Überbevölkerung: Sind wir zu viele?
Auf den Punkt gebracht
- Weltbevölkerung. Im November 2022 knackt die Menschheit die Acht-Milliarden-Marke. Im Jahr 1926 waren es noch zwei Milliarden Menschen gewesen.
- Entwarnung. Allerdings wird das Wachstum nicht anhalten: Die UN prognostiziert, dass die Weltbevölkerung bereits ab 2086 rückläufig werden wird.
- Verantwortung. Der globale Süden hat einen niedrigen Lebensstandard und relativ hohe Geburtenraten. Die Ressourcenknappheit geht auf das Konto des Nordens.
- Maßnahmen. Ernährungs- und Konsumgewohnheiten müssen geändert werden. Gleichzeitig ist Bildung – insbesondere von Frauen – der Schlüssel zum Wandel.
Es ist schon erstaunlich: Während sich die Medien weltweit mit Schlagzeilen über Klimakatastrophe, Waldrodungen, Ressourcenabbau und Ernährungsnot überbieten, kommt eine der wichtigsten Ursachen dieser Probleme kaum zur Sprache: die Bevölkerungsexplosion. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass Kohlendioxid-Ausstoß, Zunahme der Monokulturen, Bodenausbeutung und viele andere schädliche Entwicklungen nichts mit der wachsenden Menschheit zu tun hätten.
Dabei sind die Fakten eindeutig: Im November wird die Weltbevölkerung laut UNO erstmals aus mehr als acht Milliarden Menschen bestehen. Und ein Ende des Wachstums ist vor allem in Afrika (Nigeria, Kongo, Tansania, Ägypten, Äthiopien) nicht in Sicht. Dort wird sich die Bevölkerung bis zum Ende des Jahrhunderts auf rund vier Milliarden Menschen verdreifachen. Zum Vergleich: Europa wird dann weniger als 600 Millionen Einwohner haben.
Was unweigerlich zur Frage führt: Sind wir zu viele? Zu viele für ausreichende Ernährung, sozialen Frieden, fürs Klima? Und gibt es eigentlich genug Platz für all diese Männer, Frauen und Kinder?
Zu viele, das sind immer die anderen
Die Frage ist nicht ganz neu: Wissenschaftler und Politiker haben sie bereits gestellt, als 1999 die Marke von sechs Milliarden durchbrochen wurde; und 2011, als die Menschheit die Sieben-Milliarden-Grenze überschritt. Obwohl die Antworten unterschiedlich ausfielen, blieb eines doch immer gleich: nämlich die wenig sympathische Feststellung, dass es immer die anderen sind, die zu viele Kinder bekommen.
Denn Bevölkerungswachstum und der Umgang damit war und ist bis zu einem gewissen Grad immer auch eine Frage von Machtpolitik und Einfluss. Nicht umsonst regen Autokraten wie Recep Tayyip Erdoğan und Konsorten das eigene Volk zu eifriger Reproduktion an. Und Adolf Hitler verlieh das Mutterkreuz an besonders gebärfreudige deutsche Frauen.
Diese Ansätze haben wir in Mitteleuropa gottlob hinter uns gelassen. Die Begleiterscheinung: eine überalterte und – ohne Zuwanderung – schrumpfende Bevölkerung. Dazu ein paar Zahlen: Ende 2021 war jeder zehnte Mensch in Deutschland 15 bis 24 Jahre alt – vor vierzig Jahren war noch jeder Sechste in diesem Alter. Die Gesamtbevölkerung hat hingegen einen neuen Höchststand erreicht: 83,2 Millionen.
Ungleiche Verteilung
Das zeigt das Dilemma, das mit der Anzahl der Menschen auf der Erde einhergeht. In Europa ist die Bevölkerungsdichte mangels Zukunftsperspektiven in der Provinz besonders im Osten extrem dünn geworden. Die USA gleichen fehlende Kapazitäten mit Zuwanderung aus Lateinamerika aus, was vergleichsweise unproblematisch ist, weil sich die Latinos gut integrierbar zeigen. Das einzige westliche, demokratische Industrieland, dessen Bevölkerung noch aus eigener Kraft wächst, ist Israel. Dort sind drei, vier Kinder pro Familie die Regel. Ein Wert, von dem Japan oder Südkorea weit entfernt sind.
In Afrika aber – in Ägypten und der Subsahara – explodiert die Einwohnerzahl geradezu. Die Folge: Massenarmut, wuchernde Megastädte ohne Kanalisation und Müllabfuhr, Kriminalität oder gar Krieg. Kurz: die Hölle auf Erden. Pragmaticus-Experten nehmen Ursachen und Folgen des Bevölkerungswachstums unter die Lupe. Eines vorweg: Alle Prognosen sehen einen weiteren Anstieg auf rund zehn Milliarden Menschen bis ungefähr 2060 voraus, erst dann soll es zu einer Abflachung kommen, weil sich Geburtenrate und Sterberate die Waage halten.
Entwarnung kann deshalb freilich nicht gegeben werden. Wir sind viele, und das bleibt nicht ohne Folgen für den Planeten. Artensterben, Bodenversiegelung, Rodungen des Regenwalds, Überfischung, Rohstoffausbeutung und Emissionen in Luft und Wasser machen die Erde immer mehr zum Pulverfass.
I. Umwelt
Jörg Tremmel, Bevölkerungsexperte und Politikwissenschaftler an der Universität Tübingen, analysiert die Auswirkungen auf unseren Lebensraum: „Viele zehntausend Jahre lang hatte die Anzahl der Menschen auf der Erde keine nennenswerten Auswirkungen auf die Natur. Die Gesamtbevölkerung blieb ungefähr konstant. Witterungseinflüsse, Naturkatastrophen, Ernteausfälle und Seuchen dezimierten die Einwohner immer wieder. Unzugängliche Gebiete blieben überhaupt menschenleer. Erste Expansionen des Homo sapiens traten mit den blühenden Hochkulturen rund 2.000 vor Christus auf. Doch erst seit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ist die Balance zwischen Bevölkerung und natürlichen Lebensräumen und Ressourcen außer Kontrolle geraten.“
Die Erde braucht weniger Menschen
Für Tremmel liegen die dramatischen Folgen auf der Hand: „Die Nutzung fossiler Energieträger wie Kohle oder Erdöl in großem Stil, gepaart mit immer rascherem Bevölkerungswachstum, sorgt für massive Beeinträchtigungen der Umwelt. Wenn wir diese Entwicklung aus Sicht anderer Lebewesen betrachten (das wäre dann das Gegenteil von Speziesismus), dann ist der Ressourcenverbrauch unserer stetig zahlreicher werdenden Spezies außergewöhnlich und gefährlich.“
Tremmel weiter: „Der Mensch breitet sich auf unserem Planeten derart aus, dass der Raum für andere Lebewesen, aber auch Pflanzen dramatisch eingeschränkt wird. Das führt zur Vernichtung von Lebensräumen, Artensterben und natürlich auch zu dramatisch erhöhtem Kohlendioxidausstoß.“
Wir und „die anderen“
Freilich gibt es zur Frage des Bevölkerungswachstums und seiner Folgen keine klaren und schon gar keine einfachen Antworten, wie der Bevölkerungsforscher und Buchautor Reiner Klingholz (Zu viel für diese Welt) meint. Er rät von Schuldzuweisungen ab: „Überbevölkerung hat zwei Gesichter. Das eine zeigt sich in Weltregionen, wo die Menschen an die Grenzen der Versorgungsmöglichkeiten stoßen. Das andere dort, wo sie weit über ihre ökologischen Verhältnisse leben. Beide Phänomene haben wenig miteinander zu tun, weshalb es wenig Sinn ergibt, die ‚Schuld‘ der Armen und der Reichen gegeneinander aufzurechnen. Oder mit dem Finger vom kinderarmen Europa auf Afrika zu zeigen, wo jede Frau im Schnitt noch fünf Kinder bekommt. Beide Formen der Überbevölkerung sind auf einem begrenzten Planeten nicht tragbar.“
Zahlen & Fakten
Die Weltbevölkerung in Zahlen
- 312.000 Kinder werden jeden Tag auf unserem Planeten geboren. Das sind circa 140 Millionen Kinder pro Jahr.
- 178.000 Menschen sterben jeden Tag – das sind 65 Millionen Tote pro Jahr. 30 Millionen davon sterben an Hunger.
- 58 Prozent der Weltbevölkerung leben in Städten. 90 Prozent der weltweiten ländlichen Bevölkerung leben in Afrika und Asien.
- Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in Ländern, in denen die Einwohnerzahlen stagnieren oder sogar zu schrumpfen beginnen.
- 36,3 Milliarden Tonnen CO2 hat die Menschheit 2021 global ausgestoßen.
- Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verursachen die Hälfte des globalen CO2-Ausstoßes durch ihren Konsum.
- Stellt man sich die 4,5 Milliarden Jahre Erdgeschichte in ein Kalenderjahr komprimiert vor, so existiert das moderne menschliche Leben seit 37 Minuten auf dem Planeten. In den letzten 0,2 Sekunden dieser Zeit haben wir ein Drittel der natürlichen Ressourcen der Erde verbraucht.
- Wenn die derzeitige Abholzungsrate anhält, werden die Regenwälder der Welt in 100 Jahren verschwunden sein. Der Mensch stellt 0,01 Prozent des gesamten Lebens auf der Erde dar, hat aber den Verlust von 83 Prozent aller wilden Säugetiere und der Hälfte aller Pflanzen verursacht.
Klingholz weiter: „Es sind zwei Probleme, die unabhängig voneinander gelöst werden müssen. Denn weder bekommen die Frauen in Äthiopien weniger Nachwuchs, wenn die Österreicher weniger Auto fahren, noch unternehmen die Deutschen weniger Flugreisen, wenn die Menschen in Mali nur noch zwei Kinder in die Welt setzen.“ Das führt den Experten zu einer entscheidenden Frage: Was wäre zu tun, um das Bevölkerungswachstum zu stoppen und gleichzeitig die Weltwirtschaft in weniger als 30 Jahren so umzubauen, dass sie keinerlei klimaschädigende Treibhausgase mehr freisetzt und auch alle anderen konsumbedingten Umweltprobleme verschwinden – von der Vermüllung der Ozeane bis zum Verlust der Artenvielfalt? Fazit: „Keine Generation zuvor war mit einer auch nur annähernd so großen Herausforderung konfrontiert.“
Herkulesaufgaben
Klingholz ortet zwei Herausforderungen: „Aufgabe Nummer eins, das Bevölkerungswachstum im armen Teil der Welt zu bremsen, ist dabei leichter zu lösen. Es ist empirisch belegt, wie und unter welchen Rahmenbedingungen die Nachwuchszahlen sinken. Das Wachstum lässt sich stoppen, ohne dass dabei Menschenrechte verletzt werden wie einst in China: Ab den 1980er-Jahren galt dort die ,Ein-Kind-Politik‘, die es Familien bei Geldstrafen und Zwangsabtreibung verbot, mehr als ein Kind zu bekommen (2016 wurde dieses Gesetz abgeschafft). Gelingt es, Gesundheitsversorgung und Bildungssystem zu verbessern, Jobs zu schaffen und für mehr Gleichberechtigung der Geschlechter zu sorgen, entfaltet das eine Dynamik, die das Leben positiv beeinflusst. Im Rahmen solcher Veränderungen sind überall die Geburtenziffern gesunken.“
Die zwei Gesichter der Überbevölkerung
Die Analyse des Forschers geht weiter: Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in Ländern, in denen die Einwohnerzahlen stagnieren oder sogar schon zu schrumpfen beginnen, darunter einstmals so arme Länder wie Bangladesch oder Vietnam. Die gute Nachricht: „Wenn es den Menschen besser geht, bekommen sie weniger Nachwuchs. Im Schnitt bringen die Frauen der Welt heute nur noch 2,4 Kinder zur Welt, weniger als halb so viele wie vor sechzig Jahren. Auch die Wachstumsrate hat sich mehr als halbiert.“
Die weniger gute Nachricht: „Aufgabe Nummer zwei, den reichen und längst auch den aufstrebenden Teil der Welt aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu erlösen ist ungleich schwieriger. Denn fatalerweise hängt die Energieversorgung der Welt noch zu über 80 Prozent an Öl, Gas und Kohle. Das von der internationalen Gemeinschaft vereinbarte Ziel, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist deshalb illusorisch: Auf dem heutigen Emissionsniveau dürfte die Menschheit gerade noch sieben Jahre weiterheizen.“
II. Ernährung
Mit der Umweltproblematik steht die Frage der Ernährung der Menschheit in engem Zusammenhang. Um immer mehr Menschen mit ausreichenden Mengen an Nahrung zu versorgen, werden Acker- und Weideland benötigt. Das erhöht zwangsläufig den Nutzungsdruck auf die Natur und führt zur Abholzung von Regenwäldern, die für Artenvielfalt und als Kohlendioxidspeicher spielentscheidend sind.
Ungünstigerweise findet der größte Zuwachs an Menschen genau dort statt, wo die Gewinnung von Ackerland am schwierigsten ist. In der Sahelzone Afrikas oder in Pakistan ist es schlichtweg zu trocken, um die wachsende Bevölkerung lokal zu ernähren. Es mangelt an Wasser, Agrartechniken, robustem Saatgut und vielem mehr. Weidehaltung in Steppen und Savannen fördert außerdem die Ausbreitung von Wüsten. Diese Länder sind also auf Importe von Getreide und Proteinquellen im großen Stil angewiesen. Das erfordert Transportinfrastrukturen und Logistiken, die in zahlreichen Ländern des globalen Südens einfach nicht leistungsfähig genug sind.
Nicht zuletzt hat der Krieg in der Ukraine gezeigt, wie labil die weltweite Versorgung mit Weizen ist. Wenn fast 80 Prozent des ägyptischen Getreidebedarfs aus Russland und der Ukraine stammen, wächst sich das zu einem ernsthaften Problem aus – mit stark steigenden Preisen und der Gefahr lokaler Revolten und Proteste. Da hilft auch die These, dass es genug Nahrungsmittel gäbe und es bloß an gerechter Verteilung krankt, wenig. Außerdem führt das Hängen am Tropf der Entwicklungshilfe zu Abhängigkeiten und hindert die lokale Wirtschaft – vor allem in Afrika – am Aufblühen.
Immerhin gibt es in Sachen Ernährung auch Hoffnung: 1968 haben die Biologieprofessoren Paul und Anne Ehrlich vorausgesagt, dass uns bis zum Jahr 2000 das Essen ausgeht. Wie sich zeigte, lagen sie weit daneben. Ein Grund dafür ist die rasante Weiterentwicklung im Bereich Pflanzenzucht, auch in Kombination mit Gentechnik; ein anderer die Mechanisierung der Landwirtschaft. Die Menschheit ist also durchaus in der Lage, auch hier Lösungen zu finden.
In Abwesenheit stabiler Sozialsysteme gelten Kinder als Absicherung für das Alter – ein negativer Kreislauf.
Dennoch warnen die Stanford-Professoren Elizabeth A. Hadly und Anthony D. Barnosky, die als Paläontologen Ökosysteme im Lauf der Geschichte erforschen, vor zu viel Optimismus: „Es wäre wunderbar, wenn auch wir falschlägen. Aber die Ehrlichs haben sich nur zeitlich getäuscht. Die Prophezeiung, dass Millionen von Menschen verhungern würden, hat internationales Handeln bewirkt. Hochleistungspflanzen wurden entwickelt und in Drittweltländern verbreitet. Aber sogar der Architekt dieser ‚Grünen Revolution‘, Norman Borlaug, sagte, man habe die Dinge damit nicht verändert, sondern nur verschoben.“
Im Strudel des Existenzkampfs
Tatsächlich wächst die Weltbevölkerung fast nur noch dort, wo die Menschen um ihre Existenz kämpfen, vor allem in Afrika und Westasien. Die Regierungen schaffen es kaum, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen – Bildung, Nahrung, Wohnen, Gesundheit, Arbeit. In Abwesenheit stabiler Sozialsysteme gelten Kinder jedoch als Absicherung für das Alter – ein negativer Kreislauf.
Zurück zum Bereich Ernährung: Der US-Klimaforscher Jonathan Foley hat einen konkreten Vorschlag, um Nahrung, Umwelt und Gerechtigkeit unter einen Hut zu bringen: „Die Welt kann im Jahr 2050 neun Milliarden Menschen ernähren, wenn wir nicht so viele pflanzliche Produkte an Tiere verfüttern. Nur gut die Hälfte aller weltweit produzierten pflanzlichen Kalorien essen wir direkt, mehr als ein Drittel dient als Futter für Rinder, Schweine und Hühner, knapp ein Zehntel wird zu Biokraftstoff und Industrieprodukten verarbeitet.“
Von 100 Kalorien aus eingesetzten Tierfuttermitteln kommen über Milchprodukte lediglich 40 Kalorien direkt im Körper des Menschen an, bei Hühnereiern gerade mal 22. Bei der Produktion von Geflügelfleisch bleiben von 100 eingesetzten Kalorien zwölf für den menschlichen Organismus übrig, beim Schweinefleisch sind es noch zehn, beim Rind gerade noch drei. Foley: „Wenn wir weniger Fleisch und andere tierische Produkte essen, wird das große Mengen an Nahrung freisetzen. Wegen des Nachholbedarfs von Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern ist es aber sinnvoll, das Essverhalten zunächst in Ländern zu korrigieren, in denen fleischreiche Kost seit langem Standard ist – also auch bei uns.“
Auf in die Klimakrise
Völlig klar ist, dass im Zuge der Umstellung und Sicherung der weltweiten Ernährung auch einige Dogmen und liebgewordene Überzeugungen über Bord geworfen werden müssen. Das arbeitet auch der Agrarexperte und Buchautor Timo Küntzle heraus: „Wie also zehn Milliarden Menschen ernähren, wenn es bei weniger als acht schon eng werden kann, und gleichzeitig Klima und Artenvielfalt schützen? Teile der Antwort könnten die Öffentlichkeit verstören. Zu sehr hat sich die Überzeugung verbreitet, allein die Abkehr von der konventionellen Landwirtschaft hin zum Bio-Landbau könne alle Wünsche erfüllen.
Es ist sinnvoll, das Essverhalten zunächst in Ländern zu korrigieren, in denen fleischreiche Kost seit langem Standard ist – also bei uns.
Jonathan Foley (US-Klimaforscher)
In den Schriften des Weltklimarates kommt die Bio-Landwirtschaft dagegen nur als Fußnote vor. Grund: Bei allen Vorteilen, die sie etwa durch eine höhere Artenvielfalt am Feld oder durch geringere Stickstoffauswaschung mit sich bringt: Ihre globalen Effekte wären bei großflächiger Umstellung kontraproduktiv. Dies liegt am systembedingten Minderertrag von bis zu 50 Prozent. Wegen des steigenden Lebensmittelbedarfs würde die Maßnahme Regenwaldrodungen geradezu heraufbeschwören, um die Verluste auszugleichen.“
III. Migration
Dass hohe Geburtenraten in Afrika, gepaart mit fehlenden Perspektiven, Armut und unzureichender Bildung, zu massivem Migrationsdruck Richtung Europa führen, konnten wir im vergangenen Jahrzehnt erleben. Die steigenden Bevölkerungszahlen in Nigeria oder Tansania werden diese Entwicklung befeuern. Was unter dem Radar bleibt, ist die Binnenmigration in Afrika – meist von ärmeren und unsicheren Ländern in etwas besser gestellte. Mit dem Effekt, dass die Neuzuwanderer in Marokko, Algerien oder auch Südafrika alles andere als willkommen sind. Oft ist ein Leben in Flüchtlingslagern vorprogrammiert. Was aber noch mehr ins Gewicht fällt, ist die ausufernde Migration vom Land in die Großstädte.
Auswanderung in Megastädte
Teresa Nogueira Pinto, Expertin für Afrika und internationale Politik, hat die Fakten dazu: „Nach Angaben der OECD ist die städtische Bevölkerung Afrikas in den vergangenen 70 Jahren von 27 auf 567 Millionen gewachsen. Die afrikanischen Städte sind heute die jüngsten und sich am schnellsten verändernden der Welt. Dieser Anstieg ist nicht nur auf das allgemeine Bevölkerungswachstum und die Neueinstufung von Siedlungen zurückzuführen, sondern auch auf Push- und Pull-Faktoren, die Menschen vom Land in die Städte treiben. Zu den Pull-Faktoren gehören fehlende wirtschaftliche Möglichkeiten, Unsicherheit und, wie jüngst im Fall Somalias, durch Dürre und Bodendegradation verursachte Hungersnöte.“
Die Afrika-Spezialistin weiter: „Bis zum Ende des Jahrhunderts wird die Zahl der Megastädte in Afrika voraussichtlich von drei (Lagos, Kairo und Kinshasa) auf dreizehn steigen. Während das Wachstum Ängste vor einer apokalyptischen Zukunft mit Spannungen und dem Zusammenbruch der Infrastruktur wecken kann, ist es wichtig festzustellen, dass die Hauptbetroffenen der Land-Stadt-Wanderung Zwischen- und Kleinstädte sein werden.“
Diese Entwicklung wird sich jedoch, meint Pinto, verstärken. Mit unerfreulichen Folgen: „Die derzeitigen demografischen Trends deuten darauf hin, dass die innerafrikanische Migration zunehmen wird. Die Ströme werden nicht nur Wirtschaftsmigranten umfassen, sondern auch Überlebensmigranten, die versuchen, gewaltsamen Konflikten, chronischer Unsicherheit oder Hungersnöten zu entkommen.“
Flucht vor Gewalt und Terror
Die Expertin weiter: „Dies führt uns zu einer dritten Dimension, nämlich der Sicherheit. Die Risiken in Afrika sind vielfältig und reichen von einer hohen Kriminalitätsrate in Großstädten bis hin zu Konflikten um Land zwischen Bauern und Hirten, Bürgerkriegen und Terrorismus. Chronische Gewalt in ihren vielfältigen Formen führt oft zu einem Teufelskreis aus Vertreibung, Knappheit und Instabilität.“
IV. Schlüssel Bildung
Alle Experten, die sich intensiv mit der Entwicklung der Weltbevölkerung befassen, sind sich einig: Der Gipfel (Peak) der Anzahl an Menschen auf der Erde wird Ende des Jahrhunderts erreicht sein und im nächsten leicht zurückgehen. Die Gründe werden in gestiegenem Lebensstandard in Entwicklungs- und Schwellenländern und klügeren Programmen zur Kontrolle der Fruchtbarkeit liegen. Der wichtigste Parameter ist aber ganz klar: Bildung.
Ermächtigung von Frauen
Diesen Umstand betont der Datenexperte, Meteorologe und Modellanalyst Gerhard Wotawa besonders: „Die wichtigste Maßnahme, um die wachsende Erdbevölkerung einzubremsen, ist Bildung. Und die Selbstermächtigung von Frauen in der Dritten Welt – weil man damit Bildung sehr rasch erreicht. Bewegte man sich von diesen oft extrem patriarchalisch geprägten Gesellschaften in Richtung gut ausgebildeter, selbstbewusster Frauen, dann ginge die Geburtenrate schnell zurück. Mich überrascht immer wieder, wie viel Geld oft ausgegeben wird für Maßnahmen, um Reduktionen von Kohlendioxidausstoß zu erreichen. Mit geringerem Finanzmitteleinsatz ließe sich das Bildungssystem verbessern, und die Erfolge wären rascher sichtbar.“
Wotawa lässt auf Grundlage seiner Daten aufhorchen: „Der damalige US-Präsident George W. Bush hat im Irak und in Afghanistan eher unheilvoll gewirkt. Aber er hat auch wahnsinnig tolle Errungenschaften erzielt: In Afrika hat er durch lokale Maßnahmen die Immunschwächekrankheit Aids reduziert, indem Medikamente zur Verfügung gestellt wurden. Aber vor allem auch, indem in Frauenbildung investiert wurde. Zusätzlich gelang es dadurch, mehr Akzeptanz für das Thema Empfängnisverhütung durch Kondome zu schaffen. Da wurde auf der einen Seite Millionen Menschen das Leben gerettet und Aids eingebremst, andererseits hatte das messbare Auswirkungen auf die Geburtenzahl. Solche Programme wären wieder zielführend – am besten auch mit europäischer Beteiligung.“
Mehr Bildung, weniger Kinder
In die Bildungskerbe schlägt auch Afrika-Spezialistin Teresa Pinto: „Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen höherem Bildungsniveau und niedrigeren Fruchtbarkeitsraten. Dies lässt sich durch eine geringere Zahl von Jugendheiraten, späteres Kinderkriegen, Zugang zu Verhütungsmitteln und höherer Erwerbsbeteiligung an einer formellen Beschäftigung erklären.
Die Fortschritte sind langsam, aber stetig: Nach Angaben der UNESCO haben 2020 schon 66 Prozent der Mädchen in Ländern der Subsahara ihre Grundschulbildung abgeschlossen, 2000 lag der Anteil bei nur 44 Prozent. Bei der Sekundarschulbildung sind die Zahlen weniger ermutigend: Nur 26 Prozent der Mädchen haben 2020 einen Abschluss gemacht – neun Prozentpunkte mehr als 2000.“ Was es in jedem Fall zu überwinden gilt, ist der Einfluss der Religionen, die teilweise die Rolle der Frau schwächen und gegen Bevölkerungskontrolle sind.
V. Ausblick
Wer bestimmt, wer wann und wo Kinder bekommen darf? Experte Tremmel zum heiklen Thema Ethik: „Die Menschheit hat es als einzige Spezies selbst in der Hand, Herausforderungen kognitiv zu verstehen und zu meistern. Weil wir zum ethischen Nachdenken befähigt sind, könnten wir uns etwa eine Bevölkerungsselbstbeschränkung auferlegen. Als Mittel dazu ist eine breite und kostenlose Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln nötig sowie auch freiwillige Sterilisationen (natürlich auch von Männern). In einer Utopie könnte derartige Maßnahmen eine demokratisch gewählte Weltregierung festlegen.“
Die Baby-Boomer sagen leise Servus
Die Wissenschaft ist sich einig: Der Zeithorizont für Maßnahmen, um das Bevölkerungswachstum einzudämmen, ist begrenzt. Denn wir kommen als Menschheit unweigerlich ans Limit des Möglichen. Das betrifft vor allem die Natur, die Ernährung und die Migration. Und eines ist klar: Die nächste Milliarde ist nur noch zwölf oder dreizehn Jahre entfernt.
Conclusio
Das Erreichen der 8-Milliarden-Marke im November rückt das rasante Wachstum der Weltbevölkerung in den Fokus. Klar ist, dass diese Entwicklung noch bis Ende des Jahrhunderts weitergehen wird, weil die Geburtenrate die Sterberate übersteigt. Mit allen damit verbundenen Problemen: Armut, Konflikten, Hungerkatastrophen, Migration – aber auch Naturzerstörung, Artensterben und natürlich Klimawandel. Um das Wachstum zu bremsen, braucht es vor allem in Afrika und Teilen Asiens gezielte Bildungsoffensiven. Denn Bildung ist der smarteste und schnellste Weg, um die Geburtenraten zu senken. Wobei hier besonders die Förderung von Frauen relevant sein wird – sie sind der Schlüssel, der über die Zukunft der Bevölkerungen entscheidet. Wir stehen am Scheideweg: Wenn wir nicht wollen, dass es noch enger wird, dann müssen wir jetzt handeln.