Die Grundsteinlegerinnen

Aletta Haniel und Helene Amalie Krupp entwickelten vor gut 200 Jahren Firmen, die seither zu Großkonzernen herangewachsen sind. Auffällig: Richtig erfolgreich wurden beide erst ab dem Tod ihrer Ehemänner.

Porträt von Aletta Haniel. Das Bild illustriert einen Artikel über Aletta Haniel und Helene Amalie Krupp.
Aletta Haniel (1742–1815) rettete ihren Vater, heiratete mit 19, brachte elf Kinder zur Welt und formte als Witwe das Handelshaus der Familie zum Großunternehmen. © Alamy Stock Photo

Wer hätte gedacht, dass die Anfänge gleich zweier die Wirtschaftsgeschichte Deutschlands prägender Unternehmen auf weiblichen Schultern ruhen? Die Biografien der betreffenden Protagonistinnen, lange in Vergessenheit geraten, werden heute ins Bewusstsein zurückgeholt. Übrigens völlig zu Recht, denn die beiden Frauen zählten zu den Pionieren des Ruhrgebiets.

Die Rede ist von Aletta Haniel und Helene Amalie Krupp. Beide lebten fast zur gleichen Zeit, beide agierten im ausgehenden 18. Jahrhundert, das Geschäftsfrauen bessere Chancen bot als das 19. Jahrhundert. Beide wurden erst als Witwen zu Unternehmerinnen. Und beide waren absolute Ausnahmebegabungen, die mehr wollten, als einfach nur das Geschäft ihrer verstorbenen Männer einige Jahre in Händen zu halten, um es dann ihren Söhnen zu übergeben.

Vor allem zeichnete sie unternehmerischer Weitblick und strategisches Können aus. Sie ahnten, welche ökonomischen Folgen die politischen Veränderungen ihrer Zeit bringen würden, und schafften es, das von ihren Männern übernommene Geschäftsportfolio zu transformieren und auszuweiten.

Ein Kuss für Vaters Freiheit

Aletta Noot, 1742 geboren, verbringt als junges Mädchen zwei Jahre in einem Internat in Holland und lernt Französisch. Dies kommt der 16-Jährigen zugute, als sie während des Siebenjährigen Krieges ihrem aus französischer Geiselhaft geflohenen Vater zur freien Rückkehr nach Ruhrort (heute ein Teil von Duisburg) verhilft. Sie tut dies, indem sie mit dem Oberbefehlshaber der französischen Rheinarmee, die Ruhrort besetzt hält, verhandelt. Als Gegenleistung verlangt er einen Kuss. Doch nicht so sehr der gewährte Kuss (wohl ein Wangenkuss) ist das Bemerkenswerte an der Geschichte, sondern dass hier eine junge Frau von außerordentlichem Selbstbewusstsein die Bühne betritt.

Aletta Haniel und Helena Amalie Krupp waren absolute Ausnahmebegabungen.

Im Alter von 19 Jahren heiratet Aletta Noot einen gewissen Jacob Wilhelm Haniel, der das sogenannte Packhaus ihres Vaters – eine Lagerhalle mit Wohnhaus – in Ruhrort übernimmt und es zum Handelshaus und Speditionsgeschäft ausbaut. Nach Jacobs Tod im Jahre 1782 übernimmt Aletta Haniel als Vierzigjährige das Kommando und legt den Grundstein für die heute noch zu 100 Prozent in Familienhand befindliche Haniel Gruppe. 

Vorausblickende Diversifizierung

Neben dem Kolonialwarenhandel beginnt Aletta Haniel frühzeitig mit Kohle zu handeln und ergattert dafür – gegen den erbitterten Widerstand der Konkurrenz – von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen einen Verladeplatz am Hafen. Schließlich will sie die Kohle nicht zu Hause im Packhaus lagern! Gleichzeitig entdeckt sie im Eisenwarenhandel einen Markt, den es in Deutschland noch gar nicht gibt, werden Eisenwaren doch ausschließlich lokal vertrieben. Durch die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre jedoch werden Eisenwaren ab 1806 zum raren Gut. Aletta Haniel hat vorgesorgt: Mit der Fürstäbtissin Maria Kunigunde, die einige Essener Eisenhütten betreibt, hat sie den Vertrieb ihrer Produkte verhandelt. Und nun liefert „J. W. Haniel seel Wittib“ bis in die Niederlande und nach Belgien.

Zeitgenossin und Handelspartnerin

Als die junge Aletta ihren Vater freibekommen hat, ist Helene Amalie Krupp, geboren 1732 unter dem Mädchennamen Aschersfeld, im nur 40 Kilometer entfernten Essen bereits Witwe und Alleininhaberin der „Firma Wittib Krupp“. Ihr Mann Friedrich Jodocus aus angesehener Kaufmannsfamilie hat seiner 26 Jahre jüngeren Gemahlin zwar ein solides Handelsgeschäft hinterlassen, doch erst sie wird es sein, die den Umsatz der Firma in den fünfzig Jahren ihrer Geschäftstätigkeit auf mehr als das Zehnfache steigert. 

Signatur von Helene Amalie Krupp.
Ein Autogramm mit Gewicht Niemand weiß, wie die Konzerngründerin Helene Amalie Krupp (1732–1810) aussah. Nur ihre Signatur ist überliefert. © Historisches Archiv Krupp, Essen

Helene Amalie Krupps Erfolg liegt im internationalen Handel. Zuerst importiert sie Waren aus den norddeutschen Hafenstädten Hamburg und Bremen, später direkt aus England. So handelt sie bald mit Tuchen und Porzellan und anderen exotischen Kolonialwaren wie Orangen oder Kaffee, und das mit scharfem Geschäftssinn und Durchsetzungsvermögen. Stets sind ihr die Preise der Lieferanten zu hoch und die Qualität zu niedrig. „Man kann den Kaffee kaum riechen“, poltert sie mitunter. Schließlich gründet sie eine Schnupftabakfabrik, womit sie von der Händlerin zur Produzentin wird.

1799 kauft sie auch noch eine Eisenhütte: die „Gute-Hoffnung-Hütte“ – allerdings zu einem überhöhten Preis. Zehn Jahre lang versucht sie, daraus ein lukratives Geschäft zu machen, ohne Erfolg. Es ist dies der einzige Misserfolg von Helene Amalie Krupp. 1808 verkauft sie die „Gute-Hoffnung-Hütte“ an Heinrich Arnold Huyssen; der ist ein Schwager der Haniel-Brüder, und so kommt die immer noch unrentable Eisenhütte in den Dunstkreis der zweiten herausragenden Unternehmerin dieser Zeit, Aletta Haniel.

So vergleichbar die Karrieren der beiden Frauen verlaufen sind, so unterschiedlich gehen sie zu Ende: Die Metallexporteurin Haniel zieht sich 1809 aus den Geschäften zurück und vererbt sie ihren Söhnen. Sechs Jahre lang kann sie sich am Aufstieg der „Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel & Huyssen“ (JHH) erfreuen, bevor sie 1851 im Alter von 73 Jahren an „Entkräftung“ stirbt. 

Helene Amalie Krupp überlebt ihre beiden Söhne und führt die Firma weiter, bis sie 1810 im Alter von 77 Jahren stirbt. Ihre Hoffnung ruht auf Enkel Friedrich, der das ererbte Vermögen zur Gänze für seine vorerst erfolglosen Experimente mit Gussstahl verwendet. Erst dessen Witwe Therese und Helenes Enkel Alfred werden daraus die Keimzelle des heutigen Krupp-Konzerns bilden.

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