Machen Innovationen arbeitslos?

Der Computer, die Roboter, das Internet: Wenn neue Technologien kommen, verschwinden die Arbeitsplätze. Stimmt nicht: Innovationen schaffen Arbeitsplätze. Doch wie tun sie das? Der Trick heißt „kreative Zerstörung“.

Innovation in den 1930er Jahren: Eine Frau sitzt mit einer Schreibmaschine in einem Auto. Schwarzweiß Fotografie.
Ein mobiler Arbeitsplatz in Los Angeles um 1930. Die Schreibmaschine ist eine Innovation, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammt. Schon 1920 experimentierte man mit elektrischen Schreibmaschinen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Mythos Arbeitslosigkeit. Technologischer Fortschritt und Innovationen kommen nicht nur den passend Qualifizierten zugute, sondern schaffen neue Berufe.
  • Konkurrenz als Motor. Neue Unternehmen sorgen dafür, dass Monopole unrentabel werden, mehr Wettbewerb herrscht und die Produktivität steigt.
  • Umverteilung. Wenn bestimmte Produkte durch Innovationen unrentabel werden, verliert auch das mit ihnen verbundene Kapital an Wert.
  • Radikale Innovationen. Stagnation entsteht, wenn tiefgreifende Innovationen fehlen und somit keine neuen Geschäftsfelder oder Branchen geschaffen werden.

Dass die Öffentlichkeit schnell vergisst, ist das Glück vieler Ökonomen und Journalisten. Weitgehend vergessen ist zum Beispiel heute, dass uns schon jahrzehntelang erklärt wurde, Computer und Roboter würden uns früher oder später in eine Massenarbeitslosigkeit treiben, weil immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt würde.

Nichts davon hat gestimmt. Ganz im Gegenteil: In weiten Teilen der westlichen Welt herrscht Vollbeschäftigung, die Unternehmen suchen verstärkt nach Arbeitskräften. Allein in den USA dürften zwei bis drei Millionen Menschen davon leben, Apps zu entwickeln und zu vermarkten. Und immer mehr Indizien weisen darauf hin, dass Innovationen nicht nur keine Arbeitslosigkeit erzeugen, sondern sogar mehr Verteilungsgerechtigkeit mit sich bringen. Doch dazu etwas später.

Eine junge Frau sitzt vor einer Maschine mit Lochkarten. Schwarzweiß Fotografie.
Die ersten Computer, hier 1955 an der Universität Manchester, brachten neue Berufe, zum Beispiel den der Programmiererin. Getty Images

Die Angst, dass der technische Fortschritt immer mehr Menschen arbeitslos machen und damit dem Elend preisgeben würde, ist beinahe so alt wie der technische Fortschritt selbst. Bereits 1821, also vor 200 Jahren, befürchtete David Ricardo, einer der bedeutendsten Ökonomen seiner Zeit, dass immer mehr Kapital in neue Technologien fließen würde und damit immer mehr Güter mit immer weniger Arbeit hergestellt werden könnten, was dazu führe, dass es den Lohnabhängigen immer schlechter gehe. Technischer Fortschritt wird, wenn das so stimmt, zu einem sozialen Problem, weil er die Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft verschärft.

Wer von Innovationen profitiert

Der Mechanismus dahinter erscheint plausibel. Die Erfindung von neuen Produktionstechnologien kommt demnach den überproportional qualifizierten Personengruppen zugute, die sich mit diesen Technologien auskennen – etwa in der digitalen Welt –, und lässt die weniger Qualifizierten zurück. Diese würden letztlich sogar ganz aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, weil viele ihrer Aufgaben durch Computer und Maschinen erledigt würden. Da Menschen ausschließlich dafür entlohnt werden, was und wie gut sie arbeiten, bekommen die Qualifizierten tendenziell immer höhere Löhne als die weniger Qualifizierten.

Eine Frau mit einem rosafarbenen Pullover sitzt an einem Arbeitsplatz. Neben ihr liegen Festplatten für einen Computer und sie montiert elektronische Teile auf ein Mainboard.
Fertigung der Hauptplatinen für einen Computer 1974. Mikrochips waren die entscheidende Innovation für den Personal Computer und somit die IT-Branche. © Getty Images

Auf diese Art und Weise würde also der „qualifikationsverzerrte technische Fortschritt“ dafür sorgen, dass sich zumindest jener Teil des Nationaleinkommens, der den Arbeitskräften zusteht, immer ungleicher innerhalb der Bevölkerung verteilt. Houston, haben wir da ein gewaltiges soziales Problem?

Auf den ersten Blick mag die Hypothese von den ungünstigen Folgen des Fortschritts überzeugend klingen. Das am häufigsten zitierte Beispiel des sogenannten qualifikationsverzerrten technischen Fortschritts ist die Einführung des Personal Computers und der damit verbundenen Informations- und Telekommunikationstechnologien – mitsamt dem Internet – in den 1980er- und 1990er-Jahren. In dieser Zeit stieg die Ungleichheit in der Lohnverteilung, besonders in den USA, aber auch in vielen anderen, überwiegend entwickelten Volkswirtschaften stark an. 

Innovation als kreative Zerstörung

Obwohl diese Erzählung von vielen Mainstream-Ökonomen geteilt wird, widerspricht sie teilweise den Erkenntnissen des großen österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter und seiner Theorie der „kreativen Zerstörung“, die geradezu unumgänglich sei, um eine Volkswirtschaft wettbewerbsfähig zu machen. Der Untergang weniger lebensfähiger Unternehmen sei demnach notwendig, um fittere Unternehmen aufblühen zu lassen. Jener technische Fortschritt, der angeblich soziale Probleme schafft, wird so gesehen zur schieren Notwendigkeit.

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Zahlen & Fakten

Schwarzweiß Portrait eines Mannes im Anzug mit Weste und Stecktuch, der in die Kamera blickt.
Joseph Schumpeter lehrte ab 1932 an der Harvard University und beeinflusste die Wirtschaftswissenschaften maßgeblich. © Getty Images

Schumpeter in 20 Sekunden

  • Lebte: 1883 bis 1950
  • Meinte: dass im Zentrum der Volkswirtschaft der Innovator in Form des Unternehmers steht. Neue Ideen und Produktionsweisen führen zur schöpferischen Zerstörung, ohne die kein Fortschritt möglich ist. Aus diesen Revolutionen ergeben sich die wirtschaftlichen Auf- und Abschwungphasen, die Schumpeter nach ihrem Entdecker Nikolai Kondratjew „Kondratjew-Zyklen“ nannte. Eine stetige Wirtschaftsentwicklung und ein Marktgleichgewicht gibt es nicht.
  • Prägte: Ökonomen wie den US-Nobelpreisträger Paul Samuelson sowie zahlreiche Unternehmer und Politiker, die Innovation als Herz der Wirtschaft sehen.

Versucht man, Schumpeters Theorie ins Internetzeitalter zu übersetzen, so zeigt sich: Die Einführung von Innovationen, besonders wenn sie radikal sind, entfaltet Kräfte der schöpferischen Zerstörung, die Teile des vorhandenen, durch die Innovationen obsolet gewordenen Kapitals vernichten kann.

Die Aktionäre von etablierten Unternehmen, die deshalb gezwungen sind, aus Produktmärkten auszusteigen, erleiden Verluste, die ihr Vermögen schmälern – also etwa die Produzenten von Schreibmaschinen, die von Computerherstellern ruiniert werden. Der technologische Fortschritt ist daher auch in der Lage, die krassen Unterschiede in der Vermögensverteilung etwas einzuebnen, was gemeinhin als angemessen empfunden wird.

Die heilende Wirkung der kreativen Zerstörung ist umso stärker, je radikaler die Innovationen sind und je öfter sie durch Newcomer und weniger durch etablierte Unternehmen entwickelt und vermarktet werden. So war die Entstehung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sowie von Biotechnologie-Unternehmen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in erster Linie das Ergebnis von dynamischen Start-up-Gründungen wie Apple oder Microsoft.

Eine Frau sitzt an einem Computer. Neben ihr stehen zwei Kinder, die ebenfalls auf den Computerbildschirm blicken. Auf dem Bildschirm sind die Warte "The Mll" zu lesen.
Onlineshopping 1997 in Neuseeland: Durch das Internet entstehen neue Geschäftsfelder und ein neuer Typus von Unternehmen. © Getty Images

Die radikalen Innovationen von frischgebackenen Unternehmern sind in der Tat nötig, um die etablierten und erfahrenen Unternehmer herauszufordern und mitunter sogar aus dem Markt zu verdrängen. Denn der Markteintritt von Innovatoren führt zu dramatisch mehr Wettbewerb und einem Abbau der Markteintrittsbarrieren. 

Zerstörung der Monopole

Dadurch werden die Gewinne der etablierten Riesen kleiner und die Dauer der Monopolrenten, also nicht mehr wirklich gerechtfertigter Gewinne von alteingesessenen Unternehmen, verkürzt. Die Kürzung der Höhe und der Dauer der Monopolrenten verringert die an die Aktionäre der alten Unternehmen gezahlten Dividenden und damit die Einkommensungleichheit.

Warum ist also die Einkommensungleichheit in den vergangenen Dekaden trotzdem größer geworden? Ist die heilende Wirkung der kreativen Zerstörung doch nur ein Mythos? 

Ganz im Gegenteil. Die kreative Zerstörung kann Ungleichheiten verringern, aber sie braucht dazu einen wichtigen Rohstoff – Innovation, am besten radikale Innovation. Also Erfindungen wie das Smartphone, das Internet oder die moderne Gentechnologie. Nur sie sind imstande, mittels kreativer Zerstörung ganze Branchen umzuwälzen oder gar neu zu erschaffen. 

Eine Frau sitzt in einem Wohnzimmer in einem Sessel udn telefoniert mit einem Mobiltelefon. Auf ihren Knien ist ein aufgeklappter Laptop. Im Hintergrund spielen Kinder.
Ausweitung des Arbeitsplatzes: Homeoffice während der Covid-19-Pandemie im August 2020 in Bern. © Getty Images

An wirklich radikaler Innovation jedoch mangelt es in den letzten Jahrzehnten ein wenig. Deshalb werden auch die Produktivitätsfortschritte gerade in der westlichen Welt immer kleiner. Warum das so ist, wissen wir leider nicht wirklich. Das ändert aber nichts am Grundsatz: Technischer Fortschritt und die damit verbundene „kreative Zerstörung“ sind eindeutig Teil der Lösung – und nicht des Problems. 

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Conclusio

Technischer Fortschritt ist zerstörerisch, aber durch die Zerstörung überholter Produktionsweisen, Unternehmen und von Monopolen sorgt er dafür, dass neue Arbeitsplätze, neue Berufe, neue Dienstleistungen und Industrien entstehen. Diese kreative Zerstörung – der Begriff stammt von dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter – ist wichtig, damit sich Gesellschaften und Ökonomien erneuern können. Innovationen sorgen für mehr Wettbewerb und eine größere Produktivität und bringen so nachhaltigen Wohlstand. Die derzeitige wirtschaftliche Lag ist durch eine stagnierende Innovationstätigkeit gekennzeichnet. Es fehlen vor allem radikale Innovationen.