Wirtschaftswachstum mit der Natur

Bildung bringt industrielles Wachstum und dies verbraucht mehr Ressourcen. Der Meteorologe Gerhard Wotawa über den Balanceakt zwischen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz.

Massai-Frau mit Tochter und Baby in Tansania, 2004
Tansania, 2004: Eine 20-jährige Massai mit ihrem eine Woche alten Baby und ihrer Tochter in Ngorongoro. Der Wohlstand der Massai in diesem Gebiet ging aufgrund der Dürren in den Jahren 2000-2002 und 2004-2005 drastisch zurück. Extreme Dürre ist ein anhaltendes Problem im Land. © Getty Images

Können die ärmeren Länder dieses Planeten wirtschaftlich und technologisch aufholen, ohne enorme Ressourcen zu verbrauchen? Gerhard Wotawa beschäftigt sich als Meteorologe der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik mit den ganz großen Zusammenhängen des Weltklimas. Dabei stehen auch die Auswirkungen von Umweltzerstörung, Kohlendioxid-Emissionen und das Ungleichgewicht der Welt zwischen konsumreichem Norden und armen Süden im Fokus.

Herr Wotawa, vereinfacht gesagt führen mehr Menschen auch zu einem höheren Kohlendioxid-Ausstoß. Kann man daraus ableiten, dass ein unkontrolliertes Bevölkerungswachstum zu einem ernsten Klimaproblem werden wird?

Gerhard Wotawa: Die Klimaproblematik ist im Wesentlichen eine Problematik begrenzter Ressourcen. Je mehr Menschen auf der Welt leben, desto schneller stoßen wir an unsere Grenzen. Dass derzeit immer noch viele Menschen nichts haben und nichts verbrauchen, ist auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten, völlig unabhängig vom Gerechtigkeitsthema. Entwicklung wird stattfinden – und wenn sie nicht stattfindet, werden viele Menschen in die entwickelten Teile der Welt streben. Das ist völlig unvermeidlich.

Illustration von Gerhard Wotawa
Gerhard Wotawa ist Datenspezialist und Modellanalyst am ZAMG in Wien. © Andreas Leitner

Was kann oder muss die Welt tun, um eine lebenswerte Umwelt zu erhalten?

Die wichtigste Maßnahme, um die wachsende Erdbevölkerung einzubremsen, ist Bil­dung. Und die Selbstermächtigung von Frauen in der Dritten Welt – weil man damit Bildung sehr rasch erreicht. Bewegte man sich von diesen oft ex­trem patriarchalisch geprägten Gesellschaften in Richtung gut ausgebildeter, selbstbewusster Frauen, dann ginge die Geburtenrate schnell zurück. Mich überrascht immer wieder, wie viel Geld oft ausgegeben wird für Maßnahmen, um Reduktionen von Kohlendioxidausstoß zu erreichen. Mit geringerem Finanzmitteleinsatz ließe sich das Bildungssystem verbessern, und die Erfolge wären rascher sichtbar.

Der damalige US-Präsident George W. Bush hat im Irak und in Afghanistan eher unheilvoll gewirkt. Aber er hat auch wahnsinnig tolle Errungenschaften erzielt: In Afrika hat er durch lokale Maßnahmen die Immunschwächekrankheit Aids reduziert, indem Medikamente zur Verfügung gestellt wurden. Aber vor allem auch, indem in Frauenbildung investiert wurde. Zusätzlich gelang es dadurch, mehr Akzeptanz für das Thema Empfängnisverhütung durch Kondome zu schaffen. Da wurde auf der einen Seite Millionen Menschen das Leben gerettet und Aids eingebremst, andererseits hatte das messbare Auswirkungen auf die Geburtenzahl. Solche Programme wären wieder zielführend – am besten auch mit europäischer Beteiligung.

All das kostet viel Geld. Könnten wir also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem wir statt in Klimaschutzmaßnahmen nur noch in Maßnahmen gegen unkontrolliertes Bevölkerungswachstum investieren?

Das wäre nett, funktioniert so aber nicht. Ja, Bildungsmaßnahmen sind viel billiger als die Energiewende. Aber: Bildung und industrielle Entwicklung sind zumeist stark gekoppelt. Grundsätzlich geht es ja darum, dass die Arbeitskraft der Frauen benötigt wird, dass sie entsprechend bezahlt wird, und dass infolgedessen die Geburtenraten sinken. Passiert das, kommt es aber zu einem Paradox: die Geburtenraten sinken, aber durch die wirtschaftliche Entwicklung findet zunächst eine enorme Zunahme der Verschmutzung statt.

Tansania, 2004: Ein Lehrer unterrichtet Schüler im Freien
Tansania, 2004: Eine Schulklasse im Freien. Die Einschulungsrate von Kindern im Grundschulalter ist rückläufig. Fast 70 Prozent der Kinder im Alter von 14-17 Jahren besuchen keine weiterführende Schule. © Getty Images

Davon abgesehen dauert es Jahrzehnte, bis sich Reduktionen der Geburtenrate demographisch so auswirken, dass die Bevölkerung zurückgeht. Hier fällt mir nur eine Lösung ein, nämlich durch Technologietransfer an Entwicklungsländer ein rasches Überspringen von Entwicklungsschritten zu ermöglichen. Bei uns ging der Weg zum Beispiel über Festnetztelefone zu Mobiltelefonen. In Entwicklungsländern ging es direkt zum Mobiltelefon, die haben nie ein Festnetz aufgebaut. In gleicher Weise wäre die Hoffnung, dass solche Länder umweltzerstörende Technologien ganz überspringen. Das funktioniert aber nicht, solange bei uns der Konsum stattfindet, und in Afrika die Umweltzerstörung. Und ja – wir sollten in die Bildung in den LDCs (Least Developed Countries, den am wenigsten entwickelten Ländern) stark investieren.

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