Die Illustration über Deutschlands Krisen zeigt ein Sofa auf dem ein Kissen mit der Aufschrift „Mögest Du in interessanten Zeiten leben.“

Das deutsche Drama in 5 Akten

Deutschlands Krisen haben viele Gesichter. Positive Schlagzeilen aus Deutschland sind zurzeit ungefähr so selten wie Schneeleoparden in der Sahara. Die Wirtschaftskraft lässt nach, Streiks sind fast schon an der Tagesordnung, das Bahn-Chaos wird zunehmend zum Sinnbild des deutschen Abstiegs. Während der globale Einfluss schwindet, schwingt sich das Land zum Moralweltmeister auf. „Die Mannschaft“ (das Präfix „National“ mag man dem Fußballpublikum nicht mehr zumuten) trägt LGBTQ-Armbinden, die Außenpolitik ist feministisch, und der Zustrom von Migranten hält an, die zu künftigem Wohlstand eher wenig beitragen dürften. Dazu kommt eine desaströse Energiewende, die hunderte Milliarden Euro kosten wird.

Um jeden Preis will man der Welt ein Vorbild sein. Der deutsche Sonderweg soll das Land vom Inbegriff des Bösen endlich zum Inbegriff des Guten werden lassen. Man könnte meinen, die Schatten der Vergangenheit würden so schwer auf der deutschen Seele lasten, dass sich das Land willig seiner Selbstverzwergung hingibt. Der Pragmaticus hat Experten aus Deutschland gefragt, was in ihrer Heimat schiefläuft und wie das mit der deutschen Seele zusammenhängt. Deutschlands Krisen im Überblick:

Deutschlands Krisen

Politikwissenschaftler Herfried Münkler warnt vor nationalen Stereotypen und Klischees – zumal in Deutschland mit seiner Vielfalt an Regionen und Gepflogenheiten. Sein Befund: Das Land befindet sich in einer schwierigen Übergangsphase, die von einem neuen Biedermeier oder von hektischer Betriebsamkeit abgelöst werden wird.

Die Schriftstellerin Mirna Funk verortet das Grundproblem des Landes im manichäischen Weltbild, das Deutschland zwar nicht erfunden, aber perfektioniert hat. Fortschrittlichkeit wird nur mehr moralisch statt entwicklungstechnisch gedacht. Doch Gut und Böse sind nicht „wir und die anderen“, sondern beides steckt in uns allen. Wer sich selbst zum Gutmenschen ausruft, hat schon verloren und bleibt in der Falle einer Ideologie gefangen.

Wie die Wettbewerbsnachteile der deutschen Industrienation zunehmen, analysiert der Ökonom Jan Schnellenbach: Neben Energiekosten, Bürokratie und hohen Steuern ist auch die vorherrschende Skepsis gegenüber unternehmerischer Freiheit ein Standortnachteil im globalen Wettbewerb um Arbeit und Kapital. Statt manisch über Verteilung und Bewahrung zu reden, muss sich Deutschland daher künftig auf Effizienz und Wachstum konzentrieren.

Eine andere Bedrohung ortet die Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland: Die Abschaltung der Atomkraftwerke war ein Fehler. De facto hat Deutschland seit Beginn der Energiewende Atomstrom mit konkurrenzlos billigen Gestehungskosten und minimalem CO2-Ausstoß durch die gleiche Menge fossiler Energie aus Kohle und Gas ersetzt. Ohne Atomkraft wird Deutschland als Industriestandort nicht zu halten sein, glaubt sie.

Auch wenn Österreicher, im Gegensatz zu den Schweizern, kein Gefühl der Überlegenheit aufkommen lassen sollten, wenn es um den deutschen Nachbar geht, hat sich der heimische Standort in vielen Bereichen in den vergangenen Jahren besser entwickelt: Die Industrieproduktion ist hierzulande gewachsen statt geschrumpft, die sozialen Verwerfungen der vergangenen Wirtschaftskrisen wurden erfolgreicher abgefedert, die CO2-Bilanz steht dank der Wasserkraft noch besser da und insbesondere wächst der Wohlstand regional sehr gleichmäßig in Österreich. Experten des Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) haben das Standort-Match Deutschland vs. Österreich in acht Grafiken zusammengefasst.

Josef Joffe, ehemaliger Herausgeber der Zeit, spannt einen Bogen von Bismarck bis zum Fall der Mauer. Unter Aufsicht der Alliierten wurde das Land zu einer ultrastabilen Demokratie. Allerdings regieren nach der Ermordung, Vertreibung und Emigration der Besten Egalität statt Exzellenz und Biederkeit statt Glanz und Gloria. Das langweilige Deutschland mit seinem Hang zum Moralisieren hat jedoch auch Vorteile: Von Krieg und Hochmut hat es sich längst verabschiedet. Heute muss sich niemand mehr vor Deutschland fürchten.

Und wie sehen die Österreicher Deutschland?

Die deutsch-österreichischen Beziehungen waren immer eng – und kompliziert. Die aktuelle Pragmaticus-Umfrage hat erhoben, was die Österreicher von Deutschlands Politik und Wirtschaft halten und wie sie zu einer Regierungsbeteiligung der AfD stünden. Alle Ergebnisse aufgeschlüsselt und im interaktiven Dashboard finden Sie hier:

Agenda 2030

Trotz der eher unerfreulichen Momentaufnahme: Jeder Abgesang auf die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt wäre stark verfrüht. Deutschlands Industrie verfügt über enormes Know-how, die Menschen sind überwiegend gut ausgebildet, der Wohlstand ist hoch. Sechzehn Jahre Merkel und zwei Jahre Scholz haben dem Land nicht gutgetan. Doch politische Entscheidungen sind nicht unumkehrbar. Unter einer mutigen und pragmatischen Führung, die nicht von Ideologien, sondern von den Interessen des Landes geleitet wird, kann die Trendwende gelingen. Deutschlands Krisen könnten eine Chance darstellen.

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