Acht Jahre Brexit: Nur Verlierer
Die britische Wirtschaft schwächelt, die Bevölkerung schrumpft und die politische Stabilität ist dahin. Acht Jahre nach der Volksabstimmung zum EU-Austritt wird aber auch klar, dass die Union unter dem Brexit leidet.
„We shall go on to the end, we shall fight in France, we shall fight on the seas and oceans, we shall fight with growing confidence and growing strength in the air, we shall defend our island, whatever the cost may be, we shall fight on the beaches, we shall fight on the landing grounds, we shall fight in the fields and in the streets, we shall fight in the hills; we shall never surrender“. Diese berühmt gewordenen Worte sprach Winston Churchill am 4. Juni 1940 vor dem britischen Unterhaus. Vier Jahre später landeten die Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie. Die Befreiung Westeuropas von der Naziherrschaft begann.
Zur Feier des 80. Jahrestages des D-Days sprangen auch heuer als Erinnerung an diesen markanten Wendepunkt im 2. Weltkrieg britische Fallschirmspringer über der französischen Ärmelkanalküste ab. Dieses Mal führte sie ihr erster Weg direkt zum französischen Zoll.
Konservative am Ende?
Am 4. Juli wird das britische Unterhaus neu gewählt. Zuvor hatte Premierminister Rishi Sunak das Parlament nach einer drastischen Wahlniederlage für seine konservative Partei bei den britischen Kommunalwahlen vorzeitig aufgelöst. Seit der britischen Volksabstimmung über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 23. Juni 2016 ist Rishi Sunak der fünfte britische Premierminister; alle wurden von den konservativen Tories gestellt.
Durch den Antritt von Nigel Farages rechtspopulistischer Reform UK Partei droht den Tories eine für das 20. und 21. Jahrhundert historische Wahlniederlage.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird er der letzte in dieser Reihe gewesen sein. Die Labour Party von Keir Starmer führt in allen Umfragen mit schier uneinholbarem Vorsprung. Das britische (relative) Mehrheitswahlrecht begünstigt die stimmenstärkste Partei, sodass man von einer komfortablen Mehrheit für die Labour Party im Unterhaus ausgehen kann. Durch den Antritt von Nigel Farages rechtspopulistischer Reform UK Partei (vormals Brexit Party) droht den Tories darüber hinaus eine für das 20. und 21. Jahrhundert historische Wahlniederlage.
Laut den aktuellen Umfragen könnte sogar der zweite Platz an Abgeordneten im Unterhaus und damit die öffentlich wirksame Möglichkeit, eine Schattenregierung zu bilden, für die Conservative Party in Gefahr sein.
Das Brexit-Versprechen
Die Nachfolger und Nachfolgerinnen von David Cameron als Premierminister haben die Devise ausgegeben, den Brexit zu einem Erfolg für die Briten zu machen. Ein Blick auf die wesentlichen ökonomischen Kennzahlen deutet auf das Gegenteil hin. Auf Basis von aktuellen Zahlen des Weltwährungsfonds ist das reale BIP pro Kopf im Vereinigten Königreich seit 2016 um zwei Prozent gestiegen. In den EU27 wuchs das BIP pro Kopf im Vergleichszeitraum um elf Prozent, wobei diese Steigerung besonders von den osteuropäischen Mitgliedsländern getragen wurde.
Betrachtet man das gesamtwirtschaftliche Wachstum anhand des realen BIPs, so zeigt sich ein etwas differenzierteres Bild. Im Vergleich zur Wirtschaftsleistung vor der Pandemie ist auf Basis von Daten bis Mai 2024 die Wirtschaftsleistung des Vereinigten Königreichs um 1,7 Prozent gestiegen. Die Eurozone liegt um 3,4 Prozent über dem Vorpandemieniveau, Frankreich um 2,2 Prozent. Das Schlusslicht der großen internationalen Volkswirtschaften bildet Deutschland mit einer Wirtschaftsleistung, die jene von 2019 um nur 0,3 Prozent übersteigt. Die Ursachen für die deutsche Wachstumsschwäche werden im Pragmaticus-Dossier vom März dieses Jahres ausführlich analysiert und besprochen.
Zurück zum Vereinigten Königreich: Die gerade erwähnten Zahlen und Prognosen deuten auf noch stärkere negative Wachstumseffekte hin, als in den meisten ex-ante Studien zu den Handelseffekten des britischen Austritts aus der EU berechnet wurde. Dies kann auf eine Reihe von Faktoren zurückgeführt werden: Der EU-Binnenmarkt regelt neben dem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr auch die Personenfreizügigkeit sowie den freien Kapitalverkehr. Einem Bericht des britischen Unterhauses ist zu entnehmen, dass die ausländischen Direktinvestitionen im Vereinigten Königreich seit dem Austrittsreferendum zwar weiterhin gewachsen sind, sich das Tempo des Wachstums jedoch deutlich abgeschwächt hat.
Die Briten vertraten innerhalb der EU-Institutionen liberale und marktwirtschaftlich geprägte Positionen. Diese Stimme verlor durch den Austritt deutlich an Gewicht.
Darüber hinaus wurde der für die Wertschöpfung bedeutsame Londoner Finanzplatz 2021 von Amsterdam als wichtigster Aktienbörse abgelöst. Das Bevölkerungswachstum verlor nach dem Brexit ebenfalls an Dynamik; seit 2020 schrumpft die britische Bevölkerung. Beide Faktoren drücken auf das Wirtschaftswachstum und stehen mit dem Brexit in Verbindung. Zudem litt die politische Stabilität unter dem Brexit. Die häufigen Wechsel an der Regierungsspitze sowie der gesamten Regierung mit den damit einhergehenden internen Machtkämpfen innerhalb der Konservativen verursachten Unsicherheit und belasteten die Wirtschaftsentwicklung.
Verlierer auf beiden Seiten des Ärmelkanals
Mit dem Brexit gab das Vereinigte Königreich nicht nur den weitreichenden Zugang zum europäischen Binnenmarkt auf. Die EU verlor ihre zweitgrößte Volkswirtschaft und damit an internationaler ökonomischer Bedeutung und politischem Gewicht. Die Briten vertraten innerhalb der EU-Institutionen liberale und marktwirtschaftlich geprägte Positionen. Diese Stimme verlor durch den Austritt deutlich an Gewicht. In der Amtsperiode der letzten EU-Kommission konnte bereits ein deutlicher Schwenk hin zu einem mehr an Regulierung beobachtet werden. Mit den Briten wäre das schwieriger geworden und vielleicht hätte ihr Verbleib in einigen Fällen insgesamt zu besseren Lösungen geführt. Ein mehr an Debatte hätte es jedenfalls gegeben.
Die neue britische Regierung steht vor wirtschaftlich herausfordernden Zeiten. Hauptaufgabe wird es sein, die ökonomische Kosten des Brexits zu bewältigen und den Platz des Vereinigten Königreichs im geopolitischen Umfeld neu zu justieren. Von einer Neuordnung der Post-Brexit Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich und einer verstärkten wirtschaftlichen und politischen Kooperation unter Wahrung der jeweiligen individuellen Freiheiten könnten dabei beide Seiten des Ärmelkanals nur profitieren.
Unser Newsletter
Zur Printausgabe!
Fakten gibt’s jetzt im Abo.
10 Mal im Jahr unabhängige Expertise, bequem in Ihrem Briefkasten. Die großen Fragen unserer Zeit, beantwortet von führenden Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.
Jetzt abonnieren