Europa reagiert zu zaghaft auf die Krise

Die Pandemie war ein massiver Schaden für Gesundheit und Geschäft. Jetzt kommt Europas Wirtschaft aus der Krise, doch langsamer als in den USA und China. Es gibt einiges, was Europa in Zukunft besser machen muss.

Regenschirm mit Europaflagge
Bei der Krisenbekämpfung klotzen die USA richtig – Europa setzt auf nachhaltiges Wachstum, aber zu zaghaft. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Herber Rückschlag. Europas Wirtschaft ist in Folge der Corona-Pandemie stärker eingebrochen als jene der USA.
  • Wenig nachhaltig. Die milliardenschweren Konjunkturpakete Washingtons zielen auf schnelles materielles Wachstum ab.
  • Wiederaufbau als Chance. Die EU setzt dagegen bei der Krisenbewältigung auf Projekte für den Klimaschutz.
  • Gleichgewicht der Kräfte. Langfristig hat Europa das Potenzial, sich als starker Spieler auf der Weltbühne zu etablieren.

Die Krise hat Europas Wirtschaft stärker getroffen als die USA oder China. Betrachtet man aber neben dem rein materiellen Wohlstand auch Nachhaltigkeit, Ungleichheit und Lebenserwartung, ist Europa bereits erfolgreicher: Selbst bei der Abfederung der Corona-Krise versucht Europa, Reformen zu verstärken. In den USA hingegen sind die größeren Reform-Pakete von President Joe Biden noch nicht eindeutig. Und China mag beim Wirtschaftswachstum in einer eigenen Liga spielen, hat aber Probleme mit Demografie, Minderheiten und Autokratie.

Kann Europa seine Stärken langfristig ausspielen? Die Zahlen sprechen scheinbar nicht für Europa: Die Wirtschaft der EU-27 ist 2020 um sechs Prozent geschrumpft. Das ist mehr als in der Finanzkrise 2008, und der Rückgang ist fast doppelt so groß wie in den USA. China, Ursprung der Pandemie, konnte sogar wachsen. Auch die Prognosen für 2021 sprechen nicht für Europa: lediglich vier Prozent Wachstum werden erwartet. China und die USA werden schneller wachsen; die Amerikaner viel schneller, wenn Joe Biden alle Pakete durch den Kongress bringt.

Europa fällt zurück, obwohl es die Corona-Krise weder verursacht hat wie China, noch geleugnet hat wie die USA unter Trump.

Arbeitslose versus Tote

2020 verdoppelte sich die Arbeitslosenrate in den USA auf acht Prozent. In der EU lag sie vor der Krise höher, legte aber lediglich um einen Prozentpunkt zu. Für die USA wurde schon vor Biden für 2021 wieder ein Rückgang auf sechs Prozent prognostiziert, in Europa steigt die Arbeitslosenrate weiter. Das Muster entspricht den Vorurteilen: Abfedern in Europa, Flexibilität nach unten in den USA – zulasten niedrigster Einkommen und zugunsten rascher Erholung.

Die Gesundheitsbilanz fällt für zunächst Europa besser aus: die USA erlitten pro Einwohner mehr Todesfälle. Aber dann wurden gigantische Staatshilfen für die Pharmaindustrie von Washington gewährt, Impfungen rasch zugelassen und unbürokratisch in Supermärkten abgewickelt. Die USA erreichten viel früher eine hohe Durchimpfungsrate, und die Lockdowns waren kürzer. Das Budgetdefizit steigt in der EU wie in den USA gleich stark an.

Die Geldpolitik hat zeitgleich reagiert, die Zinssätze liegen bei null, die Geldmenge wird durch Wertpapierkäufe ausgeweitet. Inflationsängste werden in den USA trotz der massiven Konjunkturbelebungsprogramme Bidens weggewischt, in der EU werden Lieferengpässe bei einzelnen Produkten hochgespielt.

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Zahlen & Fakten

Europas Lichtblick

Weltweit wurde die Krise von Populisten ausgeschlachtet: Trump hat sie genutzt, um China zu verhöhnen; Bolsonaro, um mit seiner eigenen Widerstandsfähigkeit zu prahlen; Putin, um die Überlegenheit Russlands durch die rasche Produktion eines Impfstoffes zu demonstrieren.

Mit dem Green Deal hingegen gibt die EU der Bekämpfung des Klimawandels einen neuen Impuls. Sie unterstreicht ihn auch beim Wiederaufbaufonds. Die USA hatten unter Trump Klimapolitik gestoppt, Biden bekennt sich nun wieder dazu, erlaubt aber dennoch Bohrungen und Pipelines und zögert öl- und kohlereiche Staaten vor den Kopf zu stoßen. Die USA sind heute selbst ein Ölexporteur.

Europa fällt zurück, obwohl es die Corona-Krise weder verursacht hat wie China, noch geleugnet hat wie die USA unter Trump.

Die EU hat die Fiskalgrenzen vorübergehend aufgehoben. Das mittelfristige europäische Budget ist trotzdem mickrig, die Struktur urkonservativ mit hohen Agrarsubventionen. Der Wiederaufbaufonds ist ein Lichtblick, Geld wird gemeinsam aufgenommen, inhaltliche Schwerpunkte bei Klima und Digitalisierung sind Bedingung für Anträge; Länder, die es dringend brauchen, bekommen mehr, aber nur wenn sie gleichzeitig tiefgreifende Reformen einleiten. Das Volumen bleibt mit scheinbar stolzen 1.000 Milliarden Euro, allerdings verteilt auf drei oder gar vier Jahre, eher bescheiden.

US-Tempo stimmt, Richtung nicht

Die USA haben zwar wieder einmal, das was sie tun mussten, später begonnen, aber rascher erreicht. Nach dem Motto, als die Notwendigkeit zu Handeln nicht mehr geleugnet werden konnte: „Klotzen statt kleckern!“ Die Aktienmärkte boomen wieder und der Wert amerikanischer Unternehmen steigt weiter. Allerdings hat diese Politik hohe Kosten, die neuen Ausgaben sind nicht wie beim Green Deal der EU an Nachhaltigkeit ausgerichtet, und sie beinhalteten Protektionismus.

„Buy American!“ wurde zur Verpflichtung bei der Beschaffung öffentlicher Stellen. Amerikanische Unternehmen seien immer stark, „wenn sie von der Politik unterstützt, werden.“ Diese Aussage Bidens klingt harmlos, signalisiert aber puren Protektionismus. Biden verfolgt „American First“ zwar ohne laute Rhetorik, aber mit der Absicht bei den Midterm Elections seine knappe Mehrheit zu verteidigen. Er schlägt eine weltweite Mindestbesteuerung von Unternehmen vor, ignoriert aber, dass in Delaware alle bisherigen Versuche der Steuertransparenz unterlaufen werden.

Und die positiven Berichte über die USA haben einen weiteren Fehler: Der Fortschritt wird stets am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Das ist wohl wichtig für Vergleiche, aber es ist kein Indikator für Wohlfahrt. Daher wird das BIP immer mehr um die UN Ziele für nachhaltige Entwicklung ergänzt. Und da führt Europa nach vielen Indikatoren: Im Durchschnitt liegt die EU insgesamt an 19. Stelle, die USA an 32. Position.

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Zahlen & Fakten

Natürlich gab es Fehler in Europa: Strategische Reservelager für Öl sind verpflichtend, aber keine für Intensivbetten, Schutzkleidung, Sauerstoffgeräte. Vorrang bei der Impfung für Pflegepersonal fehlte. Krankenbetten in Militärspitälern standen leer. Hilfe über Landesgrenzen hinweg war selten. Europa fällt zurück, obwohl es die Corona-Krise weder verursacht hat wie China, noch geleugnet hat wie die USA unter Trump.

Bei ökologischen Indikatoren liegen die USA abgeschlagen auf Rang 92 lediglich einen Platz vor China; die EU-Länder im Schnitt hingegen auf Platz 42. Beim Anteil der Einkommen, die an die untersten 40 Prozent gehen, liegen die USA auf Rang 114. Die EU-Länder im Schnitt kommen auf Platz 31, wobei etliche EU-Mitglieder in den Top Ten liegen. Und während die Lebenserwartung in der EU höher ist und steigt, sinkt sie in den USA sogar.

Die Krise ist ein Brennglas der Probleme, aber auch Chance für Reformen. Europa gibt den Zielen, die die Lebensqualität erhöhen, eine größere Priorität. Diese Prioritäten brauchen Finanzierung – auch durch höhere Wirtschaftsleistung, Wachstum und Produktivität.

Der Dritte wird der Erste sein

Zwar sagen Analysen, dass wir auf eine bipolare Welt zusteuern, in der China früher oder später von den USA die Führung übernimmt, doch diese Prognose ist falsch. Wenn wir Europa geografisch definieren, also inklusive Schweiz, Norwegen, Westbalkan und den westlichsten Ex-Sowjetstaaten, ist es heute die Region mit der größten Wertschöpfung. Schon die EU allein wird bei Industrie- und Exportgröße den USA immer stärker davonziehen.

Im Vergleich zu China bleiben die Qualität und Ressourcenproduktivität deutlich höher. Gemeinsam mit seinen Nachbarregionen im Osten und Süden kann ein „Weites Europa“ bis 2040 in der Produktion mindestens gleichauf mit China liegen und deutlich größer sein als die USA plus Kanada und Mexiko.

Die Krise ist ein Brennglas der Probleme, aber auch Chance für Reformen.

Aber dafür muss Europa Investitionen und eine seine Entscheidungsprozesse beschleunigen. Im „Afrikanischen Jahrhundert“ verdreifacht sich die Bevölkerung Afrikas und wird größer als jene von China und Indien zusammen. Wenn Europa die Nachbarstaaten Afrikas als Partner gewinnt, wird es ein starker dritter Spieler in der neuen Weltordnung sein. Europa hat das beste gesellschaftliche Modell anzubieten – mit nicht nur wirtschaftlichen Zielen, sondern auch Lebensqualität und der Bereitschaft von anderen zu lernen.

Zehn Ideen für Europa

  1. Europa muss innovativer werden. Das Drei-Prozent-Ziel bei Forschungsausgaben wurde nie erreicht, der Rückstand bei Spitzenuniversitäten kaum verringert. Durch Erasmus ist einiges gelungen, bei Digitalisierung stehen neue Herausforderungen bevor.
  2. Veränderungen sind Chancen. Ausbildung darf nicht für enge Berufsbilder erfolgen, sondern muss befähigen, neue Tätigkeiten auszuüben. Die Absicherung durch Sozialleistungen ist eine Notfallstrategie. Progressive Sozialpolitik ist Empowerment für Neues.
  3. Gemeinsame Lösungen statt nationaler Alleingänge. Immer mehr Probleme übersteigen nationale Grenzen, bei der Verursachung wie auch bei den Erträgen. Zäune gegen Migration, Kriegs- oder Klimaflüchtlinge verstärken die Überalterung.
  4. Neue Industriepolitik beendet die Bevorzugung nationaler Champions, forciert dynamische risikoreiche Unternehmen, orientiert sich an gesellschaftlichen Prioritäten wie Gesundheit und Begrenzung des Klimawandels.
  5. Schnellere Entscheidungen sind nötig. Einstimmigkeit und Doppelte Mehrheiten sind zu beenden. Eine Zusammenarbeit von Vorreitern und ein größerer Hebel für das Europäische Budget ist anzustreben. Der US-Präsident kann „Presidential Orders“ erlassen, ohne Mehrheit im Kongress.
  6. Das europäische Budget muss sich an Zukunftsprioritäten und Green Deal orientieren. Subventionen für die industrielle Landwirtschaft sind zu streichen. Regionalpolitik müsste die Abwanderung der Jugend aus Süditalien und Osteuropa bremsen.
  7. Europa kann selbstbewusster auftreten. Die EU beendete interne Konflikte und moderiert sie bei Beitrittswerbern, sie hat den Euro eingeführt. Europa hat ein Gesellschaftsmodell, das für wohlhabende Gesellschaften vorbildlich ist, spricht aber zu selten mit einer Stimme.
  8. Europa kann die Führung in der Klimapolitik übernehmen. Die Bevölkerung ist klimabewusst und Europa besitzt klimaschonende Technologien. Das ermöglicht einen „First Mover Advantage“, Wachstum, Beschäftigung und die Erhöhung von Lebenserwartung und Gesundheit.
  9. Der Euro könnte stärker als Weltreserve und Transaktionswährung genutzt werden und Europa sollte gemeinsam Schulden für Zukunftsprojekte aufnehmen. Die geringere Verschuldung relativ zur USA rechtfertigen niedrige Zinssätze.
  10. Europa braucht Medien, die über das Erfolgsmodell und europäische Initiativen berichten, nicht nur über einzelne Länder. Die EU und Europa werden auch in internationalen Statistiken selten als Einheit gewählt und ausgewiesen.
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Conclusio

Die Corona-Pandemie ist eine Doppelkrise und hat die Gesundheit der Menschen und der Weltwirtschaft gleichermaßen angegriffen. Obwohl Europa in vielen Punkten vor der Krise besser da stand als die USA und China, kommen diese beiden Länder kurzfristig besser voran. Europa muss innovativer und selbstbewusster werden, gemeinsame Lösungen forcieren und die globale Führung in der Klimapolitik übernehmen.

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