Wenn Wörter Waffen werden

„Übergewinn“ ist ein ebenso ideologisches Wort wie „Spezialoperation“. Wir sollten ein bisschen genauer darauf achten, was sich hinter scheinbar harmlosen neuen Begriffen verbirgt.

Zu einer Zeichnung umgewandeltes Foto einer jungen Frau mit Brille und geringeltem Tanktop, die mit Pfeil und Boden auf ein Ziel schießt. Das Bild soll einen Kommentar über die Macht von Worten illustrieren, insbesondere von Worten, wie Übergewinn.
„Nicht allen ist klar, wie sehr Sprache von Ideologien verwendet wird“: Worte können Waffen sein, um politische Ziele durchzusetzen, meint Christian Ortner. © Getty Images

Genau. Ich weiß ja nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber seit einiger Zeit verwenden vor allem jüngere Menschen das Wort „genau“ derart exzessiv, dass man manchmal den Eindruck bekommen könnte, beinah jedes zweite Wort ist ein derartiges „genau“. Inhaltlich hat es keinerlei Bedeutung, es ist ein reines Füllwort, eher so eine Art „ähem“ oder dergleichen, das sich freilich zu einer wirklichen sprachlichen Seuche entwickelt hat. Sprachcorona, sozusagen.

Die Sache ist freilich völlig harmlos; manchmal ein wenig nervig vielleicht, aber mit hoher Sicherheit irgendwann wieder so spurlos verschwunden, wie sie gekommen ist.

Weniger harmlos ist eine andere Sorte neuer oder in einem neuen Zusammenhang verwendeter Wörter. Sie werden von interessierter Seite unauffällig in die deutsche Sprache eingeschmuggelt wie ein bösartiger Computervirus mit der Absicht, politische Ziele zu erreichen. Das klingt vielleicht etwas seltsam, ist aber ein ebenso heimtückisches wie effizientes politisches Instrument – Wörter als Waffen.

Mit Übergewinn beginnt es

Ein gutes Beispiel dafür, wie das funktioniert, ist das Wort „Übergewinn“. Früher hat es dieses Wort praktisch nicht gegeben, bis es ein paar politisch linksdrehende Ökonomen erst vor ein paar Monaten in die Welt gesetzt haben, worauf es von Politikern, Journalisten und anderen Meinungsbildnern übernommen worden ist. Heute gehört es bereits zum ganz normalen Sprachgebrauch – und wird von dort, so ist zu befürchten, so schnell nicht mehr verschwinden.

Doch indem im Wege der Sprache allgemein anerkannt ist, dass es so etwas wie „Übergewinne“ gibt – was vorher ja nicht der Fall war –, entsteht plötzlich die Annahme, es gäbe so etwas wie gute Gewinne, die erlaubt sind, und böse, die der Staat sofort konfiszieren muss. Was ein guter Gewinn ist und was ein böser, was weggenommen werden darf und was als Gewinn dem Unternehmer verbleiben kann, bleibt unklar und verschwommen. Auch das ist Absicht – denn ist die Idee des „Übergewinns“ mithilfe der Sprache erst einmal akzeptiert, lässt sich früher oder später alles zum „Übergewinn“ erklären und seinem rechtmäßigen Besitzer wegnehmen. Ist nicht am Ende auch das von der Oma geerbte Gartenhäuschen für den Erben irgendwie ein „Übergewinn“? Mit „Übergewinn“ beginnt es, mit neuen Steuern aller Art endet es. 

Mit Spezialoperation geht es weiter

Dass Sprache eine Waffe sein kann, die eingesetzt wird, um die Wirklichkeit politisch zu verändern, ist auch in anderen Zusammenhängen gut zu beobachten. Etwa wenn im Wege des Genderns das Männliche zurückgedrängt und weniger sichtbar gemacht werden soll; oder wenn am Anfang des russischen Krieges gegen die Ukraine nur von einer „Spezialoperation“ die Rede war, um dem Krieg die Legitimität eines Polizeieinsatzes gegen ein vermeintlich faschistisches Regime in Kiew zu verleihen. 

Wörter als Waffen – und seien es manchmal auch nur stumpfe Waffen. Nicht allen von uns ist immer ausreichend klar, wie sehr Sprache von bestimmten Ideologien und ihren Aktivisten verwendet wird, um unser Denken zu manipulieren und uns zu einem bestimmten gewünschten Verhalten anzuhalten. Sich dessen bewusst zu werden ist vielleicht nicht die schlechteste aller Ideen. Genau.