Der Horror aus dem Labor

In mehr als 60 Hochsicherheitslaboren auf der ganzen Welt forschen Wissenschaftler an den gefährlichsten Viren und Bakterien, die es gibt. Die nächste Pandemie könnte aus einer dieser Einrichtungen kommen.

Illustration eines Hochsicherheitslabors mit überdimensionierten Viren, die wie Monster durch den Raum schweben.
Die Pandemie erhöhte den Bedarf an riskanter biologischer Forschung. Damit steigt auch das Risiko eines Unfalls. © Ulrich Fuchs
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Auf den Punkt gebracht

  • Wichtige Forschung. In Hochsicherheitslaboren wird wichtige Forschung an gefährlichen Viren und Bakterien betrieben.
  • Fragwürdige Methoden. Manche Ansätze sind umstritten: Bei der Gain-of-Function-Forschung werden Viren und Bakterien noch gefährlicher gemacht.
  • Große Gefahren. Diese Viren könnten nicht nur durch einen Unfall entkommen, auch Schurkenstaaten könnten sich dafür interessieren.
  • Kaum Regulierung. Es gibt zwar internationale Normen für derlei Forschung, diese Normen werden aber nicht überprüft.

War es eine Fledermaus, ein Schuppentier oder ein Laborunfall? Seit mehr als zwei Jahren prägen Lockdowns, Mutationen und Masken unseren Alltag – aber die Frage, wie die Pandemie entstanden ist, bleibt weiter ungeklärt. Eine Theorie besagt, dass das Virus auf natürliche Weise von einem Tier auf Menschen übertragen wurde. 

Eine andere These lautet, dass der Ursprung in der wissenschaftlichen Forschung zu finden ist, dass also das Virus versehentlich aus einem Labor entwichen ist oder Wissenschaftler sich bei Feldarbeiten infiziert haben, als sie Virusproben von Fledermäusen gesammelt haben.

Vermutlich kann keine der beiden Theorien je zweifelsfrei bewiesen werden. Auch deshalb, weil es noch immer keine unanfechtbare internationale Untersuchung gegeben hat und keine Anzeichen darauf hindeuten, dass es in nächster Zeit eine geben wird.

Illustartion eines Erregers der Spanischen Grippe: eine stachelige Kugel mit dreispaltigem maul und scharfen Zähnen.
Influenzavirus: Die Spanische Grippe verursachte mit bis zu 50 Millionen Todesopfern die schwerste Pandemie des 20. Jahrhunderts. © Ulrich Fuchs

Hochriskante Bioforschung

Was wir jedoch sicher wissen, ist, dass gefährliche Viren aus Laboratorien entkommen können. Wir wissen auch, dass es noch nie so viele Labore gab wie heute – und dass darin riskantere Forschung betrieben wird als je zuvor. Paradoxerweise gilt: Je mehr Länder in biomedizinische Forschung und die Vorbereitung auf eine künftige Pandemie investieren, desto größer ist das Risiko, dass eine Sicherheitslücke in einem dieser Labore zum Ausbruch der nächsten Pandemie führt. Vor allem, weil sich viele Forscher in diesen Laboren nun auf potenzielle Pandemieerreger konzentrieren.

Gefährliche Viren werden seit vielen Jahren im Zuge der regulären Forschung in Laboren erzeugt.

Der Boom bei Laboren mit der höchsten Sicherheitsstufe – sie werden BSL-4-Labore genannt – wurde ursprünglich durch die Besorgnis über Bioterrorismus und neu auftretende Infektionskrankheiten in den frühen 2000er-Jahren ausgelöst. Als Folge von Covid-19 werden nun wahrscheinlich noch mehr Länder solche Labore einrichten, um sich auf eine Pandemie vorzubereiten und darauf zu reagieren. 

Untersuchungen unter der Leitung meines Teams am King’s College in London haben gezeigt, dass es inzwischen weltweit mehr als 60 BSL-4-Labore gibt, die mit den gefährlichsten Viren und Bakterien arbeiten, für die es keine Impfstoffe oder Behandlungsmöglichkeiten gibt. Das sind deutlich mehr als noch vor zehn Jahren. 

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Zahlen & Fakten

Die Labore sind über 26 Länder verteilt, fast die Hälfte von ihnen befinden sich in Europa, meist in Großstädten. Eines der größten ist in Wuhan, wo Covid-19 seinen Anfang nahm.

 

Künstlich erhöhte Übertragbarkeit

Gefährliche Viren werden seit vielen Jahren im Zuge der regulären wissenschaftlichen Forschung in Laboren erzeugt. So haben Wissenschaftler im Jahr 2005 das Influenzavirus von 1918 nachgebaut, das als Spanische Grippe zur tödlichsten Pandemie des 20. Jahrhunderts führte. 

2018 sind Pferdepocken von Grund auf synthetisch hergestellt worden – ein Projekt, das lediglich 100.000 Dollar kostete. Das diente als wissenschaftlicher Beweis dafür, dass dasselbe auch mit den Pocken, dem viralen Cousin der Pferdepocken, möglich wäre. Die sind ja an sich seit 1977 ausgerottet.

Die Covid-19-Pandemie wird wahrscheinlich dazu führen, dass immer mehr Wissenschaftler hochriskante biologische Forschung betreiben. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Gain-of-Function-Forschung an potenziell pandemischen Viren. Dabei wird die Virulenz oder Übertragbarkeit der Viren im Vergleich zu natürlich vorkommenden Stämmen erhöht. Das Ziel dieser Forschung: die Viren besser zu verstehen und zu erforschen – auch, um künftige Pandemien besser vorhersagen zu können.

Illustration eines Sars-Cov-2-Virus: eine Kugel mit Noppen uns Spitzen, einer bösen Grimasse und zwei Armen.
Betacoronavirus: Ende Dezember 2019 berichteten chinesische Behörden von dem neuartigen Virus, das die Atemwege befällt. Der nunmehr als Sars-CoV-2 berüchtigte Erreger bescherte der Menschheit die erste Pandemie des 21. Jahrhunderts. © Ulrich Fuchs

Nach den Grippe-Ausbrüchen von H5N1 im Jahr 2005 und H1N1 im Jahr 2009 nahmen die Gain-of-Function-Projekte bei Influenza-Virologen deutlich zu. Das führte zur Entwicklung eines H5N1-Vogelgrippestamms, der von Menschen übertragen werden kann. Bis dahin war das Virus nur von Vögeln auf Menschen übertragen worden – wobei die Sterblichkeitsrate bei 30 bis 60 Prozent lag. Im Vergleich dazu: Die Sterblichkeitsrate bei Covid-19 beträgt weniger als fünf Prozent. 

Es wurde bereits ein dramatischer Anstieg der wissenschaftlichen Veröffentlichungen über SARS-CoV-2 und verwandte Coronaviren beobachtet, und es gibt mindestens ein Labor in den Vereinigten Staaten und möglicherweise auch anderswo, das versucht, genetisches Material des ursprünglichen SARS-Virus zu SARS-CoV-2 hinzuzufügen, um ein gefährlicheres chimärisches Virus aus den beiden Stämmen zu schaffen. 

Die Risiken in Laboren nehmen zu

Klinische Arbeiten und wissenschaftliche Studien über Krankheitserreger sind wichtig für die öffentliche Gesundheit, den biomedizinischen Fortschritt und die Prävention von Krankheiten. Einige dieser Forschungen sind jedoch mit erheblichen Risiken verbunden. Und je mehr Labore solche Hochrisikoforschung betreiben, desto größer werden auch die Sicherheitsrisiken. Und davon gibt es viele: Ein Labormitarbeiter kann sich etwa mit einem Krankheitserreger infizieren und in der Folge auch andere Labormitarbeiter, Familienmitglieder und weitere Personen in seiner Umgebung. 

Ein Erreger kann versehentlich in die Umwelt entkommen, wenn Sicherheitsmaßnahmen versagen oder sie nicht eingehalten werden. Diese Risiken wurden nicht zuletzt durch die viel beachtete Kontroverse über den Ursprung der Covid-19-Pandemie deutlich demonstriert.

Unabhängig davon, ob die Pandemie in der Umwelt entstanden ist oder aus einem Labor stammt, sollte die Botschaft klar sein: Es liegt im Bereich des Möglichen, dass die Pandemie durch ein Labor verursacht wurde. Und das heißt auch, dass die nächste Pandemie gut durch ein schiefgelaufenes riskantes Experiment ausgelöst werden könnte.

Schurkenstaaten könnten wissenschaftliche Fortschritte für kriegerische Zwecke missbrauchen.

Bei der Arbeit mit hochgefährlichen Krankheitserregern gibt es auch nationale Sicherheitsbedenken, die über einen Unfall hinausgehen. So könnten beispielsweise Krankheitserreger oder anderes Material aus einem Labor gestohlen werden. Ein noch größeres Problem ist jedoch, dass hochqualifizierte und ausgebildete Biologen ihr Wissen nutzen könnten, um unter dem Deckmantel legitimer Forschung biologische Wirkstoffe oder genetische Konstrukte für kriminelle Zwecke herzustellen.

Milzbrandsporen per Post

Diese Gefahr wird „Insider-“ oder „Bad- Apple-Bedrohung“ genannt, und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass genau so etwas bei den „Amerithrax-Anschlägen“ geschah, bei denen kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 Milzbrandsporen per Post an Medien und Regierungsbeamte in den Vereinigten Staaten verschickt wurden.

Ein vielleicht noch besorgniserregenderes Sicherheitsproblem ist das der „interessierten Außenstehenden“. Dabei handelt es sich um Streitkräfte von Schurkenstaaten, feindlich gesinnten Staaten oder aufstrebenden Mächten, die legitime wissenschaftliche Fortschritte für kriegerische Zwecke missbrauchen könnten.

Illustration eines Anthrax-Bakteriums als wurmartiges Monster mit gefletschten Zähnen.
Bacillus anthracis: Der tödliche Milzbrand-Erreger (Anthrax) wurde bereits von Terroristen für Anschläge eingesetzt. © Ulrich Fuchs

Es ist nicht schwer, diese Bedrohung zu verstehen: Gerade unterlegene und aufstrebende Militärmächte sind daran interessiert, einen technischen Vorsprung gegenüber ihren Gegnern zu erreichen. Manche entwickeln ihre technologische Überlegenheit selbst. Andere kaufen sie. Wiederum andere versuchen, sie zu stehlen.

Keine Meldepflicht für Labore 

In den Biowissenschaften gibt es im Vergleich zu anderen Bereichen wie Physik oder Robotik relativ wenige als „geheim“ klassifizierte Forschungen. Der Großteil der wissenschaftlichen Fortschritte und Entwicklungen findet außerhalb des Verteidigungs- und Sicherheitskomplexes statt, nämlich in der akademischen Welt und in der Privatwirtschaft.

Nichtstaatliche Finanzierungsquellen wie Unternehmen, Stiftungen, Einzelpersonen und Crowdfunding sprudeln für einen immer größeren Anteil der biowissenschaftlichen Forschung. Im Jahr 2021 haben die Unternehmen der synthetischen Biologie in den Vereinigten Staaten beispielsweise 18 Milliarden Dollar an privaten Geldern aufgestellt – das ist mehr, als die Branche in den zehn Jahren zuvor insgesamt bekommen hat.

Im Augenblick gibt es keine Verpflichtung, einschlägige Einrichtungen international zu melden. 

Biowissenschaftler an Hochschulen und in der Privatwirtschaft spielen daher eine wichtige Rolle bei der Absicherung ihrer Forschung – um sicherzustellen, dass ihre Erkenntnisse, Techniken und Materialien nicht genutzt werden, um Schaden anzurichten.

Gefahr für den Frieden

Die Arbeit mit hochgefährlichen Krankheitserregern birgt also gravierende Risiken, die die internationale Sicherheit und die Erhaltung des Friedens gefährden. Die wachsende Zahl von Einrichtungen und Forschern auf diesem Gebiet kann dazu beitragen, dass der Eindruck entsteht, ein Staat würde biologisch aufrüsten – was andere Länder dazu veranlassen könnte, selbst ebenfalls aufzurüsten und ein Programm zur biologischen Kriegsführung zu starten oder auszuweiten – analog zu dem, was beim nuklearen Wettrüsten im Kalten Krieg passierte. 

All diese Risiken machen deutlich, dass in BSL-4-Einrichtungen extrem hohe Sicherheitsstandards gelten müssen und dass die Arbeit mit gefährlichen Krankheitserregern maximal verantwortungsbewusst durchgeführt werden sollte. Im Augenblick gibt es jedoch keine Verpflichtung, einschlägige Einrichtungen international zu melden, und keine Organisation ist beauftragt, solche Informationen auf globaler Ebene zu sammeln. 

Stärkeres Biorisikomanagement

Wir wissen, dass es in vielen Laboren, auch in solchen mit Sicherheitsstufe BSL-4, Unfälle und Beinaheunfälle gegeben hat. Der Global Health Security Index – eine umfassende globale Untersuchung, die Staaten dahingehend bewertet, wie gut sie vorbereitet sind, eine mögliche Pandemie zu verhindern oder auf eine solche zu reagieren – gibt nur einem Viertel der Länder mit BSL-4-Laboren eine gute Note bei den Best-Practice-Indikatoren für biologische Sicherheit. Das bedeutet umgekehrt natürlich, dass drei Viertel der Länder mit BSL-4-Laboratorien schlechte Zensuren in Sachen Biosicherheit erhalten haben.

Illustration eines ovalen Pocken-Virus mit glühenden Augen und gefährlich anmutendem Maul.
Orthopox variolae: Seit 1979 gelten die Pocken als ausgerottet. In Laboren wurden die gefährlichen Pockenviren zu Forschungszwecken wiederbelebt. © Ulrich Fuchs

Es gibt zwar internationale Normen für das Management von Biorisiken in Laboren, aber sie werden oft nicht umgesetzt. Und es gibt keine internationalen Instrumente, um die Einhaltung dieser Normen zu gewährleisten.

Fehlende staatliche Kontrolle 

Dazu kommt, dass nur sehr wenige Länder mit BSL-4-Laboren über staatliche Richtlinien für „Dual-Use-Forschung“ verfügen – also solche, die sowohl für medizinische als auch für militärische Zwecke genutzt werden kann. Das heißt, dass in den meisten Ländern die risikoreiche Gain-of-Function-Forschung – die ein zentraler Punkt in der Debatte über die Herkunft von Covid-19 war und die unter Umständen für das mögliche Leck im Wuhan Institute of Virology verantwortlich ist – ohne jede staatliche Kontrolle durchgeführt werden kann. 

Angesichts der erheblichen Risiken, die von diesen Laboren ausgehen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass bald umfassende, kohärente und wirksame nationale und internationale Mechanismen geschaffen werden, um zu gewährleisten, dass die biowissenschaftliche Forschung sicher durchgeführt wird.

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Conclusio

Die Forschung an gefährlichen Viren und Bakterien kann dazu dienen, Krankheiten besser zu verstehen und vielleicht sogar die nächste Pandemie zu verhindern. Genauso gut könnte die nächste Pandemie aus dem Labor kommen – auch der Ursprung der Coronapandemie ist bis heute nicht restlos geklärt. 60 Hochsicherheitslabore gibt es bereits weltweit. Sie forschen nicht nur an tödlichen Viren und Bakterien, sondern machen sie teilweise auch noch gefährlicher. Es sind umstrittene Experimente, die „Gain-of-Function-Forschung“ genannt werden. Dabei könnten Viren irrtümlich entweichen, sie könnten aber auch von Schurkenstaaten gestohlen und zu kriegerischen Zwecken eingesetzt werden. Auf internationaler Ebene gibt es keinerlei Sicherheitsstandards, an die sich all diese Labore halten müssen.