Wie Frau Sacher ihr Hotel zur Marke machte
Anna Sacher erbte eine Herberge hinter der Oper in Wien – und verwandelte sie kraft ihrer Persönlichkeit zur angesagtesten Adresse der Monarchie.
Das Bild zeigt eine Frau in den besten Jahren, sie trägt ein weißes, spitzenbesetztes Kleid, das hübsche Gesicht in die Hand gestützt, die zu Locken getürmten Haare von einem Hut mit Straußenfedern gebändigt. Zwei Französische Zwergbulldoggen sitzen auf ihrem Schoß wie bei anderen Leuten Kinder in Matrosenanzügen.
Mehr von Monika Czernin
Die berühmte Fotografie der Anna Sacher hängt bis heute im gleichnamigen Hotel in Wien. Nur selten gewährt das Haus den Abdruck dieses Bildnisses. Als ich der Hotelière ein Buch widmete, war es diese Fotografie, die mir in nuce schon die ganze Person erklärte.
Frau Feldwebel mit Zigarre
1908, als das Foto entstand, war Anna fast 50, verwitwet und in geheimer Liaison verbunden mit Julius Schuster, Güterdirektor bei Nathaniel Rothschild. Er schenkte ihr die schwere Perlenkette, die sie auf dem Bild trägt. Außerdem war sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, einer ganz besonderen Karriere: von der Fleischerstocher Anna Fuchs aus dem 2. Bezirk über die Ehefrau des gutbürgerlichen Hoteliers Eduard Sacher zur Witwe und Alleinerbin – und zur erfolgreichsten Unternehmerin Wiens!
In die Geschichte eingegangen ist sie indes als Zigarren rauchender Feldwebel, der sich nicht scheute, randalierende Erzherzöge zu maßregeln; eine schnoddrige Kultfigur des Fin de Siècle, bewundert von Adelssprösslingen und Großbürgersöhnen, die sich nach Bodenständigkeit sehnten. Doch in Wirklichkeit – und deshalb ist sie ein Thema für diese Kolumne – war sie eine moderne Karrierefrau mit wenig Zeit für Kinder und Kindeskinder, Managerin eines komplexen Unternehmens und eine öffentliche Figur unter permanenter Beobachtung. Doch was genau war ihr unternehmerisches Talent?
Karriere auf Kredit
Als sie 1930 starb, war das Hotel in Konkurs. Der Verlassenschaftsakt enthält eine Gläubigerliste mit 400 Personen und Unternehmen, eine Matrix des Hotelbetriebs, scheint sie doch – man gewährte der Sacher eben Kredit – seit geraumer Zeit keine Rechnungen mehr beglichen zu haben.
Gewiss, die 1920er-Jahre haben noch erfolgreichere Unternehmer in die Knie gezwungen, aber Buchhaltung, Geschäftsführung und Zahlen waren Anna Sachers Stärke nicht. Julius Schuster war es, der ihr in den 1910er-Jahren den Aufstieg an die Spitze mit einem Darlehen von fast 500.000 Kronen ermöglicht hatte. Damit verdoppelte sie die Größe des aus allen Nähten platzenden Hotels. Zurückgezahlt hat sie die Summe nicht, taucht sie doch auch im Verlassenschaftsakt von Julius Schuster auf, der mitten im Ersten Weltkrieg verstarb.
Mensch und Markenkern
Anna Sachers Genialität lag auf anderen, unternehmerisch nicht weniger wichtigen Gebieten. Sie war es, die schon zu Lebzeiten von Eduard Sacher an der Marke des Hotels arbeitete – am Branding –, von den selbst geschriebenen Tischkarten bis zum berühmten Gästebuch-Tischtuch, auf dem sich die Crème de la Crème der Wiener Gesellschaft verewigte.
Sie betrieb Content-Marketing, noch bevor der Begriff erfunden wurde.
Und an etwas wenig Greifbarem, für eine Marke umso Wichtigerem: an der Atmosphäre und – ultramodern – dem Storytelling. Sie betrieb Content-Marketing, noch bevor dieser Begriff erfunden wurde, und kondensierte das Narrativ schließlich in einen einfachen Satz: „Das Sacher, das bin ich und sonst niemand.“ Eine derart geniale Verschmelzung von Produkt und Unternehmen muss heutige Brand- und Kommunikationsstrategen vor Neid erblassen lassen.
Auch das heute so wichtige Influencer-Marketing beherrschte die Grande Dame der Wiener Hotellerie wie von selbst, indem sie verstand, dass nicht die Hotelgäste, sondern die Stammgäste ihre wichtigste Währung waren. Denn sie alle, diese einzigartige Mischung des Gründerzeitwiens, machten aus dem Hotel den Dreh- und Angelpunkt der Stadt. Sodass am Ende, bei Annas Tod, die „Arbeiter-Zeitung“ wie folgt zusammenfassen konnte: „Ihr Hotel Sacher ist mehr gewesen als eine bloße, über das Normalmaß kapitalistischen Behagens hinausgehende elegante Gaststätte … Das Hotel Sacher war geradezu eine vom spanischen Hofzeremoniell befreite Filiale der Hofburg. Von Erzherzögen wimmelte es bei Sacher, aber trotzdem gab es dort keinen Arierparagraphen.“
Bei allem scheinbaren Glanz war die Zeit der Anna Sacher aber vor allem eine Epoche der Umbrüche und rasanten Entwicklungen. Es war eine Zeit der Dekadenz, in der Märchenprinzen wie Nikolaus von Szemere den Sieg ihrer Pferde nur wenige Tage vor den Schüssen in Sarajevo mit einem mehrtägigen Fest für dreihundert geladene Gäste – ausgerichtet selbstverständlich von Anna Sacher – feierten. Es war eine Welt der Widersprüche, der Doppelmoral, der künstlerischen Höhenflüge. Eine Welt großer Ideen und Unheil bringender Ideologien. Eine moderne Welt, in der Naturbewegung und Körperkult, Massenmedien und Marketingkampagnen, Frauenemanzipation und freie Sexualität ihre Urstände feierten.
Millionärin mit Fairness und Empathie
Anna hielt weder von der Frauenbewegung noch von Gewerkschaften viel. Als Vorstadtmädchen hatte sie schon im Geschäft ihres Vaters gearbeitet, selbstbewusstes Auftreten war ihr in die Wiege gelegt. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behandelte sie stets mit Fairness und Empathie, wusste um die Probleme der Mädchen vom Land, die als Bettgeherinnen und Dienstmädchen materiell und sexuell ausgebeutet wurden. Als zwei vom Personal heiraten wollten (was sie ohnedies nicht gerne sah), meinte sie bloß, dass sie zu arm für eine Wohnung seien, und mietete eine an. 1910 zählte die „Frau Sacher“ zu den Millionären der Stadt, durch unternehmerisches Talent, Selbstbewusstsein – und viel Glück.
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