Das Weltparlament der Despoten
Die westlichen Demokratien kommen zwar für einen Großteil des UNO-Budgets auf, haben dort aber wenig zu melden. Autokratien und Diktaturen bestimmen den Kurs.

Auf den Punkt gebracht
- Weltorganisation. Die UNO wurde vor 80 Jahren als System der kollektiven Sicherheit zur Wahrung des internationalen Friedens gegründet.
- Wachstum. Im Zuge der Entkolonialisierung und des Zusammenbruchs der Sowjetunion stieg die Zahl der Mitglieder von anfangs 50 auf aktuell 193.
- Freiheit. Diktaturen und Autokratien stellen die Mehrheit. Westliche Demokratien kommen zwar für die Finanzen auf, haben aber nur wenig zu sagen.
- Legitimität. Die freien Länder sollten mehrheitsbedingt groteske Entscheidungen in der Generalversammlung und im Menschenrechtsrat nicht legitimieren.
Saudi-Arabien, ein Land, in dem Frauen bis 2018 nicht einmal Auto fahren durften, als Vorsitzender eines Forums für Frauenrechte und Geschlechtergleichstellung? Syrien unter dem Assad-Regime, das die eigenen Bürger mit Fassbomben und Giftgas ermordete, als Vorsitzender eines Abrüstungsgremiums? China, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden und eine Million Uiguren in „Umerziehungslagern“ Zwangsarbeit verrichten müssen, als Mitglied eines Gremiums zum Schutz der Menschenrechte?
Man mag solche Meldungen für zynische Einfälle von Satireplattformen wie der Tagespresse halten, doch all das hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich zugetragen: Willkommen bei den Vereinten Nationen, wo solche Absurditäten praktisch auf der Tagesordnung stehen.
Hochgesteckte Ziele
Als die UNO vor achtzig Jahren gegründet wurde, ging es um die Verwirklichung hehrer Ziele. Fünfzig Staaten kamen auf einer Konferenz in San Francisco zusammen, um die Lehren aus dem Scheitern des Völkerbundes zu ziehen und eine neue Weltorganisation zu schaffen. Deren Mitglieder verschrieben sich einem System der kollektiven Sicherheit zur Wahrung des internationalen Friedens. Zu den bereits in Artikel 1 der UNO-Charta festgeschriebenen Grundsätzen gehörte die Förderung und Festigung der „Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“.
Dass der Sicherheitsrat, das wichtigste Gremium der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung, in den Jahrzehnten danach durch die gegenseitige Blockade der Vetomächte USA und Sowjetunion praktisch handlungsunfähig bleiben sollte, mochte im Frühsommer 1945 noch nicht absehbar gewesen sein; am ernsthaften Willen der Mitgliedsstaaten zur Förderung der Menschenrechte waren aber schon damals erhebliche Zweifel angebracht. Zu den Gründerstaaten gehörten ja unter anderem die totalitäre Sowjetunion unter Stalin und Saudi-Arabien, wo 1945 sogar noch Sklaverei legal war.
Rasches Wachstum
Die schönen Bekenntnisse der Charta konnten über einen wesentlichen Schwachpunkt nicht hinwegtäuschen: Staaten, in denen die Achtung von grundlegenden Menschenrechten mehr bedeutete als ein billiges Lippenbekenntnis, waren von Anbeginn an eher die Ausnahme als die Regel. Das änderte sich auch in den kommenden Jahrzehnten nicht, in denen die Vereinten Nationen einen raschen Mitgliederzuwachs erlebten – eine Folge der weltweit stattfindenden Entkolonialisierung.
Staaten, die grundlegende Menschenrechte achteten, waren von Anbeginn an eher die Ausnahme.
Bis 1980 erlangten über 80 Länder die Unabhängigkeit von ihren Kolonialmächten; im Vergleich zur Zwischenkriegszeit vervierfachte sich die Zahl souveräner Staaten. Für die Vereinten Nationen bedeutete das eine Verdreifachung der Zahl ihrer Mitglieder binnen der ersten drei Jahrzehnte auf insgesamt 144. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks Anfang der 1990er-Jahre verzeichnete die UNO bereits 184 Mitglieder, heute sind es 193.
Viele der von kolonialer Herrschaft befreiten und nunmehr unabhängigen Staaten wurden formal mit dem Anspruch ins Leben gerufen, endlich frei und demokratisch zu sein, doch etliche mutierten binnen kurzer Zeit zu Autokratien oder anderweitig diktatorischen Regimen, die meist ausgeprägt antiwestlichen Ideologien anhingen. Obwohl sich viele von ihnen im Kalten Krieg offiziell als „blockfrei“ definierten, standen sie auf dem internationalen Parkett in aller Regel Seite an Seite mit dem sowjetisch geführten Ostblock.
Im Sicherheitsrat genießen die fünf ständigen Mitglieder (USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich) zwar durch ihre Vetomacht eine privilegierte Position, abgesehen davon beruht das UNO-System aber auf der souveränen Gleichheit aller Mitglieder. In der Generalversammlung verfügt also Liechtenstein mit seinen rund 40.000 Einwohnern genauso über eine einzige Stimme wie die USA mit ihren 340 Millionen Einwohnern.
Das hatte zur Folge, dass die Staaten der nichtfreien Welt in den Vereinten Nationen stets die Mehrheit stellten, wohingegen der Anteil jener Länder zurückging, die im Hinblick auf das politische System sowie auf bürgerliche und sonstige Rechte als frei klassifiziert werden konnten.
In der Generalversammlung, die oft als „Weltparlament“ bezeichnet wird, sitzen mehrheitlich Vertreter von Ländern, die zu Hause von frei gewählten und mit Entscheidungsmacht ausgestatteten Parlamenten wenig oder gar nichts halten. Westliche Demokratien kommen für einen großen Teil des Finanzbedarfs der Vereinten Nationen auf (unter den größten zehn Geldgebern findet sich mit China nur ein nichtdemokratischer Staat), haben bei den dort getroffenen Entscheidungen angesichts der Mehrheitsverhältnisse aber nur wenig zu sagen. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation Freedom House stufte im Jahr 2023 nur 83 Staaten als frei ein – und musste dabei zum 18. Mal hintereinander einen Rückgang der Freiheit weltweit konstatieren.
Menschenrechte als Farce
Welche Folgen es hat, wenn Diktaturen aller Art den Ton angeben, zeigt sich nirgends so deutlich wie im Menschenrechtsrat der UNO: Zu dessen 47 Mitgliedern, die in periodischen Abständen nach einem bestimmten Regionalschlüssel gewählt werden, gehören aktuell Menschenrechts-Eldorados wie Algerien, Burundi, China, Katar, Kuba, Kuwait, der Sudan und Vietnam. Insgesamt 58 Prozent der Mitglieder sind nichtdemokratische Staaten, 2023 war deren Anteil mit 70 Prozent sogar noch größer gewesen.
Steht im Gremium etwa eine Prüfung der Menschenrechtslage im Iran zur Debatte, gibt es von China oder Kuba Lob über die angeblich bedeutenden Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter in der islamistischen Diktatur zu hören. Steht dagegen ein westlicher Staat auf dem Prüfstand, wird dieser von den Vertretern der unfreien Länder mit Vorwürfen über vermeintlich fürchterliche Zustände überschüttet, wobei „Islamophobie“ und „Rassismus“ zu den bevorzugten Anklagen gehören.
Die Autokratien bekommen Persilscheine ausgestellt, die Demokratien sitzen auf der Anklagebank.
Dass der Schutz der Menschenrechte unter solchen Bedingungen zur Farce verkommt, sollte niemanden verwundern. Die autoritären Staaten und Diktaturen beschweigen ihre eigenen Menschenrechtsverletzungen, was dazu führt, dass selbst schlimmste Verbrechen unerwähnt bleiben. Im Gegensatz dazu machen sie gemeinsame Sache, um westliche Staaten an den Pranger zu stellen.
Mit dem Schutz von Menschenrechten hat dieses absurde Schauspiel nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um die Simulation einschlägiger Bemühungen, mit der sich Diktaturen gegenseitig decken, während sie den Westen an den Pranger stellen. Die Autokratien bekommen Persilscheine ausgestellt, die Demokratien sitzen auf der Anklagebank.
Israel am Pranger
Kein anderes Land steht dabei so sehr im Zentrum der Kritik wie Israel. Seit der Gründung des Menschenrechtsrates 2006 richteten sich bislang 108 länderspezifische Resolutionen des Gremiums gegen Israel, weit mehr als gegen alle anderen Staaten. Laut den Resolutionen des Menschenrechtsrats begeht Israel also mehr und gravierendere Menschenrechtsverletzungen als der Rest der Welt zusammen. Mit großem Abstand folgen in dem Ranking Syrien (45 Verurteilungen), Nordkorea (17 Verurteilungen) und der Iran (15 Verurteilungen). In den ersten zehn Jahren seines Bestehens wurden Afghanistan oder Pakistan vom Menschenrechtsrat kein einziges Mal explizit verurteilt, bis heute gibt es keine Resolutionen über China, Katar, Pakistan oder Saudi-Arabien.
In der zehn Punkte umfassenden ständigen Tagesordnung des Rates ist ein eigener Punkt der „Menschenrechtslage in Palästina und anderen besetzten arabischen Gebieten“ gewidmet; bei jeder der drei Mal im Jahr stattfindenden regulären Sitzungen muss dieses Thema erörtert werden. Nicht behandelt werden dabei Menschenrechtsverletzungen von Palästinensern gegen andere Palästinenser oder gegen Israelis, denn von Interesse sind ausschließlich angebliche israelische Vergehen.
Für kein anderes Land und keinen anderen Konflikt auf der Welt gibt es etwas Vergleichbares, nur israelische Verstöße sind dem Menschenrechtsrat gesonderte Aufmerksamkeit wert. Man muss kein besonderer Freund des jüdischen Staates sein, um diese Gewichtung für grotesk zu halten.
Nicht reformierbar
Das grundlegende Problem der UNO besteht darin, dass ihre Strukturen praktisch nicht reformierbar sind: Solange die Mehrheit der Länder aus Autokratien und Diktaturen besteht, werden diese in den Vereinten Nationen den Ton angeben.
Das Mindeste, was man von den westlichen Demokratien erwarten sollte, wäre, sich besonders diskreditierten Institutionen wie dem Menschenrechtsrat nicht weiter als Feigenblatt zur Verfügung zu stellen und insbesondere die israelfeindlichen Exzesse etlicher UNO-Einrichtungen nicht zu unterstützen. Österreich ist in der gemeinsamen Regierungszeit von ÖVP und Grünen in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel vorangegangen. Die jetzt amtierende Koalition sollte diesen Weg weiterverfolgen.
Conclusio
Undemokratisch. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen besteht aus Autokratien und Diktaturen, westliche Demokratien sind klar in der Minderheit. So kommen offensichtlich absurde Entscheidungen zustande.
Menschenrechte. Dass beispielsweise Länder wie Afghanistan oder Saudi-Arabien in der UNO-Frauenkommission die Geschlechtergleichstellung fördern sollen, ist grotesk. Der Schutz der Menschenrechte ist zur reinen Farce verkommen.
Konsequenzen. Die westlichen Demokratien sollten sich zumindest an besonders diskreditierten UN-Organisationen nicht weiter beteiligen und insbesondere der bei der UNO grassierenden Israelfeindschaft entgegentreten.
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