Geht’s den Frauen gut, geht’s allen gut

Instabile Gesellschaften erkennt man zuverlässig daran, dass Frauen dort nicht dieselben Rechte haben wie Männer. Je ausgeprägter die Ungleichheit, desto schlechter die Aussichten für Sicherheit und Wohlstand.

Auf dem Rücken einer Frau ist in schwarzer Schrift eine politische Botschaft zu lesen
„Ich werde entscheiden.“ Protest gegen die Abschaffung des nationalen Rechts auf Abtreibung in den USA im Juli 2022. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Statistik. Erwerbsquote, Einkommen, Zugang zu Bildung – diese Daten sind wichtig, aber sie sagen wenig darüber, wie es den Frauen in einer Gesellschaft wirklich geht.
  • Neue Indikatoren. Um die Lebenssituation von Frauen zu messen, müssen Indikatoren wie etwa das Heiratsalter oder Gewalt in der Familie erfasst werden.
  • Risikotest. Aus der Lebenssituation von Frauen in einer Gesellschaft lässt sich ableiten, wie sicher und ökonomisch stabil eine Gesellschaft ist.
  • Messbarer Zusammenhang. Je mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern besteht, desto sicherer, wohlhabender und resilienter sind Gesellschaften.

Es gibt Schlüsselerlebnisse im Leben. Eines davon hatte ich vor rund 20 Jahren in Afghanistan. Ich traf in Kabul eine der ersten weiblichen Parlamentsabgeordneten des Landes. Sie hatte ein abgeschlossenes Hochschulstudium, war Ärztin, hatte eine Familie, war Mitglied des Parlaments. Wir sprachen beim Mittagessen miteinander, und ich brachte meine Freude über dieses Empowerment der afghanischen Frauen zum Ausdruck.

Da unterbrach sie mich: „Valerie, mein Mann könnte sich jederzeit von mir scheiden lassen, wenn er das wollte. Er müsste diesen Wunsch lediglich dreimal hintereinander aussprechen. Damit würde ich meine Kinder und mein Zuhause verlieren. Mein Mann könnte bestimmen, wen meine Kinder heiraten, ich hätte keinen Einfluss auf seine Entscheidung. Valerie, denkst du wirklich, dass ich Macht über mein Leben habe?“

Das Private ist politisch

Was ich damals erkannte: Offizielle Zahlen zu Frauen wie etwa Bildung, Erwerbsquoten oder auch der Frauenanteil in offiziellen Ämtern sagen wenig über die tatsächliche Situation der Frau in der Gesellschaft aus.

Worum es tatsächlich geht, ist das Verhältnis zwischen Frau und Mann auf einer persönlichen Ebene und die Frage, wie sich dieses Verhältnis auf Haushaltsebene messen lässt. Alles, was zu Hause zwischen Mann und Frau passiert, hat Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung einer Gesellschaft und folglich eines Staates und seiner Regierung. Vor allem: In den Haushalten wird die Sicherheit eines Landes entschieden. 

Die Situation zwischen den Geschlechtern ist ein Prognosefaktor für die Stabilität einer Nation. Diese These konnten wir im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums eindeutig mit Daten untermauern.

Frauenrechte: Eine mit einem Schal verhüllte Frau geht an einer Mauer mit einer Wandmalerei vorbei.
Afghanistan im August 2021: Die Wandmalerei erinnert an eine Aktion für Frauenrechte „Zuhause und am Arbeitsplatz“. © Getty Images

Zu diesem Zweck erstellen wir einen Index für das Empowerment der Frau auf der Ebene des Haushalts und verfolgten den Zusammenhang mit 161 Indikatoren, die Aussagen über die Sicherheit, den Wohlstand, die Stabilität und die Regierungsführung eines Landes zulassen. Wir haben 176 Länder statistisch analysiert und festgestellt, dass, wenn Frauen innerhalb eines Haushalts mitbestimmen können, dies einen sehr starken Einfluss auf den Staat hat. 

Das allem zugrunde liegende Problem zwischen Mann und Frau ist simpel: Männer sind körperlich stärker. Doch nur Frauen können Kinder bekommen und somit den Fortbestand der Art sichern. Die beiden Gruppen sind aufeinander angewiesen, und es geht darum, wie diese Abhängigkeiten austariert werden.

Es ist ein Spannungsfeld, aus dem sich eine unendliche Anzahl an Spielarten im Verhältnis zwischen Mann und Frau ergibt. Im gerechtesten Fall sind Frauen gleichwertige Partnerinnen, im ungerechtesten Fall Sklavinnen. Das sind die zwei Pole, zwischen denen sich das Zusammenleben regelt.

Die Lage von Frauen als Risiko-Indikator

Je weniger Gleichberechtigung in einer Gesellschaft herrscht, umso mehr leiden nicht nur die Frauen, sondern auch das Wohlergehen aller Mitglieder einer Gemeinschaft.

Das ist das Ergebnis meiner Forschungsarbeit, die in den 1990er Jahren begann. Das Grundproblem war zu der Zeit, dass es nur wenig Daten zu den wirklich wichtigen Fragen im Zusammenleben von Mann und Frau gab. Mir fiel zum Beispiel auf, dass eine unausgeglichene Geschlechterverteilung bei Neugeborenen ein Alarmsignal für die Sicherheitslage eines Landes ist.

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Zahlen & Fakten

Schwarz-weiß Foton von Frauen, die ein großes Plakat halten.
Washington 1917: „Wir, die Frauen Amerikas, sagen Ihnen, dass Amerika keine Demokratie ist.“ Der Protest von Frauen weist russische Gesandte während des 1. Weltkriegs darauf hin, dass Frauen in den USA nicht wählen dürfen. © Getty Images

Die aufschlussreichsten Risiko-Indikatoren

  • Ausmaß der Gewalt gegen Frauen
  • Maß und Exekution von Sanktionen bei Frauenmorden
  • Häufigkeit patrilokaler Heiraten (die Braut übersiedelt zur Familie ihres Mannes)
  • Abweichungen von der Normalverteilung der Geschlechter bei den Geburten
  • Heiratsalter von Mädchen bei der ersten Eheschließung (gesetzlich und in der Praxis)
  • Die Stellung von Frauen im Familien- und Eigentumsrecht
  • Häufigkeit von Mitgift und Brautpreisen
  • Häufigkeit von Polygamie
  • Gesetze, die Vergewaltigung als Eigentumsdelikt am Vormund der vergewaltigten Frau definieren

Meine Sicht auf die Gesellschaft ist nicht Mainstream, bietet aber neue Einblicke, um die Sicherheitslage eines Landes zu untersuchen. Das Verhältnis von Mädchen zu Jungen bei den Geburten sagt etwas über den Wert aus, den eine Gesellschaft Männern beziehungsweise Frauen beimisst. Dies hat Auswirkungen auf die Familienplanung. Jahrhundertelang galten Frauen als Kostenfaktor, weil sie verheiratet werden mussten und die Mitgift beziehungsweise der Brautpreis ihren Wert bestimmte. In vielen Ländern der Welt ist das heute noch gelebte Praxis. 

Seit damals also beschäftigte ich mich mit der Frage, ob es – neben der Geschlechterverteilung bei den Geburten in einem Land – vielleicht auch noch andere messbare Größen geben könnte. 2010 kam eine Ausschreibung vom US-Verteidigungsministerium. Es ging darum, Sicherheitsrisiken eines Landes durch nicht-traditionelle Perspektiven im Voraus, also prognostisch, zu ermitteln.

Das war unsere Chance – und ironisch und ermutigend zugleich, denn dass sich gerade das sehr männlich dominierte US-Verteidigungsministerium für uns entschieden hat, brachte uns endlich die finanziellen Ressourcen, um die vielen Verbindungen im Verhältnis von Frauen und Männern in einer Gesellschaft erheben und statistisch erfassen zu können. Das ist auch die Grundlage für das Buch „The First Political Order: How Sex Shapes Governance and National Security Worldwide“.

Was das Heiratsalter verrät

Wir haben viele unkonventionelle Indikatoren gefunden. Abgesehen von der Geschlechterverteilung bei Neugeborenen, die evolutionär immer ausgeglichen ist, begannen wir das Heiratsalter von Frauen in einem Land zu erheben. Je niedriger das Heiratsalter, desto instabiler ist ein Land. Auch Brautpreis, Höhe der Mitgift sowie die Frage, ob Frauen in patriarchale Familien einheiraten oder Cousins heiraten, sind relevant. 

Was man den Frauen antut, tut man seinem Staat an.

Ebenfalls aussagekräftig: die gesellschaftliche Option der Vielehe, also Polygamie, die eine Gesellschaft immer maßgeblich destabilisiert. Wenn ein Mann (der immer sehr reich sein muss) viele Frauen heiraten darf, bleiben viele andere (weniger reiche Männer) auf der Strecke. Sie können sich keine Frau leisten.

Ein Beispiel, welche Auswirkungen so etwas haben kann, ist die Terrororganisation Boko Haram in Nigeria, die sich dies zunutze machte und neu angeworbenen Kämpfern Frauen versprach, die diese sich sonst nicht hätten leisten können. Boko Haram erlebte regen Zulauf und musste ihrerseits Frauen entführen und zur Ehe zwingen, um ihr Versprechen einhalten zu können. 

Was man den Frauen antut, tut man seinem Staat an – so könnte eine Kurzfassung des Befundes lauten. Wenn Frauen in ihrem eigenen Zuhause beschimpft, unterdrückt oder ungerecht behandelt werden, findet das auch auf der Ebene des Staates statt. Wenn Haushalte autokratisch geführt werden, ist es auch in Regierungen so. Wenn es Gewalt in der Familie gibt, gibt es auch Terror in der Gesellschaft. Wenn Familienmitglieder wirtschaftlich ausgenutzt werden, herrscht meist auch Korruption im Land. 

Haushalt als Keimzelle

Viele Leute glauben, dass die Regierung, die nationale Sicherheit und die wirtschaftliche Performance nichts mit dem eigenen kleinen privaten Leben zu tun haben. Das Gegenteil ist der Fall. Die Unterordnung von Frauen betrifft nicht nur die Frauen selbst, sondern alle Mitglieder einer Gesellschaft. Wir gehen davon aus, dass hier drei Kausalverläufe am Werk sind. 

Einer davon ist die Idee, dass ein Haushalt so etwas wie ein Trainingslager für die Gesellschaft ist. So wie die Mitglieder eines Haushaltes sich zueinander verhalten, so werden sie sich auch außerhalb – also öffentlich – in Szene setzen. Wenn es in einem Haushalt einen einzigen Bestimmer gibt, dann wird das auch in der Öffentlichkeit als Normalität wahrgenommen und möglicherweise sogar als wünschenswert erachtet.

Wenn in einem Haushalt die Ausnutzung von weiblicher Arbeitskraft alltäglich ist, dann sind auch gesellschaftliche Ausbeutung und Korruption auf staatlicher Ebene selbstverständlich. Wenn zu Hause Terror normal ist, also der Mann seine Frau verprügelt, ist Gewalt auch auf politischer Ebene eine Option. 

Zweitens: Die Unterordnung von Frauen in einer Gesellschaft führt auch zu strukturellen Schwächen, weil sie sich auf den Heiratsmarkt auswirkt. Abnormale Geschlechterverteilung, Polygamie und Brautpreise destabilisieren eine Gesellschaft grundlegend. 

Eine Frau hält ein Plakat in die Kamera.
Protest von Studierenden in Warschau im September 2022 gegen neue Schulbücher, in denen Feminismus mit Nazismus gleichgesetzt wird. © Getty Images

Drittens: Wenn Frauen unterdrückt sind, können sie auch weniger zum Wohlergehen der Gemeinschaft beitragen. Frauen tragen mehrheitlich die Sorge für das leibliche Wohl ihrer Familie und sind daher auch für die Gesundheit verantwortlich. Sie planen langfristig. Wenn man ihnen keine Macht und Entscheidungsmöglichkeiten zugesteht, führt das zu einer schlechteren gesundheitlichen Situation der Familie. Wenn das in vielen Haushalten der Fall ist, summiert sich der Effekt und wird statistisch messbar.

Wenn Frauen nichts besitzen dürfen

Ein anderes Beispiel: Viele Frauen betreiben Landwirtschaft, sind Selbstversorgerinnen und dafür verantwortlich, dass für die Familie Essen auf den Tisch kommt. Wenn man also Frauen von Landbesitz ausschließt, dann führt das zu Versorgungsengpässen.

Wenn wir also ein Land nach Szenarien des Frauenindex untersuchen und davon auf die Sicherheitssituation schließen, ist der Einblick in die Haushalte inkludiert. Es gibt auch heute viele Staaten, in denen Frauen in der Familie sehr wenig Mitbestimmungsrechte haben.

Westliche Länder betrifft das genauso. So konnten wir für Großbritannien ermitteln, dass es nur in 1,3 Prozent aller gemeldeten Fälle von Vergewaltigung zu einer Verurteilung des Täters kommt. Es ist also fast so, als ob Vergewaltigung in England kein Gewaltverbrechen darstellte. 

Eine Frau hält auf einem Platz ein Plakat in russischer Sprache in die Höhe.
Protest gegen Verfassungsänderungen zugunsten von Wladimir Putin in Sankt Petersburg 2020: „Ich möchte in einem freien Russland leben.“ © Getty Images

Wenn man Frauen unterdrückt, dann verhindert man damit auch, dass sie mit all ihren zur Verfügung stehenden Mitteln zum Wohlergehen einer Gesellschaft beitragen. In der Folge heißt es: Eine Gesellschaft ist weniger erfolgreich, weniger stabil, dafür viel gewaltbereiter. Im Gegensatz dazu kann festgestellt werden: Wenn das Verhältnis zwischen Mann und Frau ausgeglichen ist, ist die Aussicht auf nachhaltigen Frieden größer. 

Wir haben uns auch stark mit Russland beschäftigt. Wenn ich einen frühen Warnindikator für Gewaltbereitschaft hätte nennen müssen, wäre es die Rücknahme von Frauenrechten, etwa die Ahndung von häuslicher Gewalt.

Putin hat zudem in Teilen seiner Einflusssphäre wie etwa in Tschetschenien die Polygamie wieder geduldet. Spätestens da war klar, dass Russland eine aggressive Supermacht ist. Wichtig zu wissen: Die Religion spielt in Sicherheitsfragen eine untergeordnete Rolle. Was zählt, ist das Verhältnis von Mann und Frau. 

Der Weg zur Stabilität

Wie Lösungen aussehen? In Ländern, in denen Frauen geringes Mitspracherecht in Familien haben, ist die Abschaffung von Kindesheiraten ein wichtiger Schritt. Wo diese stattfinden, sind Gesellschaften von Ungleichheit, Armut, einem Fehlen von Menschenrechten und Gewalt geprägt.

Ebenso wichtig für prosperierende Nationen sind gleichwertige Stimm-, Eigentums- und Erbrechte für Frauen – und das beinhaltet auch den Anspruch auf Land. Nur so können Frauen ihr eigenes Leben gestalten und Abhängigkeitsverhältnisse vermeiden. 

Eine junge Frau steht vor einer Kirche und hält ein Plakat in die Höhe.
„Trennung von Kirche und Staat jetzt.“ Der Protest vor der Kathedrale in Athen im September 2022 richtet sich gegen den Bischof von Dodoni, der gesagt hatte, keine Frau werde gegen ihren Willen vergewaltigt. © Getty Images

Bis heute sind Pensionssysteme extrem ungerecht. In Ländern ohne Pensionssystem hängt das Schicksal von Frauen meist vollständig an den Söhnen, denn von ihnen werden sie im Alter versorgt. Deshalb investieren die Eltern auch mehr Geld in die Söhne, und die Töchter werden vernachlässigt. Insofern sind geschlechtergerechte Pensionssysteme ein Hebel für Gleichberechtigung und damit auch für die Gleichbehandlung von Söhnen und Töchtern. 

Mein Standpunkt geht klar über die Frauenfrage hinaus. In einer sicheren Gesellschaft werden Frauen genauso wie Männer behandelt. Ist das nicht der Fall, dann ist das ein Alarmsignal. Ungleichbehandlung verletzt eine Nation und das Wohlergehen einer Gruppe von Menschen, die zusammenleben. 

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Conclusio

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Gleichberechtigung der Geschlechter in einer Gesellschaft und ihrem Wohlstand. Der Grad der Gleichstellung von Frauen lässt auch Prognosen über die zukünftige Stabilität eines Landes zu. Dieser Zusammenhang lässt sich über gesellschaftliche Parameter erheben, die in den etablierten Statistiken nie ein Thema waren, wie etwa das Heiratsalter oder die Frage, ob Vergewaltigung strafrechtlich geahndet wird. Diese Lücke schließt der Frauenindex, eine Datensammlung zur Erfassung möglicher Sicherheitsrisiken. Er ist ein Instrument, mit dem sich die Stabilität von Nationen beurteilen lässt.