Was, bitte, ist hier nachhaltig?

Mit der Taxonomie will die EU für Investoren transparent machen, welche Investitionen nachhaltig im Sinne der Klimawende sind und welche nicht. Ein hehres Ziel. Aber kann man es so erreichen?

Ein Biomasse-Kraftwerk in Deutschland. Die Taxonomie will grüne Energie fördern.
Grün und nachhaltig? Ein Biomasse-Kraftwerk in Sachsen-Anhalt. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Umstritten. Die EU-Kommission steht unter Kritik, weil die Taxonomie Gas und Atomkraft als nachhaltig einstuft. Das ist der falsche Kritikpunkt.
  • Unterminiert. Die Energiewende steht durch den Ukraine-Krieg in Frage. Die EU muss sich schnell aus der Abhängigkeit von russischem Gas lösen.
  • Lobbyismus. Wird die Taxonomie nicht durch einen zielsicheren Emissionshandel begleitet, könnten sich vor allem die Interessen der Investoren durchsetzen.
  • Transparenz. Die Taxonomie ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Umstellung auf klimaschonende und daher nachhaltige Energie.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission, Gas- und Kernkraftwerke in die sogenannte EU-Taxonomie aufzunehmen, hat vielerorts Entrüstung hervorgerufen. Das ist nachvollziehbar, denn es ist zuerst einmal gefühlsmäßig unverständlich, dass diese Technologien als nachhaltig eingeordnet werden sollen. Was die Debatte eigentlich aufzeigt, ist jedoch die Problematik einer solchen „Positivliste“. Angesichts des dynamischen und in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten auch unterschiedlich angelegten Transformationspfades ist die Taxonomie ein nur eingeschränkt zielführendes Instrument.

Worum geht es bei der Taxonomie?


Worum geht es? Der eigentliche Zweck der Taxonomie ist es, ein Klassifikationssystem für nachhaltiges Wirtschaften zu etablieren, das am Finanzmarkt für Orientierung sorgen soll. Die EU-Verordnung enthält also zum einen Kriterien, welche Tätigkeiten als nachhaltig eingeordnet werden können, und regelt zum anderen Berichts- und Offenlegungspflichten.
Vorerst sind davon bloß große Betriebe betroffen, in Deutschland etwa 500 Unternehmen. Der Kreis dürfte aber bald stark ausgeweitet werden.

Die Unterstützung durch die öffentliche Hand kann künftig stark davon abhängen, ob Investitionen nachhaltig sind.


Die Diskussion um die Taxonomie ist nicht zuletzt deshalb besonders hitzig, weil davon eine Auswirkung auf verschiedene Bereiche staatlichen Handelns erwartet wird. So könnten in Zukunft als „nachhaltig“ klassifizierte Wirtschaftstätigkeiten den Vorzug bei öffentlichen Beschaffungsverfahren erhalten. Kredite der deutschen Förderbank KfW werden schon heute an die Klassifikation gekoppelt, erwartet wird dies auch bei Beihilferegeln und Subventionen.

Anders ausgedrückt: Die Unterstützung von Investitionen durch die öffentliche Hand könnte künftig stark davon abhängen, ob sie nachhaltig sind. Und was nachhaltig ist und was nicht, das gibt die Taxonomie vor. Klarerweise bemühen sich daher Unternehmen um eine Listung der von ihnen verfolgten Aktivitäten. Staaten wiederum streben die Aufnahme von Technologien an, die sie im Übergang zur Klimaneutralität für unentbehrlich halten.

Ohne Investitionen keine grüne Energie


Die Aufnahme von Übergangstechnologien ist ein nachvollziehbares Anliegen. Denn es geht in diesem Jahrzehnt nicht nur darum, ob eine Aktivität „an sich“ nachhaltig ist. Es muss vielmehr darum gehen, ob eine Investition – wie etwa der Zubau eines Gaskraftwerks – geeignet ist, den Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft zu ermöglichen und zu gestalten. Ob diese Frage mit Ja zu beantworten ist, hängt aber von der spezifischen Ausgestaltung von Projekten ab, in die investiert wird – und von ihrer Rolle im Gesamtsystem des jeweiligen Mitgliedstaats der EU.

All dem mit einer Taxonomie gerecht zu werden, erscheint unmöglich. Vor diesem Hintergrund stellt sich also die Frage: Sollte in der Übergangsphase eine enge oder weite Definition von „nachhaltig“ angewendet werden? Eine enge Definition – also beispielsweise der Ausschluss von Gaskraftwerken, obwohl etwa Deutschland oder die Niederlande diese auf dem Weg in die Klimaneutralität brauchen und sogar weitere Gaskraftwerke gebaut werden müssen – würde die Transformationskosten im Übergang erhöhen.

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Zahlen & Fakten

Illustration zur Taxonomie mit


Eine geringere Attraktivität der Investitionen am Kapitalmarkt, insbesondere höhere Risikoprämien, würden die Investitionskosten in die Höhe treiben. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass dies zu einem geringeren Zubau an Gaskraftwerken führen würde. Denn sie werden ja wirklich gebraucht, um die Versorgungssicherheit trotz Abschaltens der Kohlekraftwerke um 2030 und der Atomkraftwerke zu gewährleisten. Wenn Gaskraftwerken also die rote Öko-Karte gezeigt werden würde, dürften am Ende lediglich mehr staatliche Förderungen notwendig werden.

Taxonomie sieht Gas noch als Brückenlösung


Eine weite Definition – die etwa die Aufnahme von Gas als Brückenlösung einschließt – erscheint als das kleinere Übel, solange die Anforderungen klar formuliert sind: Der Betrieb von Kraftwerken mit Erdgas muss eine Übergangslösung sein, und neue Kraftwerke sollten so gebaut werden, dass sie bereit für Wasserstoff sind. Sie müssen also mit klimaneutralen Energieträgern betrieben werden können, sobald diese in ausreichender Menge verfügbar sind.

Dies dürfte sogar schneller der Fall sein als noch vor wenigen Wochen vermutet. Der inakzeptable russische Angriffskrieg auf die Ukraine dürfte die deutschen Anstrengungen vervielfachen, Wasserstoff und seine Derivate in großen Mengen zu importieren – als Teil einer Strategie, von russischem Gas unabhängig zu werden. Bei der nun vorgeschlagenen Berücksichtigung von Gaskraftwerken in der Taxonomie als Übergangstechnologie besteht nicht zwingend Anlass zur Sorge um den Klimaschutz. Denn es gibt ja ein Instrument, mit dem man sicherstellen kann, dass die Klimaziele erreicht werden: den Emissionshandel.

Auch wenn es ihr nicht gelingen kann, exakt zu definieren, was nachhaltig ist: Einen wichtigen Beitrag zur Transformation leistet die Taxonomie dennoch.

Die aktuelle Debatte macht vor allem noch einmal eindrucksvoll deutlich: Es muss allerhöchster Wert darauf gelegt werden, dass der Emissionshandel in der Europäischen Union weiterentwickelt und scharf gestellt wird. Geschieht dies nicht, so öffnet man über Instrumente wie die Taxonomie dem Lobbyismus und wiederkehrenden unübersichtlichen Diskussionen Tür und Tor. Es wird nicht zu verhindern sein, dass nationale Interessen oder auch die Interessen spezifischer Industrien diese Positivlisten bestimmen oder zumindest beeinflussen.

Auch wenn es ihr nicht gelingen kann, exakt zu definieren, was nachhaltig ist und was nicht: Einen wichtigen Beitrag zur Transformation leistet die Taxonomie dennoch. Die zunehmende Transparenz darüber, wo und wie nachhaltig gewirtschaftet wird, macht es im Zusammenspiel mit der CO2-Bepreisung und weiteren Rahmenbedingungen möglich, dass Kapital in großem Umfang in Richtung nachhaltigen Investierens umgelenkt werden kann. So entsteht ein Mehrwert gegenüber den bisherigen „Environmental, Social, Governance (ESG)“-Indikatoren privater Rating-Agenturen, die durch große Uneinheitlichkeit gekennzeichnet sind. Die Aussagekraft der auf ihnen basierenden grünen Labels war schon deshalb sehr begrenzt.


Durch die Offenlegungspflichten im Rahmen der EU-Taxonomie könnte darüber hinaus die Entwicklung nachhaltiger Investitionen in Zukunft nachvollziehbar werden. Zwar steigt die Anzahl grüner Anleihen seit einigen Jahren deutlich an, aber es bleibt weitgehend unklar, ob dies tatsächlich auf eine Zunahme nachhaltiger Investitionen zurückgeht oder ob mittlerweile einfach mehr grün zertifiziert wird, was zuvor ohne Label auskam. Die Taxonomie kann dabei helfen, ein klareres Bild zu bekommen. Denn es ist zu erwarten, dass man grüne Wirtschaftstätigkeiten künftig besser nachvollziehen kann. Das ist aktuell kaum möglich.

Streitpunkt Kernkraft

Die Reaktion auf die Vorschläge zur Taxonomie in verschiedenen europäischen Staaten hat nicht zuletzt gezeigt, wie unterschiedlich die Energieversorgung der Mitgliedsstaaten heute ist – und damit auch die Herausforderungen der Transformation. Während Österreich durch das große Potenzial von Wasserkraft vor moderaten Herausforderungen steht, ist Deutschland im Übergang auf Gas und Frankreich auf Kernenergie angewiesen.

Insbesondere die Aufnahme der Kernenergie in die Taxonomie – ein dringendes Anliegen Frankreichs und weiterer europäischer Staaten – hat in Deutschland und Österreich für Unverständnis gesorgt. Die Rolle der Kernenergie für den Klimaschutz wird weltweit und auch innerhalb der EU sehr unterschiedlich eingeschätzt. Die deutsche Entscheidung zur Kernenergie ist gefallen und sollte nicht revidiert werden.

Die geringe Akzeptanz in der Bevölkerung – etwa aufgrund des Risikos schwerer Unfälle oder der bis jetzt ungelösten Endlager-Frage – hat zum Atomausstieg geführt, der mittlerweile fast umgesetzt ist. Die Verträge zum Rückbau sind längst abgeschlossen. Lieferverträge, etwa für die Brennelemente, sind gekündigt. Es dürfte sich selbst bei drohenden Versorgungsengpässen im Falle eines Gas-Lieferstopps aus Russland als schwierig herausstellen, die Laufzeit bestehender Kernkraftwerke zu verlängern.

Zwist in der EU

Deutschland wird seine Auffassung aber nicht ohne weiteres anderen Staaten aufzwingen können. Wenn aus deutscher Sicht die Berücksichtigung von Gaskraftwerken in der Taxonomie für den Übergang von Bedeutung ist, so ist es nur schwer vorstellbar, die Aufnahme von Kernenergie zu verhindern, was im Interesse Frankreichs und anderer EU-Staaten ist. Versuchte man dies, wäre der Preis möglicherweise hoch, da diese Streitigkeiten andere Einigungen zu effektivem Klimaschutz in diesem Jahrzehnt ausbremsen könnten.

Dennoch war es zielführend, dass Deutschland eine ablehnende Haltung zur Aufnahme der Kernenergie einnimmt. Zunächst ist dies gut begründet und spiegelt auch die mehrheitliche Haltung in Deutschland wider. Und selbst wenn sich die deutsche Position zur Kernenergie nicht durchsetzt, so hat der Konflikt doch zumindest Spielräume eröffnet, die Rahmenbedingungen, unter denen Gaskraftwerke im Einklang mit der Taxonomie gebaut werden können, an die Realität anzupassen.

Die Taxonomie allein wird die Transformation nicht vorantreiben, aber sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Klassifikation von Wirtschaftstätigkeiten und Finanzierungsinstrumenten. Transparente Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen und die Möglichkeit, die Zunahme nachhaltiger Investitionen nachzuvollziehen, ermöglichen es den Investoren, Kapital in zukunftsorientierte Wirtschaftsbereiche umzulenken. Dabei wird es jedoch auch darauf ankommen, die zusätzliche bürokratische Belastung insbesondere von kleinen Unternehmen möglichst gering zu halten.

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Conclusio

Die Taxonomie ist ein Instrument, mit der nachhaltiges Wirtschaften von Unternehmen ausgeschildert wird. Für Investoren stellt diese Klassifizierung eine Art Gütesiegel dar. Wer nicht über das Öko-Zertifikat verfügt, muss mit höheren Zinskosten – sogenannten Risikoprämien – rechnen. Das Problem des EU-Vorhabens ist, dass der Einsatz von Gas oder Atomkraft in den einzelnen Ländern im Kontext des Übergangs zur Klimaneutralität gesehen werden muss. Gas statt Kohle wäre in Polen ein Fortschritt, Gas statt Wasserkraft in Österreich ein Rückschritt. Dem wird die Taxonomie nicht gerecht. Dafür hat die Klassifizierung einen anderen Vorteil: Investoren bekommen damit eine klare Richtschnur, wer nachhaltig wirtschaftet und wer nicht. Damit kann ein Wildwuchs durch verschiedene Labels möglicherweise vermieden werden.