Die Übernahme

Ist die Gegenwart eine Wiedergängerin des Deutschland von 1932? Kann man Trump mit Hitler vergleichen? Ein Interview mit dem Historiker Timothy Ryback.

30. Januar 1933: Adolf Hitler verlässt triumphierend die Alte Reichskanzlei in Berlin. Paul von Hindenburg hat ihn soeben zum Reichskanzler ernannt. Hitler lächelld während er eine Treppe hinabsteigt. Eine kleine Menschenmenge begrüßtt ihn mit Hitlergruß. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über di Parallelen zwischen Trump und Hitler bzw. zwiwschen Deutschland 1932 und den USA 2024.
30. Januar 1933: Adolf Hitler verlässt triumphierend die Alte Reichskanzlei in Berlin. Reichspräsident Paul von Hindenburg hat ihn soeben zum Reichskanzler ernannt. © Getty Images

Was hat die Weimarer Demokratie über den Rand gestoßen? Waren es die Parteien der vermeintlichen Mitte, denen ihre Parteien letztlich wichtiger waren als Staat und Gemeinwohl? War es die Eitelkeit Franz von Papens? Das rhetorische Geschick Hitlers? Die Gewalt der SA? Die Arbeitslosigkeit? Geschichte wiederholt sich nicht, und es gibt keine Zwangsläufigkeit. Der Historiker Timothy Ryback betont das immer wieder. Sein jüngstes Buch Takeover beschäftigt sich mit den knapp sechs Monaten, die der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler vorausgingen. Im Interview spricht er über den Erkenntnisgewinn durch minutiöse Rekonstruktion und die Vergleichbarkeit von Hitler und Trump.

Der Pragmaticus: In Ihrem Buch Takeover erzählen Sie die letzten Monate der Weimarer Republik vom Sommer 1932 bis etwa März 1933 auf eine Weise, die sofort involviert, weil die Rekonstruktion so detailliert ist, dass man sich beim Lesen oft als Zeitgenosse des Geschehens fühlt – und ebenso überfordert ist, in dem Geschehen eine Bedeutung zu sehen. Warum haben Sie als Historiker diese Form gewählt, die sich bei der Deutung des Geschehens so zurücknimmt?

Timothy Ryback: Man sagt ja, dass die Weimarer Republik zweimal gestorben ist. Sie wurde ermordet, und sie beging Selbstmord. Wir wissen alle, wer der Mörder war, Adolf Hitler. Es ist aber zugleich ein Akt des Staatsselbstmords passiert. Eine konstitutionelle Republik hat sich selbst zerstört. Vor dem Hintergrund meiner Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus sah ich Parallelen zu dem, was aktuell in den USA passiert.

Es ist ja grundsätzlich die Aufgabe eines Historikers, zu erzählen, wie wir von dort, wo wir waren, dorthin gekommen sind, wo wir sind. Man sucht als Historiker also die Fakten, die helfen, das Endergebnis zu erklären. Dabei lässt man notwendigerweise eine Menge Material und „Nebengeräusche“ weg. Das macht die Sache klarer, verleiht dem Ganzen aber eine Atmosphäre historischer Unvermeidlichkeit, die es nicht gibt, wenn die Dinge passieren.

Mitglieder des Wahlkampfteams von Ernst Thälmann (KPD) vor den Präsidentschaftswahlen im April 1932 werden von der Polizei angehalten. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über Parallelen zwischen Hitler und Trump.
Mitglieder des Wahlkampfteams von Ernst Thälmann (KPD) vor den Präsidentschaftswahlen im April 1932 werden von der Polizei angehalten. © Getty Images

Mit diesem Buch wollte ich den Leser und mich selbst in die damalige Situation versetzen und zeigen, was wir wussten, und was wir nicht wussten. Ich benutzte deshalb fast ausschließlich Primärquellen, Tageszeitungen, Magazine, Tagebucheinträge, Sitzungsprotokolle und nur ein paar Memoiren, um zu verstehen, wie der Durchschnittsbürger die Zeit wahrscheinlich erlebte – nämlich verwirrend.

1932 war in Deutschland ein turbulentes Jahr mit drei Wahlen: Im April die Präsidentschaftswahlen, im Juli und November Reichstagswahlen. Zugleich gab es enorme politische Gewalt, die SA zog mordend und brandschatzend durch Städte und Gemeinden. Auch KPD, SPD und sogar die Zentrumspartei hatten bewaffnete Wehreinheiten. Konnte es Sie im Rückblick überraschen, dass Hitler an die Macht kam, hätte man es als Durchschnittsbürger wissen müssen?

Was mich wirklich überrascht hat, war, wie prekär Hitlers Position auf dem Weg bis zur Ernennung als Reichskanzler eigentlich war. Wenn wir vom Ende der Weimarer Republik reden, dann reden wir alle von der Inflation, von der hohen Arbeitslosigkeit. Eigentlich zeigte sich aber Ende 1932 eine Trendwende. Man hatte die Bedingungen für die Reparationszahlungen neu ausgehandelt, Deutschland erreichte die Parität bei der Truppenstärke des Militärs, die Arbeitslosigkeit ging zurück. Im Dezember 1932 waren praktisch alle „Argumente“ von Hitler aus dem Weg geräumt.

Hinzu kam: Die NSDAP war nach den Wahlen im November 1932 quasi bankrott. Sie war zerrüttet. Sie hatte zwei Millionen Stimmen verloren und war definitiv auf dem absteigenden Ast. Der italienische Schriftsteller und Diplomat Curzio Malaparte nannte Hitler den „Mann mit der großen Zukunft hinter sich“.

Aber die NSDAP hatte im November 1932 noch 33 Prozent der Stimmen erhalten.

Die NSDAP fiel von 37 Prozent im Juli auf diese 33 Prozent. Die Partei hätte sich in Folge zersplittert, weil sie innerlich so zerrissen war. Sie wäre nicht verschwunden, aber sie hätte vielleicht achtzehn oder zwanzig Prozent erreicht. Im Winter 1932/33 ging es für Hitler wirklich um alles oder nichts. In den Memoiren von Heinrich Brüning steht dazu ein erstaunliches Zitat. Kurt von Schleicher, er war ja der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik, hatte Brüning erzählt, dass er, als er die Reichskanzlei verließ und Hitler hereinkam, dieser zu ihm sagte: „Wissen Sie, das war immer so in meinem Leben. Gerade an dem Punkt, wo ich die Hoffnung aufgegeben habe, rettet mich auf wundersame Weise etwas.“

Die Geste des Reichskanzlers Adolf Hitler, der sich vor dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zur Begrüßung verbeugt , ist Teil einer Inszenierung: Die feierliche Eröffnung des neuen Reichstags nach den (unfreien) Wahlen am eigens geschaffenen „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 war das Ende der Weimarer Demokratie. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über Paralllen zwischen Hitler und Trump.
Die Geste des Reichskanzlers Adolf Hitler, der sich vor dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zur Begrüßung verbeugt, ist Teil einer Inszenierung: Die feierliche Eröffnung des neuen Reichstags am eigens geschaffenen „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 nach den (unfreien) Wahlen am 5. März 1933 war das Ende der Weimarer Demokratie. © Getty Images

Haben die Medien Hitler unterschätzt? Man beschrieb ihn manchmal als Dämon, aber vor allem als Witzfigur. Oder ist es der Rückblick, der einen von Unterschätzung sprechen lässt?

Das ist nicht leicht zu beantworten. Eine der stärksten Parallelen zwischen Weimar 1932 und den USA 2024, die ich sehe, ist die Rolle der Medien und die Art, wie über Hitler beziehungsweise über Trump berichtet wird. Ich glaube, der Begriff Wunschdenken trifft es zur Beschreibung ganz gut, man sieht nur, was man sehen will. Die Presselandschaft der Weimarer Republik war so polarisiert, dass man das ganze Spektrum hätte lesen müssen, um zu einem realistischen Bild zu kommen. Das macht ein Durchschnittsbürger aber nicht.

Das weiß ich von mir selbst: Als Trump 2016 gewählt wurde, schaltete ich zum ersten Mal Fox News ein und begriff, wie diametral unterschiedlich ein und dasselbe Ereignis gesehen werden kann. Die Linken haben in Weimar ganz klar die Gefahren des Faschismus beschworen. Die bürgerliche Presse sah sich Hitler an und sagte nur: „Was für ein Clown. Es ist undenkbar, dass dieser Mann es ins Amt schaffen kann.“ Ich glaube, die Leute haben gesehen, was sie sehen wollten.

Es gab noch dazu eine Reihe von Skandalen um Hitler. Er war ja tatsächlich auch eine lächerliche Figur. Zugleich ist diese lächerliche Figur verantwortlich für den Holocaust.

Ja, für viele war er der böhmische Gefreite, er kam ja aus Österreich. Sein Halbbruder Alois war ein verurteilter Krimineller, seine Freundin Eva Braun machte mehrere Selbstmordversuche, es gab Gerüchte über eine Liebesbeziehung mit seiner Nichte, Geli Raubal, deren Vormund er war, und die sich 1931 das Leben genommen hatte. Die Leute haben das Alles begierig zerpflückt. In einer Rede sagte Hitler 1932 etwas sehr Interessantes, nämlich: „13 Jahre lang haben die Leute über mich gelacht. Jetzt lacht niemand mehr.“

Das Vermächtnis Hitlers und des Nationalsozialismus ist der Holocaust. Das ist das entscheidende Ereignis und in gewisser Weise das Ergebnis der Geschichte. Als Historiker kann man die Entwicklung Schritt für Schritt zurückverfolgen, von der Schreckensherrschaft, den Unterdrückungsmechanismen über die Ideologie und die Rhetorik bis zu den frühen Schriften von 1919, den ersten Spuren des Antisemitismus in Mein Kampf.

Aber wenn man sich Hitlers Wahlkampfreden im Herbst 1932 anhört, dann geht es darin nicht um Juden, sondern um Arbeitslosigkeit. Es geht um die Wirtschaft. Es geht um Migration, um Einwanderer, die das „Blut des Volkes“ vergiften. Es gibt nur sehr wenige Hinweise auf eine „jüdische Bedrohung“ oder irgendetwas, das mit Juden zu tun hat. Das ist absolut auffällig, und ich habe Tausende Seiten dieser Hitler-Reden gelesen. Gerade auf diesen Kundgebungen in kleinen Städten ging es nicht um jüdische Verschwörungen oder darum, was der Versailler Vertrag oder die Demokratie den Deutschen angetan hätte.

Hitler spricht vom Beifahrersitz eines offenen Wagens aus mit einer Gruppe von Menschen. Das Auto steht offenbar auf einer Dorfstraße. Hitler 1932 im Wahlkampf vor den Reichstagswahlen im Juli. Von der Lufthansa hatte er eine Flugzeug gemietet, sodass er an einem Tag in mehreren Orten Wahlveranstaltungen abhalten konnte. Er erreichte damit auch die Bevölkerung von Regionen, die von den anderen Parteien nicht besucht wurden. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über Parallelen zwischen Hitler und Trump.
Hitler 1932 im Wahlkampf vor den Reichstagswahlen im Juli. Von der Lufthansa hatte er eine Flugzeug gemietet, sodass er an einem Tag in mehreren Orten Wahlveranstaltungen abhalten konnte. Er erreichte damit auch die Bevölkerung von Regionen, die von den anderen Parteien nicht besucht wurden. © Getty Images

Etwas, das in den Abschriften der Bierhallen- und Wahlkampf-Reden stattdessen auffällt, ist, wie oft das Wort Lachen vorkommt. Die Zuhörer fanden Hitler unterhaltsam, er hat sich vor allem über das politische System lustig gemacht, über die politischen Parteien und so weiter und so fort. Das ist bei Trump ähnlich. Er ist auch ein Entertainer, und zugleich macht man sich lustig über ihn, über das orange Gesicht, die gelben Haare, die kleinen Hände.

Um noch einmal auf die Medien zurückzukommen: Hitler wurde ja eine zeitlang vom öffentlichen Rundfunk verbannt, er konnte also das Radio nicht nutzen und schuf sich seine Medien zum Teil selbst. Die Presselandschaft war stark durch Parteizeitungen geprägt. Welche Rolle spielten solche Medienblasen für den Erfolg von Hitler?

Diese Medienblasen waren eine von Hitlers großen Herausforderungen. Die NS-Presse veröffentlichte seine Reden zwar, aber nur seine Leute lasen sie. Weil Hitler ja im Grunde genommen von der allgemeinen Presse boykottiert wurde, musste er auf seine Weise eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Was er machte war innovativ: Er nahm zum Beispiel eine „Rede an die deutsche Nation“ auf und presste sie auf eine kleine Schellackplatte. Ich glaube, es wurden 40.000 Stück davon hergestellt und verkauft oder verschickt.

Presse und Kamerateams bei einem Wahllokal während der Präsidentschaftswahlen im April 1932. Kandidiert hatten Paul von Hindenburg, Ernst Thälmann und Adolf Hitler. Hitler verlor die Stichhl gegen Hindenburg. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über Parallelen zwischen Hitler und Trump.
Presse und Kamerateams bei einem Wahllokal während der Präsidentschaftswahlen im April 1932. Kandidiert hatten Paul von Hindenburg, Ernst Thälmann und Adolf Hitler. Hitler verlor die Stichwahl gegen Hindenburg. © Getty Images

Er wurde aus dem Radio verbannt, und Hitler selbst sagte zu der amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson, die Regierung könne im Radio Millionen von Menschen erreichen, aber alles, was er tun könne, sei, eine Rede in einer Bierhalle zu halten oder von Stadt zu Stadt zu gehen, um ein paar tausend Menschen am Tag zu erreichen. Die NSDAP kam damals auf die Idee, eine Lufthansa-Maschine zu leasen. So etwas hatte es in der deutschen Politik, vielleicht sogar in der europäischen Politik, zuvor noch nie gegeben.

Unter anderem das hat die Partei dann in den Bankrott getrieben. Es war kolossal teuer. Aber es gibt Berichte darüber, wie Hitler auf den Feldern der Bauern landete, in ein Dorf ging und mit ein paar hundert Menschen im Dorf sprach. Hitler besuchte Städte, von denen andere deutsche Politiker noch nicht einmal gehört hatten. Er war im ganzen Land unterwegs und hielt bis zu fünf Kundgebungen am Tag ab, ging von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf.

Welche Rolle spielte dabei Alfred Hugenberg, den Sie mal als Rupert Murdoch der Zeit bezeichnet haben, weil er so viele Zeitungen besaß und wohl ein früher Meister der Fake News war. War das eine Verstärkung für die Botschaften der NSDAP?

Die Telegraphen Union von Hugenberg hatte, glaube ich, 1.400 meistens lokale Zeitungen. Hugenberg besaß zu dieser Zeit auch die Mehrheit der Anteile an der UFA. Er war tatsächlich der Murdoch der damaligen Zeit. Ursprünglich war er ein Industrieller, aber er fand, dass die Medien von aufgeschlossenen, kosmopolitischen Liberalen kontrolliert würden. Sein Medienimperium sollte ein Gegengewicht zu dieser liberalen Presse schaffen.

Zugleich fing Hugenberg an, die Leser seiner Zeitungen und das Publikum seiner Sendungen mit Falschnachrichten geradezu zu überfluten. Eine dieser Nachrichten, die er in seinen Lokalzeitungen veröffentlichte, war zum Beispiel, dass die Regierung, um ihre Reparationszahlungen zu bewältigen, deutsche Jugendliche versklavt und an die Alliierten verkauft, damit sie die Schulden in den französischen oder britischen Kolonien abarbeiten.

Die Wahlen zum Reichstag im November 1932 waren die letzten demokratischen Wahlen in der Weimarer Republik. Dritter von links ist Alfred Hugenberg. Im Januar 1933 wird er Wirtschaftsminister im Regierungskabinett Hitlers. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über Parallelen zwischen Hitler und Trump.
Die Wahlen zum Reichstag im November 1932 waren die letzten demokratischen Wahlen in der Weimarer Republik. Dritter von rechts ist Alfred Hugenberg. Im Januar 1933 wird er Wirtschaftsminister im Regierungskabinett Hitlers. © Getty Images

Der entscheidende Punkt bei diesen Dingen ist, dass sowohl Hitler als auch Hugenberg demokratische Prozesse viel besser verstanden haben als die Unterstützer der Demokratie. Damit eine Demokratie funktioniert, sagte Hugenberg, muss man verhandeln, geben und nehmen und Kompromisse schließen. Er war wohlgemerkt ein Antidemokrat und gegen die Weimarer Republik. Ich bin mir nicht sicher, ob er den Kaiser zurückholen wollte, aber er wollte im Grunde eine autoritäre Herrschaft errichten. Und er war der Meinung, wenn man die Mitte aushöhlen und die Gesellschaft polarisieren könnte, dann würde das demokratische System von selbst zusammenbrechen. Womit er Recht hatte.

Um die Mitte auszuhöhlen, setzte Hugenberg spaltende Themen auf die öffentliche Tagesordnung, bei denen man entweder ja oder nein sagen musste. Eines dieser Themen war ein Referendum, in dem die Aufhebung des Versailler Vertrags gefordert wurde, was viele Deutsche befürworteten. Hugenberg fügte einen zusätzlichen Artikel hinzu, der besagte, dass jeder, der den Versailler Vertrag unterzeichnet hatte oder an der Umsetzung der Bestimmungen des Versailler Vertrages beteiligt ist, wegen Hochverrats vor Gericht gestellt und hingerichtet werden sollte.

Franz Papen mit Familie im November 1932 auf dem Weg zur Wahlurne. Franz von Papen wird kurzzeitig Reichskanzler und handelt nach seiner Entlassung am 4. Januar 1933 mit Hitler eine Vereinbarung über eine Regierungsbeteiligung der NSDAP aus. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über Parallelen zwischen Hitler und Trump.
Franz von Papen mit Familie im November 1932 auf dem Weg zur Wahlurne. Franz von Papen wird kurzzeitig Reichskanzler und handelt nach seiner Entlassung am 4. Januar 1933 mit Hitler eine Vereinbarung über eine Regierungsbeteiligung der NSDAP aus. © Getty Images

Das Referendum scheiterte, aber Hugenberg gelang es auf diese Weise unterstütz von seinem Zeitungsimperium solche extremen Sichtweisen nicht nur auf die öffentliche Agenda zu setzen, sondern die gesamte Gesellschaft zu durchdringen und im Grunde jede Ebene zu erreichen. Ich glaube, dass Hugenbergs Einfluss auf den damaligen öffentlichen Diskurs unterschätzt wird.

Wie hat denn die liberale Presse darauf reagiert? Über Migranten, die Haustiere essen wird heute ein Lied gemacht, was aber wohl für viele wenig an der Attraktivität der Lüge änderte, selbst wenn sie sie nicht einmal glauben.

Die meisten Falschnachrichten wurden ignoriert. Das Referendum von Hugenberg scheiterte krachend und darüber haben die Zeitungen auch berichtet. Es gibt auch einen Fall, der ist ähnlich gelagert wie die Aussage von Trump nach Charlottesville, wonach es „gute Leute auf beiden Seiten“ gäbe.

Dieses extremere Charlottesville war die Reaktion Hitlers auf den Mord an Konrad Pietzuch, einem polnischen Arbeiter in dem oberschlesischen Dorf Potempa. Konrad Pietzuch wurde von Angehörigen der SA mitten in der Nacht in seinem Zuhause vor den Augen seiner Mutter zu Tode geprügelt. Die Täter wurden angeklagt und fünf wurden zum Tode verurteilt. Die Todesstrafe für politisch motivierten Mord war erst kürzlich eingeführt worden. Hitler stellte sich hinter die Mörder und sagte, wenn er Kanzler würde, werde er dafür sorgen, dass kein ausländisches Leben je über das eines „Blutsdeutschen“ gestellt würde. Das ist ein weiteres Beispiel, wie zu der Zeit ein polarisierendes Thema zum absoluten Extrem getrieben wurde.

Von Trump oder auch von der AfD in Deutschland oder der FPÖ in Österreich wird gegenwärtig gern behauptet, dass diese polarisierenden Themen auch die Themen sind, die „die Leute“ beschäftigen. War das 1932 so?

Trump spricht vor allem seine Anhänger an, auch Hitler sprach vor allem zu seinen Anhängern. Die nationalsozialistische Bewegung war gespalten. Da waren die Radikalen wie Göbbels und Röhm und moderatere Leute wie Gregor Strasser, die die NSDAP eher als Teil einer breiteren politischen Konstellation sehen wollten. Und Hitler schwankte zwischen diesen beiden. Manchmal hörte er mehr auf die einen, dann mehr auf die anderen. Er rückte aber nie von einer Position ab.

Bei den Morden von Potempa hatte sein Rechtsanwalt Hans Frank, der „Schlächter von Polen“, Hitler davor gewarnt, Stimmen zu verlieren, wenn er die Mörder unterstützt. Vor den Wahlen im November wollte Frank die NSDAP als Partei von Gesetz und Ordnung präsentieren. Hitler gab nicht nach und tatsächlich kostete das die NSDAP Stimmen. Im Juli 1932 hatte die NSDAP ihr bestes Ergebnis mit 37 Prozent, im November 1932 erhielten sie nur noch 32 Prozent.

Unter diesen Wählern waren einige überzeugte Nazis, andere waren eher auf der Suche nach Lösungen für die ökonomische Krise. Von den zwei Millionen Stimmen, die Hitler bei den Wahlen verlor, gingen eine Million an die ebenfalls rechte DNVP von Hugenberg und eine Million an die Kommunisten.

War das Schicksal der Weimarer Republik erst in dem Moment besiegelt, als Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte?

Hindenburg hatte drei Kanzler entlassen und ernannt, er hätte das natürlich auch mit Hitler machen können. Man sollte vorsichtig sein mit Was-wäre-gewesen-wenn-Szenarien, aber ich frage mich, ob die Dinge anders verlaufen wären, wenn nicht der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 gewesen wäre. Als Hitler am Abend des 30. Januar 1933 nämlich seine erste Kabinettsitzung hielt, wollte er bereits ein Ermmächtigungsgesetz beschließen. Er hatte ja tatsächlich verstanden, wie Gesetzgebungsprozesse gelähmt werden können, weil er es selbst so gemacht hat. Also wollte er das vermeiden.

Von links nach rechts: Franz Seldte (Arbeitsminister) Günther Gereke (Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung), Schwerin von Krosigk (Finanzminister), Wilhelm Frick (Innenminister); Werner von Blomberg (Reichswehrminister), Alfred Hugenberg (Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister). Sitzend, von links nach rechts: Goering (Luftfahrtministerium), Adolf Hitler (Reichskanzler) und Franz von Papen (Vizekanzler). Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über Parallelen zwischen Hitler und Trump.
Das Regierungskabinett am 30. Januar 1933: Von rechts nach links: Franz Seldte (Arbeitsminister) Günther Gereke (Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung), Schwerin von Krosigk (Finanzminister), Wilhelm Frick (Innenminister); Werner von Blomberg (Reichswehrminister), Alfred Hugenberg (Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister). Sitzend, von rechts nach links: Goering (Luftfahrtministerium), Adolf Hitler (Reichskanzler) und Franz von Papen (Vizekanzler). © Getty Images

Und dann wurde die Frage gestellt, ob sich die Regierung, wenn ein solches Gesetz eingeführt wäre, und es zu Unruhen käme, ob sie sich uns dann auf die Armee verlassen könnte, um zu helfen? General Werner von Blomberg, ein traditioneller Militär und Reichswehrminister, antwortete sinngemäß: „Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, ein deutscher Soldat ist dafür ausgebildet, einen ausländischen Gegner zu bekämpfen. Es ist für einen Deutschen unvorstellbar, dass ein deutscher Soldat auf deutsche Zivilisten auf deutschen Straßen schießt.“

Hitler hätte gern sofort ein Ermächtigungsgesetz beschlossen, aber es ging nicht. Außerdem wollte er, dass die Hakenkreuzfahne zusammen mit der rot-gold-schwarzen Reichsfahne gehisst wird. Es wurde ihm gesagt, tut mir leid, das können Sie nicht machen. Diese Strukturen waren vorhanden und natürlich machte sich Hitler sofort daran, sie auszuhöhlen, und er wusste auch, welche Knöpfe er drücken musste.

Paul von Hindenburg und Adolf Hitler auf der Rückbank eines Autos am 1. Mai 1933. Hitler winkt Umstehenden zu, während Hindenburg fast teilnahmslos ins Leere blickt. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Timothy Ryback über Paralllen zwischen Hitler und Trump.
Paul von Hindenburg und Adolf Hitler am 1. Mai 1933. © Getty Images

Es wird wirklich interessant sein, nach dem 20. Januar in diesen Spiegel zu schauen. Trump hat gesagt, er werde am ersten Tag Diktator sein. Wir werden sehen, ob er dazu in der Lage ist und inwieweit die verfassungsrechtlichen Leitplanken und das Rechtssystem ihn aufhalten werden. Er wird sicherlich gegen sie ankämpfen, wie wir das schon in seiner ersten Amtszeit gesehen haben. Es ist aber zu recht beunruhigend und zermürbend, nicht zu wissen, was vor uns liegt und ob das System standhalten wird.

Über Timothy Ryback

Timothy Ryback ist Historiker und Gründer des Institute fr Historical Justice and Reconciliation in Den Haag. Beiträge von ihm sind in The New Yorker, The New York Times Magazine, The Wall Street Journal, The Atlantic und der Financial Times erschienen. Er ist der Autor von Der letzte Überlebende: auf der Suche nach Alfred Zahlenfeldt (deutsche Übersetzung 2000) und Hitlers Bücher: seine Bibliothek – sein Denken (deutsche Übersetzung 2010). Das Buch Takeover. Hitlers Final Rise to Power erschien 2024 bei Penguin.

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