Erfolg mit Zwieback, Speck, Bier – und einer Bank
Frauen mit Unternehmergeist. Karoline Kaulla schuf mit großem Geschick ein erfolgreiches Handelsimperium. Unerhört für eine jüdische Frau im 18. Jahrhundert.
Wir schreiben das Jahr 1792. Frankreich hat Europa den Krieg erklärt, kurz darauf kämpfen Preußen, Spanien, Großbritannien, die Niederlande und das Haus Habsburg gegen die Revolutionsarmee. Ja, sogar das Heilige Römische Reich hat über 40.000 Soldaten in den Krieg geschickt, so bedrohlich erscheint allen die Lage – und das noch bevor Napoleon Europa mit seinen Feldzügen verwüsten wird.
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Die Soldaten müssen verpflegt werden – mit Zwieback, gepökeltem Fleisch, Speck und Linsen für Eintöpfe und Suppen sowie mit Bier und Wein (weil Wasser so schnell verdirbt) – und nicht zu vergessen das viele Heu und Stroh für die Pferde. An Decken, Sättel und Brennholz muss sie ebenfalls denken – ein logistischer Albtraum.
Sie? Ganz recht, denn im Fall der Reichsarmee ist eine Frau für die sogenannte Proviantierung zuständig. Madame Kaulla, wie sie genannt wird. Mitte fünfzig, eine stattliche Dame mit opulentem Hut. Seit dreißig Jahren im Geschäft. Hoffaktorin der fürstlich hohenzollernschen Residenz in Hechingen sowie des fürstenbergischen Hofs in Donaueschingen. Daher auch der Kontakt zu Erzherzog Karl, dem Kommandeur der Reichsarmee.
Jetzt heißt es Vorratsspeicher aufbauen, Nachschub organisieren, Feldküchen beliefern. Keine typisch weibliche Aufgabe – weder im 18. Jahrhundert noch danach. Bei Karoline Kaulla freilich liegen die Dinge anders. Kaul bat Raphael, also: Kaul, die Tochter des Raphael, wie sie nach jüdischer Tradition genannt wird, ist eine Powerfrau. Als ältestes von fünf Geschwistern 1739 in Hechingen geboren, arbeitet sie schon früh im Handelsgeschäft ihres Vaters Raphael Isaak mit. Offenbar ist sie talentiert, wissbegierig und von schneller Auffassungsgabe.
Die Familie gehört zur jüdischen Elite; mit 20 Prozent Anteil an der Hechinger Gesellschaft ist die jüdische Gemeinde für das 18. Jahrhundert groß. Als Raphael Isaak stirbt, übernimmt die 21-jährige Tochter sein Handels- und Kreditgeschäft – nicht, wie sonst üblich, seine Witwe. Schließlich war die Tochter kurz nach ihrer Heirat mit dem frommen, mehr an Talmud und Tora interessierten Pferdehändler Akiba Salomon Auerbach schon in dessen Geschäft eingestiegen.
Kalkulierte Zurückhaltung
Jetzt fusioniert sie die beiden Unternehmen, und keine zehn Jahre später zweifelt niemand mehr daran, dass hinter „Kaulla & Cie.“ niemand anderer als „Madame“ steht; dass sie diejenige ist, die die Höfe mit Pferden, Juwelen und Silber beliefert. Und damit zählt sie zu den wichtigsten Hoffaktoren ihrer Zeit. Klug wie sie ist, hat sie mittlerweile ihren zehn Jahre jüngeren Bruder Jakob ins Geschäft geholt und ihm die Außenvertretung der Firma übertragen. Sie weiß schließlich, wie weit sie die rigiden Rollenvorstellungen – die im Übrigen denen im Christentum äußerst ähnlich sind – ausdehnen kann.
Kaulla weiß, wie weit sie die rigiden Rollenvorstellungen ausdehnen kann.
1800 wird denn auch Jakob zum württembergischen Hofbankier ernannt und nicht sie. Doch kurz vor ihrem Tod im Jahr 1809 gründen die Geschwister gemeinsam mit Herzog Friedrich die Württembergische Hofbank. Der Herzog verleiht etlichen Mitgliedern der Familie das Wohnrecht in Stuttgart und weitgehende bürgerliche Gleichstellung in Württemberg – noch bevor dies in Europa gemeinhin der Fall sein wird.
Selbst unter den Bedingungen des 18. Jahrhunderts war Madame Kaulla eine Ausnahmeerscheinung. Zwar gab es Witwen, die die Unternehmungen ihrer Männer fortführten – sowohl in christlichen wie in jüdischen Familien –, doch verheiratete Frauen aus eigenem Recht und dann auch noch in diesem Ausmaß erfolgreich! Davon gab es weniger als eine Handvoll.
Glück, Talent und unbeirrbarer Wille …
Wieso also sie? Karoline Kaulla hatte, so könnte man sagen, Glück, dass ihr Bruder zehn Jahre jünger und ihr Vater so früh verstorben war. Ihren Erfolg verdankte sie auch den relativ kleinen Residenzhöfen in Hechingen und Donaueschingen und deren aufgeschlossenen Fürsten, war doch die Mobilität der Frauen gemeinhin eingeschränkter als jene der Männer.
Und dennoch, all dies erklärt die Karriere der Unternehmerin Karoline Kaulla nicht. Trotz der lückenhaften Quellenlage können wir sehen, dass sie ein großes ökonomisches Talent besaß. Und noch eine Eigenschaft hatte sie, die mir für unternehmerischen Erfolg unabdingbar erscheint: einen unbeirrbaren Willen. So fuhr sie lange Zeit höchstpersönlich auf die großen Messen bis nach Frankfurt, begleitet von einem Rabbiner und einem rituellen Schlachter, sodass sie die jüdischen Speisegesetze einhalten und, da sie während dieser Jahre schließlich fünf Kinder auf die Welt brachte, diese mitnehmen und unterwegs erziehen lassen konnte.
Und noch eine Eigenschaft hatte sie, die mir für unternehmerischen Erfolg unabdingbar erscheint: einen unbeirrbaren Willen.
Gemäß ihrer religiösen Tradition lebte sie auch die soziale Verantwortung, die mit ihrer Stellung verbunden war. So setzte sie ihr wachsendes Vermögen und ihren Einfluss bei Hof zugunsten ihrer Glaubensgenossen ein. Aber auch darüber hinaus. Jeden Freitag – und also vor dem Schabbat – ließ sie Öl, Mehl und Wein an Bedürftige verteilen, Juden wie Christen.
… brachten Karoline Kaulla dauerhaften Erfolg
Und sie erfüllte noch ein Kriterium für unternehmerischen Erfolg: Ihr Werk erwies sich als nachhaltig. Ihr Bankhaus wurde bis 1915 von Mitgliedern der Familie Kaulla geleitet, 1922 von der Württembergischen Vereinsbank übernommen und ging dann 1924 mit dieser in der Deutschen Bank auf. „Sie hat die Grenzen der Handlungsmöglichkeiten für Frauen ihrer Zeit vollständig ausgenutzt und Glück gehabt“, resümiert die Historikerin Rotraud Ries, die die Geschichte der Madame Kaulla ausgegraben und dazu publiziert hat, den ungewöhnlichen Erfolg dieser Unternehmerin. Eine Karriere, die – auch das sei erwähnt – im 19. Jahrhundert sehr viel schwerer möglich sein sollte.
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