 2060 auf 120 Prozent. Bei hohen Zinsen müsste der Staat jeden siebenten eingenommenen Euro für Zinsen aufbringen. Statt über eine Lockerung der Budgetregeln nachzudenken, sollten die Staaten ihre Ausgaben in den Griff bekommen.